(Yudo J. Seggelke mit Eberhard-Gensa Kügler)
Zen-Meister Kôdô Sawaki in der Zazen-Meditation. Historisches Foto ca. 1960
Kôdô Sawaki gilt in Japan
und in Zen-Kreisen der ganzen Welt als herausragender Meister der neueren Zeit,
er lebte von 1880 bis 1965 und hatte mehrere sehr bedeutende Schüler, u. a. die
Meister Taisen Deshimaru, G. W. Nishijima und Kosho Uchiyama. Dieser schreibt
über ihn:
"Sawaki
war ein alter Zen-Meister: furchtlos und unkonventionell".[1]
Kôdô Sawaki hat auch aus
meiner Sicht Hervorragendes geleistet: Er hat die Grundlagen für das
Verständnis des wohl wichtigsten Werkes des Zen und des Buddhismus von Meister
Dôgen geschaffen: Shôbôgenzô, Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges, und er
hat der Meditation des Zazen einen zentralen unverzichtbaren Stellenwert auf
dem buddhistischen Übungsweg gewiesen. Gerade die Meditation gewinnt
unbestritten in unserer heutigen fragmentierten hektischen Zeit immer mehr an
Bedeutung.
Der wahre Buddhismus ist
nach Dôgen und Nishijima Roshi immer im Einklang mit Ethik: er ist die Einheit
der Teilwahrheiten des Idealismus und
Materiellen, dem praktischen Handeln und Erwachen. Es gibt viele
gewichtige Stimmen, die Kôdô Sawaki für den zentralen Zen-Meister im Übergang
zur Moderne durch das dunkle Zeitalter des japanischen Imperialismus und
Nationalismus halten. Er habe den wahren Zen durch diese Zeit gerettet: die
Lehre Meister Dôgens, die wahren Berge, Wasser und Kiesel, das Handeln im Hier
und Jetzt und das große Erwachen, die Erleuchtung.
Ganz anders schreibt der
amerikanische Autor Brian Victoria über Kôdô Sawaki, der in jungen Jahren zum
Militärdienst im japanisch-russischen Krieg eingezogen und dabei schwer
verwundet wurde:
"Obwohl Kôdô selbst nie mehr an
einem Krieg teilnahm, unterstützte er die Einheit von Zen und Krieg auch
weiterhin".[2]
Offensichtlich will Brian
Victoria mit seinem Buch, englischer Titel: "Zen at War" nach
umfangreichen Recherchen vor Ort in Japan der bis dahin wenig untersuchten
Verbindung des japanischen Militarismus mit dem Zen auf den Grund gehen. Er
will durch drastische Zitate bislang unbekannter oder wenig beachteter Quellen
wichtige Zusammenhänge aufzeigen, die den all zu gläubigen Zen-Anhängern sicher
nicht angenehm sein mussten: Sein Buch will m. E. aufrütteln oder sogar
provozieren. Er will damit eine Seite des Zen aufzeigen, die schwerlich als
Buddhismus verstanden werden kann. Daher wählte er den Weg einer einseitig
kritischen Beschreibung als Antithese zu einem bis dahin unkritischen
Verständnis des Zen. Das ist zweifellos notwendig gewesen und man muss fragen,
warum dies erst mit seinem Buch 1997 erfolgt ist.
Wir sind nun aufgefordert,
unsererseits zu untersuchen, wo die methodische Einseitigkeit
möglicherweise übertrieben wurde oder wo die Kritik zu undifferenziert wurde.
Erst dadurch kann ein realistisches und ausgewogenes Bild jener japanischen
Epoche aufscheinen und als Grundlage der weiteren Entwicklung auch des Zen im
Westen dienen. Denn hierarchische und militaristische Züge sollten wir im
Westen wirklich nicht übernehmen, sie sind sicher nicht mit dem Anliegen
Gautama Buddhas vereinbar.
