Sonntag, 21. September 2014

Glück und Buddhismus – Wie hängt das zusammen?

(Yudo J. Seggelke)

Selbst heute gibt es namhafte Buddhisten, die behaupten Buddha, habe gelehrt: "Alles ist Leiden". Aber das ist nicht richtig: Weder in den buddhistischen Pali-Texten gibt es diese Aussage, noch kann sie historisch-philologisch begründet werden. Sie ist m. E. eine Erfindung späterer Jahrhunderte und spiegelt den Geist übereifriger Mönche wieder. Buddhismus ist eine optimistische Religion, die Lebensfreude, Lernen und Weiterentwicklung in ihren Mittelpunkt stellt.

Übrigens wurde auch die Lehre von der Erbsünde im Christentum abschließend von Augustinus erst um 400 n. C. formuliert. Ein analoger Vorgang?

Was sagt die moderne Gehirnforschung zum Glück?
Im Folgenden möchte ich Freude und Glück synonym verwenden. Dagegen werde ich nicht von Spaß reden, obgleich der semantische Unterschied zu Freude weitgehend verschwunden ist, ebenso wenig von Vergnügen. Beide Begriffe haben sich im Sprachgebrauch zu deutlich aus einem Kontext von Spiritualität entfernt  
Vorweg in aller Klarheit: Glück und Freude zu erlernen ist tatsächlich möglich, das ist heute etwa von Seiten der Gehirnforschung völlig unbestritten. Nachhaltiges Glück erfordert allerdings einen längeren Lernprozess unseres Gehirns, also des neuronalen Netzes, das u. a. Sitz der Gedanken, des Wissens und der Gefühle ist. Unser Gehirn ist bis ins hohe Alter erstaunlich lernfähig. Diese sogenannte Neuro-Plastizität ist am besten mit Freude und positiver Geisteshaltung zu bewahren.

Übrigens kann im Gehirn kein Ich-Kern gefunden werden. Wir sind das ganze neuronale Netz, ein holistisches Ganzes: Es gibt im Gehirn keinen abgegrenzten Bereich, keinen Ich-Kern. Die Übereinstimmung mit Buddhas Lehre ist verblüffend, denn der Schlüssel zur Überwindung des Leidens liegt entsprechend seiner Lehre gerade in der Überwindung der Illusion eines solchen fixierten Ichs.

Der Gehirnforscher Manfred Spitzer sagt:
"Angst macht dumm, und Glück macht schlau"

Eine negative Religion, die Angst und Panik in den Menschen erzeugt, verhindert also wichtige Lernprozesse, insbesondere das Erlernen der Lebensfreude, des Glücks und der Geistes-Klarheit. Glück und Lernen sind unauflöslich miteinander verbunden.

Im Folgenden möchte ich einige Ergebnisse verlässlicher Gehirnforschung (nach Spitzer) zusammenstellen:


Glückszentrum
Gehirnphysiologisch gibt es ein Zentrum für das Glück, das den Stoff  Dopamin ausschüttet. Von einem anderen Zentrum werden dann die Endorphine erzeugt. Diese sind körpereigene Opiumstoffe, die starke Glücksgefühle auslösen. Insbesondere der vordere Cortex, also das Bewusstsein, wird in entsprechenden Situationen mit diesen Glücksstoffen überschwemmt. Dies ist die Grundlage für unsere Erfahrung von Glücksgefühlen und Glücksgedanken.

Das Glückszentrum ist etwa 12 sec. aktiv, also recht kurz. Nach Spitzer ist dieser Zustand im Gehirn besonders eng mit dem Lernen verbunden: In einem Zustand, in dem das Glückszentrum aktiviert ist, lernen wir ganz schnell. Für die menschliche Evolution war es von existentieller Bedeutung, gerade in Glück-Zuständen effizient zu lernen, weil sich dadurch die Überlebenschancen wesentlich verbessert haben. Diese Funktionsweise unseres Gehirns ist noch heute von fundamentaler Wichtigkeit.

Spitzer betont, dass Glück kein isolierter Zustand für sich selbst ist, sondern als Belohnung sinnvoll, um lebenslang immer wieder zu lernen.

