Dienstag, 13. Mai 2014

Sagte Gautama Buddha wirklich: Alles ist Leiden?

(Yudo J. Seggelke mit Peter Gäng)

Häufig wurde in früherer Zeit in der westlichen Welt das Charakteristische des Buddhismus durch die Formulierung: „Alles ist Leiden“ ausgedrückt. Auch heute verwenden namhafte Autoren diese Formulierung, eventuell in etwas anderer Bedeutung. Es stellt sich daher die zentrale Frage: Versteht der authentische Buddhismus das menschliche Leben insgesamt als Schmerzen und Leiden oder nicht? Wäre er damit nicht eine resignative pessimistische Religion? Daraus ergäbe sich folgerichtig, dass Freude, Zufriedenheit und Glück unseres Lebens, die auch von diesen Autoren vielleicht zugegeben werden, nur Täuschung und Schein sind.

Andere Autoren und Übersetzer folgen dieser Formulierung nicht und halten die Aussage, alles sei Leiden, semantisch für überzogen und auch wissenschaftlich nicht belegbar. Damit sei eine religionspolitische Abqualifizierung des Buddhismus intendiert: im Buddhismus werde alles Leben und alle Existenz als grundsätzlich leidhaft und schmerzenreich erklärt und unterscheide sich damit fundamental von den tatkräftigen Weltanschauungen und Religionen des Westens. Von christlicher Seite wurde darüber hinaus seit dem engeren Kontakt mit dem Buddhismus eine grundsätzliche Unterscheidung hervorgehoben, dass es im Buddhismus kein Entrinnen aus dem Leiden und Karma in dieser Welt gäbe und dass im Gegensatz dazu im Christentum die Gnade möglich sei, die ein glückliches und angstfreies Leben ohne Leiden verspricht.

Durch die immer stärker werdende Präsenz des Buddhismus im Westen z. B. in der Person des Dalai Lama, des französisch - tibetischen Mönches Mathieu Ricard und durch die  bekannten Zen-Meister Suzuki, Nishijima und Deshimaru zeigt sich nunmehr ein anderes Gesicht des Buddhismus: die buddhistischen Meister, Mönche und Laien machen einen zufriedenen, ausgeglichenen Eindruck und scheinen mit ihrem Leben in Einklang zu sein. Man denke nur an die lächelnden Gesichter des Dalai Lama und anderer Meister. Damit ist das alte Leidens-orientierte Bild des Buddhismus in Bewegung geraten. Wird es durch die lebenden Buddhisten vielleicht ganz beiseite geschoben?

Im Folgenden möchte ich die Frage, ob der Buddhismus wirklich sagt, dass alles Leiden sei, vertieft behandeln und zwar aus wissenschaftlicher, aber auch aus religiöser oder psychotherapeutischer Sicht. Z. B. könne man behaupten, dass eine solche Aussage eine gute psychische Schockwirkung erzeugen könne, ohne wissenschaftlich richtig zu sein, um auf das eigene Leiden und das der Anderen aufmerksam zu werden und sein Leben grundsätzlich zu ändern. Ich möchte eine vorwiegend buddhologische und damit wissenschaftliche Analyse vornehmen. Entsprechend der Wissenschaftstheorie von Karl Popper lautet meine zu untersuchende Hypothese also: „Alles ist Leiden“, sie muss der Falsifizierung standhalten, sonst ist sie abzulehnen.

In dem maßgeblichen Text Gautama Buddhas, die „Grundlagen der Achtsamkeit“ heißt es zu den Vier Edlen Wahrheiten in der m. E. verlässlichen Übersetzung von Peter Gäng:

Dies ist das Leiden“.

Gautama Buddha sagt also "Dies" und nicht "Alles" ist Leiden. Außerdem heißt es, dass ein Mönch dies „der Wirklichkeit gemäß“ erkennt. 

Im Pali -Text heißt es idam dukkhan, wobei dukkham im weiteren Sinne das Leiden bedeutet und idam die Bedeutung von dieses hat. Idam kann auch in der Bedeutung „das Folgende“ verwendet werden. Wenn die Bedeutung „alles ist Leiden“ von Buddha gemeint wäre, müsste es sabbham dukkham in Pali heißen. Gautama Buddha hat sicher mit Bedacht den Begriff idam verwendet und nicht sabbham.

Es ist spannend, dass man "sarvam dukkham eigentlich in Pali nicht sagen" kann (Peter Gäng), diesen Ausdruck gibt es also gar nicht in Pali.  In Sanskrit  wäre sarvam duhkham ebenfalls problematisch. Es gibt dabei keine ähnliche Begriffe in Pali und Sanskrit, wie es sonst der Normalfall ist.

