Der große Zen-Meister Nishijima Roshi
Erstarrte, unheilsame und
doktrinäre Verhaltens- und Denkmuster führen zu Unfreiheit und zu Leiden. Solche
Prägungen können unbewusst oder bewusst sein. Aber sie sind nach Buddhas Lehre
nicht statisch oder starr sondern sind veränderlich und können durch heilsame
Lernprozesse angegangen werden. Wir müssen das Unheilsame also überwinden, die
negativen Kräfte zur Ruhe kommen lassen und zu Klarheit und zur Leerheit
gelangen.[1]
Diese Leerheit eröffnet uns den Zugang zum Befreiungsweg der Mitte, wie
Nâgârjuna es sagt.[2] Die Mitte bedeutet das
Gleichgewicht in der Dynamik unseres Lebens, das sind unser guter Flow und die
Überwindung von Extremen, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Aber
das ist sicher einfacher gesagt als getan. Viele Menschen identifizieren sich
sogar mit ihren Vorurteilen, Mustern und unheilsamen formenden Kräften und
meinen, diese seien ihr Ich oder ihre Persönlichkeit. Kann das richtig sein?
Sicher nicht.
In diesem Kapitel geht es um
Verhaltensmuster, Prägungen und formende psychische und geistige Kräfte sowie
deren Veränderungen und Steuerungen. Es geht um Wandel und vor allem um
Befreiung von Fixierungen und absoluten dogmatischen Konzepten. Damit
erarbeitet Nâgârjuna wichtige Grundlagen für weitere Analysen im MMK: Wie das
Leiden wirklich zur Ruhe kommen kann und wie festgefahrene restriktive Muster
und hemmende Strukturen von Psyche und Geist überwunden werden. Dann können und
Körper, Geist und Psyche zu neuem Leben und zum Heilsamen verändert werden. Das
gilt heute mindestens so wie früher. Denn im Buddhismus gibt es die klare
Wahrheit, dass sich alles verändert, im Wandel ist und dass es nichts
Dauerhaftes, Absolutes und Ewiges gibt. Unveränderliches existiert nur in
Doktrinen, Ideologien, unheilsamen Sichtweisen und bestenfalls spekulative
Philosophien. Aber das ist nicht die erlebbaren Wirklichkeit. Auch wenn
Idealisten und Romantiker dies vielleicht bedauern mögen, ich verstehe es als
Chance und Hoffnung.
Die ständigen Veränderungen
gelten nicht nur für Lebewesen, sondern auch für die Materie. Wir wissen, dass
unsere Erde etwa sechs Milliarden Jahre alt ist und sich dauernd verändert.
Seit etwa drei Milliarden Jahren gibt es Leben auf der Erde. Beim Menschen geht
es sowohl um Veränderungen zum Schlechteren,
etwa Krankheiten, Trennungen, depressive Phasen oder Verarmung sein, aber vor
allem um Veränderungen zum Besseren
Das gilt besonders für Lern-, und Befreiungsprozesse, materiellen Fortschritt,
eine neue gute Partnerschaft oder Genesung von einer schweren Krankheit. Es ist
einleuchtend, dass es keine dauerhaften unveränderlichen
Existenzen in der realen Welt geben kann, weder bei der Materie noch bei
den Lebewesen. Hier unterscheidet sich der Buddhismus fundamental von den westlichen
Philosophien, die unveränderliche Ideen (Platon) oder das unveränderliche
metaphysische Sein in den Mittelpunkt der philosophischen Analysen stellen.
Buddha fragte also, wie wir selbst steuernd auf die Veränderungen und
Wechselwirkungen einwirken können.
Wenn man an eine ideelle
oder religiöse totale andersartige Existenz glaubt, zum Beispiel einen Gott,
den Aristoteles den „Unbewegten Beweger“ nennt, gäbe es dort eine dauerhafte
Absolutheit. Im Brahmanismus gilt die ewige Unveränderlichkeit vor allem für
Brahman und Âtman. Buddha und Nâgârjuna konzentrieren sich jedoch auf diese
Welt der Beobachtungen und auf die Erfahrungen unseres Lebens. Im Hier und
Jetzt gibt es eben keine dauerhafte
unveränderliche Existenz und keinen plötzlichen totalen zeitlichen Abbruch
der Phänomene und Prozesse ins Nichts, sondern das Entstehen und Vergehen in
Wechselwirkung. Um diese genau zu beobachten und zu erfahren, bedarf es der
geschulten Achtsamkeit. Sie ist die Richtschnur und wichtige Methode der
eigenen positiven Entwicklung und Befreiung. Die Frage ist nun, wie wir unser Leben emanzipativ und therapeutisch
gestalten können, um Hemmnisse zu überwinden und die Prozesse des Erwachens zu
beleben und zu aktivieren.