Es gibt Glücksgefühle, wenn die Situation besser ist, als erwartet. Eine vorher angenommene gute Situation erzeugt nur neutrales Gefühl, bei negativem Ergebnis wird das als besonders deprimierend empfunden.
Glücksgefühle entstehen also dadurch, dass etwas unerwartet Positives geschieht. Glück ist aber nicht für sich selbst da, sondern ist mit dem Lernen verkoppelt. Wir haben Glücksgefühle, wenn wir lernen und es uns damit im Leben besser geht. Glück ist also nicht ein dauerhafter Zustand, sondern wird jeweils neu ausgelöst durch eine neue Erfahrung, die eine bestehende Erwartung übertrifft. Glück macht also klug und lernfähig.

Angst dagegen ist eine Reaktion auf bestehende oder vermutete Gefahren. Sie war evolutionsgeschichtlich erforderlich, um unmittelbar zu überleben. In einer Situation der Angst erfolgt sofort ohne zeitliche Verzögerung eine der beiden möglichen Reaktionen: Flucht oder Angriff. Dabei ist ein anderes Modul im Gehirn aktiv, der Mandelkern. Er erzeugt negative Gefühle und Angst, unmittelbare Reaktionen noch bevor Bewusstsein und Nachdenken einsetzen können. Er bewirkt ausschließlich schwarz-weiß-Erkennung, ebenfalls schneller als Bewusstsein und Reflexion.
Wir wissen heute, dass Angst verhindert, dass wir gründlich denken und abwägen, was tatsächlich das Beste für uns ist. Das würde zu viel Zeit beanspruchen, weil höhere Ebenen des Gehirns eingeschaltet werden. Angst erzeugt sofortige Reaktionen und verhindert Denken und Kreativität: Angst macht dumm.
Es gibt auch genetisch programmierte Angst, die in früheren Phasen der Evolution durchaus Sinn machte, z. B. Gefahren durch Spinnen, Schlangen und gefährliche Raubtiere. Diese Angstbereiche sind zwar bei uns genetisch fest verankert, aber machen in der Gegenwart unserer entwickelten Industriegesellschaft ohne unmittelbare Feinde keinen Sinn mehr. Es gibt hier keine gefährlichen Spinnen und normalerweise auch keine giftigen Schlangen. Das heißt, diese automatischen Reaktionen der Angst sind noch vorhanden, aber heute dysfunktional.

Wenn irgendetwas mühsam (weil besonders schwierig) unter Angst gelernt worden und so mit Angst zusammen im Gehirn gespeichert ist, entsteht diese Angst immer wieder von neuem, wenn das entsprechende Thema aktuell ist. Wer beispielsweise in der Schule bei Mathematik Angst hatte und die Mathematik so im Zustand der Angst gelernt hat, wird diese Angstgefühle erneut haben, wenn mathematische Fragestellungen auftauchen. Unweigerlich bleibt er wegen dieser Angst weit unter seinen mathematischen Möglichkeiten. Zudem wird seine Kreativität unterdrückt, die bekanntlich bei der Mathematik besonders wichtig ist. Angst hatte evolutionsgeschichtlich eine Funktion, um zu überleben. Heute kommt es darauf an, Angst abzubauen, um besser zu leben und besser zu lernen.

Möglich ist allerdings, mit Drogen sein Glückszentrum künstlich zu stimulieren.In einem Experiment wurde allerdings die besondere Gefährlichkeit nachgewiesen. Unter Drogeneinfluss handelt ein Mensch ähnlich wie eine Maus, die über eine Taste elektrische Impulse in ihr Glückszentrum eingeben. Sie drückte die „Glückstaste“ 2.000 mal in der Stunde und vernachlässigte alles Andere, sogar die Aufnahme von Nahrungsmitteln. Sie hat so lange scheinbares "Glück" für sich erzeugt, bis sie tot war. Das ging schließlich sehr schnell.

Damit ist die Gefährlichkeit von Drogen zur Stimulation des Glückszentrums klar beschrieben. Nach Spitzer haben Drogen nicht die Funktion, wichtige Lernprozesse des Menschen zu ermöglichen, sondern die Glücksstimulation geschieht, ohne die eigentliche Funktion des Lernens in Gang zu setzen. Das führt rasch zur Unfähigkeit, in einer sich verändernden Welt angemessen zu leben und führt mindestens geistig zum Tod.