Daraus muss in aller Klarheit gefolgert werden, dass die Aussage "Alles ist Leiden", sarvam duhkha, später formuliert wurde und nicht von Buddha selbst stammen kann. 

Ich kann dabei nicht nachvollziehen, warum diese zentrale Aussage zum Leiden später verändert wurde, denn Gautama Buddha ist unzweifelhaft ein Meister des Wortes und der klaren Ausdrucksweise. Die Aussage in den Vier Edlen Wahrheiten in Pali ist also als verlässlich und authentisch anzusehen.

Ich habe in verschiedenen Texten versucht, die Sanskrit-Bezeichnung „sarvam duhkham“ zu finden. Dies ist mir jedoch bisher nicht gelungen. Es könnte allerdings sein, dass diese Formulierung irgendwo in späteren Texten in Sanskrit auftaucht. Ich halte die authentische Formulierung in Pali für maßgebend:

„Dies ist das Leiden.

In gleicher Weise schreibt der amerikanische Mönch und Autor Bhikku Bodhi, der für die Authentizität der Buddha-Reden in Pali fachlich allgemein anerkannt ist : "This is suffering" und gerade nicht "all ist suffering" oder "everything is suffering"

Dazu noch ein  kleiner Beitrag, den ich zufällig entdeckte und der mir typisch wenn auch eher grotesk erscheint: In der namhaften Untersuchung : Gautama Buddha. Die vier edlen Wahrheiten des großen Indologen Klaus Mylius (dtv klassik,1991) heißt es im Klappentextes des Verlages:

"Das Leben beruht auf Leid, heißt die erste Wahrheit". 

Das ist inhaltlich identisch mit "Alles ist Leid". 
In der Übersetzung des Autors heißt es abweichend davon und korrekt:
"Das ist das Leiden", denn idam kann statt dies auch das bedeuten. Danach folgt die Aufzählung der zwölf konkreten Arten des Leidens Buddhas, die er weiter untersucht.

Hat der Verlag nun diesen fundamentalen Fehler bewusst in den Klappentext geschrieben? Wir wissen es nicht. Es ist aber nicht auszuschließen, dass er durch die Mystifizierung des Leidens im angeblichen Buddhismus den Verkauf dieses Buches fördern wollte. Wie dem auch sei, fahren wir mit unserer Analyse fort.

Bei den Vier Edlen Wahrheiten wird wie erwähnt im Folgenden aufgezählt, welche Bereiche des Leidens es nach der Erfahrung Buddhas gibt. Es handelt sich dabei um zwölf Bereiche, die sich wie folgt gliedern. Zunächst werden vier körperlich physische Schwerpunkte des Leidens genannt: Geburt, Krankheit, Alter und Tod. Dann kommen psychische Bereiche: Kummer, Jammer, Gram, Verzweiflung und außerdem generell Schmerz. Weiterhin wird genannt die Trennung von dem, was man liebt und umgekehrt zusammen sein zu müssen, mit dem was man ablehnt und nicht liebt. Weiter heißt es, dass es Leiden macht, wenn man Erwünschtes nicht erlangt.

Wenn wir diese zwölf wichtigsten Gruppen des Leidens auf die Moderne projizieren, wird sicher keiner bezweifeln, dass auch dies heute die wesentlichen Bereiche des Leidens und der Schmerzen der Menschen sind. Umgekehrt ist natürlich zu fragen, welche Bereiche Buddha nicht genannt hat, zum Beispiel die Lebensphasen nach der Geburt, ohne Krankheit bis zum Altern. Wenn alles Leiden wäre, müssten auch diese Lebensbereiche unter die generelle Aussage fallen, dass sie immer und für alle leidvoll sind. Genau das sagt Buddha aber nicht, so dass es nahe liegt, dass er dies nicht sagen will.

Gleiches gilt für die psychischen Bereiche des Leidens, das heißt, wenn ein Mensch weder Kummer, Jammer Gram und Verzweiflung hat, ist er von der Aussage des Leidens nicht betroffen. Für die Aussagen zur sozialen Situation von Leiden gilt dasselbe, dass man von lieben Menschen und Dingen getrennt ist, oder umgekehrt mit aversiven aggressiven oder widerwärtigen Menschen zusammen sein muss. Die zwanghafte Situation mit abgelehnten Menschen zusammen zu sein, tritt bekanntlich nicht selten im Berufsleben auf. Wenn diese Situationen nicht da sind, gibt es solches Leiden nicht

Bei der genaueren Analyse der zwölf Bereiche des Leidens zeigt sich, dass nicht alle Situationen und Phasen des Lebens genannt werden und daraus ergibt sich m. E. im Umkehrschluss, dass Buddha diese nicht als Leiden bezeichnet.

