Meister Dōgen beschreibt in diesem Kapitel (Butsu kōjō nu ji), dass ein erwachter Mensch, ganz natürlich weiterlebt, sich weiterentwickelt und geistig nicht stehen bleibt. Aber was passiert, wenn er aus der Verwirklichung zurück fällt, weil er nicht mehr praktiziert und nicht mehr als Erleuchteter handelt? Denn die Erleuchtung und das Erwachen sind kein statischer Dauerzustand, den der Mensch einmal erreicht und dann für immer behält. Solche Illusionen sind zwar nachvollziehbar aber falsch. Erleuchtung ist kein materielles Ding und schon gar nicht eine unveränderliche ewige Substanz, die man ergreift und dann für immer besitzt. Davon träumen sicher manche, aber Illusionen schlagen als Leiden zurück, wie Buddha und Dôgen betonen.
Dies
kann man auch als´ Leben nach der Erleuchtung´ bezeichnen. Drei starken Pfeiler
eines solchen Lebens sind Zazen-Meditation, Bodhisattva-Handeln und Überwindung
des Leidens. Wer erwacht ist, versucht nicht den Zustand eines Erleuchteten starr
und mit verkrampfter Willens-Anstrengung festzuhalten, sondern praktiziert und
handelt natürlich weiter, auf menschlich sehr hohem Level. Er ist nicht
verkrampft auf die angebliche übernatürliche Erleuchtung fixiert. Dann wird er
nicht weiter kommen. Er hat also viel Freude im Leben und macht anderen viel
Freude. Um es mit Buddha zu sagen: Er praktiziert und übt das gemeinsame,
heilsame Entstehen in Wechselwirkung und ist ´gut drauf´.
Ich
hatte das große Glück, Nishijima Roshi als Lehrer zu haben, der genau so lebte.
Und Buddha sagte klar und deutlich, dass jeder Mensch die grundsätzliche
Veranlagung dazu hat. Jeder hat also das Potential und die Möglichkeiten, sein
Leben tiefgreifend zum Besseren zu verändern. Meister Dôgen sagt ganz klar,
dass diese Verwandlung fast von allein geschieht, wenn man die Übungen jeden
Tag verlässlich praktiziert. Ich vertraue Buddha und Dôgen dabei voll und ganz.
Dies gilt auch für den Zen-Weg des Bogenschießens wie Eugen Herrigel in seinem
berühmten Buch überzeugend sagt: "Es hat geschossen!" Wenn man nämlich
ausdauernd geübt hat. Die Ausdauer der Praxis ist daher echt wichtig.
Dōgen
verwendet dabei den Begriff „Buddha“ auch für die großen alten Meister in
China, beschränkt ihn also nicht auf Gautama Buddha oder die legendären alten
indischen Buddhas. Er spricht häufig von einem ewigen Buddha, wenn er die
großen Meister wie Nāgārjuna, Bodhidharma, Daikan Enō, Seppō, Gensa oder Tendō
Nyojō usw. meint. Er sagt von Ihnen, dass sie als „Buddhas“ eigentlich gar
nicht als etwas Besonderes wahrgenommen werden können, weil sie eine natürliche
höchste Form eines Menschen verwirklicht haben. Sie sind schlicht wahre
Menschen. Dōgen verehrte diese Meister sehr, er sah auch bei ihnen individuelle
Unterschiede. Er hinterfragte oder kritisierte zum Teil sogar ihr Verständnis
des Buddha-Dharma. Außerdem ist der Zustand eines Buddha in dauerndem Wandel und
dauernder Entwicklung begriffen, ist also nicht statisch und fixiert. Er hat
die Doktrinen von scheinbaren unveränderlichen Substanzen für den Menschen und
für die die Dinge und Phänomene überwunden. Das betont Meister Nagarjuna
besonders in seinem großen Werk zum Mittleren Weg.
