(Yudo J. Seggelke, wörtliche Zitate des Dalai Lama)
Die fruchtbare
Wechselwirkung des Buddhismus mit westlicher Forschung und Wissenschaft ist für
den Dalai Lama ein zentrales
Anliegen. Er sagt:
„Das
Vertrauen, das ich in diesen Dialog (Forschung-Buddhismus) setze, beruht auf
meiner grundlegenden Überzeugung, wonach das Verständnis der Wirklichkeit in
den Naturwissenschaften genau wie im
Buddhismus durch kritische
Untersuchungen gewonnen wird. Sollte die Wissenschaft abschließend
nachweisen können, dass gewissen Behauptungen
des Buddhismus falsch sind, müssen wir die Erkenntnisse der Wissenschaft
annehmen und überholte Anschauungen
revidieren.“
Er vertraut also wesentlich
auf unseren geschulten Logos und unsere westliche Fähigkeit der gründlichen Analyse
in Bezug auf Realitäten, z. B. auch der Gehirnforschung und Evolutionstheorie
usw..
„Schon
bevor ich ins Exil ging, war mir und vielen Tibetern bewusst geworden, dass
eine der grundlegenden Ursachen der politischen
Tragödie Tibets in dem Unvermögen
bestand sich der Modernisierung zu
öffnen.“
Die Staatsform
einschließlich des tradierten Buddhismus konnte die Tibet-Tragödie also nicht
verhindern, nicht zuletzt weil Tibet sich der Modernisierung gegenüber
verschlossen habe. Genau diese Modernisierung muss jetzt geschehen und wir im
Westen sind aufgefordert, dabei mitzuhelfen, da der Buddhismus eine große
Bereicherung für die Moderne ist.
„Als
sich mein Verständnis der Wissenschaften vertiefte, wurde mir nach und nach
bewusst, dass viele Bereiche des traditionellen buddhistischen Denkens, so weit
sie das Verständnis der materiellen Welt betreffen, im Vergleich zu den
modernen Wissenschaften nur lückenhafte
Erklärungen und Theorien hatten.“
Das sehe ich ähnlich: es
wurden materielle Kenntnisse vernachlässigt, die bereits im Westen vorhanden
waren, z. B. Medizin, Straßenbau, Sozialsystem usw.
„Indem
ich die Geschichte meiner persönlichen Entdeckungsreise erzähle, möchte ich
aber auch gegenüber Millionen von Mitbuddhisten weltweit die Notwendigkeit
betonen, die Wissenschaften ernst zu
nehmen und ihre grundlegenden
Entdeckungen in die buddhistische Weltanschauung zu integrieren“.
Das ist genau das von mir selbst
verfolgte Ziel für den Buddhismus, den ich nun seit 44 Jahren studiere und in
der Meditation praktiziere. Buddhismus, Forschung und Wissenschaft ist kein
Gegensatz, wie z. T. bei anderen Religionen.
„Ganz
sicher jedoch müssen gewisse Aspekte des buddhistischen Denkens – seine alten kosmologischen Theorien zum Beispiel
aber auch seine unausgereifte Physik - im Lichte zeitgenössischer und
wissenschaftlicher Erkenntnisse neu
formuliert werden.“
Gerade die Kosmologie
benötigt eine grundlegende Analyse, sie ist heute nicht mehr naiv und materiell-konkretistisch
sondern eher gleichnishaft und symbolhaft zu verstehen. Dadurch werden viel
tiefere Bedeutungsschichten lebendig. Bekanntlich gibt es im MMK von Meister
Nagarjuna keine übernatürlichen Wunder, sondern nur „Zauberer“, die
Unwirkliches zaubern, das sich dann weiter vermehrt. Das soll gerade vermieden
werden.
„Historisch
gesehen hat sich der Buddhismus als eine Religion mit einem spezifischen Kanon von Schriften und Ritualen
entwickelt, doch genau genommen hat die
Erkenntnis, die aus der Vernunft und
aus der Erfahrung gewonnen wird, im Buddhismus ein stärkeres Gewicht als die Autorität
der Schriften“.
Das ist ein fundamentaler
ganz moderner Ansatz. Wir sind also bei jeder überlieferten Aussage aufgefordert,
die Vernunft, das Wissen, die wissenschaftlichen Methoden und die heutige Erfahrung
einzubringen. Dabei sind die Interpretationen der historischen Schriften von
nicht zu überschätzendem Wert, aber nicht absolut bindend. Dies gilt natürlich
besonders für grundlegende und schwierige Texte wie z. B. Nagarjunas Mittlerer
Weg, MMK.