Nâgârjuna behandelt in
diesem Kapitel grundlegende Zusammenhänge von psychischen, geistigen und
handlungsorientierten Mustern (in Sanskrit samskâra),
die mit den formenden Kräften unseres Lebens zusammenwirken. Buddhas Methoden
eröffnen Chancen der Veränderung und Emanzipation und lassen einengende
Doktrinen zur Ruhe kommen lassen. Dabei wird in diesem Kapitel zum ersten Mal
im MMK direkt auf die Leerheit verwiesen. Sie bedeutet Freiheit von fixierenden
unheilsamen Verhaltensmustern, Prägungen und Doktrinen.
Nishijima Roshi sagt dazu:
„In Chinesisch und Japanisch wird dieser
wichtige Sanskrit-Begriff samskâra
durch ein Zeichen repräsentiert, das Handeln oder Tun bedeutet.“ Ähnliches wird
im Wörterbuch Sanskrit – Englisch von
Monier-Williams für den verwandten Sanskrit-Begriff aufgeführt, nämlich
folgende Bedeutungen zusammenfügen, gut
formen, perfekt machen, vervollständigen, schmücken, reinigen, fertigmachen,
vorbereiten usw.[3]
Nishijima Roshi: „Damit wird deutlich, dass dieser Begriff ganz eng mit dem wirklichen Handeln zusammenhängt. Er
würde sich damit von abstrakten Vorstellungen und Konzepten oder einem
losgelösten Geist unterscheiden. In diesem Kapitel ginge es um den Zusammenhang
des subjektiven Lebens mit den vielfältigen Gegebenheiten der Dinge und
Phänomene und mit dem augenblicklichen Handeln in der wirklichen Welt im
gegenwärtigen Augenblick“. Er unterstreicht: „Ich habe daher den Begriff
‚wirkliches Handeln‘ als Übersetzung für das Wort samskâra gewählt. Für mich ist damit das wirkliche Handeln in der
wirklichen Welt im gegenwärtigen Augenblick bezeichnet.“ Das wirkliche Handeln
sei als Schnittstelle zwischen dem subjektiven Erleben und der heterogenen Welt
zu verstehen. Und das wahre Handeln in der Realität könne sich nur vollziehen,
wenn wir im Gleichgewicht des Mittleren Weges seien.
Auch aus meiner Sicht
sollte das Handeln und Verändern festgefahrener und hemmender Verhaltensmuster
für das Verständnis des Begriffes samskâra
in den Mittelpunkt gerückt werden: Unheilsame und fixierte psychische und
geistige Muster sollen verlernt und
in heilsames Handeln „umgelernt“
werden. Die moderne Gehirnforschung sagt uns, das so etwas möglich ist! Diese
Bedeutung halte ich für umfassender als die bisher häufig gebräuchlichen
Übersetzungen wie „Tatabsichten“, „Zusammensetzungen“, „Dispositionen“,
„Bestimmungen“ oder „Veranlagungen“, weil das Tun, Handeln und Lernen sowie
deren wirkliche Steuerung zentrale befreiende Fähigkeiten unseres Lebens sind.
Demgegenüber sind Absichten und Bestimmungen im besten Fall Teil-Ursachen für
das Handeln, aber nicht die ganze Wirklichkeit des Handelns selbst. Peter Gäng
verwendet den Begriff „formende Kräfte“, der auch für mich überzeugend ist.[4]
Ich möchte den Ausdruck „formende Kräfte“ und „Handeln“ verwenden, aber auch
weitere Begriffe wie „Prägungen“ und „Handlungsmuster“ benutzen.
Aus der Gehirnforschung
haben wir also heute recht gute Kenntnis über die entsprechenden Funktionen des
neuronalen Netzes. Es handelt sich um Bahnungen, Teilnetze und Module, die
einerseits prägend sind und damit eine gewisse Dauerhaftigkeit haben, aber
andererseits selbst durch Handeln als Lernprozesse verändert werden können.
Diese Erkenntnisse entsprechen nach meinem Verständnis ziemlich genau der
Bedeutung des Begriffs samskâra.