In der Fachwelt ist es unbestritten, dass Buddha mit den Vier Edlen Wahrheiten keine abstrakte  Philosophie entwickeln und lehren wollte, sondern dass es sein Anliegen war, den Menschen zu helfen und konkret einen Ausweg aus dem Leiden zu zeigen. In heutiger Ausdrucksweise würde man daher sagen, dass er ein Therapeut, Arzt oder Helfer war, der eine wirkungsvolle Therapie entwickelt hatte, nachdem er die damalige Religion und Weltanschauung des Brahmanismus und insbesondere der Upanishaden zunächst gründlich studiert und dann aber als unzureichend verworfen hatte. Bekanntlich hatte er auch eine rein körperliche Lösungsmöglichkeit für psychisches, geistiges und körperliches Leiden in Form der Askese versucht, aber nach eigenen schwerwiegenden Grenz-Erfahrungen abgelehnt.

Für einen heutigen Psychotherapeuten wäre es in der Tat wenig hilfreich, wenn er zunächst seinem Patienten eröffnet: „Alles ist Leiden“. Viel mehr müsste er versuchen, das Leiden gemeinsam mit dem Patienten konkret zu erkennen, einzugrenzen, zu analysieren, um die möglichen Ursachen heraus zu finden und den Heilungsprozess danach entsprechend einzuleiten und zu unterstützen. Es ist also nicht überzeugend zu sagen, dass Buddha einerseits als Heiler und Therapeut über 40 Jahre seines Lebens gearbeitet hat und auf der anderen Seite eine Lebensphilosophie vertreten hat, dass alles Leben immer und zu jeder Zeit Leiden sei. Er müsste dann den leidenden Menschen zudem knallhart sagen, dass Glück und Zufriedenheit nur auf Illusionen und Täuschungen beruhen. Das wäre für den Heilungsprozess sicher falsch und würde eventuell sogar zum Suizid der Leidenden führen.

Gemäß der Wissenschaftstheorie von Karl Popper wird eine Hypothese bereits dann zu Fall gebracht, wenn in einem einzigen Beispiel nachgewiesen wird, dass sie falsch ist. Dieses Verfahren wird Falsifizierbarkeit von Hypothesen genannt. Dann kann die Hypothese keinen Anspruch auf Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit beanspruchen und kann nicht den Status einer Theorie erhalten. In unserem Fall muss die Hypothese „Alles ist Leiden“ dann zwingend abgelehnt werden.
Eine Hypothese ist also nicht bereits verlässlich, wenn sie häufiger zutrifft, und in diesen Fällen verifiziert wird, sondern sie muss jeden einzelnen Versuch der Falsifizierung überstehen, um als Theorie anerkannt zu werden. Die Verifizierung bestimmter oder mehrere Einzelfälle ist nicht auszureichend und nicht verlässlich.

Wir müssen uns daher fragen, ob es bereits einen einzigen eindeutigen Fall des Lebens gibt, der nicht als Leiden identifiziert werden kann. Das ist in der Tat nicht schwer:

Alle gemäß der buddhistischen Lehre Erwachten und Erleuchteten werden genauso charakterisiert: Sie haben das Leiden überwunden, sie sind also gemäß den Vier Edlen Wahrheiten und des Achtfachen Pfades aus dem Leiden heraus gekommen.

Die buddhistische Lehre sagt, dass dies bereits im jetzigen Leben so ist und nicht erst im erhofften späteren Nirvana. Wie erwähnt gibt es auch in der gegenwärtigen Zeit Menschen, die man als glücklich und zufrieden erfährt, wie zum Beispiel den tibetischen französischen Mönch Ricard aber natürlich auch Nicht-Buddhisten. Ich selbst kenne zwei buddhistische Meister, die ich ohne zu zögern als erleuchtet und glücklich bezeichnen würde: Dea Poep Na Sim und meinen letzten Lehrer Nishijima Roshi. Beide haben überzeugend von sich selbst gesagt, dass sie glückliche Menschen sind und zufrieden mit ihrem erfüllten Leben. Daraus ergibt sich wissenschaftstheoretisch zweifellos, dass die Aussage „Alles ist Leiden“ therapeutisch, buddhologisch und wissenschaftstheoretisch nicht haltbar ist.

