Empathie wird definiert: Die Fähigkeit wahrzunehmen, was in einem
anderen vorgeht.
Empathie
ist sicher die Voraussetzung, dass Menschen achtsam miteinander umgehen und
einander unterstützen und helfen. Ohne Empathie kann Helfen, Mitfühlen und Therapie kaum
erfolgreich sein, um das Leiden der Patienten zu lindern oder zu heilen.
Was
kann der Buddhismus hierzu beitragen? Gautama Buddha und Meister Nâgârjuna
stellen die wechselseitige Vernetzung und das Zusammen-Wirken der Menschen in den Mittelpunkt ihrer
Lebensphilosophie und nennen dies pratitya samutpada. Auf dieser Wirklichkeit basiert ihre ganz praktische Lehre zur
Befreiung vom Leiden; oder allgemeiner wie es im Buddhismus heißt: zum Erwachen oder zur Erleuchtung. Daher ist
es sinnvoll, zunächst diese Wirklichkeit genauer zu untersuchen, so wie sie ist
und wie wir sie verstehen: Wir sind Teil eines wunderbaren lebenden Netzwerkes des
Kosmos, das durch Entstehung, Wachsen
und Wechselwirkung gekennzeichnet ist. Ohne eine solche Erfahrung der praktizierten
psychischen und geistigen Vernetzung kann ein sinnvolles Leben kaum gelingen.
Weiter
sagt uns die Evolutionslehre, dass die jetzige Vielfalt unserer Tiere, Pflanzen
und der gesamten Ökologie aus primitiven Anfängen entstanden ist und sich immer
weiter als ein Gesamtes, also in permanenter
Wechselwirkung miteinander , entwickelt hat. Wenn wir diese grundlegende
Fakten der Wirklichkeit, in der wir Menschen leben, vernachlässigen, gibt es
unausweichlich schwere ökologische Gefahren, Fehlentwicklungen oder sogar
Katastrophen, weil wir die Wirklichkeit falsch einschätzen: naiv oder durch
Gier getrieben.
Ich
finde es fast sensationell, dass bereits Gautama
Buddha vor 2.500 Jahren und etwa 600 Jahre später Meister Nâgârjuna diese Vernetzung der Wirklichkeit
erkannt und zur Grundlage ihrer Lehre gemacht haben. Wir hatten in der
westlichen Welt mit unserer Philosophie diese Fakten nicht richtig erkannt oder
zumindest viel zu wenig beachtet: Eine stimmige wissenschaftliche Theorie der Empathie und soziale Vernetzung, insbesondere
eine soziale Systemtheorie, gibt es erst seit wenigen Jahrzehnten.
Bei den Vorsokratigern der griechischen Philosophie muss fast als Ausnahme Heraklit genannt werden, dessen Arbeiten sich auf Prozesse und Veränderungen bezogen ("Alles fließt"). Soweit bekannt hatte er aber keine Schüler und hat in der Folge auch keine philosophische Schule begründet. Demgegenüber ging der Philosoph Parmenides von dem eher statischen Sein in der Welt aus und hat die westliche Philosophie wesentlich geprägt.
Bei den Vorsokratigern der griechischen Philosophie muss fast als Ausnahme Heraklit genannt werden, dessen Arbeiten sich auf Prozesse und Veränderungen bezogen ("Alles fließt"). Soweit bekannt hatte er aber keine Schüler und hat in der Folge auch keine philosophische Schule begründet. Demgegenüber ging der Philosoph Parmenides von dem eher statischen Sein in der Welt aus und hat die westliche Philosophie wesentlich geprägt.
In
den früheren archaischen oder mythischen Kulturen wurden göttliche oder
dämonische Kräfte monokausal für viele Phänomene der Welt verantwortlich
gemacht und als Ursachen für Fehlentwicklungen und Katastrophen verstanden.
Mythische Rituale, Zeremonien und Beschwörungen sollten die göttlichen und
dämonischen Kräfte günstig beeinflussen, um das Leben erträglicher zu machen und
Leiden so weit möglich zu lindern.
