(Yudo J. Seggelke)
Selbst heute gibt es
namhafte Buddhisten, die behaupten Buddha, habe gelehrt: "Alles ist
Leiden". Aber das ist nicht richtig: Weder in den buddhistischen
Pali-Texten gibt es diese Aussage, noch kann sie historisch-philologisch
begründet werden. Sie ist m. E. eine Erfindung späterer Jahrhunderte und spiegelt
den Geist übereifriger Mönche wieder. Buddhismus ist eine optimistische
Religion, die Lebensfreude, Lernen und Weiterentwicklung in ihren Mittelpunkt
stellt.
Übrigens wurde auch die Lehre
von der Erbsünde im Christentum abschließend von Augustinus erst um 400 n. C. formuliert.
Ein analoger Vorgang?
Was sagt die moderne Gehirnforschung zum Glück?
Im Folgenden möchte ich
Freude und Glück synonym verwenden. Dagegen werde ich nicht von Spaß reden,
obgleich der semantische Unterschied zu Freude weitgehend verschwunden ist, ebenso
wenig von Vergnügen. Beide Begriffe haben sich im Sprachgebrauch zu deutlich
aus einem Kontext von Spiritualität entfernt
Vorweg in aller Klarheit:
Glück und Freude zu erlernen ist tatsächlich möglich, das ist heute etwa von
Seiten der Gehirnforschung völlig unbestritten. Nachhaltiges Glück erfordert
allerdings einen längeren Lernprozess unseres Gehirns, also des neuronalen
Netzes, das u. a. Sitz der Gedanken, des Wissens und der Gefühle ist. Unser
Gehirn ist bis ins hohe Alter erstaunlich lernfähig. Diese sogenannte
Neuro-Plastizität ist am besten mit Freude und positiver Geisteshaltung zu
bewahren.
Übrigens kann im Gehirn kein
Ich-Kern gefunden werden. Wir sind
das ganze neuronale Netz, ein holistisches
Ganzes: Es gibt im Gehirn keinen abgegrenzten Bereich, keinen Ich-Kern. Die
Übereinstimmung mit Buddhas Lehre ist verblüffend, denn der Schlüssel zur
Überwindung des Leidens liegt entsprechend
seiner Lehre gerade in der Überwindung der Illusion eines solchen fixierten Ichs.
Der Gehirnforscher Manfred
Spitzer sagt:
"Angst macht dumm, und Glück macht
schlau"
Eine negative Religion, die
Angst und Panik in den Menschen erzeugt, verhindert also wichtige Lernprozesse,
insbesondere das Erlernen der Lebensfreude, des Glücks und der Geistes-Klarheit.
Glück und Lernen sind unauflöslich miteinander verbunden.
Im Folgenden möchte ich einige
Ergebnisse verlässlicher Gehirnforschung (nach Spitzer) zusammenstellen:
Glückszentrum
Gehirnphysiologisch
gibt es ein Zentrum für das Glück, das den Stoff Dopamin ausschüttet.
Von einem anderen Zentrum werden dann die Endorphine
erzeugt. Diese sind körpereigene Opiumstoffe, die starke Glücksgefühle
auslösen. Insbesondere der vordere Cortex, also das Bewusstsein, wird in
entsprechenden Situationen mit diesen Glücksstoffen überschwemmt. Dies ist die
Grundlage für unsere Erfahrung von Glücksgefühlen und Glücksgedanken.
Das Glückszentrum ist etwa 12
sec. aktiv, also recht kurz. Nach Spitzer ist dieser Zustand im Gehirn besonders
eng mit dem Lernen verbunden: In einem Zustand, in dem das Glückszentrum
aktiviert ist, lernen wir ganz schnell.
Für die menschliche Evolution war es von existentieller Bedeutung, gerade in Glück-Zuständen
effizient zu lernen, weil sich dadurch die Überlebenschancen wesentlich
verbessert haben. Diese Funktionsweise unseres Gehirns ist noch heute von
fundamentaler Wichtigkeit.
Spitzer betont, dass
Glück kein isolierter Zustand für sich selbst ist, sondern als Belohnung sinnvoll,
um lebenslang immer wieder zu lernen.