Die
großen Meister entwickeln sich immer weiter. Dabei ist es nach Dōgen unbedingt
erforderlich, die buddhistische Übungspraxis, also vor allem Zazen als
Shikantaza, fortzusetzen und das eigene Handeln in immer bessere
Übereinstimmung mit der Ethik des Buddha-Dharma zu bringen. Denn ohne ethisch
gutes Leben kann sich die Erwachen nicht ereignen.
Wenn
man heute hört, dass die selbst ernannte Meister verkünden, nicht mehr
praktizieren zu müssen, weil sie voll erleuchtet seien, so ist dies Unsinn. Es
ist vielmehr ein sicheres Zeichen dafür, dass sie keine wahren Meister sind, sondern
dies nur vorspielen. Nishijima Roshi wurde nicht müde zu lehren, dass man an
jedem Tag praktizieren solle. Dann hat jeder Tag den hohen Lebenszustand des
Buddhismus. Denn im Zen gibt es keine Trennung von Praxis und Erleuchtung, sie
verwirklichen sich zugleich. Oder auch nicht, wenn man zwischen Subjekt und
Objekt scharf unterscheidet.
Die
aus der gewissen asiatischen Tradition erwachsene hierarchische Rolle eines
Meisters verführt manche im Westen zu Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit.
Dies wird oft noch von einer zur Schau gestellten Unterwürfigkeit der Schüler
verstärkt, sie werden zu "devoties" und entwickeln sich nicht mehr
weiter. Im Gegenteil, sie sind abhängig und von außen konditioniert! Manchmal
werden sie also immer höriger und unselbständiger. Dabei werden von solchen falschen
„Meistern“ häufig schwer verständliche und intellektualisierte Begriffe wie
„Leerheit, Tranzendenz, Überwindung des Dualismus“ usw. verwendet. Sie wollen
sich selbst den Glanz eines Meisters zu geben, der dies alles einschließlich
der buddhistischen Paradoxien „versteht“. Und in Wirklichkeit kann man diese
Begriffe ganz gut verstehen, wenn man sie nämlich verstanden hat. Ein wahrer
Buddha handelt nach Dōgen einfach, direkt, unkompliziert, offen und mitfühlend
gegenüber jedem Menschen, ohne sich sonderlich von ihm abzugrenzen und auf ein
Podest zu stellen. Und er ist auf einfache Weise klar: im Handel, Fühlen und
Denken. Ihm gelingt eine positive lebendige Wechselwirkung mit den Schülern und
Teilnehmern der buddhistischen Gruppe. Dôgen verdeutlicht, dass ein wahrer
Meister sein einfaches Leben im Alltag fort setzt, als ob nichts Besonderes
geschehen sei, und praktiziert laufend weiter. Und in Wirklichkeit ist etwas
Besonderes passiert.
Im
Zen-Buddhismus gibt es viele Berichte, dass der Meister und Abt eines Klosters
für einen unerfahrenen Dritten überhaupt nicht zu erkennen war, weil er ganz
normal in der Gemeinschaft mitarbeitete. Die Erleuchtung ist nach Nishijima
Roshi ein Leben des Mittleren Weges im Gleichgewicht, und zwar vor allem in der
Balance des vegetativen Nervensystems. Es ist also keinesfalls nur ein transzendentes
übernatürliches Gleichgewicht des isoliert gedachten Geistes, sondern des
ganzen Menschen. Im Gegenteil: Es ist gerade natürlich. Nachdem die großen
Meister und Buddhas die natürliche Wahrheit verwirklicht haben, leben sie also
einfach und fast unauffällig weiter. Sie handeln im gegenwärtigen Augenblick,
im Hier und Jetzt je nach der lebendigen Situation. Dōgen bezeichnet sie
„Menschen jenseits von Buddha“. Er meint damit nicht zuletzt, dass fixierte
Begriffe und doktrinäre Vorstellungen von "Buddha" überwunden sind.