Ein
ähnliches spirituelles Verhalten können wir bekanntlich auch für das
Mittelalter feststellen: die biologischen und katastrophalen hygienischen Ursachen
für todbringende Krankheiten wie Pest, Cholera, Typhus, Syphilis und
dergleichen waren unbekannt, und der hygienischen Standard, der in der Antike
und im Orient durchaus auf hohem Stand war, wurde vernachlässigt oder ganz
vergessen. Die reale Wirkung und Vernetzung des ganz konkreten Handelns der Menschen
und Lebewesen waren weitgehend unbekannt, oft mit katastrophalen Folgen. Stattdessen
wurde an vermeintliche religiöse Sünden der Menschen als Verursachung der
Katastrophen geglaubt: die vernetzten Zusammenhänge der Wirklichkeit waren
verborgen und eindimensionaler religiöser Idealismus beherrschte den Geist der
Menschen.
Mit
der Aufklärung, Rationalität und Entwicklung der Naturwissenschaft und der
Instrumente der Technik änderte sich die Erkenntnis unserer Welt grundlegend:
es wurden natürliche Ursachen und
Fehlentwicklungen für viele Phänomene, Gefahren und nicht zuletzt für die Krankheiten
der Menschen im fortlaufenden Forschungsprozess erkannt und entsprechende
Medikamente und technische Geräte entwickelt.
So
beträgt die Lebenserwartung in den Industrieländern gegenwärtig achtzig Jahre
und mehr, während sie früher etwa dreißig Jahre betrug. Dies gilt zum Beispiel auch
für die Zeit Buddhas und die Zeitenwende von Jesus Christus. Aber der Ansatz
des Denkens war überwiegend einseitig: von einer Ursache zur Wirkung, also unidirektional (Joanna Macy), also ohne
Rückkoppelung und Wechselwirkung
Erst in der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts wurde die Vernetzung und
Wechselwirkung von Menschen und Ökosystemen grundsätzlich erkannt und
analysiert: Die sich anbahnenden Katastrophen unserer Ökosysteme konnten nicht
mehr verleugnet werden.
Es
ist umso erstaunlicher, was der indische Meister Nâgârjuna schon vor ca. 2000 Jahren zur Realität der
Vernetzung sagte.
Er
verwendete den Sanskrit-Begriff pratitya
samutpada für dieses großartige Netzwerk des Lebens und der Welt: wörtlich
etwa wechsel-wirkendes gemeinsames
Entstehen. Zentrale Momente sind dabei also die intensive Rückkoppelung,
Vernetzung und die gemeinsame Entwicklung,
für den Menschen also Lernen und Wachsen in der Verbindung mit anderen
Menschen. Kein Mensch kann wirklich allein existieren und auch nicht wachsen!
Der
Neurobiologe Geralt Hüther kennzeichnet in diesem Sinne z. B. die kindliche
Entwicklung: Verbindung und Wachsen.
Vor der Geburt ist diese Verbindung offensichtlich, denn es gibt nur einen
gemeinsamen Kreislauf und die biologische Verbindung von Mutter und Kind durch
die Nabelschnur. Wesentliche Verbindungen bestehen selbstverständlich auch psychisch
zwischen dem Kind und der Mutter. Nach der Geburt bleiben diese beiden wesentlichen
Aspekte Verbindung und Wachsen weiterhin
bestehen, werden aber eventuell durch gravierende Störeinwirkungen gehemmt oder
verzerrt.
Hüther
nennt als Beispiel, dass ein Kind in eine aggressive und egoistische Familie
hineingeboren wird, in der ein rücksichtsloser Egoist herrscht. Dass ein Kind
sich danach richtet und genau dies lernt, weil es selbst überleben will und
muss, liegt auf der Hand. Egoismus, Rücksichtslosigkeit und die Durchsetzung
des Stärkeren sind also keinesfalls biologisch oder neurobiologisch vorgegebene
Strukturen, sondern werden wesentlich im sozialen Umfeld beim Wachsen erlernt und „eingebrannt“. Das ist
gefährliches Lernen ohne Empathie und ohne liebevolle Zuwendung, ja ohne Liebe.
Was
kann der Buddhismus zum sinnvollen Zusammenleben beitragen? Gautama Buddha
lehrte, dass es anschaulich ist, den Menschen in fünf Komponenten einzuteilen,
für die sich auch im Westen der Sanskrit-Begriff Skandha durchgesetzt hat.
Diese fünf Skandhas sind: Form und Körper, Gefühl, Wahrnehmung, formende Kräfte
und Handeln, sowie Bewusstsein. Ähnliche Einteilungen existieren auch im
westlichen Kulturkreis. Sie ergeben sich gewissermaßen aus der Natur des
Menschen selbst. Gautama Buddha betont jedoch, dass wir uns diese Skandhas
nicht als getrennte und getrennte existentielle
Einheiten oder Entitäten vorstellen dürfen.