Auch wenn im MMK der Bezug zu vielen Stellen aus den
authentischen Reden und Schriften Buddhas erkennbar ist, so erwähnt Nâgârjuna
im MMK nur ein einziges originales Sûtta von Buddha, das Kaccānagotta suttam – Buddhas Lehrrede zum Mittleren
Weg und zur Vermeidung von Extremen. Der Mittlere Weg hat eine enge Beziehung
zur Leerheit, um die es hier auch geht.[5]
Dieses Sûtta hat also eine
herausgehobene Bedeutung für das gesamte MMK, weshalb es sinnvoll und notwendig
ist, diesen Text genau zu analysieren. Er enthält in sehr kompakter Form die
zentralen Eckpunkte, an denen Nâgârjuna mit seiner Arbeit festmacht.
Buddha
erläutert dem verehrten Kaccāna die
beiden extremen Alternativen der Existenz
und der Nicht-Existenz oder anders
ausgedrückt: „Es ist“ oder „Es ist nicht“. Diese sind Extreme und
unvereinbaren Positionen. Deren Destruktion ist für die fulminante Lehre des
Mittleren Weges von größter Bedeutung und die Grundlage des MMK. Beide Extreme
wären in der Welt nicht real sichtbar und höchst spekulativ: „Existenz“ würde
Dauerhaftigkeit und unveränderte Ewigkeit bedeuten, „Nicht-Existenz“ das
Nichts. Das Nichts darf aber auf keinen Fall mit der Leerheit verwechselt werden, mit der Nâgârjuna das wechselwirkende
gemeinsame Entstehen (pratitya samutpada)
ohne Täuschungen bezeichnet.
Buddha erklärte die Nicht-Existenz im ersten Teil des Sûtta und seiner Antwort für den
jungen Kaccāna. Er legte dabei ein Weltbild der positiven
Veränderungen und Prozesse und nicht der unveränderlichen Entitäten und
Substanzen zugrunde. Dies nennt er die „rechte Erkenntnis des Entstehens in der
Welt“. Die Sichtweise der Nicht-Existenz lehnte Buddha besonders im Hinblick
auf das Entstehen eindeutig ab. Es
ist also nicht sinnvoll zu sagen, es
entsteht irgendetwas aus dem absoluten
Nichts oder aus der Nicht-Existenz.
Denn in den Prozessen und Abläufen der Welt gibt es immer ein Vorher, aus dem
sich das Nachfolgende entwickelt, und ein Nachher. Dies gilt vor allem beim
wechselwirkenden vernetzten Entstehen.
Bei allen Veränderungen im
Ablauf der Zeit dürfen wir jedoch die herausragende Bedeutung des Augenblicks und des Jetzt für unser Erleben und Erfahren nicht aus den Augen verlieren.
Die unmittelbare Wirklichkeit ist uns am besten im Augenblick zugänglich. Es gilt besonders beim wahren Handeln
und in der Meditation ohne Vorstellungen von Gegenständen, Gedanken und
Doktrinen. Das ist Zazen und ist eine sehr wichtige Wahrheit des Chan- und
Zen-Buddhismus. Zusammenfassend kann man sagen: Die Klarheit und Weite des Augenblicks als Zeitpunkt und der zeitliche
Prozess der Veränderungen lassen sich nicht trennen. Oder anders
ausgedrückt: Der wahre Augenblick gibt den lebenden
Impuls für Veränderungen und die Emanzipation des Menschen auf dem
Befreiungsweg, wie Buddha überzeugend selbst erfahren und gelehrt hat.
Augenblick und zeitlicher
Prozess gehören also zusammen und bedingen sich in Wechselwirkung. Man kann sie
nicht trennen. Daher spricht Dôgen von vier
verbundenen Zeiten der höchsten Weisheit: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
und Augenblick.[6] Bei
der Art der Klarheit des Augenblicks unterscheiden sich verschiedene Menschen
radikal. Die große umfassende Klarheit kann man mit dem Erleuchtungserlebnis,
dem Erwachen oder Hellblick gleichsetzen: Ohne
Klarheit im Augenblick gibt es keine Klarheit im Leben und auch keine Klarheit
beim Entscheiden.
Aus der Gehirnforschung
wissen wir, dass unsere Erinnerung nicht wie die unveränderliche Speicherung
beim Computer funktioniert.