Er gibt die folgende Geschichte wieder: Ein großer alter Meister sagte in einer
Dharma-Rede:
„Wenn ihr den Zustand jenseits von
Buddha vollkommen mit dem Körper erfahren habt, habt ihr wirklich die
Möglichkeit, ein wenig wahr zu reden.“
Ein
Mönch aus der Zuhörerschaft hatte jedoch offensichtlich besondere Vorstellungen
vom Zustand der Erleuchtung und fragte daher:
„Was ist diese Redeweise?“
Um
den Mönch in die konkrete Wirklichkeit zu holen, sagte der Meister:
„Wenn du
Mönch (zum Beispiel) redest, kannst du nicht zuhören.“
Der
Mönch war natürlich verblüfft über diese Antwort und fragte weiter:
„Hört der Meister selbst, während er
spricht, oder nicht?“
Der
Meister sagte darauf trocken:
„Wenn ich nicht rede, dann höre ich
zu.“
Nishijima
Roshi vermutet, dass der der Mönch vielleicht romantische Vorstellungen vom
übernatürlichen Zustand des Erwachens und der Erleuchtung hatte, die er selbst
unbedingt erreichen wollte. Er dachte wohl, dass dann das Leben total anders
sei und einen völlig neuen Glanz hat. Er hoffte wohl, dass bei ihm ganz
großartige neue und übernatürliche Fähigkeiten und Kräfte entstehen würden, die
er vorher überhaupt noch nicht ahnte und kannte. Vermutlich meinte er auch,
dass man als ein großer erleuchteter Meister und Buddha gleichzeitig reden und
hören kann. Vielleicht dachte er sogar, dass man beim Reden in übernatürlicher
Weise versteht, was die anderen sagen wollen, ohne die Worte des anderen zu
hören. Der Meister sagte ihm daher nüchtern, dass man immer das, was man gerade
tut, mit ganzem Herzen, ganzer Aufmerksamkeit, also mit Körper und Geist, tun
soll. Wenn man redet, soll man wahrhaftig, klar und treffend reden, um anderen
das Wichtige lebendig zu übermitteln. Wenn man dagegen zuhört, sollte man dies
auch mit ganzer Aufmerksamkeit und mit dem ganzen Körper und Geist tun.
Falschen Meistern fällt übrigens das Zuhören oft ziemlich schwer!
Das Handeln des Sprechens und Hörens setzt sich nach dem
Erwachen und dem Erlangen der Wahrheit des Buddhismus nach Dōgen jeweils
einfach fort. Es wird eher noch einfacher und unmittelbarer als vorher. Dabei
erkennt ein Dritter intuitiv die Lebensfreude und den Optimismus des Erwachten.
Dem ist Meister im Übrigen bewusst, dass auch die Sprache ihre Grenzen hat und man
nicht alles ausdrücken kann. Dōgen sagt hierzu:
„Denkt daran:
Sprechen, und ist weder vom Hören noch vom Nicht-Hören verunreinigt. Daher ist
das Hören oder Nicht-Hören unwichtig für das wahre Reden.“
Beim
wahren Sprechen entsteht eine neue positive Verbindung der Anwesenden, so dass
man zwischen Subjekt und Objekt nicht mehr sinnvoll trennen kann. Der Dualismus
ist überwunden. Es entsteht die von Buddha betonte gemeinsame Wechselwirkung,
ein Kernstück der Lehre auf dem Weg der Erleuchtung. Die Verunreinigungen
breiten sich dagegen durch unheilsame Doktrinen aus, besonders durch Gier, Hass
und Verblendung. Das gilt heute besonders für Hass-Videos und spaltende
digitale Netze. Es geht vor allem nicht darum, dass jeweils einer sich durch seinen
Beitrag hervortut. Man kann auch nicht von Geben und Nehmen der dinghaften Informationen
sprechen, etwa so als ob ein Sprechender ein Informations-Ding oder eine unveränderliche
isolierte Substanz an den Zuhörer übergibt.