Ich möchte hier einige
Überlegungen und Analysen speziell zu Kôdô Sawaki einbringen. Ist Brian
Victorias Kritik an diesem Zen-Meister vertretbar oder schießt sie über eine
valide Darstellung hinaus? Ist der Autor mit seiner Idee der kritischen
Darstellung vielleicht seinen eigenen Vorannahmen erlegen und interpretiert die
aufgeführten Zitate vor diesem Hintergrund zu einseitig? Unterlaufen ihm
deshalb letztlich auch hermeneutische Fehler?
Was sagte Kôdô Sawaki nun
selbst zum Krieg:
"Auch ich bin allen Ernstes (als
junger Mensch) in den Japanisch-Russischen Krieg gezogen", aber jetzt sehe
er ein," dass wir das, was wir da getan haben, besser sein gelassen
hätten. Überhaupt ist es besser, von vornherein keine Kriege zu
führen".[3]
Das ist das Gegenteil
dessen, was Brian Victoria in dem vorgelegten Buch über ihn behauptet und was,
sollte es stimmen, Kôdô Sawaki moralisch
sehr belasten würde.
Im folgenden möchte ich nun
diese Fragen einer ersten vertieften Analyse unterziehen. Weitere Forschungen
sind sicher notwendig. Können wir die Aussagen von Brian Victoria akzeptieren
und müssten daher unser Bild von Kôdô Sawaki deutlich ändern?
Was sagt Nishijima Roshi
dazu? Er war zwanzig Jahre lang Schüler von Kôdô Sawaki und kannte ihn so genau
wie kaum ein anderer. Er nahm 1940 an seiner ersten Sesshin mit ihm teil und
sah in Kôdô Sawaki seinen wesentlichen Lehrer:
„Als ich seinen Reden lauschte, war ich
tief ergriffen, weil ich zum ersten Mal die wahre großartige buddhistische
Lehre hörte“.[4]
Er sagt über Kôdô Sawaki:
„Bereits in jungen Jahren hatte er sich
sehr intensiv mit dem Buddhismus beschäftigt, sodass seine buddhistische Lehre
außerordentlich genau und auch theoretisch sehr fundiert war. Daher waren seine
Dharma-Vorträge umfassend und sehr exakt. Obgleich die Grundlage des Buddhismus
bei Kôdô Sawaki eindeutig die Zazen-Praxis bildete, lehrte er auch eine sehr
logische philosophische Struktur des Buddhismus“.
Nishijima Roshi weiter:
„Ich denke, dass das wichtigste und
hervorragendste Wesensmerkmal bei Meister Kôdô Sawaki vor allem sein vollkommen
reines Verhalten darstellte, immer der Wahrheit zu folgen“. Und führt aus:
„Ein Mensch, der keine Aufrichtigkeit bei der Wahrheit kennt, kann keinen
Zugang zum Buddhismus finden“.
„Wir können mit Sicherheit annehmen,
dass Meister Kôdô Sawaki diese grundlegende buddhistische Regel genau kannte
und in seinem Leben verwirklicht hat.“
Nishijima schreibt zur
Kritik von Brian Victoria:
„Der Amerikaner Brian Victoria
[veröffentlichte] ein Buch, in dem er harsche Kritik an Meister Kôdô Sawaki
äußerte, weil dieser die Kriegspolitik der japanischen Regierung unterstützt
haben soll. Wenn man jedoch das menschliche Verhalten und Handeln von Kôdô
Sawaki während des Krieges kennt, so wie ich es selbst erlebt habe, wird ganz
klar, dass er niemals in der behaupteten Art und Weise aktiv mit der damaligen
Regierung zusammen gearbeitet hat.
Ich bin daher zu dem eindeutigen
Schluss gekommen, dass der Autor die Tatsachen im Falle von Meister Kôdô Sawaki
verzerrt und unrichtig wiedergegeben hat. Warum Brian Victoria so handelte,
weiß ich nicht und ich kann es auch nicht nachvollziehen.“[5]
Nishijima Roshi erzählte mir
auf meine Fragen hin 2007 in einem langen persönlichen Gespräch seine eigenen
konkreten Erfahrungen mit Brian Victoria. Er habe diesen in Japan mehrere Male
getroffen, ohne dass er damals wusste, dass Brian Victoria an einem kritischen
Buch über den Zen-Buddhismus im Zweiten Weltkrieg schrieb, denn er war
offiziell in der Ausbildung eines Sôtô-Priesters. Er habe aber keine einzige
Frage zu Kôdô Sawaki an ihn gerichtet. Er selbst hätte dann auch die kritischen
Seiten des Zen beleuchtet.