Die menschlichen Informationen der erinnerten Vergangenheit werden je nach Zustand von Körper-und-Geist-und-Gefühlen im Augenblick reaktiviert. Sie werden dann wieder abgespeichert, jeweils emotional "gefärbt" und verändern sich daher meist deutlich im Lauf des Lebens: Wer mit einem Geist des Ingrimms und Hasses etwas erinnert und wieder abspeichert, verändert damit das Erinnerte selbst immer mehr zum Negativen. Auch das Umgekehrte kann man häufig beobachten: Die gute alte Zeit und das damalige Erleben werden im Lauf des Lebens immer goldener und schöner. Aber wenn man diese Verhaltensweisen und Funktionen unseres Gehirns kennt, kann man mit gründlicher Achtsamkeit und Selbstreflexion wirkungsvoll gegensteuern.
Die menschlichen Informationen der erinnerten Vergangenheit werden je nach Zustand von Körper-und-Geist-und-Gefühlen im Augenblick reaktiviert. Sie werden dann wieder abgespeichert, jeweils emotional "gefärbt" und verändern sich daher meist deutlich im Lauf des Lebens: Wer mit einem Geist des Ingrimms und Hasses etwas erinnert und wieder abspeichert, verändert damit das Erinnerte selbst immer mehr zum Negativen. Auch das Umgekehrte kann man häufig beobachten: Die gute alte Zeit und das damalige Erleben werden im Lauf des Lebens immer goldener und schöner. Aber wenn man diese Verhaltensweisen und Funktionen unseres Gehirns kennt, kann man mit gründlicher Achtsamkeit und Selbstreflexion wirkungsvoll gegensteuern.
Die formenden Kräfte des
Geistes und der Psyche sind also eng mit unseren Weltanschauungen und Doktrinen
verbunden. Unheilsame formende Kräfte führen zwangsläufig ins Leiden. Nâgârjuna
analysiert nun genauer, wie das wahre und falsche Verständnis dieser Kräfte
unterschieden werden kann und sagt:
Vers 13.1
Der Erhabene sprach: „Was trügerische Phänomene
(Dharmas) hat, das ist illusorisch und vergebens.“
Und alle formenden Kräfte und prägenden Muster können
diese trügerischen Dharmas haben. Dadurch sind diese formenden Kräfte und
Verhaltensmuster dann illusorisch und vergebens.
Die formenden Kräfte und
Verhaltensmuster (samskâra) des
Menschen können also verblendende und täuschende Phänomene haben. Solche
trügerischen Dharmas verzerren dann die Verhaltensmuster, Sichtweisen und
Prägungen des Menschen und führen zu unheilsamem Handeln, Denken und Fühlen.
Buddha sagt nicht, dass alle formenden Kräfte immer und absolut trügerisch und
unheilsam sind, wie manche Autoren behaupten. Vielmehr geht es ihm genau um
diejenigen formenden Kräfte und Muster, die trügerisch sind, weil sie
trügerische Phänomene beinhalten. Klare, heilsame Verhaltensmuster sind jedoch
für unser Leben und die rechte Sichtweise der Wirklichkeit außerordentlich
wichtig. Wahres Handeln ist gerade ein Kennzeichen der Bodhisattvas und
ist in Wechselwirkung mit heilsamen formenden Kräften und den rechten
Verhaltensmustern, wie Nishijima Roshi bestätigt.
Es ist für mich erstaunlich, wie weit die
verschiedenen Interpretationen des Begriffs samskâra
auch bei bekannten Autoren voneinander abweichen. Hier muss sicher noch
Grundlagenforschung ansetzen, um notwendige Klärungen zu erarbeiten. Dazu
möchte ich hiermit einen Beitrag leisten. Dabei kann die Gehirnforschung
tragfähige neue Einsichten einbringen, denn unser Gehirn und neuronales Netz
ist nicht zuletzt ein Muster erkennendes und erzeugendes System.[7]
Nâgârjuna zitiert am Beginn dieses Verses Buddha, der
ganz einfach davon spricht, dass etwas in der Welt unwahr ist, das trügerische
Dinge, Phänomene und Prozesse hat. Das wird im Folgenden vertieft analysiert
und mit den Komponenten des Menschen in Verbindung gebracht.[8].
Verhaltensmuster sind vor allem dann trügerisch, wenn
wir sie als unveränderliche konstante Entitäten, als „fixiertes Seiendes“ und
nicht als wechselwirkendes und prozesshaftes gemeinsames Entstehen begreifen.