Es
sind eher, um einen modernen Begriff zu verwenden, Teilsysteme des Menschen,
die nur in der wechselseitigen Vernetzung
existieren können. Das ist direkt
einleuchtend: Die Wahrnehmung funktioniert z. B. nicht ohne den Körper und geht
immer einher mit Gefühlen. Im Leben spielt das Handeln neben oder zusammen mit
dem Bewusstsein, eine zentrale Rolle: kein Leben ohne Handeln in Wechselwirkung
mit den anderen Skandhas.
Wie
kann man diese Zusammenhänge vereinfacht grafisch darstellen?
Auf
der Grundlage der Systemtheorie und des Buddhismus habe ich die Abbildung 1
gezeichnet. Sie ist eine Verbindung buddhistischer Weisheiten mit dem heutigen
Forschungsstand der Systemtheorie. Es sind zwei „Personen“ A und B dargestellt,
die miteinander in Wechselwirkung sind und deren Systemgrenzen eine doppelte
Funktion haben: einerseits halten sie die jeweiligen Systeme A und B zusammen
und ermöglichen deren inneres Funktionieren und Überleben, auf der anderen
Seite sind sie offen und in Wechselwirkung mit einander und mit der
vielfältigen Umwelt. Ganz wesentlich ist die Selbstorganisation der Menschen mit ihrer intensiven internen
Vernetzung.
Die
Umwelt möchte ich hier umfassend verstehen, etwa im Sinne von Niklas Luhmann in seiner allgemeinen
Systemtheorie. Es geht also um die soziale, biologische, technische und
materielle Umwelt, in die wir eingebettet sind oder besser, mit der wir in
dauernder Wechselwirkung leben. Das ist für den biologisch körperlichen Bereich
direkt einleuchtend: wir nehmen laufend Nahrung zu uns, um überhaupt
lebensfähig zu sein, und scheiden Stoffe, die wir nicht verarbeiten können,
wieder aus. Aber eine solche Wechselwirkung darf nicht auf den körperlich
biologischen Bereich beschränkt sein, denn wir sind psychisch und sozial nicht lebensfähig, wenn wir isoliert
sind und nicht in Wechselwirkung mit Partnern, in der Familie, im Beruf, in
verschiedenen Gruppen und schließlich in der Nation und global in der Welt sind.
Alle fünf buddhistischen Skandhas sind also jeweils und kombiniert in diese
umfassende Vernetzung einbezogen.
Was
sind nun zusammengefasst die wesentlichen Kennzeichen, die ich in Abbildung 1
wiedergegeben habe: zum einen gibt es eine Selbstorganisation des Menschen,
also eine gewisse Unabhängigkeit von der Umwelt und anderen Menschen, die für
die Fortsetzung des Lebens und das Wachsen und Lernen von essentieller
Bedeutung ist (auch Autopoiese genannt, vgl. Maturana u. Varela)). Unser Gehirn
ist dabei ein ganz typisches Organ, das sich permanent dynamisch selbst
organisiert und dadurch erst die zum Überleben und Lernen notwendigen Prozesse
ermöglicht.
So
werden bei der Wahrnehmung z. B. Lichtstrahlen zunächst durch die Linse des
Auges als Bild optisch auf die Netzhaut projiziert und dann in elektrische Impulse
umgewandelt. Diese Impulse werden im Gehirn verarbeitet und ermöglichen, dass
wir Dinge wiedererkennen, Zusammenhänge sehen und Nützlichkeiten und Gefahren
erkennen. Das Gehirn organisiert sich in diesem Sinne mit Hilfe der eigenen
Funktionen selbst, also der biologischen und elektrischen
Informationsverarbeitung. Dies gilt im Übrigen auch für die Gehirnareale, die
für Gefühle zuständig sind, sodass wir sagen können, dass es überhaupt keine
Gehirnfunktion gibt, die nicht mit Gefühlen gekoppelt sind. Wie alle
Hirnforscher betonen, gibt es immer intensive Wechselwirkungen der
verschiedenen Teilsysteme im Gehirn und keine einseitigen Wirkungen nur in eine
Richtung. Je höherwertig die geistigen
Leistungen sind, desto intensiver ist diese interne Vernetzung. Besonders
komplex ist das Handeln, weil die höchsten Ebenen von Werten und Ethik eingebunden ist: ohne Ethik gibt es kein Handeln
und keine Interaktion, Handeln ist schwerer als Denken (vgl. auch Manfred Spitzer).
