Im
alten China wurden Bambus-Nadeln bei der Heilmethode der Akupunktur verwendet.
Sie mussten genau an der richtigen Stelle am Körper angesetzt werden, um die
gute Heilwirkung zu erzeugen. Dōgen vergleicht im Kapitel 27, Zazenschin, des Shobogenzo die
Übungspraxis des Zazen mit einer solchen heilenden Bambusnadel in der
Akupunktur Er umreißt damit nicht nur die allgemeine Heilwirkung des Zazen,
sondern sagt auch, wo und wie genau die „Bambusnadel“ gesetzt wird.
Er
hält es sogar (!) für ausgeschlossen, dass man überhaupt Zugang zum wahren
Buddhismus findet, wenn man nicht Zazen (in Sanskrit Samādhi) praktiziert. Ritsunen Linnebach schreibt in diesen Sinne:
„Als ich dann 1982 im Zen-Zentrum von Meister Deshimaru zum ersten Mal mit
gekreuzten Beinen und geradem Rücken vor einer weißen Wand saß, fühlte ich
intuitiv und sehr stark, dass es das
war, was ich immer schon gesucht hatte“
Um
richtige und wirkungsvolle Akupunktur ausführen zu können, bedarf es aber einer
sehr gründlichen Ausbildung, langjähriger Erfahrung und genauer theoretischer
Kenntnis der geeigneten Körperstellen. Vor allem muss großes praktisches Können
hinzukommen, damit die gute Heilwirkung wirklich eintritt.
Zunächst
erklärt Dōgen anhand eines Gesprächs zwischen dem großen Meister Yakusan und
einem Mönch, dass die Praxis des Zazen etwas anderes als das übliche Denken ist
und darüber hinausgeht. Auf eine entsprechende Frage des Mönchs, was der
Meister „im stillen-stillen Zustand denkt“ antwortet dieser:
“Den wirklichen
Zustand des Nicht-Denkens zu denken…Es ist Nicht-Denken.“
Dôgen fügt hinzu: „Wir
sollten in der Praxis das Berg-stille Sitzen lernen, und wir sollten die
authentische Übertragung des Berg-stillen Sitzens empfangen.“
Man sitzt dabei ruhig wie ein Berg, und das (übliche)
unterscheidende Denken und Fühlen sind verschwunden. Dann ereignet sich bei der
Zazen-Praxis die erste Erleuchtung, wie Meister Nishijima dies nennt. Hat man aber während des Zazen den bewussten
Willen, etwas Bestimmtes zu erreichen, und treibt damit Denken und Fühlen in
diese Ziel-Richtung. Dann kann sich die Zazen-Praxis nicht richtig entfalten.
Dann kann sich die erste Erleuchtung gar nicht ereignen! Beim Zazen kommt es
also darauf an, sich nicht durch
eine bewusste Denkanstrengung einzuengen oder sogar zu verkrampfen, nicht durch
willentlichen Willen die natürliche Kraft der Mitte auszuschalten. Dōgen stellt
die Frage:
„Wie kann es möglich
sein, dass in dem ganz ruhigen, stillen Zustand kein Denken vorhanden ist. Und
warum verstehen (die Menschen) nicht den still-stillen Zustand jenseits (von
Denken und Nicht-Denken)?“
Beim
stillen, ruhigen Sitzen in der Zazen-Praxis müssen wir nach Dogen genau auf die
richtige körperliche Haltung achten, darauf kommet es wirklich an: Den Kopf
nach oben strecken und dabei den Blick schräg nach unten richten und zum
Beispiel auf die weiße Wand vor und schauen. Die Augen sind dabei halb
geschlossen. Dann ereignet sich das Nicht-Denken und Nicht-Fühlen. In der Sôtô-Tradition
sitzt man vor einer weißen Wand. Dieser
Zustand und dieses Handeln im Zazen sind nach Dôgen sogar jenseits der Verstandestätigkeit
eines Buddha, des Dharma, jenseits aller intellektuellen Möglichkeiten und
Vorstellungen. Dies wird nicht zuletzt durch die unmittelbare Übertragung des
Dharma mit Körper und Geist vom Meister auf den Schüler, der damit ebenfalls
Meister wird, in Gang gesetzt.