„Wenn
wir einen Tatbestand untersuchen und genügend Gründe und Beweise vorliegen,
müssen wir ihn als Wirklichkeit anerkennen;
selbst wenn dies einer wörtlichen
Auslegung der Schriften, die über Jahrhunderte
Gültigkeit besaßen oder einer tiefen
Überzeugung oder (historischen) Sichtweise widerspricht.“
Das scheint mir besonders
wichtig: die traditionellen Überzeugungen und Sichtweisen müssen gründlich
überprüft werden. Das gilt selbstverständlich gerade und besonders für das MMK
und die zeitgemäße Systemtheorie aber auch für das Verständnis von pratitya samutpada, das wechsel-wirkende
Entstehen. Gläubiges Übernehmen des Tradierten reicht nicht aus und wird dem
großen Wert der ursprünglichen buddhistischen Wahrheiten nicht gerecht. Das
gilt für mich besonders bei Nagarjuna, in dessen direkter ununterbrochener
Linie der Dharma-Nachfolge ich ja selbst stehe. Daher meine besondere
Verantwortung gegenüber seinem genialen Werk.
„Der
Buddhismus bedient sich also ebenfalls der Methode logischen Schließens; ähnlich dem Model Carl-Friedrich von Weizsäckers.“
Das heißt jeder einzelne
Schritt muss logisch und überzeugend nachvollzogen werden: übrigens ein
wesentlicher Grundsatz nicht nur in der Physik sondern auch in der Philosophie,
z. B. bei Gadamer, Heidegger und Wolfgang Welsch. Der Dalai Lama sagt:
„Ein
neuer Abschnitt der Auseinandersetzung
mit der Wissenschaft (begann mit) der ersten der `Mind and Life`
Konferenzen. Diese Begegnung hatten der chilenische Neurowissenschaftler Francisco Varela und der amerikanische
Geschäftsmann A. Engle organisiert. Varela und Engle waren mit dem Vorschlag an
mich herangetreten eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen zu führen,
die der Idee eines Dialoges aufgeschlossen gegenüberstanden“.
Ich folge dabei dem Dalai
Lama: er beschreibt recht genau den von Nishijima Roshi, Brad Warner und mir
gewählten Ansatz für die Analyse und Interpretation des MMK. Damit ergänzen wir
auch die tibetische Linie des Buddhismus, die wesentlich auf den Schriften
Nagarjunas beruht. Er hat bekanntlich in der indo-europäischen Sprache Sanskrit
gedacht und geschrieben, die der Semantik der heutigen europäischen Sprachen
nach wie vor ähnlich ist, wie etwa das alte Griechisch.
Zunächst geht es bei der
Neubearbeitung des MMK um eine wirklich wortgetreue Übersetzung, die dann die
Grundlage für die Hermeneutik ist, etwa im Sinne von Gadamer.
Es ist in der Tat spannend
zu erkennen, dass Gautama Buddha und Nagarjuna eine indo-europäische Sprache
und philosophische Weltanschauung besaßen, die weitgehend ähnliche Wurzeln hat
wie die der griechischen Philosophen, aber einen anderen Weg gegangen ist:
Nicht das metaphysische dauerhafte Sein steht im Zentrum der Philosophie
sondern die vernetzten Veränderungen (pratitya samutpada, wechselwirkendes Entstehen) und das menschliche Lernen zur Befreiung
aus unnötigem Leiden.
Wir können im Westen dem
Buddhismus neue wichtige Impulse geben, die sich mit den äußerst wertvollen
tradierten Verständnissen und Erfahrungen z. B. aus Tibet, China, Japan und
anderen ostasiatischen Kulturen ergänzen. Das wird den Buddhismus beleben und ihn
weiter in die Moderne bringen.
Im Sinne des Dalai Lama geht
es neben der Naturwissenschaft um den intensiven Austausch des tibetischen
Buddhismus mit dem frühen Pali-Buddhismus, dem Chan und Zen, also vor Allem mit
den Arbeiten des Meisters Dogen zum buddhistischen Handeln im Hier und jetzt
und der Leerheits-Meditation des Zazen und nicht zuletzt um den Dialog mit der
westlichen praktischen und theoretischen Philosophie.