Außerdem halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass die christliche Lehre der Erbsünde bewusst oder unbewusst in den Buddhismus übertragen wurde und ihm die Formulierung: „Alles ist Leiden“ fälschlich angeheftet wurde.

Aus buddhologischer Sicht ist folge ich nicht obigen der Aussage, sie ist meines Erachtens auch nicht mit dem Kern der Erlösungslehre aus dem Leiden durch eigenes Wollen, Denken und Handeln vereinbar.

Seit der Arbeiten Hans-Georg Gadamers ist in der Moderne die Hermeneutik, also die sachgerechte Arbeit mit Texten und Aussagen, in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Danach ist es neben dem Verstehen und der Interpretation der alten überlieferten Texte maßgeblich, dass wir uns selbst verändern und in einen umfassenden und nicht nur intellektuellen Lernprozess eingehen. Wie wirkt wohl auf uns die Aussage: „Alles ist Leiden“? Sicher nicht ermutigend und sicher nicht förderlich, um unnötiges Leiden zu erkennen, einzugrenzen und auszuschalten.

Meines Erachtens entstehen durch diese eher resignative Aussage, wenn man sie wirklich ernst nimmt,  gerade verstärkt Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung. Das bedeutet also nichts anderes, als dass das genannte Leiden selbst verstärkt oder sogar erzeugt wird. Genau das Leid soll aber gerade durch die Vier Edlen Wahrheiten und dem Achtfachen Pfad überwunden werden. Das wäre nicht wohl ein double-bind. Selbst Feinde des Buddhismus würden das Gautama Buddha wohl nicht unterstellen.

Ich möchte noch zwei weitere eher psychologische, oder wenn man so will, pathologische Überlegungen anschließen: Es ist bekannt, dass es immer wieder einzelne Feuerwehrleute gibt, die zunächst einen Brand legen, um dann in der Funktion des rettenden Feuerwehrmannes helfen zu können. Es wird also die Situation als Helfer vorsätzlich organisiert, um Beachtung und Lob zu erwirken, ohne dass die Verursachung erkennbar ist und auch nicht erkennbar sein soll. Wer also zunächst eine psychische Situation der Resignation oder Depressivität erzeugt, könnte in analoger Weise gut als "Helfer" auftreten, um die Lösung der selbst induzierten Leiden anzubieten.

Eine eher materialistisch-marktorientierte Deutung könnte wie folgt aussehen: um das „Heilsprodukt“ an den Mann zu bringen oder sogar gegen Geld zu verkaufen (falsche Meister), wird zunächst ein Bedarf erzeugt, indem die Leidens-Aspekte des Lebens verstärkt werden, sodass sich ein lukrativer „Markt“ für das Heilmittel entwickelt, der dann bedient werden kann. In der Moderne gibt es zweifellos wegen und im Zusammenhang mit der materialistisch negativen Weltstimmung viele Ängste, Enttäuschungen und Frustrationen. Es ist natürlich kein Geheimnis, dass materielle Güter und Vorteile nur kurzfristig Lebensfreude erzeugen können, aber mittel- und langfristig den Menschen aushöhlen, weil ihm die psychische und spirituelle Mitte verloren geht.

Die Fragmentierung der modernen materiellen und medialen Scheinwelt hinterlässt selbstverständlich erhebliche negative Spuren beim Menschen. Ein Verkäufer von wohlfeilen spirituellen Heilmethoden könnte daher diese Stimmung des Zeitgeistes zunächst verstärken, um dann sein eigenes „Heilsprodukt“ besser an die Frau und an den Mann bringen zu können. Es ist sicher nicht aus der Luft gegriffen, dass selbsternannte Meister, Gurus und Heilige in großer Gefahr sind, einen solchen Weg zu gehen. Im Übrigen gibt es in der Geschichte wohl jeder Religion das Phänomen, dass zunächst die Sünden „vergrößert“ und das schlechte Karma von den Funktionsträgern stark überzeichnet wird, um daraus handfeste Vorteile zu ziehen. Diese können von psychischer Gewalt über Abhängigkeit, Machtausübung und materiellen Vorteil reichen. Ich bin sicher, dass Ihnen dazu leider auch für die Gegenwart fatale und dramatische Beispiele einfallen.