Es ist in der Tat
verwunderlich, dass Brian Victoria einen der wenigen Zeitzeugen und Schüler
nicht befragte, als er sich mit Kôdô Sawaki beschäftigte, sondern sich nur auf
bis dahin weitgehend ungeprüfte schriftliche Vorlagen stützte. Deshalb muss
geprüft werden, ob sie methodisch geprüft und in entsprechend kritischer Weise
aus dem Japanischen übersetzt wurden. Ich werde dazu erste Ergebnisse nennen.
Die Übersetzung aus dem Japanischen war für ihn als Autor sicher eine
Herausforderung, denn kaum jemand im Westen konnte seine Übersetzungen
begleiten, denn für Dritte war zur Zeit der Entstehung des Buches ein korrektes
Quellenstudium schwierig oder gar unmöglich.
Man muss wohl daraus den
Schluss ziehen, dass Brian Victoria nur ein sehr persönliches,
interessensgeleitetes Bild von Kôdô Sawaki zeichnen konnte. Da er
–wissenschaftliches Neuland betretend und ohne institutionelle Unterstützung
erwarten zu können - kritisches Material
für sein Buch sammelte, hatte in Japan kaum jemand davon Kenntnis. Da ich
selbst vierzehn Jahre lang sehr eng mit Nishijima Roshi zusammengearbeitet habe
und ihn auch persönlich sehr gut kannte, halte ich diese Einschätzung für sehr
vertrauenswürdig und begründet.
Besonders umstritten bei den
Kritikern Kôdô Sawakis ist sein Verhalten im Russisch-Japanischen Krieg, als er
noch sehr jung war. Nishijima Roshi schilderte die wirklichen Ereignisse wie
folgt: Seine Einheit sei in einen Hinterhalt geraten und nur durch sein
schnelles und mutiges Handeln sei eine größere Gruppe japanischer Soldaten vor
dem sicheren Tod gerettet worden. Kôdô Sawaki habe dafür eine besondere
Auszeichnung und einen größeren Geldbetrag erhalten; diesen verwendete er
später für die Publikation buddhistischer Bücher. Die Auszeichnung habe er selbst niemals
besonders hervorgehoben, weil er sein Handeln für normal angesehen habe, um
andere zu retten. Dass er von der Obrigkeit zum Kriegshelden hochstilisiert
wurde, sei überhaupt nicht seine eigene Absicht und ihm fremd gewesen.
Ich muss noch einmal wiederholen,
dass ich es in der Tat für notwendig und sinnvoll halte, dass die Frage des Zen
und des japanischen Nationalismus im Krieg kritisch durchleuchtet wird. Es
könnte aber sein, dass Kôdô Sawaki gerade das falsche Beispiel für diese Kritik
ist. Wir werden sehen.
Es drängt sich die Vermutung
auf, dass sich Brian Victoria zunächst die japanischen Quellen sehr auf seine
Thesen fokussiert auswählt und übersetzt, um dann im Falle Kôdô Sawaki
moralisch heftig und empört zu kritisieren, ein weniger wissenschaftliches als
essayistisches Vorgehen. Möglicherweise war es nicht sein Ziel, ein spannendes
und zugleich sachkundiges und valides Buch zum Zen zu schreiben, sondern
gezielt zu provozieren und polarisieren, um eine überfällige Diskussion
anzustossen. Das kann natürlich Sinn machen, allerdings sollte man bei der
einseitigen Kritik nicht stehen bleiben.
Schauen wir uns die vom
Autor verwendeten Zitate einmal genauer an.
