Mit
Sanskrit-Basistext
Die Präambel des MMK umreißt
den Rahmen und ist Ausgangspunkt des Mittleren Weges. Es gab und gibt heftige
Kontroversen über Inhalt und Bedeutung dieser ersten Verse. Was sind nun die
wichtigen Aussagen und wie ist die Beziehung zum Gesamten dieses fulminanten Werkes? Und
wird damit ein „neuer Buddhismus“ von Nagarjuna geschaffen, wie manchmal
behauptet wurde?
Nach meinem Verständnis und
vielen Jahren des intensiven Studiums meist zusammen mit meinem Lehrer
Nishijima Roshi lenkt der Autor unseren Geist auf das große Anliegen Buddhas,
uns von bisherigen Begrenzungen und Hemmnissen des Leidens gründlich zu
befreien.
Und er führt die Lebenspraxis mit klarer Vernunft auf Neuland des Lebens: das Erwachen zur psychisch-geistigen Klarheit, zu neuem Handlungspotential, zu neuer Lebensfreude und zur Erleuchtung. Dieses für Buddha dringende Anliegen ist in hohem Maße emanzipatorisch und therapeutisch. Auf dem eröffneten Mittleren Weg können wir bisheriges Leiden überwinden und ein neues Leben mit Freude, innerer Ruhe und im Gleichgewicht führen. Das setzt große neue Kräfte frei und gibt Impulse in die weitere gute Entwicklung von Körper, Geist und Gefühlen.
Und er führt die Lebenspraxis mit klarer Vernunft auf Neuland des Lebens: das Erwachen zur psychisch-geistigen Klarheit, zu neuem Handlungspotential, zu neuer Lebensfreude und zur Erleuchtung. Dieses für Buddha dringende Anliegen ist in hohem Maße emanzipatorisch und therapeutisch. Auf dem eröffneten Mittleren Weg können wir bisheriges Leiden überwinden und ein neues Leben mit Freude, innerer Ruhe und im Gleichgewicht führen. Das setzt große neue Kräfte frei und gibt Impulse in die weitere gute Entwicklung von Körper, Geist und Gefühlen.
Als zentrale Verursachung
für ein ungutes Leben werden von Nagarjuna die Fixierung auf erstarrte
Ideologien und die Abhängigkeit von Gier, Hass, Aggression, Unwissenheit, schwere Defizite
der Vernunft und mangelnde Selbststeuerung erkannt und mit philosophischer
Präzision untersucht.
Welches ist nun der Weg,
den wir zu diesem neuen Leben einschlagen sollten und mit zunehmender Ruhe und
mit wachsendem Selbstvertrauen gehen, also mit robuster Selbst-Wirksamkeit?
Nagarjunas will m. E. für den
authentischen Buddhismus eine belastbare
Grundlage und Klarheit zurückgewinnen und gleichzeitig die seit Buddha
entstandene positive Entwicklung in Indien integrieren und vital
weiterführen. Aber er will auch und gerade die eingetretenen
Fehl-Entwicklungen und philosophischen Verwirrungen dingfest machen, einkreisen
und einer wirklich radikalen kritischen Analyse unterziehen. Damit gewinnt der
Buddhismus neue Klarheit und Dynamik, und das gilt auch und gerade für die buddhistische
Gegenwart des Westens.
Das gelingt ihm ohne Zweifel dank seines brillanten, trainierten und messerscharfen Verstandes ganz ausgezeichnet wie kaum einem anderen Denker vor und nach ihm. Aber seine Texte sind nicht einfach zu verstehen, sie waren und sind vielfältigen Missverständnissen ausgesetzt. Die Präambel des Mittleren Weges, MMK, stößt m. E. das Tor für die wirksame Verbreitung der authentischen buddhistischen Lehre gerade für die Moderne im Westen auf, sie ist die Ouvertüre des Mittleren Weges. Und dass MMK ist der zentrale Basistext der chinesischen Chan- und japanischen Zen- Buddhismus sowie des tibetischen Buddhismus.Oder im Umkehrschluss: Ohne das MMK sind diese späteren Entwicklungen nur schwer zu verstehen.