Wie der Philosoph Wolfgang Welsch richtig sagt, dürfen die Methoden des Logos der westlichen Vernunft und die für das Denken erforderlichen Fragen auch und gerade im Zusammenhang mit dem Buddhismus nicht beiseite gelassen werden. Meister Dôgen ist in seinem großen Werk Shôbôgenzô dafür ein positives Beispiel: Es gibt kein Kapitel, in dem er nicht zentrale Fragen an den Leser stellt und bittet, darüber eigenständig und gründlich nachzudenken und nachzusinnen. Wir sollten auch und gerade die fundamentale angebliche Aussage Gautama Buddhas in Frage stellen: „Alles ist Leiden“. Denn der Buddhismus basiert nicht auf naivem Glauben, sondern auf der Vernunft. Und genau darin liegt seine Heilwirkung für die Menschen dieses Zeitalters.

Mein Resümee´:
Nach meinen oben ausgeführten Analysen muss daher die Hypothese „Alles ist Leiden“ abgelehnt werden, da sie die Falsifizierung nicht übersteht. Sie ist wissenschaftstheoretisch nicht zu halten.
Im Übrigen halte ich sie auch therapeutisch für sehr bedenklich, oft kontraproduktiv und in bestimmten Fällen sogar gefährlich.
Und: sie stammt nicht von Gautama Buddha, sondern dürfte eine spätere Formulierung sein.



Beitrag: 
Alles ist Leiden? Oder nicht? Was hat der Buddha nach der Überlieferung dazu gesagt?
(Peter Gäng)

Alles – das wären im Sprachgebrauch der alten buddhistischen Texte “alle Gegebenheiten/Phänomene” (sabbe dhammā). Und die dhammas (sanskrit dharmas) werden traditionell unterteilt in die bedingten Gegebenheiten (sankhāra) und  nibbāna (Nirvana als einzige nichtbedingte Gegebenheit, wobei in manchen Traditionen noch der Raum hinzugefügt wurde).

Die bekannteste Aussage zu diesen Thema findet sich im Dhammapada, das in zahlreichen Übersetzungen vorliegt. Dort heißt es (277 ff):
“Alle bedingten Gegebenheiten sind vergänglich” - Wer dies in Weisheit sieht,
der wendet sich von dukkha ab, das ist der Weg zur Reinheit.
“Alle bedingten Gegebenheiten sind dukkha” - Wer dies in Weisheit sieht,
der wendet sich von dukkha ab, das ist der Weg zur Reinheit.
“Alle Gegebenheiten sind nicht der Wesenskern” - Wer dies in Weisheit sieht,
der wendet sich von dukkha ab, das ist der Weg zur Reinheit.

In zahlreichen Gesprächen hat der Buddha nach der Überlieferung dies Aussagen so präzisiert:
“Was meinst du, ist X beständig oder vergänglich?” - “Vergänglich, Herr.” - “Und was vergänglich ist, ist das dukkha oder sukha (Glück)?” - “Dukkha, Herr.” 

Und darauf folgt dann der Hinweis:
 “Was vergänglich ist und damit dukkha ist, dafür gilt: Das ist nicht mein, das bin nicht ich, das ist nicht mein Wesenskern”.

Dies gilt wie gesagt für alle Phänomene (ausgenommen Nirvana): Für die Bestandteile der Persönlichkeit (körperliche Form, Wahrnehmung, Gefühle, Willensregungen, Bewusstsein), für alle Sinnesorgane und Sinnesobjekte, für die 4 Elemente.

Ergänzung
(Yudo J. Seggelke)

Nach übereinstimmender Aussage der Meister Nagarjuna, Dôgen, Nishijima u. a. darf Nirvana nicht als etwas Jenseitiges, von uns Getrenntes, verstanden werden, sondern ist identisch mit dieser Welt, hier und jetzt, in der wir leben. Ich folge dieser Auffassung ausdrücklich, nach eigenem Erleben und Verständnis.
Das heißt: Es gibt zweifellos die Realität des Leidens in der Welt und in unserem Leben, aber es ist nur eine Teil-Wirklichkeit; wenn wir z. B. an etwas Veränderlichem mit aller Gewalt festhalten wollen. Wir müssen die Vergänglichkeit aber nicht als Leiden erfahren, denn es geht um die Veränderlichkeit, die auch und gerade Lernen und Kreativität umfasst, nach Buddha: lernende gemeinsame Wechselwirkung (pratitya samutpada). Wir können lernen, das Leiden zu überwinden. Das ist eine ausgesprochen positive Botschaft, die Buddha zum ersten Male in der Menschheitsgeschichte präzise erfahren und an uns weitergegeben hat.