Brian Victoria zitiert Kôdô
Sawaki, der sich auf das Lotus-Sûtra bezieht:[6]
„...alle fühlenden Wesen sind meine
Kinder" Weiterhin:" Aus dieser Perspektive betrachtet sind alle
Wesen, die existieren, ob Freunde oder Feinde, meine Kinder. Höher gestellte
Offiziere sind ebenso ein Teil meiner Existenz, wie ihre Untergebenen. Das gilt
auch für Japan und die ganze Welt.“
In diesem Teil über das
Lotos-Sutra kann wirklich kein militaristischer Nationalismus entdeckt werden. Kôdô Sawaki spricht das Gleichnis des brennenden Hauses an: Der Vater rettet die spielenden Kinder vor der tödlichen Gefahr der Flammen und schafft es tatsächlich, mit Ihnen ins Freie zu kommen. Damit ist die Freiheit durch den buddhistischen Weg gemeint.
Hat dieser Hinweis vielleicht sogar eine tiefere Bedeutung für das damalige militaristische und imperialistische Japan? Für Nishijima Roshi auf jeden Fall: Er sagte mir sehr klar, dass ohne diesen furchtbaren Krieg Japan wohl nicht die alten unmenschlichen Ideologien und Verhärtungen überwunden hätte. Es liegt nahe, dass Kôdô Sawaki dass selbe ausdrücken wollte: Japan war ein brennendes lebensgefährliches Haus, aus dem die Menschen entkommen konnten und mussten, um eine neue Freiheit zu erlangen. Und genau so entwickelte sich Geschichte nach dem Krieg und der Niederlage Japans. Aber ist das wirklich eine Niederlage im buddhistischen Sinne? Sicher nicht.
Nun kommt aber das entscheidend Zitat nach Brian Victoria:
Hat dieser Hinweis vielleicht sogar eine tiefere Bedeutung für das damalige militaristische und imperialistische Japan? Für Nishijima Roshi auf jeden Fall: Er sagte mir sehr klar, dass ohne diesen furchtbaren Krieg Japan wohl nicht die alten unmenschlichen Ideologien und Verhärtungen überwunden hätte. Es liegt nahe, dass Kôdô Sawaki dass selbe ausdrücken wollte: Japan war ein brennendes lebensgefährliches Haus, aus dem die Menschen entkommen konnten und mussten, um eine neue Freiheit zu erlangen. Und genau so entwickelte sich Geschichte nach dem Krieg und der Niederlage Japans. Aber ist das wirklich eine Niederlage im buddhistischen Sinne? Sicher nicht.
Nun kommt aber das entscheidend Zitat nach Brian Victoria:
„Ob man tötet oder nicht tötet, das
Gelöbnis, welches das Töten verbietet (wird erfüllt)". Dieser
Klammerzusatz von Brian Victoria ist im Original nicht enthalten.
Das Zitat geht weiter: "Das Gelöbnis, welches das Töten verbietet ist es, das das Schwert führt. Es ist dieses Gelöbnis, das die Bombe wirft. Studiert also dieses Gelöbnis und setzt es in die Tat um“.
Das Zitat geht weiter: "Das Gelöbnis, welches das Töten verbietet ist es, das das Schwert führt. Es ist dieses Gelöbnis, das die Bombe wirft. Studiert also dieses Gelöbnis und setzt es in die Tat um“.
Brian Victoria versteht Meister Kôdô
Sawaki ausweislich dieses Zusatzes so, dass Töten und Bombenwerfen nach dem
buddhistischen Gelöbnis unabhängig vom ethischen Willen des Individuums
geschehen und dass der einzelne Mensch dafür keine Verantwortung übernehmen
müsse. Das heißt:
Das Gelöbnis nicht zu töten, sei immer
erfüllt, ob man tötet oder nicht.
Man könne also beliebig
töten oder nicht töten! Dieser Zen basiere gerade auf diesem Paradox, töten und
nicht töten sei das selbe. Das ist m. E. ein völlig absurdes Verständnis des
Zen, das von Meister Dôgen im Shôbôgenzô selbst radikal kritisiert wird.