Das gelingt ihm ohne Zweifel dank seines brillanten, trainierten und messerscharfen Verstandes ganz ausgezeichnet wie kaum einem anderen Denker vor und nach ihm. Aber seine Texte sind nicht einfach zu verstehen, sie waren und sind vielfältigen Missverständnissen ausgesetzt. Die Präambel des Mittleren Weges, MMK, stößt m. E. das Tor für die wirksame Verbreitung der authentischen buddhistischen Lehre gerade für die Moderne im Westen auf, sie ist die Ouvertüre des Mittleren Weges. Und dass MMK ist der zentrale Basistext der chinesischen Chan- und japanischen Zen- Buddhismus sowie des tibetischen Buddhismus.Oder im Umkehrschluss: Ohne das MMK sind diese späteren Entwicklungen nur schwer zu verstehen.
Im ersten Teil der Präambel
werden zu unserem Erstaunen acht zentrale buddhistische Begriffe z. B. Entstehen und Vergehen negiert, nämlich „nicht Entstehen“ und „nicht zur Ruhe kommen“. Denn Entstehen und Vergehen sind im Buddhismus als Veränderung-Prozesse von zentraler Bedeutung für die Überwindung des Leidens und die Befreiung also Erleuchtung. Damit fordert
der Autor uns auf, die erstarrten, eventuell nur oberflächlich oder sogar
falsch verstandenen und vor allem doktrinären Vorstellungen in Frage zu
stellen. Sie sind nicht selten dogmatisch verhärtet und zu Worthülsen oder
sogar zum inhaltlichen Gegenteil degeneriert. Zum Teil widersprechen sie dem
Buddha-Dharma daher fundamental und beschreiben irreführende Doktrinen, die menschliche Emanzipationen und Befreiung gerade verhindern und ideologisch
blockieren.
Wenn jeder Fundamentalismus bei den obigen Begriffen überwunden wird, kann allerdings durch den dialektischen Zusammenhang dieser negativen Begriffe mit ihren positiven Bedeutungen methodisch deren gefährliche Einseitigkeit überwunden werden. Dann kann sogar eine innere Dynamik und Erweiterung der semantischen Felder in Gang gesetzt werden.[1] Aber die absoluten und fundamentalistischen Verhärtungen sind die Hauptgefahr auch im Buddhismus. Das gilt für den erstarrten Substantialismus und den in sich widersprüchlichen Momentanismus, der nicht mit der vitalen Augenblicklichkeit des Zen verwechselt werden darf.
Wenn jeder Fundamentalismus bei den obigen Begriffen überwunden wird, kann allerdings durch den dialektischen Zusammenhang dieser negativen Begriffe mit ihren positiven Bedeutungen methodisch deren gefährliche Einseitigkeit überwunden werden. Dann kann sogar eine innere Dynamik und Erweiterung der semantischen Felder in Gang gesetzt werden.[1] Aber die absoluten und fundamentalistischen Verhärtungen sind die Hauptgefahr auch im Buddhismus. Das gilt für den erstarrten Substantialismus und den in sich widersprüchlichen Momentanismus, der nicht mit der vitalen Augenblicklichkeit des Zen verwechselt werden darf.
Leider waren nach Buddha
sektiererische Gruppen entstanden, die den authentischen Buddhismus entstellten
und sogar vor-buddhistische, spekulativ-metaphysische, dogmatische und absolutistische
Ideologien wieder belebten: Vor allem die indische spirituelle Sehnsucht nach
einer Philosophie der Ewigkeit, Unveränderlichkeit und Auflösung des Selbst im
Einheits-Ozean des Nirvana waren sicher maßgebliche treibende Kräfte. Das
gilt für den vorbuddhistischen Brahmanismus mit seinem schreienden Unrecht des Kastensystems, das göttlich, religiös und theologisch sanktioniert worden war. Dagegen stellt Nagarjuna seine
profunde Analyse.