Weitere Anstriche zur Funktion unseres Gehirns:
Der weit aus größte Teil unserer Gehirnleistung ist nicht bewusst.
Geben ist besser als nehmen und bedingt Glück und Zufriedenheit; zudem ist in Folge eine um ca. 3 bis 6 Jahre erhöhte Lebenserwartung  empirisch nachgewiesen.
Etwa ein Drittel der gesamten Gehirnleistung wird für das Sehen genutzt : Nach Umwandlung der in den Augen ankommenden Impulse wird deren Verarbeitung in diversen Schichten des Gehirns durchgeführt. Die Verknüpfung mit Bedeutung und Moral erfolgt in höheren Regionen unseres Gehirns. Insgesamt sind etwa 40 Module des Gehirns für das Sehen zuständig.
Flow: Zufriedenheit beim Handeln, z. B. Arbeiten.
Risikoangst verhindert notwendiges Handeln; Wettbewerb aktiviert zwar den Menschen, aber verringert rationales Denken und Handeln, macht also auch dümmer.
Die Motorik ist immer mit Denken und Geist verbunden, z. B. gibt es eine enge Interaktion von Worten, Symbolen und Metaphern mit dem Motorik-Teilsystem des Gehirns. Durch die Einschaltung der Motorik kann man wesentlich besser - weil ganzheitlich und holistisch - lernen.
Durch Bewusstsein und Reflexion kann den falsch gebahnten Automatismen des Gehirns gegengesteuert werden.
Religiöse überhöhte Ziele und überhöhter Idealismus machen unglücklich und lernunfähig.
Angst und Aggression sind insgesamt primitive alte Verhaltensweisen aus früheren Entwicklungsstufen der Evolution, sie ermöglichen heute keine komplexen Fähigkeiten auf höherer Ebene.
Digitale Demenz: Mehr als ½ Stunde Fernsehen für Kleinkinder reduziert den Intelligenzquotienten nach dem 7.ten Lebensjahr um ca. 30%.
Besonders wichtig bei der Frage der Zufriedenheit und des Glücks sind Vergleiche. Spitzer erläutert dies an den Menschen der DDR: als die DDR noch Teil des Ostblocks war, ging es ihnen im Verhältnis zu den anderen Ländern, insbesondere auch zur UdSSR, ganz gut, sodass sie nicht unzufrieden waren. Obgleich Viele Zugang zu Informationen aus dem Westen hatten, waren dies keine für diese Menschen relevanten Vergleichsgrößen.

Als dann die DDR Teil der Bundesrepublik wurde, veränderte sich der Bezugsrahmen: der Vergleich mit dem Westen wurde aktuell. Im Vergleich dazu standen die Menschen aus den neuen Bundesländern wirtschaftlich deutlich schlechter da. Entsprechend war die Zufriedenheit gering und die Wiedervereinigung Deutschlands wurde weniger positiv erlebt als zu vermuten war.

Vergleiche und entsprechende Bewertungen sind fast immer psychisch dysfuntional und verhindern Zufriedenheit und Glück

Ganz wesentlich ist die Empathie der Erwachsenen: Das Kind lernt nur dann, wenn der Erwachsene mit Engagement, Begeisterung und Zuwendung für das Kind redet. Spitzer empfahl daher, dass ein begeisterter Philosophie-Professor seinem Säugling durchaus schon von der Philosophie, selbst von. Platon, erzählt. Das ist die beste Voraussetzung dafür, dass das Kind die Sprache lernt. Inhaltlich wird es überhaupt nichts verstehen, aber durch die positive Empathie und Begeisterung des Vaters, die sich auf das Kind übertragen, entsteht ein optimaler Lernprozess.

Umgekehrt sind Lernprozesse ohne Freude und Begeisterung schwierig oder unmöglich. Lernprozesse verlaufen demnach am besten wenn Glücksstoffe beteiligt sind, Spitzer nennt sie daher auch Lernstoffe.