(Zudem ist dem deutschen
Übersetzer ein Fehler unterlaufen: Im Englischen wird das Wort
"precept" verwendet, das für "Gelöbnis" steht. In Deutsch
wurde aber "Regel" genommen, das zwar im Lexikon steht, aber
buddhistisch nicht richtig ist. Dadurch verschiebt sich die Bedeutung, denn
Dôgen betont gerade das jeweils ganz Konkrete der Ethik: für den besonderen Menschen durch sein eigenes Gelöbnis in der konkreten Situation.)
Der Autor Brian Victoria
sagt damit nichts anderes, als dass Kôdô Sawaki das Lotos-Sutra und die
Gelöbnisse im Sinne des Militarismus so interpretiert, dass jedes Töten im
Krieg gerechtfertigt sei.
Dem folge ich nicht, denn
damit verkehrt er den Sinn des von Sawaki Geäußerten in sein Gegenteil. Meister
Kôdô Sawaki sagt für mich unmissverständlich, dass das buddhistische Gelöbnis,
nicht zu töten, auch und gerade im Krieg gilt. Es gelte nicht nur für das
Schwert, wie früher, sondern und gerade auch für moderne Waffen im Zweiten
Weltkrieg, der bekanntlich in Ostasien mit großer Grausamkeit geführt wurde.
Der Klammerzusatz "wird erfüllt" wurde von Brian
Victoria selbst zugesetzt, er ist ganz wesentlich für den Sinn, wie er ihn
versteht; aber er ist eigentlich unlogisch und für mich auch unverständlich.
Ohne diesen eigenen Klammerzusatz entfällt aber die gesamte Kritik. Es müsste
m. E. nämlich ganz einfach heißen: das buddhistische "Gelöbnis, welches
das Töten verbietet (gilt immer)". Es gilt also unter allen Umständen,
selbst wenn es Krieg ist, der das Töten vielleicht in einer konkreten Situation
notwendig macht.
Brian Victorias
Interpretation basiert also auf seinem eigenen Zusatz „wird erfüllt“. Ich gehe
davon aus, dass dies auch seinem Verständnis entspricht. Diese Formulierung
gibt es allerdings im Original nicht. Aus meiner Sicht wäre es korrekt wie oben
zu schreiben: "Ob man tötet oder nicht, das Gelöbnis, welches das Töten
verbietet, (gilt immer und überall, selbst im Krieg)". Damit verkehrt sich
der Inhalt der Aussage natürlich in sein Gegenteil. Kôdô Sawaki will nach
meiner Interpretation sagen, dass auch und gerade im Krieg die buddhistische
Forderung ganz allgemein gilt, die das Töten verbietet. Und zwar ganz gleich,
ob die Soldaten mit Schwertern oder mit Bomben kämpfen. Das ist besonders
wichtig, weil man bei Bomben sein eigenes Töten gar nicht direkt sieht.
Kôdô Sawakis letzter Satz:
„Studiert also dieses Gelöbnis und setzt es
in die Tat um“
ist danach die direkte
Aufforderung an die japanischen Soldaten, gemäß Buddhismus immer human zu
handeln und sich des eigenen buddhistischen Gelöbnisses immer bewusst zu sein,
dass man eigentlich nicht töten darf. Dies ist im Übrigen das erste und zentrale der buddhistischen Gelöbnisse. Dadurch macht Kôdô Sawaki deutlich, dass auch und
gerade im Krieg so viele Leben wie möglich gerettet und geschont werden müssen.
Dies ist für mich besonders überzeugend, da er den Krieg und das Töten als
junger Soldat selbst erleben musste!
Durch den Klammerzusatz von
Brian Victoria, der im Original nicht vorhanden ist, entsteht der Eindruck,
dass auch beim Töten das Gelöbnis erfüllt ist, dass man nicht töten darf. Das
ist für mich logisch nicht richtig, da das persönlich abgelegte Gelöbnis nach
wie vor gilt und in Kraft ist, es kann selbst in schwierigsten Situationen
nicht negiert werden und wir tragen auch im Krieg dafür Verantwortung. Auf der
Grundlage seines eigenen Klammerzusatzes entwickelt Brian Victoria dann seine
fundamentale Kritik an diesem großen Zen-Meister. Die Kritik basiert in diesem
Fall also auf dem Zusatz des interpretierenden Autors; ohne diesen wird die
Kritik gegenstandslos.