Es
ist aber falsch zu sagen, das bewusste Ziel des Zazen bestehe darin, diese Ruhe
des Geistes als willentliches Wollen unbedingt zu erlangen. Das wäre eine
falsche Konzentration auf ein bestimmtes Ziel, würde zu kurz greifen und wäre
ein grundsätzliches Missverständnis. Es kommt nur als erster Schritt für den
Einstieg zum Zazen in Frage. Dōgen lehnt „Konzentrations-Zen“
für die Zazen-Praxis grundsätzlich ab und hat dies auch explizit formuliert.
Die Meditationsübungen, die zum Beispiel im großen Sûtra der Achtsamkeit von
Buddha genannt sind, sind aber ganz
wichtige Lernschritte hin zum Zazen im Sinne von Dôgen und Kodo Sawaki. Es
besteht sonst die Gefahr, dass der Geist einengt würde und nur illusionäre
Zustände und spekulative Traum-Vorstellungen erzeugt werden. „Konzentrations-Zen“
ist gerade kein Nicht-Denken im Sinne
Dōgens. Genauso falsch wäre es zu
sagen, dass die Zazen-Praxis zwar für Anfänger und fortgeschrittenen Schüler
des Buddhismus notwendig sei, dass die Meister selbst aber nicht mehr Zazen
praktizieren müssten. Bei den Meistern, so die unrichtige Begründung, seien
nämlich alle Tätigkeiten des Alltags wie Gehen, Stehen, Liegen, Sitzen usw.
bereits buddhistische Übungspraxis. Dazu gehöre auch die Praxis, sich zu
unterhalten, sich auszuruhen, sich zu bewegen usw., denn bei allen diesen
Tätigkeiten fühle sich der Meister glücklich und frei, weil er ja schon erleuchtet
sei.
Zazen-Praxis
bedeutet dagegen direktes wirkungsvolles Buddha-Handeln, ohne sich mit dem
bewussten Ziel anzustrengen, selbst Buddha werden zu wollen. Dieses Buddha-Handeln
übersteigt also das vorgefasste Ziel, ein wunderbarer Buddha werden zu wollen,
so zentral ein solcher Entschluss zu Anfang der Praxis sein mag. Buddha-Handeln
ist bereits die verwirklichte Welt und das verwirklichte Universum. Wenn man
mit Gewalt ein Buddha werden will, verstrickt man sich allzu leicht in
gedankliche „Netze und Käfige“ und die Kraft des Augenblicks der Zazen-Paxis
kann sich nach Dôgen dann nicht entfalten und verschwindet.
Dôgen
gibt hierzu ein Gespräch der beiden Meister Nangaku und Baso wieder. Baso, Schüler von Meister Nangaku,
wurde, als er noch Mönch unter seiner Leitung war, von diesem gefragt:
„Was möchtest du erreichen, und welches
Ziel hast du, wenn du Zazen praktizierst?“
Baso antwortete, dass er durch Zazen
ein Buddha werden möchte.
Aber
gibt es aus der Erfahrung von Dōgen überhaupt irgendein Ziel, das höher zu
bewerten ist als der Zustand der Zazen-Praxis selbst? Sicher nicht. Dōgen
wiederholt ganz eindeutig, dass Zazen letztlich keinem willentlich durch den
Willen angestrebten Ziel dienen darf. Es ist Handeln und der Zustand beim
Streben nach der Wahrheit für sich selbst ist, das sich selbst vollständig
genügt. Man erfährt man, dass es sich genau ereignet, wenn man einmal die
richtige Sitzhaltung eingenommen und die Vorstellung von Körper und Geist
„fallen gelassen“ hat. Und Zazen klingt weiter nach, wie eine Glocke nach dem
Anschlagen nachklingt.
Dōgen
fragt weiter, ob es überhaupt einen sinnvollen Bereich der Wahrheit gegeben
habe, der als Ziel angestrebt wurde und jenseits des Sitzens im Zazen liegt.
Welches Ziel würde genau in dem Augenblick, in dem man Zazen praktiziert, überhaupt
verwirklicht? Ein solches vorgestelltes Ziel und ein solches auf das Ziel
fixierte Denken wären dasselbe wie das Bild eines Drachen im Verhältnis zum wirklichen Drachen. Ein derartiges angestrengtes
Denken und die Verengung auf Ziele würden die unmittelbare Kraft und Fülle der
Gegenwart des Zazen im Hier und Jetzt und Universum weitgehend zunichte machen.