Wie hängt Glück und Geld zusammen?
Wer sehr wenig Geld zum Leben hat, bei dem hängt relativ viel vom Geld ab, damit er überhaupt sinnvoll leben kann. In USA gibt es das folgendes Phänomen: Bis etwa 20.000 $ Einkommen pro Jahr (Spitzer) steigt das Glücksgefühl steil an, ab dieser Höhe bleibt das Glücksgefühl des Lebens weitgehend konstant, selbst wenn das Einkommen steigt oder wesentlich darüber liegt. Mehr Geld erhöht nicht Zufriedenheit und Lebensglück.

Geld ausgeben.
Wer Geld für andere ausgegeben hat, ist grundsätzlich glücklicher als der Durchschnitt der Menschen, auch das ist empirisch belegt. Wer zusätzliches Geld in erheblichem Umfang für andere ausgegeben hatte, ist signifikant glücklicher, als wenn er das Geld selbst verbraucht hat. Ein ähnlicher Effekt ergibt sich, wenn man Anderen hilft: dann ist man glücklicher und lebt statistisch länger. Menschen sind also noch in höherem Maße soziale Wesen als Tiere, lebendige "gebende" Gemeinschaft wirkt lebensverlängernd.

Von großer Bedeutung für ein gutes Leben ist die Effizienz von Selbst-Steuerung und Selbst-Kontrolle. Dadurch werden primitive und gesellschaftlich überholte "Automatismen" wie Aggression, Wut, Rache usw. entschärft.

Im Buddhismus geht es vor allem um nachhaltiges Glück und nicht nur um Kurz-Zeit-Happiness, so wichtig diese auch für unser Leben ist. Was sind die zentrale Lehren des Buddhismus? Das werde ich im Folgenden erläutern und dabei die Begriffe Glück und Erwachen sowie Erleuchtung weitgehend synonym verwenden.

Kern-Lehren des Buddhismus

Der Achtfache Pfad zum Glück, Aufhebung des Leidens
Nach der Überlieferung wurde der Achtfache Pfad zur Ausschaltung des Leidens und zum Erwachen zur Wirklichkeit von Gautama Buddha nach seinem Erwachen in seiner ersten Lehrrede in Vārānasī dargelegt. Dōgen behandelt den Achtfachen Pfad ausführlich in Kapitel 73 des Shōbōgenzō, „Die 37 Elemente des Erwachens“, das die Verbindung des frühen Buddhismus (Hīnayāna, Theravāda) mit dem Zen-Buddhismus auf der Grundlage des Mahāyāna darstellt.
Der erste Zweig des Pfades ist die rechte Sichtweise. Diese ergibt sich der Entscheidung, den Buddha-Weg zu gehen. Behindert wird sie durch das Nicht-Wissen und die falsche Sichtweise. Die rechte Sichtweise ist in einem umfassenden Sinn zu verstehen und beschränkt sich nicht auf die Wahrnehmung durch die Augen.

Der zweite Zweig sind die rechte Gesinnung und Zielsetzung; sie gehen über die einfache unterscheidende Denktätigkeit hinaus und nähren keine eigennützigen Absichten. Die rechte Gesinnung beinhaltet die umfassende Einheit von Körper-und-Geist, und Dōgen erläutert dazu Folgendes:

„Wenn wir das Denken in der Wirklichkeit erwecken, sind wir jenseits vom Ich und überschreiten die äußere Welt. Zur gleichen Zeit gehen wir direkt nach Vārānasī, indem wir genau im Augenblick der Gegenwart die konkreten Tatsachen denken.“

Er betont hier sowohl den gegenwärtigen Augenblick als auch die konkreten Tatsachen der Wirklichkeit, die einbezogen werden müssen.

Als dritter Zweig des Achtfachen Pfades ist die rechte Rede zu nennen, die über isolierte verbale Äußerungen hinausgeht und den gesamten Körper-und-Geist umfasst. Sie ist für die Lehre des Buddha-Dharma selbstverständlich von großer Bedeutung.