Resümee´ dazu: Aus meiner
Sicht sagte Kôdô Sawaki ganz klar, dass die japanischen Soldaten im Sinne des
Buddhismus auch im Kriege die buddhistischen Gelöbnisse soweit es irgend
möglich ist, einhalten sollen, um nicht zu töten. Dass dies eventuell von
vielen japanischen Soldaten ganz anders gehandhabt wurde, war sicher auch Kôdô
Sawaki bekannt. Vielleicht hat er sich gerade deswegen so klar dagegen
geäußert.
Nun soll ein weiteres Zitat
Brian Victorias genauer analysiert werden. Dabei steht die Aussage Nishijima
Roshis wieder eindeutig im Gegensatz zum Autor, so dass wir uns auch hier um
Klärung bemühen müssen.
Es geht dabei um das Kapitel
92 von Dôgens Shôbôgenzô (Schatzkammer des wahren Dharma-Auges): "Shôji,
Leben und Tod". Wesentlicher Inhalt dieses kurzen Kapitels ist es, das
Leben im Hier und Jetzt zu führen und uns nicht von Ängsten und dunklen Gedanken
an den Tod beeinträchtigen zu lassen, dass der Tod also nicht das Leben
behindert. Das Leben sei eine eigene Wirklichkeit genauso wie der Tod, aber
beide sollten sich nicht negativ beeinflussen und hindern. Da in Japan 1943
bereits das große Sterben begonnen hatte, ist dies sicher ein ganz wichtiger
Hinweis. Nishijima Roshi erzählte mir einmal, dass von seinem eigenen Jahrgang
etwa 90% der Männer im Kriege umgekommen seien und er selbst nur deshalb
überlebt hat, weil er aus er Mandschurei zur Verteidigung des japanischen
Kernlandes zurück nach Japan beordert wurde. Viele seien auch durch Hunger
gestorben.
Für jeden nachdenkenden
Menschen in Japan war klar, dass der Krieg nicht mehr gewonnen werden konnte.
Die Aufgabe eines Priesters ist es selbstverständlich, in solchen
katastrophalen Zeiten des Tötens und Sterbens den Menschen Trost und Rückhalt
zu geben, was überhaupt nicht bedeutet, dass man den grausamen Krieg
unterstützt.
Wie übersetzt nun Brian
Victoria den maßgeblichen Text dieses Kapitels des Shôbôgenzô? Um es vorweg zu
sagen: seine Übersetzung und sein Verständnis ist in Fachkreisen stark
umstritten. Ich selbst arbeite z. B. mit der Fassung von Nishijima/Cross, die
den Inhalt Dôgens unbestritten verlässlich wiedergibt. Diese präzise
Übersetzung der wichtigen Passage lautet:
„Wenn wir genau unseren eigenen Körper
und unseren eigenen Geist loslassen und sie in das Haus Buddhas werfen, werden
sie an der Seite Buddhas ins Handeln gebracht. Wenn wir fortfahren dies zu
befolgen, ohne irgendeine Kraft auszuüben und irgendeinen Geist zu benutzen,
werden wir von Leben und Tod befreit und werden Buddha“.
Mit diesen Formulierungen
ist nach Nishijima Roshi die Zazen-Praxis gemeint, bei der wir nach Dôgen
„Körper und Geist fallen lassen“. In diesem Zustand der Meditation gewinnen wir
also Klarheit und Zuversicht im Hier und Jetzt, auch und gerade in sehr
schweren Zeiten des jederzeitigen Todes.
Wie übersetzt nun Brian
Victoria diesen zentralen Text?[7]
„ ....Wenn du der Anleitung, die du
erhältst, folgst, wirst du dich von Leben und Tod befreien und ein Buddha
werden, ohne dass du dich dazu körperlich oder
geistig anzustrengen brauchst."