Was
passiert nun bei fehlender oder insuffizienter Vernetzung, also deformierter pratitya samutpada?
Fehlende
Vernetzung und Wechselwirkung lassen einen Menschen leiden, und dies kann vor
allem mit der fehlenden Empathie und dem fehlenden Vertrauen zwischen den
Menschen beschrieben werden. In Abbildung 2 ist dieser Zusammenhang schematisch
dargestellt: Person A hat sich hermetisch abgeschlossen
und isoliert, sodass ihre Systemgrenze für Interaktion und Empathie nicht mehr durchlässig ist. Dies ist
durch den durchgezogenen dicken Kreis dargestellt. Entsprechend hat die Person
A zwar eine intensive Selbstorganisation, lebt also nur ich-zentriert, fast
ohne Wechselwirkung mit anderen Menschen und der Umwelt. Lediglich „primitive“
Funktionen sind weiterhin aktiv: zum Beispiel die Nahrungsaufnahme und die
Ausscheidungen.
Eine
Kommunikation, Wechselwirkung und ein gemeinsames Lernen mit der Person B ist
daher nicht möglich oder sehr stark eingeschränkt. Das heißt es gibt keine
Wechselwirkungen von Form, Gefühl, Wahrnehmung, Handeln und Bewusstsein um die
fünf Skandhas (Komponenten) nach Buddha zu nennen. Es handelt sich um einen
pathologischen Zustand der Isolation und des Autismus der Person A, die damit
erhebliche Probleme und großes Leiden auf sich nehmen muss.
Es
gibt auch eine andere Form von fehlerhafter Empathie und Vernetzung:
Diese
habe ich schematisch in der Abbildung 3 wiedergegeben. Hier geht es um die rücksichtslose Dominanz der Person A über die Person B, das heißt also, dass B einseitig beherrscht wird und keine
Freiheit und Selbständigkeit mehr hat, sie ist der Willkür von A schutzlos
ausgeliefert. Das heißt auch, die Ratio und das Bewusstsein von B sind soweit
reduziert, dass eigenständige Überlegungen und Entscheidungen nicht mehr
möglich sind. Zwischen A und B gibt es keine Empathie und nur eine deformierte
Wirkung, die einseitig ist und B in lebensbedrohliche
Abhängigkeit bringt: Sei es körperlich, gefühlsmäßig, handlungsmäßig. Auch
die Wahrnehmung ist dann weitgehend fremd gesteuert durch die Person A. Leider
ist eine solche Situation nicht zuletzt auch in Sekten und bei unfähigen oder
unlauteren Gurus zu beobachten!
In
dieser Situation dominieren leider die negativen menschlichen und sozialen Energien:
Gier, Hass und Verblendung, also die sog. Gifte des Buddhismus. Rücksichtslose
Gier erzeugt die nicht mehr steuerbaren Kräfte bei der Person A und beutet die
Person B rücksichtslos aus. Ähnliches entsteht durch emotionale Überflutung mit
hemmungslosem Hass.
In
einem solchen Zustand sind
Empathie,
Gelassenheit und spirituelles Gleichgewicht verschwunden.
Das
Besondere der buddhistischen Lehre ist nun, dass nicht nur die Person B durch
die Beherrschung und Ausbeutung leidet, sondern dass auch A keinesfalls ein
zufriedenes, gelungenes und
glückliches Leben führen kann: ganz im Gegenteil. A ist getrieben durch die
eigene Gier, den eigenen Hass und die Verblendung der eigenen Vernunft, und es
kommt nicht zum Wachsen in Wechselwirkung der beiden Menschen. Obgleich dies A
vielleicht gar nicht bewusst ist: so lange Gier und Hass vorherrschend sind,
entstehen nach Buddha nicht steuerbare Leidens-Energien, die ein zufriedenes
Leben unmöglich machen und die Erwachen und Erleuchtung im buddhistischen Sinne
total ausschließen. Keine Erleuchtung ohne Ethik.
Nach
den Vier Edlen Wahrheiten Buddhas ist
es von maßgeblicher Bedeutung, dass diese Verursachung des Leidens zumindest im
Wesentlichen erkannt wird und dass die Menschen eindeutig entscheiden, ihr eigenes
Leben grundsätzlich zu ändern. Dieses wird im Achtfachen Pfad beschrieben, der sich nicht auf ganz alltägliche
Funktionen bezieht, wie Reden, Denken, Handeln, Arbeiten, Ausdauer,
Willensfunktionen und vor allem die gründliche Selbstanalyse und Meditation.