Es gibt Glücksgefühle, wenn die Situation besser ist, als erwartet. Eine vorher
angenommene gute Situation erzeugt nur neutrales Gefühl, bei negativem Ergebnis
wird das als besonders deprimierend empfunden.
Glücksgefühle
entstehen also dadurch, dass etwas unerwartet
Positives geschieht. Glück ist aber nicht
für sich selbst da, sondern ist mit dem Lernen verkoppelt. Wir haben
Glücksgefühle, wenn wir lernen und es uns damit im Leben besser geht. Glück ist
also nicht ein dauerhafter Zustand, sondern wird jeweils neu ausgelöst durch eine
neue Erfahrung, die eine bestehende Erwartung übertrifft. Glück macht also klug
und lernfähig.
Angst dagegen ist eine
Reaktion auf bestehende oder vermutete Gefahren. Sie war
evolutionsgeschichtlich erforderlich, um unmittelbar zu überleben. In einer Situation der Angst erfolgt sofort ohne
zeitliche Verzögerung eine der beiden möglichen Reaktionen: Flucht oder
Angriff. Dabei ist ein anderes Modul im Gehirn aktiv, der Mandelkern. Er
erzeugt negative Gefühle und Angst, unmittelbare Reaktionen noch bevor
Bewusstsein und Nachdenken einsetzen können. Er bewirkt ausschließlich schwarz-weiß-Erkennung,
ebenfalls schneller als Bewusstsein und Reflexion.
Wir
wissen heute, dass Angst verhindert, dass wir gründlich denken und abwägen, was
tatsächlich das Beste für uns ist. Das würde zu viel Zeit beanspruchen, weil
höhere Ebenen des Gehirns eingeschaltet werden. Angst erzeugt sofortige Reaktionen
und verhindert Denken und Kreativität: Angst macht dumm.
Es
gibt auch genetisch programmierte Angst, die in früheren Phasen der Evolution
durchaus Sinn machte, z. B. Gefahren durch Spinnen, Schlangen und gefährliche
Raubtiere. Diese Angstbereiche sind zwar bei uns genetisch fest verankert, aber
machen in der Gegenwart unserer entwickelten Industriegesellschaft ohne
unmittelbare Feinde keinen Sinn mehr. Es gibt hier keine gefährlichen Spinnen
und normalerweise auch keine giftigen Schlangen. Das heißt, diese automatischen
Reaktionen der Angst sind noch vorhanden, aber heute dysfunktional.
Wenn
irgendetwas mühsam (weil besonders schwierig) unter Angst gelernt worden und so
mit Angst zusammen im Gehirn gespeichert
ist, entsteht diese Angst immer wieder von neuem, wenn das entsprechende Thema
aktuell ist. Wer beispielsweise in der Schule bei Mathematik Angst hatte und
die Mathematik so im Zustand der Angst gelernt hat, wird diese Angstgefühle erneut
haben, wenn mathematische Fragestellungen auftauchen. Unweigerlich bleibt er
wegen dieser Angst weit unter seinen mathematischen Möglichkeiten. Zudem wird
seine Kreativität unterdrückt, die bekanntlich bei der Mathematik besonders
wichtig ist. Angst hatte evolutionsgeschichtlich eine Funktion, um zu überleben.
Heute kommt es darauf an, Angst abzubauen, um besser zu leben und besser zu
lernen.
Möglich ist allerdings,
mit Drogen sein Glückszentrum künstlich zu
stimulieren.In einem Experiment wurde allerdings die besondere
Gefährlichkeit nachgewiesen. Unter Drogeneinfluss handelt ein Mensch ähnlich
wie eine Maus, die über eine Taste elektrische Impulse in ihr Glückszentrum
eingeben. Sie drückte die „Glückstaste“ 2.000 mal in der Stunde und
vernachlässigte alles Andere, sogar die Aufnahme von Nahrungsmitteln. Sie hat
so lange scheinbares "Glück" für sich erzeugt, bis sie tot war. Das
ging schließlich sehr schnell.
Damit ist die
Gefährlichkeit von Drogen zur Stimulation des Glückszentrums klar beschrieben. Nach
Spitzer haben Drogen nicht die Funktion, wichtige Lernprozesse des Menschen zu
ermöglichen, sondern die Glücksstimulation geschieht, ohne die eigentliche Funktion
des Lernens in Gang zu setzen. Das führt rasch zur Unfähigkeit, in einer sich
verändernden Welt angemessen zu leben und führt mindestens geistig zum Tod.