Diese Formulierung scheint
Kadaver-Gehorsam zu fordern, mit der Behauptung, man werde dadurch zum Buddha.
Der Sinn ist m. E. etwas ganz anderes: man soll gerade in solchen schwierigen
Zeiten Zazen praktizieren und sich der Praxis und Lehre des Buddha anvertrauen,
also im Einklang mit Buddha handeln. Brian Victorias eigene Formulierung „ohne dass du dich körperlich oder geistig
anzustrengen brauchst“ bedeutet also ganz und gar nicht, dass man den Befehlen
des Vorgesetzten blind folgen soll, ganz gleich, was sie beinhalten mögen,
sondern das Gegenteil der eigenen Verantwortung und Klarheit im Augenblick.
Brian Victorias eigene Formulierung dazu: „Wer dies tut, wird augenblicklich zu
einem getreuen Gefolgsmann des Kaisers und zu einem vollkommenen Soldaten“
liegt m. E. vollkommen daneben, weil es sich gerade um die Befolgung der
buddhistischen Lehre auch in den schwierigen Kriegszeiten handelt.
Dieses wichtige Kapitel 92
schließt in der allgemein anerkannten Übersetzung von Nishijima:
„Es gibt einen sehr einfachen Weg,
Buddha zu werden: kein Unrecht zu tun, ohne Anhaftung an Leben und Tod zu sein,
tiefes Mitgefühl für alle Lebewesen zu haben, die Höheren zu achten und mit den
Niedrigen Mitgefühl zu haben, frei von einem Geist zu sein, der die tausend
Dinge des Lebens ablehnt und frei von einem Geist zu sein, der sie begehrt,
einen Geist zu haben ohne (eindimensionales) Denken und ohne Gram: dies wird
Buddha genannt. Sucht nichts sonst.
Damit ist für mich ganz
klar, was Kôdô Sawaki meinte.
Insgesamt ist es
verwunderlich, dass im umfangreichen Literaturverzeichnis dieses Buches Meister
Dôgen und das Werk Shôbôgenzô nicht
genannt werden, obgleich der Autor selbst der Sôtô-Linie des Zen-Buddhismus
angehört, die Dôgens Werk zur wesentlichen Grundlage hat. Ist das
Nachlässigkeit oder Absicht? Dies verwundert um so mehr, weil viele von Brian
Victoria in seinem Buch aufgeworfenen Fragen und Unsicherheiten relativ einfach
anhand des Shôbôgenzô mit seinen 95 Kapiteln beantwortet werden könnten. Dann
würde sich die gesamte Problematik in der Weise verschieben, dass zu fragen
ist, warum Dôgens fulminantes Werk insgesamt und im Einzelnen zu wenig bekannt
war und warum das Verhalten mancher Japaner im Zweiten Weltkrieg davon radikal
abweicht. Aus meiner Sicht wollte Kôdô Sawaki genau dies zum Ausdruck bringen.
Um es noch einmal deutlich
zu machen: ich halte es für verdienstvoll, dass Brian Victoria versucht, die
teilweise Mystifizierung und Glorifizierung des Zen zu hinterfragen und auch
bei berühmten Persönlichkeiten wie zum Beispiel D.T. Suzuki nicht Halt macht.
Allerdings ist Kôdô Sawaki nach meinem Urteil der falsche Meister, den er mit
seiner Kritik überzieht. Durch ein direktes Gespräch mit Nishijima Roshi hätte
er sich sicherlich ein objektiveres Bild dieses großen Zen-Meisters verschaffen
können. Warum tat er das nicht? Dadurch wäre sein Buch wesentlich
aussagekräftiger, wertvoller und verlässlicher für uns geworden.
In der 2010
herausgekommenen, ebenfalls validen Übersetzung des Shôbôgenzô von Kazuaki
Tanahashi heißt der fragliche Text dieses Kapitels zum Vergleich in Englisch[8]
„Just set aside your body and mind,
forget about them, and throw them into the house of Buddha; then all is done by
the Buddha. When you follow this, you are free from birth and death, and become
a Buddha without effort or scheme. Who, then, remains in the mind?