Wir würden heute sagen, dass dies die wesentlichen Merkmale einer
wirklichen Kommunikation sind, die lebendig im Augenblick alle Anwesenden
erfasst und damit dynamisches Neuland im Geist und im Fühlen erschließt. Es
wird nach Niklas Luhmann ein neues, lebendes, soziales System erzeugt, das über
die getrennten Individuen hinausgeht. Auch Ulrich v. Weizsäcker betont die
Kreativität der Kommunikation, die etwas Neues bewirkt und im positiven Sinne „ansteckend“
ist.
Ein
nur auf sich selbst bezogener imponierender Gedanke beim Reden wie, „ich bin
jetzt jenseits von Buddha“, wäre dabei sehr hinderlich und würde die lebendige
Kraft und Wechselwirkung des Gesprächs stören oder ganz verhindern. Ein solches
Verhalten würde sich wie eine verschmutzte Glasscheibe zwischen die Menschen
schieben und ein lebendiges, kreatives Gespräch ausschließen. Im Zustand
jenseits vom Erwachen verwirklicht sich dagegen das wahre Reden, das die
individuelle oder isolierte Person übersteigt. Aber Dôgen betont auch, das es
kein total perfektes Sprechen und allwissendes Denken gibt. So etwas ist
Illusion und Extrem und daher unwahr.
Der
Buddhismus verwirklicht sich besonders beim Handeln, und dieses wird selbst als
Erwachen verstanden und erlebt. Aussagen wie der „Zustand jenseits von Buddha“
oder auch unsere Vorstellungen sind nur Abstraktionen und führen eher aus dem
Handeln im Hier und Jetzt heraus. das Handeln im Hier und Jetzt ist die natürliche
Qualität der Wirklichkeit, während konstante oder fixierte Zustände,
Gegenstände und unveränderliche Personen abstrakte Vorstellungen sind. Sie sind
nach Nagarjuna als Pseudo-Substanzen verhärtet. Diese sind zwar irgendwie mit
dem Handeln verbunden, aber sie können unmöglich die umfassende natürliche
Wirklichkeit sein. Buddha und Nagarjuna nennen sie "Gemeinsames Entstehen
in Wechselwirkung, pratitya samutpada".
So ist das handelnde Sprechen jeweils im Augenblick niemals das Hören und der
Partner hört ja. Wir können dies so ausdrücken: Der wahre augenblickliche Zustand
jenseits des Erwachens verwirklicht sich in der obigen Geschichte, wenn der
Meister direkt spricht, und der Meister kann nicht gleichzeitig reden und
zuhören. das wäre im Übrigen falsches multi-tasking: Zu viele Handlungen
zugleich stören sich, alles wird oberflächlicher. Das Handeln des Sprechens wird
also nicht vom Hören gestört. Dōgen drückt dies so aus: "Das Sprechen ist weder
vom Hören noch vom Nicht-Hören verunreinigt“.
Die
Formulierung „Hören und Nicht-Hören“ besagt, dass es sich um doktrinäre
Unterscheidungen des Verstandes und der Begriffe auf einer recht hohen
Abstraktionsebene handelt, die von der unmittelbaren Wirklichkeit des
Augenblicks wegführt. Das Sprechen ist nach Dôgen in sich verwoben und
vernetzt, weil die einzelnen Worte ihren Sinn erst im Zusammenhang ergeben. Das
ist die zentrale Bedeutung des gemeinsamen Entstehens in Wechselwirkung, pratitya samutpada. Denn ein einzelnes
Wort, das von anderen Worten isoliert ist, ergibt beim Sprechen keinen Sinn. Es
wären nur ein zusammenhangloser Einzel-Begriffe und sinnlose Geräusche. Die Worte beziehen sich also in lebendiger
Weise aufeinander und ergeben das, was Dōgen „die Entwicklung jenseits von
Buddha“ nennt. Sie sind eine wahre Dharma-Rede eines großen Meisters. Es ist
unsinnig anzunehmen, dass ein solcher Meister von seiner eigenen Rede selbst
verliebt beeindruckt ist und dass er seiner eigenen Rede ergriffen lauscht. Die
Rede ist nicht mehr oder weniger einfaches Handeln.