Besonders ausführlich behandelt Dōgen den vierten Zweig, das rechte Handeln. Er nutzt dafür verschiedene Kapitel des Shōbōgenzō und einige Kōan-Geschichten, die sich diesem Thema widmen. Das Nach seiner Lehre ist das Handeln die direkte, unverstellte Wirklichkeit des Soseins. Es findet in der Sein-Zeit im gegenwärtigen Augenblick statt und verwirklicht die Welt, das Universum und das eigene Leben. Dies beschreibt er eindrucksvoll in Kapitel 3 des Shōbōgenzō, „Das verwirklichte Leben und Universum“. Großen Wert legt Dōgen auf die Tatsache, dass das Handeln im sozialen Leben selten wirklich rein ist, sondern häufig von Interessen gesteuert und besonders von Gier nach Reichtum und Ruhm angetrieben wird. Ganz schwierig sei es, bei Staatsaufgaben das wahre Handeln des Buddha-Dharma auch politisch zu verwirklichen.

Er warnt in diesem Zusammenhang insbesondere vor den sich anbiedernden falschen Meistern, die den Mächtigen und Reichen in der Politik und im Staat nach dem Munde reden und diesen verkünden, dass ihr politisches Handeln identisch mit dem Tun von Gautama Buddha und den Vorfahren im Dharma sei. Als Gegenbeispiel nennt er Buddhas berühmten Laien-Schüler Vimalakīrti, der gezeigt habe, dass auch ein Laie im sozialen Leben wahres Handeln verwirklichen kann. Vor allem kritisiert Dōgen, dass der Begriff „Leerheit“ von einigen dazu missbraucht wird, um falsches, von eigenen Interessen geleitetes Verhalten zu beschönigen. Das Handeln müsse eindeutig auf den konkreten Augenblick bezogen und zweckfrei sein.

Als fünfter Zweig gehört der rechte Lebenserwerb zum Achtfachen Pfad. Darunter versteht man den moralisch einwandfreien Erwerb für den Lebensunterhalt, dass man also von seiner eigenen Arbeit lebt.

Ohne die richtige Anstrengung und Ausdauer als sechsten Zweig kann man den buddhistischen Weg der Überwindung des Leidens nicht gehen. Dieses Bemühen gestaltet den gesamten Körper-und-Geist und verbindet im Klosterleben den Meister mit seinen Mönchen.

Der siebte Zweig ist die Achtsamkeit in ihrer umfassenden Bedeutung. Dōgen kritisiert, dass einige buddhistische Gruppen behaupten, eine solche Achtsamkeit sei überhaupt nicht erforderlich. Er bezeichnet solche Menschen als Nicht-Buddhisten und zitiert dazu Bodhidharma, der zu seinen vier Schülern sagte:

„Du hast meine Haut, mein Fleisch, meine Knochen und mein Mark erhalten, und dies ist genau die richtige Achtsamkeit des Achtfachen Pfades.“

Als letzter und achter Zweig wird der Samādhi, die Sammlung, besprochen. An anderer Stelle bezeichnet Dōgen die Zazen-Praxis als „König der Samādhis“. Mithilfe der Zazen-Praxis könne man sich von Gedanken und Vorstellungen befreien – auch von der einseitigen Abhängigkeit von den großen Meistern und buddhistischen Vorfahren im Dharma.

Der Samādhi ist die „Lebendigkeit der Nüstern“. Die Nüstern galten im alten China als Symbol für das wirkliche Leben, weil man durch die Nase die Luft ein- und ausatmet. Die Zazen-Praxis öffnet dabei sozusagen das begrenzte „Denken unseres Schädels“. In den allgemeinen Richtlinien Dōgens zum Zazen (Fukan zazengi) heißt es, dass wir aus dem „Nicht-Denken denken sollen“ und damit das übliche, dualistische und bewertende Denken überschreiten.