Wie lautet nun die zentrale
positive Botschaft der Präambel des MMK? Die Wirklichkeit der Welt und des
Lebens können durch das „wechselwirkende
gemeinsame Entstehen, pratitya
samutpada“, treffend verstanden und bezeichnet werden und gerade nicht durch
verschiedene metaphysische absolute Doktrinen. Diese dynamische Wechselwirkung von Strukturen und Prozessen ist
die wirklich belastbare Grundlage für unseren eigenen Weg der Befreiung,
Emanzipation, Weiterentwicklung und des Erwachens. Ein solches Verständnis der
Wirklichkeit hat eine erstaunlich große Übereinstimmung mit den Ergebnissen der
neuesten Gehirnforschung und Öko-Systemforschung.
Bisher wurde als Übersetzung von pratitya samutpada in allen 14 wichtigen und mir zur Verfügung stehenden Fassungen der verkürzte Begriff „abhängiges Entstehen“ (dependent arising/origination) verwendet, den ich jedoch nicht wirklich überzeugend finde. Er ist m. E. ungenau, weil die Wechselwirkung und Vernetzung nicht klar zum Ausdruck kommt. Auch in der übrigen buddhistischen Literatur überwiegt der Begriff abhängige Entstehen. Eine Ausnahme macht die Arbeit von Joanna Macy, die die Rückkoppelung im Sinne der Kybernetik erwähnt, allerdings keinen direkten Bezug zum MMK herstellt.
Wissenschaftlich betrachtet sind die wichtigen Prozesse in der Natur nicht-linear eben durch die Rückkoppelung und Vernetzung. Daher sind lineare Begriffe wie abhängiges Entstehen oder bedingtes Entstehen m. E. nicht wirklich geeignet, um Klarheit für die Überwindung des Leidens und die Befreiung zur Erleuchtung zu erlangen. Ich bin fest überzeugt, dass Buddha diesen Zusammenhang mit intuitiver Klarheit erkannt hat und dass dieses Wissen in der Folge außer bei Nagarjuna leider weitgehend verloren gegangen ist. Durch die wissenschaftlichen Fortschritte nicht zuletzt der Gehirnforschung haben wir neue Möglichkeiten, die geniale Lehre Buddhas besser zu verstehen und für unsere Weiterentwicklung zu nutzen: Je stärker die Wechselwirkungen im neuronalen Netz unseres Gehirns ist, desto höher und integrativer sind die Leistungen des Geistes, der Ethik, der Emotionen, des sensomotorischen Systems usw.. Und desto weniger benötigen wie verzerrende und grob vereinfachende Ideologien und Doktrinen zum Leben.
Die Bedeutung des gemeinsamen Entstehens in Wechselwirkung entspricht im übrigen in markanter Weise der allgemeinen Systemtheorie von Niklas Luhmann und geht über die damalige Kybernetik weit hinaus. Aber das MMK erschöpft sich selbstverständlich nicht mit der Systemtheorie.
Bisher wurde als Übersetzung von pratitya samutpada in allen 14 wichtigen und mir zur Verfügung stehenden Fassungen der verkürzte Begriff „abhängiges Entstehen“ (dependent arising/origination) verwendet, den ich jedoch nicht wirklich überzeugend finde. Er ist m. E. ungenau, weil die Wechselwirkung und Vernetzung nicht klar zum Ausdruck kommt. Auch in der übrigen buddhistischen Literatur überwiegt der Begriff abhängige Entstehen. Eine Ausnahme macht die Arbeit von Joanna Macy, die die Rückkoppelung im Sinne der Kybernetik erwähnt, allerdings keinen direkten Bezug zum MMK herstellt.
Wissenschaftlich betrachtet sind die wichtigen Prozesse in der Natur nicht-linear eben durch die Rückkoppelung und Vernetzung. Daher sind lineare Begriffe wie abhängiges Entstehen oder bedingtes Entstehen m. E. nicht wirklich geeignet, um Klarheit für die Überwindung des Leidens und die Befreiung zur Erleuchtung zu erlangen. Ich bin fest überzeugt, dass Buddha diesen Zusammenhang mit intuitiver Klarheit erkannt hat und dass dieses Wissen in der Folge außer bei Nagarjuna leider weitgehend verloren gegangen ist. Durch die wissenschaftlichen Fortschritte nicht zuletzt der Gehirnforschung haben wir neue Möglichkeiten, die geniale Lehre Buddhas besser zu verstehen und für unsere Weiterentwicklung zu nutzen: Je stärker die Wechselwirkungen im neuronalen Netz unseres Gehirns ist, desto höher und integrativer sind die Leistungen des Geistes, der Ethik, der Emotionen, des sensomotorischen Systems usw.. Und desto weniger benötigen wie verzerrende und grob vereinfachende Ideologien und Doktrinen zum Leben.