Der Geist würde vielleicht in weit entfernte, gedachte und idealisierte Räume und Zeiten wegwandern und wäre nicht
mehr unmittelbar wirksam. Die gut gemeinte idealistische Absicht, ein Buddha zu
werden, würde den Menschen in sich selbst verstricken, und die wahre
Zazen-Erfahrung könnte sich im gegenwärtigen Augenblick nicht ereignen
entfalten und verwirklichen.
Gleichwohl
sollte man die Absicht des Mönchs Baso, die
im obigen Koān-Gespräch deutlich
wird, nicht gering schätzen. Denn der
starke Wille zur Wahrheit hat einen zentralen Stellenwert im Shōbōgenzō. Er wird in dem Kapitel zum
Erwecken des Bodhi-Geistes herausgearbeitet, der auf den Weg des Buddha-Dharma
führt. Ohne das Streben nach der Wahrheit kann man im Hin und Her des täglichen
Lebens kaum je die wahre Richtung finden oder wieder finden. Es ist sehr
wichtig die vielen menschlichen Irrtümer aufzudecken und Sackgassen zu vermeiden,
die sich nicht zuletzt im sozialen Zusammenleben auftun. Wir brauchen unbedingt
einen solchen Kompass.
In
der obigen Geschichte ergreift Meister Nangaku, statt das Gespräch
fortzusetzen, einen in der Nähe liegenden Ziegelstein und beginnt ihn an dem
dortigen Felsen zu schleifen. Er erweckt damit den Eindruck, er wolle den
Ziegel polieren. Dies ist aber materiell natürlich unmöglich. Auf die Frage des
Mönchs Baso, was der Meister mit dem
Schleifen des Ziegels denn eigentlich bezwecken wolle, antwortet dieser: „Ich
poliere ihn, um einen Spiegel daraus zu machen.“ Diese Koan-Geschichte ist
berühm im Chan- und Zen-Buddhismus. Baso erlebt bei diesem Handeln das große
Erwachen. Das ist ohne Zweifel die Wirkung der Zazen-Meditation, die von unnützem Denken und Wollen befreit
wurde. Diese Befreiung benötigt keinen Idealismus und nicht einmal die Theorie
des Buddha-Werdens!
Nishijima
Roshi lehrt im Sinne von Dōgen, dass die richtige Zazen-Praxis bereits selbst
die erste Erleuchtung ist, und dies gilt sowohl für Anfänger als auch für
Fortgeschrittene und auch für Meister. Es bedarf also keiner weiteren Absichten
und willentlicher Ziele, wenn Körper und Geist die korrekte Haltung im Zazen einnehmen. Denn der Mönch Baso meditierte
sicher in dieser richtigen Haltung mit geradem senkrechten Rückgrat. Sonst
hätte er keine Erleuchtung erfahren. Man sollte zum Zazen nichts hinzutun oder
wegnehmen. Im Zazen ereignet sich bereits die erste Erleuchtung, und in diesem
Augenblick ist man Buddha! Dies ist die Bedeutung des absichtslosen Sitzens.
Es
ist sinnlos, mit Worten über Illusion und Verwirklichung zu diskutieren. Auch
das intellektuelle oder esoterische Streben nach einer vollständigen Erklärung
oder logischer Zergliederung des Zazen führt nicht weiter. Dōgen schließt
diesen Teil des Kapitels mit der Feststellung ab, dass bereits zu seiner Zeit
und auch schon in früheren Zeiten nur
wenige Menschen wirklich verstehen, dass Zazen eine solch großartige
Übungspraxis. Sie bewirkt wie eine Bambusnadel in der Akupunktur große
Heilwirkung. Nach heutiger westlicher Wissenschaft ist das die direkte heilende
Einwirkung auf unser Faszien-System, das eine viel größere Bedeutung hat, als
die wissenschaftliche Medizin früer wusste. Nicht umsonst spricht Meister
Dogen, von Akkupunktur-Nadel des Zazen. Denn die umfassende Heilmethode von
Medialen und Akkupunktur ist nicht nur theoretisch sondern auch praktisch in
der östlichen Medizin und der Osteopathie eindeutig und ohne Zweifel erwiesen.