Die Fünf Hemmnisse der Achtsamkeit und des Erwachens zum Glück
In der großen Lehrrede von den Grundlagen der Achtsamkeit beschreibt Buddha auch die Fünf Hemmnisse des Erwachens (Übersetzung nach Peter Gäng):

1. auf Sinnlichkeit gerichtetes Wollen,
2. Übelwollen,
3. Erstarren und Trägsein,
4. Aufgeregtheit und Unruhe,
5. Zweifelsucht.
Diese Hindernisse und Blockaden, die sich uns auf dem Weg zum Erwachen entgegenstellen, umfassen in der Tat das ganze Spektrum menschlichen Handelns und Denkens und werden auch von Dōgen in vielen Kapiteln behandelt. Im Abschnitt über die geistigen Gegebenheiten sagt Buddha über die Fünf Hemmnisse:

„Da weilt, ihr Mönche, ein Mönch bei den geistigen Gegebenheiten in Betrachtung der geistigen Gegebenheiten, und zwar bei den fünf Hemmnissen.“

Peter Gäng hat bei seiner Übersetzung die Wiederholungen Buddhas akkurat beibehalten, obwohl der Satz für uns deshalb etwas umständlich klingt. Wir müssen aber bedenken, dass es sich um einen mündlichen Vortrag handelte und Gautama Buddha ungewöhnlich hohe pädagogische Fähigkeiten besaß, die nicht einfach zu verstehenden Inhalte rhetorisch so aufzubauen, dass sie wirklich zu tiefgreifenden Veränderungen des Lebens bei den Zuhörern führten. Dazu sind Wiederholungen unumgänglich.

Die 37 Elemente des Erwachens zum Glück
Für Dōgen gab es nur einen einzigen Buddhismus, er lehnte die Aufteilung in Mahāyāna und frühen Buddhismus, also Hīnayāna oder Theravāda, oder in sonstige Schulen und Sekten grundsätzlich ab. Da sich alle authentischen Übertragungslinien und Lehren des Buddha-Dharma nur auf Gautama Buddha selbst und seine Lehre zurückführen ließen, sei eine derartige abgrenzende Aufsplitterung überhaupt nicht gerechtfertigt. Gleichwohl hat der Buddhismus mit seiner lebendigen Verbindung zur Wirklichkeit und Wahrheit in den verschiedenen Zeitaltern und Kulturen bestimmte Färbungen angenommen und Schwerpunkte gebildet.

Aber es handelt sich immer um die einheitliche Lehre des Erwachens, der Wirklichkeit und der Überwindung des Leidens. Besonders unsinnig sind deshalb gegenseitige Vorwürfe der einzelnen buddhistischen Traditionen, da sie nicht nur dem Sinn des Buddhismus als einer toleranten, übergreifenden und verständnisvollen Lebensphilosophie und Lebenspraxis widersprechen, sondern auch im Kern falsch sind. Sicher gibt es verschiedene Wege zum Erwachen und zur Wirklichkeit, aber sie können nur auf Gautama Buddha selbst zurückgeführt werden.

Mit dem Erwachen beschäftigt sich ein  Kapitel des Shōbōgenzō mit dem Originaltitel: „Die Flügel zum Erwachen, die uns in die Luft tragen“. Hier verbindet Dōgen die älteren Lehren des Buddhismus, die zum Beispiel im Abhidharma (...) zusammengefasst sind, mit der von ihm selbst im Shōbōgenzō dargestellten umfassenden Lehre, die er die „Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“ nennt. In diesem Kapitel gibt es für den Text des frühen Buddhismus etwa 50 Verweise auf einzelne Kapitel des Shōbōgenzō und 16 Verweise auf Dōgens Kōan-Sammlung, das Shinji Shōbōgenzō. Er entwickelt auf diese Weise ein enges Netzwerk zwischen den beiden Lehr-Traditionen des frühen Buddhismus und des Mahāyāna-Buddhismus..

Die 37 Elemente des Erwachens, lassen sich wiederum in sieben größere Gruppen gliedern, die jeweils vier bis acht einzelne Elemente umfassen und zur Basislehre des früheren Buddhismus gehören. Alle diese Elemente führt Dōgen auf und kommentiert sie. Damit schafft er ein beeindruckendes übergreifendes Dach für die Hauptströmungen des frühen Buddhismus, des Mahāyāna-Buddhismus und des Zen. Gleichzeitig zeugt diese Leistung von seiner umfassenden und tiefgreifenden Kenntnis der gesamten buddhistischen Lehre.