Die Bedeutung des gemeinsamen Entstehens in Wechselwirkung entspricht im übrigen in markanter Weise der allgemeinen Systemtheorie von Niklas Luhmann und geht über die damalige Kybernetik weit hinaus. Aber das MMK erschöpft sich selbstverständlich nicht mit der Systemtheorie.
Und weiter: Durch unsere eigene Einwirkung („Wirk-Kraft“) im
Geist und im Handeln, also durch gewollte und bewusste Veränderungen,
erreichen wir das „gemeinsames Gelingen des Lebens in Wechsel-Wirkung“. Damit wirken wir auf die Selbststeuerungen aktiv ein. Das
ist ohne Zweifel ein zentraler Schlüssel des Buddhismus, denn damit gelingt ein
gutes Leben.
In unserem Leben entstehen
vielfache wegführende Fehlentwicklungen Sackgassen und Verirrungen,
die nach Buddha und Nagarjuna durch die buddhistische Lehre und Praxis zur Ruhe
kommen. Dann hemmen und verwirren sie uns nicht mehr auf dem Mittleren Weg, der kraftvollen Wirkung des Buddhismus, sodass unser fast unbegrenztes menschliches
Potential entwickelt und genutzt werden kann, ein Potential das sonst wohl
vergeudet würde. Der große Padmasambhava bezeichnet dies als unsere unaufhörliche, sich
immer weiterentwickelnde schöpferische
Fähigkeit.[2]
Nach meinem Verständnis gibt es in der Präambel zwei
Schlüsselbegriffe, die fundamentale Bedeutung haben und auch in das große Werk
des MMK einführen:
„Wechsel-wirkendes gemeinsames Entstehen“ als konstruktive
positive Aussage der buddhistischen Befreiung und „wegführende Fehlentwicklungen“
durch Doktrinen, Dogmen und Ideologien als Hemmnisse und Erstarrung. Die ersten
acht Negationen betreffen die falschen
Doktrinen, die im Sinne Nagarjunas als nicht-leer
und damit irreal bezeichnet werden müssen. Diese Auffassung wird auch von David
J. Kalupahana[3] vertreten.
Wechselwirkung ist für alles Lebendige der Welt typisch und charakteristisch; eine Beschreibung
als eindimensionales unidirektionales
„abhängiges Entstehen“ ist zwar nicht
ganz falsch, verengt aber die Semantik und erschwert das Verständnis des MMK nachhaltig.
M. E. wird mit diesem Paradigmenwechsel die
Verständlichkeit, Klarheit und Wirkkraft des MMK gegenüber dessen vorliegenden "klassischen"
Literatur deutlich verbessert. Gleichzeitig wird damit der Anschluss zur
Gehirnforschung, Öko-Systemforschung und allgemeinen Systemtheorie hergestellt,
ohne allerdings zu behaupten, dass sich das MMK auf diese neuen
wissenschaftlichen Erkenntnisse beschränken lässt.
Vers 1
anirodham anutpādam anucchedam aśāśvatam /
anekārtham anānārtham anāgamam anirgamam //
anekārtham anānārtham anāgamam anirgamam //
(Buddha zeigte)
Nicht-zur-Ruhe-Kommen,
Nicht-Entstehen,
Nicht-Abschneiden,
Nicht-Dauerhaftigkeit,
nicht einen
Zweck habend, nicht viele verschiedene Zwecke habend,
Nicht-Ankunft,
Nicht-Fortgehen.
(als nicht richtige Doktrinen isolierter unveränderlicher Entitäten)
(als nicht richtige Doktrinen isolierter unveränderlicher Entitäten)
Das sind die irreführenden Doktrinen und Ideologien, die Buddha als solche aufzeigte. Diese acht Begriffe werden im MMK einer gründlichen
Analyse und De-Konstruktion unterzogen. Sie sind nach Nagarjuna falsche Doktrinen
der Fehlentwicklungen, soweit sie als absolutistische
Wahrheiten verstanden werden. Sie sind unwahr und nicht leer, weil sie der erfahrbaren Wirklichkeit widersprechen.