Weitere Anstriche zur Funktion unseres Gehirns:
Der weit aus größte Teil
unserer Gehirnleistung ist nicht bewusst.
Geben ist besser als nehmen und bedingt Glück und Zufriedenheit; zudem ist in
Folge eine um ca. 3 bis 6 Jahre erhöhte Lebenserwartung empirisch nachgewiesen.
Etwa ein Drittel der
gesamten Gehirnleistung wird für das Sehen
genutzt : Nach Umwandlung der in den Augen ankommenden Impulse wird deren Verarbeitung
in diversen Schichten des Gehirns durchgeführt. Die Verknüpfung mit Bedeutung
und Moral erfolgt in höheren Regionen unseres Gehirns. Insgesamt sind etwa 40
Module des Gehirns für das Sehen zuständig.
Flow:
Zufriedenheit beim Handeln, z. B. Arbeiten.
Risikoangst
verhindert notwendiges Handeln; Wettbewerb
aktiviert zwar den Menschen, aber verringert rationales Denken und Handeln,
macht also auch dümmer.
Die Motorik ist immer mit Denken und Geist verbunden, z. B. gibt es eine enge
Interaktion von Worten, Symbolen und Metaphern mit dem Motorik-Teilsystem des
Gehirns. Durch die Einschaltung der Motorik kann man wesentlich besser - weil
ganzheitlich und holistisch - lernen.
Durch Bewusstsein und Reflexion kann den
falsch gebahnten Automatismen des Gehirns gegengesteuert werden.
Religiöse überhöhte Ziele und überhöhter Idealismus machen unglücklich und
lernunfähig.
Angst und Aggression sind insgesamt primitive alte Verhaltensweisen aus
früheren Entwicklungsstufen der Evolution, sie ermöglichen heute keine komplexen
Fähigkeiten auf höherer Ebene.
Digitale Demenz: Mehr als ½ Stunde Fernsehen für Kleinkinder reduziert den Intelligenzquotienten
nach dem 7.ten Lebensjahr um ca. 30%.
Besonders wichtig bei der
Frage der Zufriedenheit und des Glücks sind Vergleiche.
Spitzer erläutert dies an den Menschen der DDR: als die DDR noch Teil des
Ostblocks war, ging es ihnen im Verhältnis zu den anderen Ländern, insbesondere
auch zur UdSSR, ganz gut, sodass sie nicht unzufrieden waren. Obgleich Viele Zugang
zu Informationen aus dem Westen hatten, waren dies keine für diese Menschen
relevanten Vergleichsgrößen.
Als dann die DDR Teil der
Bundesrepublik wurde, veränderte sich der Bezugsrahmen: der Vergleich mit dem
Westen wurde aktuell. Im Vergleich dazu standen die Menschen aus den neuen
Bundesländern wirtschaftlich deutlich schlechter da. Entsprechend war die Zufriedenheit gering und die
Wiedervereinigung Deutschlands wurde weniger positiv erlebt als zu vermuten war.
Vergleiche und entsprechende
Bewertungen sind fast immer psychisch dysfuntional und verhindern Zufriedenheit
und Glück
Ganz
wesentlich ist die Empathie der Erwachsenen: Das Kind lernt nur dann, wenn der
Erwachsene mit Engagement, Begeisterung und Zuwendung für das Kind redet. Spitzer
empfahl daher, dass ein begeisterter Philosophie-Professor seinem Säugling durchaus
schon von der Philosophie, selbst von. Platon, erzählt. Das ist die beste
Voraussetzung dafür, dass das Kind die Sprache lernt. Inhaltlich wird es
überhaupt nichts verstehen, aber durch die positive Empathie und Begeisterung
des Vaters, die sich auf das Kind übertragen, entsteht ein optimaler
Lernprozess.
Umgekehrt
sind Lernprozesse ohne Freude und Begeisterung schwierig oder unmöglich.
Lernprozesse verlaufen demnach am besten wenn Glücksstoffe beteiligt sind,
Spitzer nennt sie daher auch Lernstoffe.