Zweifellos hat aber jede Lehre, jedes Bild oder Gleichnis und jede verbale Äußerung bestimmte Grenzen, die letztlich überschritten werden müssen, wenn man zur buddhistischen Wirklichkeit selbst, also zum Erwachen, gelangen will. Wer nur in intellektuellen und abstrakten Theorien verharrt, bleibt nach Dōgens Überzeugung in der „schwarzen Höhle des unterscheidenden Denkens“ gefangen. Er beginnt dieses Kapitel mit den folgenden Ausführungen:

„Die Wirklichkeit der ewigen Buddhas ist (immer) gegenwärtig. Sie ist insbesondere die Lehre, die Praxis und die Erfahrung der 37 Elemente des Bodhi-Erwachens. Die enge Verflechtung des Aufsteigens und Absteigens durch die Anordnung (dieser 37 Elemente) ist genau der verflochtene Zustand der Wirklichkeit, die wir die Buddhas und Vorfahren im Dharma nennen.“

Dōgen weist hier auf die Wirklichkeit und Wahrheit des Buddha-Dharma hin, die zum Beispiel auch im Kapitel „Das verwirklichte Leben und Universum“ beschrieben werden, und stellt die Verbindung mit den 37 Elementen des Bodhi-Erwachens her. Die Lehre, die Praxis und die Erfahrung bilden eine unauflösbare Einheit und sind im Kern genau dasselbe wie die 37 Elemente, die als nützliche oder notwendige Hilfen für das Erwachen zu verstehen sind. Das genannte Geflecht der 37 Elemente sei die direkte Einheit mit der Wirklichkeit, in der auch Gautama Buddha, die großen Meister und Vorfahren im Dharma existieren.
Als Erstes erläutert Dōgen die vier Grundlagen der Achtsamkeit.


Die vier Arten der rechten Anstrengung
„Die Erste bedeutet, das Schlechte zu verhindern, das sich noch nicht ereignet hat.
Die Zweite bedeutet, zu bewirken, dass das Schlechte ausgelöscht wird, das bereits entstanden ist.
Die Dritte bedeutet, zu bewirken, dass sich das Gute ereignet, das sich noch nicht ereignet hat.
Die Vierte ist die Unterstützung des Guten, das sich bereits ereignet hat.“

Die vier Grundlagen der mystischen Fähigkeiten und Kräfte
„Das Erste ist das Wollen als Basis der mystischen Fähigkeit.
Das Zweite ist der Geist als Basis der mystischen Fähigkeit.
Das Dritte ist die Willenskraft als Basis der mystischen Fähigkeit.
Das Vierte ist das Denken als Basis der mystischen Fähigkeit.“

Der Geist umfasst die ganze Wirklichkeit als mystische Fähigkeit, und dazu zählt Dōgen „Zäune, Mauern, Ziegel und Kiesel“. Der Geist beinhaltet auch die „Berge, die Flüsse und die Erde“. Eine dualistische Abgrenzung von Geist und Objekten der materiellen Wirklichkeit macht es nach Dōgen unmöglich, den wirklichen Geist als mystische Fähigkeit zu erfassen.

Die Willenskraft, um auf dem Weg vorwärts zu gehen, ergibt sich dadurch, dass sich in der Welt und in unserem Leben alles bewegt und vorwärts schreitet. Dōgen zitiert an dieser Stelle den berühmten Ausspruch von Daikan Enō: „Dies ist der Ort, wo etwas Unfassbares existiert.“ Tatsächlich muss man keine übernatürlichen Legenden bemühen, um die mystischen Kräfte des wahren Lebens und der Wirklichkeit zu erahnen. Jedes Handeln im Augenblick und jedes Vorwärtsschreiten im Leben kann vom Verstand niemals vollständig erfasst oder gar mit Worten beschrieben werden. Bereits solches Handeln ist selbst die mystische Grundlage der Wirklichkeit.
Auch das Denken als Basis der mystischen Fähigkeiten wird bei Dōgen über die bewusste Gehirntätigkeit hinaus erweitert. Für ihn ist die umfassende gegenwärtige Intuition maßgeblich, da sie die gesamte Umgebung einbezieht und viel leistungsfähiger als das unterscheidende, lineare Denken ist.