Der
Meister wartet während seiner Rede auch nicht gebannt darauf, dass er bald
selbst zuhören kann, denn dies würde seine Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt
ausdünnen. Er tut das, was er gerade tut, ganz und wirklich. Er bewertet nicht,
ob es besser oder schlechter ist, zu reden oder zu hören, sondern er handelt
unmittelbar, wie es die Situation mit den Zuhörern erfordert. Es hat auch keinen
Sinn zweifelnd darüber nachzudenken, ob das Reden beendet werden soll, um
danach besser zuzuhören. Reden und Zuhören haben jeweils ihre eigene Bedeutung
und ereignen sich lebendig je im Augenblick.
Es
wäre nach Dōgen sehr abstrakt zu denken, dass sich das Hören sozusagen in der
Rede verbirgt, so als ob es bereits als Ding oder Substanz vorhanden wäre, aber
noch nicht von außen erkannt werden kann oder will. Das wäre
substantialistische Doktrin, die von dem indischen Meistern Nagarjuna und
Vasubandehu überzeugend falsifiziert wird. Es leuchtet unmittelbar ein, dass
dies nur eine gedankliche Konstrukte ist, die beim wahren Reden nicht
weiterführen, sondern hinderlich sind. Buddha fasst solche Fehlentwicklung in
den fünf Hemmnissen des Erwachens zusammen. Dabei sind besonders Kritiksucht,
Übelwollen, Hektik und Trägheit zu nennen. Während positiv die Faktoren der
Erleuchtung Genauigkeit, Freude und Gelassenheit genannt werden. Wenn man
spricht, erfährt man dies mit dem ganzen Körper-Geist, und wenn man aufgehört
hat zu reden, erfährt man dies ebenfalls mit dem ganzen Körper-Geist, und dann
hört man zu. Das handelnde Reden und Hören ist die charakteristisch für die
buddhistische Wirklichkeit,. Sie ist der Zustand jenseits von den Ideen über Erleuchtung
und Buddha und vollzieht sich in einem erweiterten intuitiven und vor allem
klaren Bewusstsein.
Dōgen
zitiert den großen Meister Tōsan. Er war der zweite Nachfolger von Meister
Daikan Enō in seiner eigenen Linie war. Er lehrte :
„Ihr sollt wissen,
dass es Menschen im lebenden Zustand jenseits von Buddha wirklich gibt.“
Er
bezog die Weiterentwicklung nicht auf abstrakte und heilige Lehrinhalte eines
Buddha oder großen Meisters, sondern meinte damit die Entwicklung als Handeln
selbst, und zwar Handeln in der Zazen-Praxis, im Alltag, im Denken, Reden, Fühlen,
Zuhören usw. Daher antwortete ein Meister auf die Fragen des Mönches, was ein
Mensch jenseits von Buddha eigentlich ist:
„Ein Nicht-Buddha.“ Das heißt, er ist nicht Vorstellung oder
Doktrin von Buddha sondern die von Doktrinen
entleerte Wirklichkeit und gerade kein hohler Begriff.
Andere Meister sagen:
„Wir können es nicht
benennen und wir können es nicht mit Worten beschreiben: Deshalb nennen wir es
"Nicht-Buddha ist Nicht". Oder
„als geschicktes
Hilfsmittel nennen wir es Buddha.“
Die
Sprache reicht damit nicht aus, um das, was Buddha ist und bewirkt, erschöpfend
zu beschreiben und wir können den Begriff nur als geschicktes Hilfsmittel für
den Buddha-Dharma verstehen. Aber ohne Sprache geht es auch nicht, wir sollten
sie sinnvoll verwenden. Diese Aussagen verdeutlichen, dass es um die von
Doktrinen entleerte Wirklichkeit selbst geht. Das Handeln wird natürlich und
wie selbstverständlich fortgesetzt, wenn man den Zustand eines Buddha oder
eines großen Meisters und damit die Wahrheit erlangt und Doktrinen überschritten
hat. Dōgen bedauert, dass es in den verschiedenen Linien des Buddha-Dharma
große Meister gegeben habe, die diesen Zusammenhang nicht klar erkannt hätten.