Buddhas Lehre besagt kurz gefasst: ohne gründliche und offene Selbstbeobachtung
und ohne meditatives ethisches Handeln ist eine Befreiung zum glücklichen Leben
und zur Überwindung des Leidens unmöglich.
Hier
liegt der wesentliche Unterschied zu den Hauptströmungen der westlichen
Philosophie, die dem Denken, Reden und Reflektieren allein eine zentrale
Bedeutung für ein gutes und gelungenes Leben geben. Dass Reflektion, Denken und
rationale Kräfte für ein befreites Leben notwendig sind, wird sicher niemand
bezweifeln, diese sind notwendig, aber
nicht hinreichend, um es wissenschaftlicher auszudrücken.
Wie
kann schematisch nun die geistige und spirituelle Einheit zweier Menschen
dargestellt werden?
Im
Buddhismus gibt es das Leitbild, dass zwei Menschen nicht mehr getrennt sind,
sondern eine Einheit bilden. Dies ist sicher eher spirituell, psychisch und
geistig zu verstehen, denn eine totale körperliche Einheit kann es ja nur vor
der Geburt und nicht danach geben. Trotzdem kommt diesem Leitbild eine große
Bedeutung zu. Ich habe versucht, diese Leitbild als vereinfachte Schema in
Abbildung 4 wiederzugeben. Es geht um einen berühmten Ausspruch des buddhistischen
Zen-Kôans vom wilden Fuchs und dem
Dialog zweier großer Meister (Hyakujo und Obaku, in der japanischen Aussprache,
vgl. Shobogenzo, Kap. 76):
Es
gibt „einen, nicht zwei“ (Menschen).
Meister
Dôgen bezeichnet diesen Ausspruch als die große
buddhistische Praxis, bei der Lehrer und Schüler jäh im Augenblick eine
Einheit bilden. Der Schüler erlebt das große Erwachen spontan im selben Moment
zusammen mit seinem Meister und verwirklicht damit die neue Generation von Zen-Meistern.
Dôgen hat die Zen-Geschichte, die auch in zwei anderen Kôan-Sammlungen
enthalten ist, in seinem tiefgründigen Verständnis des Buddhismus auf eine ganz
neue Ebene gehoben und die transformierende
Kraft des Handelns im Augenblick zweier Menschen in den Mittelpunkt
gestellt. Er nennt das die große Praxis.
Nishijima
Roshi
hält diese Kapital im Shôbôgenzô für zentral. Hier wird also die Empathie zur großen
gemeinsamen Kraft, und die „Systemgrenzen“ der beiden Menschen werden praktisch
aufgehoben. Mit diesem Schema kann man das in allen spirituellen Linien
genannte große Erleben der Einheit
kennzeichnen. Die Systemgrenzen zu anderen Menschen und zur Umwelt sind radikal
durchlässig und haben ihre abgrenzende isolierende Wirkung verloren.
Résumé:
Durch die Verbindung der großen buddhistischen Weisheiten zum Leben und zur
Überwindung des Leidens mit den heutigen Erkenntnissen der Empathie und Systemtheorie
ergeben sich spannende Übereinstimmungen, die sicher noch vertieft untersucht
werden sollten.
Es
ist erstaunlich, wie weit die intuitive Weisheit des Buddhismus mit heutigen
Forschungsergebnissen übereinstimmt. Ich sehe es nämlich als Fehlentwicklung,
wenn Buddhisten sich im Streben nach Erleuchtung und Freiheit nur mit sich selbst beschäftigen und glauben,
dass sie sich auf diese Weise von Leiden und Problemen befreien können. Dies
ist nur in der spirituellen Verbindung mit anderen Menschen und in der empathischen
Wechselwirkung mit ihnen möglich, nur so kann unser Wachsen und Lernen gelingen.
Es ist eine fatale Illusion, dass irgend ein Mensch überhaupt isoliert von
anderen Menschen und seiner Umwelt existieren kann.
Das
gilt gerade für die sogenannten Starken, die eine besondere Verantwortung für
die soziale und kulturelle Umgebung haben. Wie ich es an anderer Stelle
formuliert habe: „Der Starke ist am schwächsten allein“. Nur das gemeinsame Wir mit lebensfähiger Empathie kann uns weiterbringen, auch und gerade wenn
wir noch nicht erleuchtet sind. Und
Empathie ist eng verwandt mit Liebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut: die Himmlischen Verweilungen des Buddhismus.