Wie
hängt Glück und Geld zusammen?
Wer
sehr wenig Geld zum Leben hat, bei dem hängt relativ viel vom Geld ab, damit er
überhaupt sinnvoll leben kann. In USA gibt es das folgendes Phänomen: Bis etwa 20.000
$ Einkommen pro Jahr (Spitzer) steigt das Glücksgefühl steil an, ab dieser Höhe
bleibt das Glücksgefühl des Lebens weitgehend konstant, selbst wenn das
Einkommen steigt oder wesentlich darüber liegt. Mehr Geld erhöht nicht
Zufriedenheit und Lebensglück.
Geld ausgeben.
Wer
Geld für andere ausgegeben hat, ist grundsätzlich glücklicher als der Durchschnitt der
Menschen, auch das ist empirisch belegt. Wer zusätzliches Geld in erheblichem
Umfang für andere ausgegeben hatte, ist signifikant glücklicher, als wenn er das
Geld selbst verbraucht hat. Ein ähnlicher Effekt ergibt sich, wenn man Anderen hilft:
dann ist man glücklicher und lebt statistisch länger. Menschen sind also noch
in höherem Maße soziale Wesen als Tiere, lebendige "gebende" Gemeinschaft
wirkt lebensverlängernd.
Von
großer Bedeutung für ein gutes Leben ist die Effizienz von Selbst-Steuerung und Selbst-Kontrolle. Dadurch werden primitive und
gesellschaftlich überholte "Automatismen" wie Aggression, Wut, Rache
usw. entschärft.
Im Buddhismus geht es vor
allem um nachhaltiges Glück und nicht nur um Kurz-Zeit-Happiness, so wichtig diese
auch für unser Leben ist. Was sind die zentrale Lehren des Buddhismus? Das
werde ich im Folgenden erläutern und dabei die Begriffe Glück und Erwachen
sowie Erleuchtung weitgehend synonym verwenden.
Kern-Lehren des Buddhismus
Der Achtfache
Pfad zum Glück, Aufhebung des Leidens
Nach der Überlieferung wurde der Achtfache Pfad zur
Ausschaltung des Leidens und zum Erwachen zur Wirklichkeit von Gautama Buddha
nach seinem Erwachen in seiner ersten Lehrrede in Vārānasī dargelegt. Dōgen
behandelt den Achtfachen Pfad ausführlich in Kapitel 73 des Shōbōgenzō, „Die 37 Elemente des
Erwachens“, das die Verbindung des frühen Buddhismus
(Hīnayāna, Theravāda) mit dem Zen-Buddhismus
auf der Grundlage des Mahāyāna darstellt.
Der erste Zweig des Pfades ist die rechte Sichtweise. Diese ergibt sich der
Entscheidung, den Buddha-Weg zu gehen. Behindert wird sie durch das
Nicht-Wissen und die falsche Sichtweise. Die rechte Sichtweise ist in einem
umfassenden Sinn zu verstehen und beschränkt sich nicht auf die Wahrnehmung
durch die Augen.
Der zweite Zweig sind die rechte Gesinnung und Zielsetzung; sie gehen über die einfache
unterscheidende Denktätigkeit hinaus und nähren keine eigennützigen Absichten. Die
rechte Gesinnung beinhaltet die umfassende Einheit von Körper-und-Geist, und Dōgen
erläutert dazu Folgendes:
„Wenn wir das Denken in der
Wirklichkeit erwecken, sind wir jenseits vom Ich und überschreiten die äußere
Welt. Zur gleichen Zeit gehen wir direkt nach Vārānasī, indem wir genau im
Augenblick der Gegenwart die konkreten Tatsachen denken.“
Er betont hier sowohl den gegenwärtigen Augenblick
als auch die konkreten Tatsachen der Wirklichkeit, die einbezogen werden
müssen.
Als dritter Zweig des Achtfachen Pfades ist die rechte Rede zu nennen, die über
isolierte verbale Äußerungen hinausgeht und den gesamten Körper-und-Geist
umfasst. Sie ist für die Lehre des Buddha-Dharma selbstverständlich von großer
Bedeutung.