Wenn wir uns etwas als unveränderliche dauerhafte Entität oder Substanz
vorstellen, bewegen wir uns im Bereich der Ideologien, Dogmen, Fiktionen und
der Metaphysik. Sie ist nach Heidegger auch im Westen am Ende.[9]
Manchmal handelt es sich um naiven Glauben, der aber nicht im Bereich der
klaren Beobachtung unserer Wirklichkeit zu Hause ist. Denn die Wirklichkeit ist
komplex und hoch vernetzt, sie ist nicht eindimensional.
Da sich alles in der Welt verändert, wenn auch mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit, kann es unveränderliche Einheiten überhaupt nicht geben. Dies gilt gerade für die menschliche Komponente der formenden Kräfte. Im Fall von unveränderlichen Entitäten wären auch keine Prozesse der Befreiung, Weiterentwicklung und Emanzipation des Menschen möglich. Die formenden Kräfte müssen dann als „unwahr“ bezeichnet werden, wenn sie als statisch und unveränderlich gedacht werden.
Da sich alles in der Welt verändert, wenn auch mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit, kann es unveränderliche Einheiten überhaupt nicht geben. Dies gilt gerade für die menschliche Komponente der formenden Kräfte. Im Fall von unveränderlichen Entitäten wären auch keine Prozesse der Befreiung, Weiterentwicklung und Emanzipation des Menschen möglich. Die formenden Kräfte müssen dann als „unwahr“ bezeichnet werden, wenn sie als statisch und unveränderlich gedacht werden.
In diesem Vers wird in drastischer Weise danach
gefragt, was durch trügerische Phänomene verzerrt, verdreht und moralisch
negativ beeinflusst wird.
Nagarjuna zieht in diesem
Kapitel die Schlussfolgerung, dass Leerheit
der maßgebliche Begriff für das wechselwirkende
gemeinsame Entstehen und die formenden Kräfte von Geist und Psyche ohne
Blockaden ist. Er sagt:
Vers 13.2
Weil das, was trügerische Dharmas hat, illusorisch
und vergebens ist, fragt sich, was dort betrogen wird.
Und dieses (was betrogen wird) ist die Leerheit, die
durch den Erhabenen genannt und voll erhellend ist.
Das ist ein fulminante Aussage! Die Leerheit ist die
Bezeichnung für die Wirklichkeit ohne
täuschende Dinge, Phänomene und
Prozesse. Dies wird leider häufig falsch verstanden. Durch die Leerheit wird
nach Nâgârjuna der Mittlere Weg zur weiteren Befreiung und zum Erwachen eröffnet. Die Wirklichkeit wird aber oft
durch vielfältige Ideologien, Doktrinen und Verblendungen unwahr. Das heißt,
Leerheit kann es bei einer Weltanschauung und Doktrin von unveränderlichen
Entitäten und Substanzen (Substantialismus) überhaupt nicht geben. Leerheit
bedeutet: „ohne Verblendungen und ohne unheilsame Doktrinen“. Verblendung und
Wirklichkeit schließen sich aus. Eine Doktrin der Statik, Fixierungen und
Unveränderlichkeit ist daher etwas Unwahres. Sie ist eine falsche Ideologie und
hat trügerische Dharmas, also trügerische und unwahre Dinge, Phänomene,
Ereignisse und Prozesse. Sie führt zu trügerischen Verhaltensmustern,
trügerischen formenden Kräften und unmoralischem Handeln.
Nishijima Roshi übersetzt den Sanskritbegriff shûnyatâ der Leerheit mit „Gleichgewichtszustand“. Er hält das vulgäre Verständnis der Begriffe Leerheit oder Leere für irreführend, unklar und sogar für gefährlich. Denn es gehe nicht um das Nichts, sondern gerade um die volle Wirklichkeit der Welt und des Lebens. Shûnyatâ beziehe sich also auf eine Welt, die nicht durch Ideologien oder täuschende sinnliche Wahrnehmungen sowie Emotionen verdeckt und verzerrt sei und folgert, „dass der Begriff des Gleichgewichts für mich besser geeignet erscheint“. Verkürzt ausgedrückt sagt Nâgârjuna, dass es die höchste Wahrheit ist, dass die Welt leer von der Doktrin einer absoluten Wahrheit und substantialistischer unveränderlicher Substanzen ist: Absolute Doktrinen sind nicht wirklich. Damit sind sie gerade nicht leer und daher unwahr. Sie führen zum Schmerz und Leiden. Und weiter:
Nishijima Roshi übersetzt den Sanskritbegriff shûnyatâ der Leerheit mit „Gleichgewichtszustand“. Er hält das vulgäre Verständnis der Begriffe Leerheit oder Leere für irreführend, unklar und sogar für gefährlich. Denn es gehe nicht um das Nichts, sondern gerade um die volle Wirklichkeit der Welt und des Lebens. Shûnyatâ beziehe sich also auf eine Welt, die nicht durch Ideologien oder täuschende sinnliche Wahrnehmungen sowie Emotionen verdeckt und verzerrt sei und folgert, „dass der Begriff des Gleichgewichts für mich besser geeignet erscheint“. Verkürzt ausgedrückt sagt Nâgârjuna, dass es die höchste Wahrheit ist, dass die Welt leer von der Doktrin einer absoluten Wahrheit und substantialistischer unveränderlicher Substanzen ist: Absolute Doktrinen sind nicht wirklich. Damit sind sie gerade nicht leer und daher unwahr. Sie führen zum Schmerz und Leiden. Und weiter:
Vers 13.8
Die Leerheit wurde von den siegreichen Buddhas als
Ausweg für alle (doktrinären und täuschenden) Ansichten gepriesen.