Für
Dōgen ist die richtige Körperhaltung bei der Zazen-Praxis daher eine notwendige
Voraussetzung für den Übungsweg des Buddha-Dharma. Er verwendet dabei das
Gleichnis von einem Ochsenkarren: Alle denken, dass man den Ochsen antreiben
oder gar schlagen müsse, wenn das ganze Gefährt stecken geblieben ist und aber weiterfahren
soll. Der Ochse ist dabei das Symbol für den Geist, der den Wagen ziehen soll.
Sehr häufig sei dann der Wagen selbst die Ursache für den Stillstand und nicht
der Ochse. Der Wagen ist dabei das Symbol für den Körper. Wenn demnach der
Körper die Ursache für das Problem ist, nützt die Anspannung oder gar das
Peitschen des Geistes nichts.
Dōgen
spricht mit diesem Gleichnis die Funktion des Körpers bei der Zazen-Praxis an
Er kommt zu dem Schluss, dass Körper und Geist immer eine Einheit bilden und
nicht getrennt werden dürfen, insbesondere nicht beim Zazen. Wenn man nur den
Geist anstrengt, bleibt der Karren des eigenen Lebens eben stecken. Bei dieser
Praxis wird die einseitige Konzentration auf den Geist verlassen, denn sie ist
eine Sackgasse. Man soll daher nicht auf den Geist „einprügeln“. Es mag zwar
eigenartig erscheinen, dass man nach der obigen Geschichte den Wagen befreit
und nicht auf den Ochsen als Symbol des Geistes einschlägt. Es iss allerdings
überhaupt wenig sinnvoll, den Geist oder den Körper oder sogar beide zu schlagen.
Auch
Stolz auf das einseitige Beherrschen der Körperhaltung führt nicht weiter. Wer
sich selbst in seiner Zazen-Haltung bewundert und meint, damit sei er ja schon
als echter Buddhist ausgewiesen und sei nach Dōgen bereits Buddha, ist einem
gründlichen Irrtum aufgesessen. Wer den vollen Lotossitz so wunderbar beherrscht
und dies stolz den anderen oder sich selbst vorführt, ist tief in einen solchen
Ego-Irrtum verstrickt. Auch der Stolz darauf, längere Sitzperioden auszuhalten
zu können als die meisten, verhindert die natürliche Öffnung von Körper und
Geist. Dies ist sicher auch der falsche Weg. Dann wird unser Faszien-System
gerade verkrampft und unser Energie-Fluss stockt.
Am
Ende diese Kapitels fügt Dōgen ein eigenes Gedicht über die Bambusnadel der
Zazen-Praxis (Zazenshin) an, das sein
eigenes tiefes Verstehen des Buddhismus und der Übungs-Praxis widerspiegelt:
Das Tun des
Wichtigsten eines jeden Vorfahren im Dharma,
Jenseits des Denkens:
Verwirklichung,
Jenseits des
Komplizierten: Verwirklichung.
Jenseits des Denkens:
Verwirklichung
Die Verwirklichung ist
natürlich und unmittelbar.
Jenseits des
Komplizierten: Verwirklichung.
Die Verwirklichung ist
natürlich und ist Erfahrung.
Die Verwirklichung ist
natürlich und unmittelbar.
Es gab keine
Verschmutzung.
Die Verwirklichung ist
ein natürlicher Zustand der Erfahrung:
Es gab kein (mental) Richtiges
und da war keine Abweichung.
Es gab keine Verschmutzung
des Unmittelbaren.
Das Unmittelbare hängt
von nichts ab, es macht frei.
Es gab in der
Erfahrung kein Richtiges und keine Abweichung
Der Zustand der
Erfahrung ist ohne (mentale) Absicht und doch erfordert er Anstrengung.
Das Wasser ist rein,
wahrhaft hinunter bis zum tiefen Grund,
Die Fische schwimmen
als Fische!
Der Himmel ist weit,
klar bis zum hohen Firmament.
Und die Vögel fliegen
als Vögel!
Kann man die Erfahrung des
Zazen besser in Worte fassen? ich glaube nicht.[1]