Die fünf grundlegenden Kräfte (Wurzelkräfte)
Als Wurzelkräfte werden im frühen Buddhismus die wesentlichen Grundlagen bezeichnet, auf denen buddhistisches Handeln beruhen.

„Das Erste ist das Vertrauen
Das Zweite sind Fleiß und Sorgfalt
Das Dritte ist Achtsamkeit
Das Vierte ist Samādhi oder Gleichgewicht
Das Fünfte sind Wissen und Erkenntniskraft.“

Die fünf verwirklichten Kräfte
Die fünf Kräfte, die tatsächlich verwirklicht und nicht nur grundlegende Fähigkeiten sind, lassen sich in gleicher Weise wie die oben genannten Wurzelkräfte unterteilen:
„Vertrauen und Glaube als Kraft,
Fleiß und Sorgfalt,
Achtsamkeit,
Samādhi (Sammlung, Gleichgewicht),
Wissen und Erkenntniskraft.“
Vertrauen und Glaube als Kraft haben die Täuschungen und Illusionen überwunden. Dōgen sagt: „Die Übertragung des Dharma und die Übertragung der Robe werden ‚Vertrauen’ genannt.“

Bei Fleiß und Sorgfalt verdeutlicht er den Unterschied zwischen einer verbalen Erklärung und der Wirklichkeit selbst.
Bei der Beschreibung der Achtsamkeit, des Samādhi sowie des Wissens und der Erkenntniskraft als geistige Kräfte geht Dōgen ebenfalls auf die Bedeutung der Wirklichkeit ein und grenzt sie von den Theorien, Spekulationen und Fantasien ab.

Die sieben Glieder des Großen Erwachens
Dōgen behandelt hier die aus dem frühen Buddhismus bekannten sogenannten sieben Glieder des Sambodhi-Erwachens, also des Zustandes des Gleichgewichts und der Wahrheit:

„Das Erste ist das klare Unterscheiden bei den Lehren.
Das Zweite sind Fleiß und Sorgfalt.
Das Dritte ist die Freude.
Das Vierte sind die Klärung und Ruhe (wörtlich: „Gestillt-Sein“; wir sind dann nicht mit uns selbst oder mit der Außenwelt auf komplizierte Weise verstrickt).
Das Fünfte ist die Gleichmut.
Das Sechste ist der Samādhi (der sich nicht zuletzt durch Gleichgewicht und Intuition auszeichnet).
Das Siebte ist die Achtsamkeit (die Dōgen auch als „Brüllen des Löwen in seiner Höhle“ bezeichnet und die die umfassende Lehre Gautama Buddhas ist).

Schließlich erläutert Dōgen ausführlich die einzelnen Elemente des Achtfachen Pfades, der dazu beiträgt, das Leiden auszuschalten und das Erwachen zur Wirklichkeit zu erlangen. Zum Schluss unterstreicht Dōgen, dass die 37 Elemente des Erwachens nicht einzeln oder als Rangfolge zu verstehen sind, sondern in Kombination und Verflechtung miteinander: in vernetzter Wechselwirkung (pratitya samutpada).

Im tibetischen Buddhismus geht es nach Matthieu Ricard vor allem um die Schulung, Transformation und Kultivierung des Geistes, also der Gedanken und Emotionen. Die negativen Geistes-Gifte wie Hass, Zorn, Neid, Gier, Eifersucht Rache, Schadenfreude usw. sollen durch Geistestraining schon im Entstehen erkannt werden und durch geistige Gegenmaßnahmen wie liebevolle Zuwendung, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut (Himmlische Verweilungen) unschädlich gemacht werden. Das erfolgt durch die Hinwendung nach innen in der Meditation und die Abwendung vom Äußeren.


Das Ziel ist die liebevolle Zuwendung zu allen Lebewesen und das reine Gewahrsein, das Gleichgewicht, in jeder Lebenssituation des Lebens, ganz ohne die Geistes-Gifte. Dabei ist es von essentieller Bedeutung, die Illusion eines selbständigen und dauerhaften Selbst zu erkennen und zu überwinden Diese Illusion ist die Ursache für sehr viel Leiden und Negativität in unserem Leben.