Aber (die Buddhas) bezeichneten diejenigen als
unheilbar, die die Leerheit selbst als doktrinäre Ansicht haben und sich daher
nicht vollenden können.
Dieser Vers warnt
eindringlich davor, dass Leerheit selbst zur absoluten Ideologie erhoben wird.
Ein Mensch mit solcher Doktrin sei unheilbar! Ein ungenaues oder sogar falsches
Verständnis der Leerheit vertreten leider manche Autoren, die Nagatrjunas
Präzisierungen offensichtlich nicht kennen. In manchen buddhistischen Gruppen
gibt es vereinfachte und abenteuerliche Vorstellungen von Leerheit. Die
Verbindung des Begriffs Leerheit mit dem gemeinsamen Entstehen in Wechselwirkung
analysiert Nâgârjuna allerdings detailliert im folgenden Kapitel 24 des MMK.
Offensichtlich war ihm bewusst, dass gerade der Begriff und die Bedeutung der
Leerheit erhebliche Unsicherheiten erzeugen kann.
Wer die Veränderlichkeit
ablehnt und eine dauerhafte unveränderliche Substanz, Essenz, Existenz, Entität
oder die fiktive Wirklichkeit des âtman, des Substanz-Selbst oder der Dharmas
behauptet, steht im fundamentalen Widerspruch zu Gautama Buddha. Seine
Befreiungslehre beinhaltet als buddhistische Kern-Weisheit gerade die
Veränderlichkeit und Umwandlung sowie das Zur-Ruhe-Kommen der Gifte Gier, Hass
und Verblendung. Um aus dem Leiden dieser Welt herauszukommen, sind
Veränderungs- sowie Lern- und Verlernprozesse voller Kreativität unabdingbar.
Absolute Doktrinen sind dagegen verhängnisvoll. Sie müssen erkannt und
tatkräftig mithilfe der Lehren Buddhas aufgelöst werden. Durch die Leerheit von
absoluten Doktrinen können sich die formenden Kräfte dann voll positiv
entfalten und neue kreative Entwicklungen steuern.
[1] Nâgârjuna: The Philosophy of the Middle Way
(Übersetzer: David J. Kalupahana), S. 217ff.
Nagarjuna: Fundamental Wisdom of the Middle Way. Nagarjuna’s Mulamadhyamakakarika (Translation: Gudo Wafu Nishijima), S. 128ff.
Nagarjuna: Fundamental Wisdom of the Middle Way. Nagarjuna’s Mulamadhyamakakarika (Translation: Gudo Wafu Nishijima), S. 128ff.
[2] Nagarjuna: MMK, Kapitel 24, Vers 18
[3] Monier-Williams, Monier: Sankrit-English Dictionary
[4] Gäng, Peter: Meditationstexte des
Pali-Buddhismus I, S. 43ff.
[5] Die Verbindung von gemeinsamem
Entstehen in Wechselwirkung, Leerheit und Mittlerem Weg analysiert Nâgârjuna in
Kapitel 24, Vers 18 des MMK.
[6]
Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren
Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 1, S. 50ff.
[7] Spitzer, Manfred: Geist im Netz. Modelle für Lernen,
Denken und Handeln
[8] Gäng, Peter: Meditationstexte des
Pali-Buddhismus I, S. 43ff.
[9] Heidegger, Zeit und Sein