Besonders ausführlich behandelt Dōgen den vierten
Zweig, das rechte Handeln. Er nutzt
dafür verschiedene Kapitel des Shōbōgenzō
und einige Kōan-Geschichten, die sich diesem Thema widmen. Das Nach seiner
Lehre ist das Handeln die direkte, unverstellte Wirklichkeit des Soseins. Es
findet in der Sein-Zeit im gegenwärtigen Augenblick statt und verwirklicht die
Welt, das Universum und das eigene Leben. Dies beschreibt er eindrucksvoll in
Kapitel 3 des Shōbōgenzō, „Das verwirklichte
Leben und Universum“. Großen Wert legt Dōgen auf die Tatsache, dass das Handeln
im sozialen Leben selten wirklich rein ist, sondern häufig von Interessen
gesteuert und besonders von Gier nach Reichtum und Ruhm angetrieben wird. Ganz
schwierig sei es, bei Staatsaufgaben das wahre Handeln des Buddha-Dharma auch
politisch zu verwirklichen.
Er warnt in diesem Zusammenhang insbesondere vor den
sich anbiedernden falschen Meistern, die den Mächtigen und Reichen in der
Politik und im Staat nach dem Munde reden und diesen verkünden, dass ihr politisches
Handeln identisch mit dem Tun von Gautama Buddha und den Vorfahren im Dharma
sei. Als Gegenbeispiel nennt er Buddhas berühmten Laien-Schüler Vimalakīrti,
der gezeigt habe, dass auch ein Laie im sozialen Leben wahres Handeln
verwirklichen kann. Vor allem kritisiert Dōgen, dass der Begriff „Leerheit“ von
einigen dazu missbraucht wird, um falsches, von eigenen Interessen geleitetes
Verhalten zu beschönigen. Das Handeln müsse eindeutig auf den konkreten
Augenblick bezogen und zweckfrei sein.
Als fünfter Zweig gehört der rechte Lebenserwerb zum Achtfachen Pfad. Darunter versteht man den
moralisch einwandfreien Erwerb für den Lebensunterhalt, dass man also von
seiner eigenen Arbeit lebt.
Ohne die richtige
Anstrengung und Ausdauer als sechsten Zweig kann man den buddhistischen Weg
der Überwindung des Leidens nicht gehen. Dieses Bemühen gestaltet den gesamten
Körper-und-Geist und verbindet im Klosterleben den Meister mit seinen Mönchen.
Der siebte Zweig ist die Achtsamkeit in ihrer umfassenden Bedeutung. Dōgen kritisiert, dass
einige buddhistische Gruppen behaupten, eine solche Achtsamkeit sei überhaupt
nicht erforderlich. Er bezeichnet solche Menschen als Nicht-Buddhisten und
zitiert dazu Bodhidharma, der zu
seinen vier Schülern sagte:
„Du hast meine Haut, mein
Fleisch, meine Knochen und mein Mark erhalten, und dies ist genau die richtige
Achtsamkeit des Achtfachen Pfades.“
Als letzter und achter Zweig wird der Samādhi, die Sammlung, besprochen. An
anderer Stelle bezeichnet Dōgen die Zazen-Praxis als „König der Samādhis“.
Mithilfe der Zazen-Praxis könne man sich von Gedanken und Vorstellungen
befreien – auch von der einseitigen Abhängigkeit von den großen Meistern und
buddhistischen Vorfahren im Dharma.
Der Samādhi ist die „Lebendigkeit der Nüstern“. Die
Nüstern galten im alten China als Symbol für das wirkliche Leben, weil man
durch die Nase die Luft ein- und ausatmet. Die Zazen-Praxis öffnet dabei
sozusagen das begrenzte „Denken unseres Schädels“. In den allgemeinen
Richtlinien Dōgens zum Zazen (Fukan
zazengi) heißt es, dass wir aus dem „Nicht-Denken denken sollen“ und damit
das übliche, dualistische und bewertende Denken überschreiten.