Man müsse den Zustand jenseits von Buddha auch mit dem Körper, als ganzer
Mensch, also handelnd erleben, um „ein wenig zu sprechen", wie es heißt.
Ein
Meister sollte sich der Begrenztheit der sprachlichen Möglichkeiten zwar
bewusst sein, wenn er den Dharma lehrt, aber wenn er im Zustand jenseits der
Idee von Buddha redet, ist es möglich, wirklich zu sprechen. Dann bewegt es die
Menschen und führt sie auf den Weg der Befreiung und des Erwachens aus
Vorurteilen und Ideologien. Die Praxis und Erfahrung dieser Menschen ist immer
ganz real und auf das Hier und Jetzt bezogen. Das kraftvolle Handeln, das dann
möglich wird, gewinnt dabei nach Dōgen etwas Leichtes fast Spielerisches und
löst sich aus Verkrampfungen, Statik und Starrheit. Es ist nicht eigensinnig
und nicht ich-bezogen, sondern fügt sich in die gesamte Umgebung der Menschen
und die Umstände harmonisch ein. Es biedert sich aber nicht an und ist nicht
lasch.
Wir
sollten unbedingt wissen, dass es solche Menschen wirklich gibt, und uns
gleichzeitig davor hüten, sie verkrampft und verbissen zu suchen, weil wir sie
unbedingt finden wollen. Denn auf dem authentischen Buddha-Weg ereignet sich
die Erleuchtung wirklich. Darauf könnt ihr vertrauen, das ist kein leeres Gerede
und keine abgehobene Ideologie. Dann sind Bezeichnungen wie „Buddha“ oder „Erleuchtung“
eigentlich überflüssig, so dass man auch sagen könnte „kein Buddha“.
Sagen
kann man alles, wie mein Lehrer Nishijima Roshi gern sagte. Wichtig ist, dass
Idee und Handeln sind in kraftvoller Wechselwirkung sind. Denn der Erwachte
ist, wie Dōgen sagt, ein natürlicher Mensch mit zwei Beinen, der wie alle auf der
realen Erde geht und sich vollständig von fixierten Ideen und illusionären Bildern
befreit hat. Wir setzen hinzu: "Wer sich von Fake-News befreit hat!"
Ein
großer Meister beschrieb einmal einen Menschen, der sich über die Vorstellung
von Buddha hinaus entwickelte:
„Es ist ein großer Mensch, der keinen (nur gedachten) Samen
der Buddha-Natur besitzt. Wenn er den (nur begrifflichen) „Buddha“ trifft,
tötet er einen solchen Buddha. Wenn er nur die Bezeichnung „Vorfahren im
Dharma“ trifft, tötet er solche „Vorfahren im Dharma“. Der Himmel kann ihn
nicht annehmen und auch die Hölle hat kein Tor, um ihn einzulassen. Mönche! kennt
ihr einen solchen Menschen oder nicht?“
Nach
dieser Frage entstand eine Pause bei den Zuhörern, und der Meister fügte hinzu:
„Der Mensch, der vor euch steht, ist nicht besonders klug.
Er schläft viel und redet eine Menge im Schlaf.“ Zweifellos: Dieser Meister war
voll erwacht!
Was
bedeutet ein solcher fast brutaler Zen-Spruch nun wirklich? Ist damit gemeint,
dass man den wahren lebenden Buddha töten muss, um frei zu werden und sich
weiterzuentwickeln? Das kann wohl nicht sein.