Weiter heißt es dort:
„In birth there is nothing but birth,
and in death there is nothing but death. Accordingly, when birth comes, face
and actualize birth, and when death comes, face and actualize death. Do not
avoid them or desire them“.
Schließlich schreibt er:
"This birth-and-death is the life of
Buddha“.
Wenn Brian Victoria aus
diesem Text die totale Unterwerfung unter den japanischen Kaiser und den
Kriegsminister machen will, kann ich dem nicht folgen. Es bleibt allerdings die
Frage, ob ihm dieses Kapitels überhaupt vorlag oder er darauf hingewiesen wurde
und ob er es eigentlich als Material für sein kritisches Buch nutzen konnte?
Schließlich sollte auch in
Betracht gezogen werden, dass in diktatorischen und dogmatischen Systemen
zentrale Wahrheiten eventuell so verklausuliert werden müssen, dass sie der
Zensur der Obrigkeit entgehen. Wie sicher bekannt ist, gilt dies zum Beispiel
in der Mystik für Teresa von Avila und Meister Eckart. Aus meiner Sicht wählte
Kôdô Sawaki in Bezug auf Dôgen nicht ein solches indirektes Verfahren: Seine
Aussagen sind für mich eindeutig und unmissverständlich, so dass ich überzeugt
bin, dass Brian Victoria sich bei der Bewertung der Haltung dieses großen
japanischen Zen-Meisters zum Krieg gründlich irrt.
Schlussbemerkung: Brian
Victoria hat ein politologisches und kritisch-soziologisches Buch geschrieben,
das die historische Situation Japans des Zen im vorigen Jahrhundert selektiv
beleuchtet. Dafür gebührt ihm trotz einiger irritierender Fehlinterpretationen und
Vereinfachungen Dank. Aber es ist kein bedeutendes Buch
zum Zen. Bei allem Fleiß des Autors sind die möglichen Schlussfolgerungen für
den Zen-Buddhismus der heutigen Zeit und der Zukunft recht begrenzt. Dazu hätte
ein wirklich fundierter Vergleich des damaligen Zen der ausgewählten Meister z.
B mit der Praxis und Lehre Meister Dôgens durchgeführt werden müssen. Diese
Aufgabe, die an Hand des Shôbôgenzô, der Schatzkammer des wahren Dharma-Auges
und der Befragung von Zeitzeugen wie Nishijima Roshi und anderer, gut machbar
gewesen wäre, hätte den Wert des Buches aus meiner Sicht ganz wesentlich
erhöht.
Verwirklichung des Lebens und des Universums
Zazen Meditation
Sein-Zeit des Augenblicks
Das große Erwachen
Buddhistische Gelöbnisse Teil 1
und Teil 2
Erzeugt kein Unrecht
Leben-und-Tod, die Befreiung im Buddhismus
Lotus-Sûtra
Zazen Meditation
Sein-Zeit des Augenblicks
Das große Erwachen
Buddhistische Gelöbnisse Teil 1
und Teil 2
Erzeugt kein Unrecht
Leben-und-Tod, die Befreiung im Buddhismus
Lotus-Sûtra
[1]
Kosho Uchiyama: Kôdô Sawaki. Die Zen-Lehre des Landstreichers Kôdô. Angkor
Verlag 2007
[2] Brian Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg. Eine
unheimliche Allianz, Theseus 1999, S.62
[3]
Kôdô Sawaki: An Dich. Zen-Sprüche, Angkor Verlag 2002 u. 2005
[4] G.
W. Nishijima: Aus meinem Leben. Wirklichkeit und Buddhismus. DONA-Verlag 2010,
S. 23 f.
[5] G. W.
Nishijima: Aus meinem Leben, Wirklichkeit und Buddhismus, S. 23 f
[6]Brian Victoria: Zen, Nationalismus und Krieg. Eine
unheimliche Allianz, Theseus 1999, S.62
[7] Brian Victoria a.a.O., S. 63
[8] Kazuaki
Tanahashi: Treasury of the True Dharma Eye (Shôbôgenzô), 2010, Band 2, Seite
885