Die obigen Zeilen kennzeichnen vier falsche Doktrinen. :
1.
Es gibt dann keine Veränderungen und Prozesse, sondern getrennte substantialistische
Entitäten.
Alles
ist unveränderlich, ewig und statisch. Das Seiende und das Sein sind in diesem
Sinne ebenfalls unveränderlich und ewig. Das ist die falsche Ideologie des Substantialismus, einer absoluten
unveränderlichen und innewohnenden Substanz.
2.
Es gibt dann das angebliche Beenden und Abschneiden von absoluten und zeitlich isolierten Ereignissen
ohne Folgewirkungen und Verbindungen. Das ist der zeitliche Momentanismus.
Das Abschneiden führt ins Nichts. Dann gibt es keine ethische Verantwortung für
das eigenen Handeln.
3.
Dies ist die falsche Ideologie der absoluten Identität und absoluten Differenz, ohne jede Wechsel-Wirkung. Das
bedeutet irrealer Dualismus und die Dichotomie
als etwas Absolutes, also die totale Identität und Differenz. Beide Begriffe und Semantiken
sind Extreme und damit nach Buddha unwirklich und irreführend.
4.
Es gibt dann keine zusammenhängenden Prozesse. Dann gibt es keine Verbindung von
Anfang und Ende eines Prozesses, sondern isolierte zeitliche Entitäten von
Ankunft und Fortgehen.
Vermutlich
wird noch ein andere Irrtum angesprochen: Buddha sagte, dass der Ur-Anfang und
das endgültige Ende der Welt und des Lebens nicht
erfassbar sind. Das wurde später fälschlich so verstanden, dass es nach
Buddha keinen Anfang und kein Ende gäbe.
Vers 2
yaḥ
pratītya-samutpādaṃ prapañcopaśamaṃ śivam /
deśayāmāsa saṃbuddhas taṃ vande vadatāṃ varam //
deśayāmāsa saṃbuddhas taṃ vande vadatāṃ varam //
Buddha, der
vollkommen Erwachte, zeigte das wechsel-wirkende gemeinsame Entstehen und den Mittleren Weg.
Er zeigte damit das beglückende Aufhören der wegführenden Fehlentwicklungen und Verwirrungen.
Er zeigte damit das beglückende Aufhören der wegführenden Fehlentwicklungen und Verwirrungen.
Ihn, den
besten der Sprechenden und Lehrenden, verehre ich.
Ergebnis:
Nach verschiedenen
Falsifizierungen von Doktrinen durch die obigen acht Negationen für die Dharmas,
das sind die Dinge, Phänomen und Prozesse als "Elemente" der Welt,
wird im zweiten Vers die Ganzheit des Menschen analysiert. Dabei wird der direkter
Bezug auf die lebenden Wechselwirkungen und deren Faktoren als das rechte
Verständnis genommen.
Besonders der Begriff Entstehen wird im ersten und zweiten
Vers zum Schlüssel des Verständnisses des MMK: Im ersten Vers wird das Nicht-Entstehen (an-utpāda) als falsche Doktrin von isolierten Entitäten oder behaupteten
ewigen Substanzen genannt. Dann kann es gar kein wahres Entstehen geben. Diese
Doktrin ermöglicht bei genauer Analyse keine
Veränderung, Befreiung und Emanzipation und widerspricht damit fundamental
der Kernlehre des Buddha. Im zweiten Vers heißt es gemeinsames Entstehen (samutpāda),
also Co-Entstehen und Verändern in Wechselwirkung. Nur mit diesem
Verständnis kann die fortlaufenden Veränderung in der vernetzten Dynamik des Lebens
und der Welt und damit die neue Lehre Buddhas sinnvoll erfasst werden. Nur so
machen die Vier Edlen Wahrheiten, der Achtfache Pfad und die Befreiung
in 12 kausal verknüpften Phasen Sinn.