Dōgen
erläutert, dass sich ein solcher Mensch aus der einseitigen Abhängigkeit von
seinen eigenen sechs Sinnen befreit hat. Das wäre Materialismus. Seine Augen sagen
uns, dass er nicht von Gier, Leidenschaften, Hass Narzismus und ungesteuerten
Emotionen bewegt und getrieben wird. Er hat die fantastischen Bilder und
Vorstellungen einer goldenen Buddha-Figur hinter sich gelassen, denn diese sind
letztlich nur Bilder und nicht die Wirklichkeit des buddhistischen Lebens. Genauso
hat er die negativen Sichten eines „Schlamm-Buddha“ verlassen. Seine Buddha-Figur
ist einfach aus Holz geschnitzt, wie dies früher häufig in China anzutreffen
war. Seinen Geist hat er in der buddhistischen Praxis viele Jahre lang geschult
und geklärt, so dass er einem „alten zerbrochenen Holzlöffel“ gleicht, der viele
Jahre lang benutzt wurde.
So
hat er die theoretischen oder abgehobenen Vorstellungen und Bilder von Buddha
getötet, denn er ist dem wahren Buddha als der großer Wahrheit direkt begegnet.
Beeindruckende aber illusionäre Vorstellungen und Worte von Himmel und Hölle
sind ihm fremd, sie sagen ihm nichts. Wenn es sie gäbe, würde er selbst in der
Hölle gar keine Aufnahme finden, weil er nicht hineinpasst. Er wäre zum
Beispiel als Höllenwächter völlig ungeeignet. Er muss nicht überragend
intelligent sein und hat vielleicht kein großartiges komplexes Wissen
aufzuweisen. So steht er einfach da, lächelt und lebt sein natürliches Leben
mit den anderen. Und jeder sieht: Er ist ein befreiter zufriedener Mensch.
Aber
er hat ein umfassendes, tiefes Verständnis der Berge und der ganzen Erde; sie
sind ihm vertraut und ans Herz gewachsen. Dōgen formuliert es folgendermaßen:
„Sein ganzer Juwel- und Steinkörper ist in hundert Teile und
Stücke zersprungen.“ Er ist zur lebendigen Natürlichkeit erwacht.
Diese
eigenartige Formulierung, die der Ausdrucksweise im Kapitel des Shobogenzo über
den ewigen Spiegel ähnelt, bedeutet nach Nishijima Roshi, dass alle
fantastischen, juwelenartigen, aber nicht wirklichen Bilder und Vorstellungen
zersprungen sind, genauso wie die gewöhnlichen Abbildungen aus Steinen und Edelsteinen.
Damit werden von Dōgen die täuschenden nur idealistischen und auch die
vordergründigen materiellen Bereiche des Lebens überschritten.
Dôgen
untersucht anschließend die Bedeutung des Namens eines Menschen. Er stellt
fest, dass die üblichen Familiennamen, an die wir uns gewöhnt haben, bei der
Entwicklung jenseits von Fixierung auf "Buddha" keine Bedeutung mehr
haben. Man mag an diesen Namen hängen oder nicht, man hat sich sicher an sie
gewöhnt, aber zur Frage des Standes jenseits von der Vorstellung von Buddha ist
dies alles unwesentlich. Ob man seinen bürgerlichen Namen als Mönch weiterhin
verwendet oder nicht, hält Dōgen für unwichtig. Man kann es tun, wenn es für
die gute Kommunikation hilfreich ist. Manche Buddhisten hängen dagegen sehr an
ihrem Dharma-Namen. Dōgen würde dies nicht unterstützen, es könne sogar
gefährlich für die wahre eigene Entwicklung werden. Darauf sollten wir achten.
Man
kann das Handeln jenseits des Zustandes von "Buddha" ganz von einem
einzelnen individuellen Menschen loslösen und besser von einem Weg der
Weiterentwicklung sprechen. Diesen Weg findet man vor allem durch die
buddhistische Übungspraxis und die authentische Lehre. Letztlich kann der Weg
nicht von einem Erwachten auf einen anderen übertragen werden. Dieser eigene
Weg überschreitet die Möglichkeiten ihrer gelehrten Weisheit und Heiligkeit des
bestimmten Menschen.
In
dem Zustand des Lebens und Handelns jenseits von "Buddha" gibt es
keine Trennung mehr von Subjekt und Objekt, von außen und innen, von der
„Spitze eines Stockes und der Sonne“ und dem Mond als Vorstellungen und
Begriffe. Das ist die fruchtbare Wechselwirkung von Subjekt, Wahrnehmung,
Denken und Objekt. Wie der große Meister Vasubandhu lehrte.
Ein
anderer Meister sagte zu diesem Thema:
„Der weite Himmel behindert nicht das Dahin-Schweben der
weißen Wolken.“
Er
versucht auf diese Weise mit einer poetischen Formulierung die Freiheit und
Friedlichkeit des Handelns jenseits der Vorstellung von „Erleuchtung“ zu
beschreiben. Behinderungen beim Handeln sind dann überwunden, und alles fügt
sich harmonisch in den Gesamtzusammenhang ein. Dabei werden keine einseitigen ehrgeizigen
Ziele verfolgt, keine Positionen erkämpft oder verteidigt. Es wird nicht
behauptet, dass man selbst den Buddhismus besser verstünde und in ihm tiefer
verankert sei als jemand anders, sondern es ist dasselbe, als wenn weiße Wolken
am Himmel dahin ziehen; Ego-Sucht und Ego-Stolz haben sich aufgelöst und
hindern die eigene Entwicklung nicht mehr.
Dōgen
erinnert an die älteren Meister des Zen-Buddhismus, die den Zustand der Entwicklung
jenseits von "Buddha" noch nicht kannten und daher auch nicht lehren
konnten. Er zitiert aber einen kundigen Meister, der zu seinen Mönchen in
diesem Zusammenhang sagte:
„Wenn ihr die Augen und das Denken dieses Zustandes
(jenseits von Buddha) habt, werdet ihr bei den religiösen Gruppen (in der Welt)
das Falsche vom Wahren unterscheiden“
Dôgen sagt dazu: „Eine solche Wahrheit, die vom Meister
ausdrückt wird, wurde aus der Vergangenheit von den Buddhas und Vorfahren im
Dharma von Buddha-zu-Buddha und Meister-zu-Meister übertragen. Sie wird der
Schatz des wahren Dharma-Auges und der feine Geist des Nirvana genannt. Obgleich
diese Wahrheit im Selbst möglich ist, mag es notwendig sein, sie (durch authentische
Praxis) zu kennen. Obgleich sie im Selbst gegenwärtig sein kann, ist sie noch
nicht bekannt und aus der Verborgenheit befreit.“ Eine solche Erleuchtung kann
sich weiter und wunderbar entfalten.
Dōgen
bedauert, dass auch große Meister und Buddhas das Handeln als Weiterentwicklung
jenseits von "Buddha" nicht oder nicht klar genug erkannt hatten, und
legt besonders großen Wert auf diesen Teil der Buddha-Lehre. Ein großer Buddha
geht demnach immer weiter auf seinem Weg, er praktiziert, lehrt und bleibt
nicht stehen und verharrt schon gar nicht in einer noch so angesehenen „spirituellen
Position“. Dōgen sagt sogar:
„Dieser Punkt ist das wichtigste Auge des Lernens in der
Praxis“.
Eine
solche Weiterentwicklung umfasst den ganzen Menschen und damit auch seinen
Körper. Sie erfasst nach Buddha alle Fünf Komponenten des Menschen, die
Skandhas und deren lebendige Wechselwirkung. Denn Erleuchtung und Buddha sind
kein statischer Zustand und erschöpfen sich schon gar nicht im Begriff und in der
Vorstellung. Denn sie sind die ganze Fülle des Lebens. Und sie sind offen für
Gegenwart und Zukunft!