Im Folgenden des MMK wird der Begriff der Leerheit als Bezeichnung für das gemeinsame Entstehen in Wechselwirkung eingeführt. Gerade das Verständnis der Leerheit stiftet oft tief greifend Verwirrungen, wird aber im MMK präzise geklärt.
Die Leerheit hat verkürzt
folgende Bedeutung: Sie ist die
Bezeichnung der Wirklichkeit ohne Mystifizierungen,
doktrinäre Verzerrungen, ohne Gier, Hass und Verblendung, ohne leidenschaftliche
Abhängigkeiten und mit funktionierender Selbst-Steuerung und Selbst-Kontrolle. In diesem Sinne ist die Semantik Leerheit eng verwandt mit Reinheit und damit Befreiung. Das ist die Grundlage des ethischen Handelns und ist die dynamische „Wirklichkeit wie sie wirklich ist und
sich fortlaufend verändert“.
Philosophisch gilt: Das ist die Wirklichkeit ohne die Doktrin einer innewohnenden, unsichtbare und unveränderlichen Substanz (Substantialismus, âtman und svabhâva). Die
Wirklichkeit ist also leer und "rein" von
solchen unsichtbaren ewigen und absoluten substantialistischen
Entitäten. Leerheit bedeutet aber gerade nicht Nihilismus und ist kein Nichts.
Die
Dynamik der Wirklichkeit ist durch
Entstehen, Vergehen, Veränderungen usw. gekennzeichnet. Diese Veränderungen
sind Voraussetzungen sowohl für die Überwindung des Leidens als auch die
Befreiung, Weiterentwicklung, Emanzipation und Erleuchtung des Menschen.
Die
Vernetzung und Wechselwirkung der Prozesse und Strukturen der Wirklichkeit sind
weiterhin wichtig. In der Wirklichkeit können wir keine Isolation, keine totale
Unabhängigkeit und kein Entstehen ohne Wechselwirkung und kein Entstehen nur
aus sich selbst heraus erkennen. Dabei ist die Interaktion in der Vernetzung
des Ganzen von zentraler Bedeutung. Wirklichkeit ist durch Veränderung gekennzeichnet.
Bedeutsam
ist die konsequente Vermeidung von gedachten oder geglaubten Extremen auf dem Mittleren Weg. Wie brauchen Klarheit über die Möglichkeiten und die Grenzen von Verzerrungen auch der Sprache und der Vernunft :„Weisheit jenseits des Intellekts“. Dazu gehört
auch die Überwindung einer angeblich „gelehrten“
Scholastik und der mathematischen Logik, vor allem des simplen ausschließenden
„Entweder-Oder und der Identität“ (ausgeschlossenes Drittes nach Aristoteles).
Ohne die wirkliche Bedeutung der Leerheit nach Nagarjuna ist es m. E. sehr schwer, das MMK und die
weitere Entwicklung des Buddhismus zu verstehen.
Im ersten Teil werden acht Negationen von zentralen
buddhistischen Begriffen aufgeführt. M. E. kann es allerdings auch sinnvoll sein,
sie mit ihren jeweiligen positiven Begriffen zu verbinden, um den vollen Umfang
der Bedeutungen zu erkennen. Das entspricht der Dialektik, aber nicht den
Extremen des Absolutismus. Die Präambel bezeichnet die Negationen der absoluten unabhängigen und dogmatischen Bedeutungen der
Begriffe. Damit ergibt sich zusätzlich ein erweiteter Bedeutungsumfang, der
philosophisch durch die Verbindung von dialektischen negativen und positiven Formulierungen erreicht wird.
Die zentrale Stoßrichtung Nagarjunas trifft alle
absolutistischen Begriffe und extremen Semantiken des Buddha-Dharma! Daraus
ergibt sich das rechte Verständnis der Leerheit, die große Bedeutung für den
späteren Buddhismus des Madyamika und Mahayana hat. Falsch verstandene
Deutungen der Leerheit haben sicher dazu beigetragen, dass Nagarjuna als
Nihilist abgewertet wurde oder ihm ein Weltbild von statisches Entitäten unterstellt
wurde. Das wäre aber eine radikale Kehrtwendung des authentischen
Buddha-Dharma.