Die Fünf
Hemmnisse der Achtsamkeit und des Erwachens zum
Glück
In der großen Lehrrede von den Grundlagen der Achtsamkeit
beschreibt Buddha auch die Fünf Hemmnisse des Erwachens (Übersetzung nach Peter
Gäng):
1. auf Sinnlichkeit
gerichtetes Wollen,
2. Übelwollen,
3. Erstarren und Trägsein,
4. Aufgeregtheit und Unruhe,
5. Zweifelsucht.
2. Übelwollen,
3. Erstarren und Trägsein,
4. Aufgeregtheit und Unruhe,
5. Zweifelsucht.
Diese Hindernisse und Blockaden, die sich uns auf dem
Weg zum Erwachen entgegenstellen, umfassen in der Tat das ganze Spektrum
menschlichen Handelns und Denkens und werden auch von Dōgen in vielen Kapiteln behandelt.
Im Abschnitt über die geistigen Gegebenheiten sagt Buddha über die Fünf
Hemmnisse:
„Da weilt, ihr
Mönche, ein Mönch bei den geistigen Gegebenheiten in Betrachtung der geistigen
Gegebenheiten, und zwar bei den fünf Hemmnissen.“
Peter
Gäng hat bei seiner Übersetzung die Wiederholungen Buddhas akkurat beibehalten,
obwohl der Satz für uns deshalb etwas umständlich klingt. Wir müssen aber
bedenken, dass es sich um einen mündlichen Vortrag handelte und Gautama Buddha
ungewöhnlich hohe pädagogische Fähigkeiten besaß, die nicht einfach zu
verstehenden Inhalte rhetorisch so aufzubauen, dass sie wirklich zu
tiefgreifenden Veränderungen des Lebens bei den Zuhörern führten. Dazu sind
Wiederholungen unumgänglich.
Die 37
Elemente des Erwachens zum Glück
Für Dōgen gab es nur einen einzigen Buddhismus, er
lehnte die Aufteilung in Mahāyāna und frühen Buddhismus, also Hīnayāna oder
Theravāda, oder in sonstige Schulen und Sekten grundsätzlich ab. Da sich alle
authentischen Übertragungslinien und Lehren des Buddha-Dharma nur auf Gautama
Buddha selbst und seine Lehre zurückführen ließen, sei eine derartige
abgrenzende Aufsplitterung überhaupt nicht gerechtfertigt. Gleichwohl hat der
Buddhismus mit seiner lebendigen Verbindung zur Wirklichkeit und Wahrheit in
den verschiedenen Zeitaltern und Kulturen bestimmte Färbungen angenommen und
Schwerpunkte gebildet.
Aber es handelt sich immer um die einheitliche Lehre
des Erwachens, der Wirklichkeit und der Überwindung des Leidens. Besonders
unsinnig sind deshalb gegenseitige Vorwürfe der einzelnen buddhistischen
Traditionen, da sie nicht nur dem Sinn des Buddhismus als einer toleranten,
übergreifenden und verständnisvollen Lebensphilosophie und Lebenspraxis
widersprechen, sondern auch im Kern falsch sind. Sicher gibt es verschiedene
Wege zum Erwachen und zur Wirklichkeit, aber sie können nur auf Gautama Buddha
selbst zurückgeführt werden.
Mit dem Erwachen beschäftigt sich ein Kapitel des Shōbōgenzō mit dem Originaltitel: „Die Flügel zum Erwachen, die uns
in die Luft tragen“. Hier verbindet Dōgen die älteren Lehren des Buddhismus,
die zum Beispiel im Abhidharma (...) zusammengefasst
sind, mit der von ihm selbst im Shōbōgenzō
dargestellten umfassenden Lehre, die er die „Schatzkammer des wahren
Dharma-Auges“ nennt. In diesem Kapitel gibt es für den Text des frühen
Buddhismus etwa 50 Verweise auf einzelne Kapitel des Shōbōgenzō und 16 Verweise auf Dōgens Kōan-Sammlung, das Shinji Shōbōgenzō. Er entwickelt auf
diese Weise ein enges Netzwerk zwischen den beiden Lehr-Traditionen des frühen
Buddhismus und des Mahāyāna-Buddhismus..
Die 37 Elemente des Erwachens, lassen sich wiederum
in sieben größere Gruppen gliedern, die jeweils vier bis acht einzelne Elemente
umfassen und zur Basislehre des früheren Buddhismus gehören. Alle diese
Elemente führt Dōgen auf und kommentiert sie. Damit schafft er ein
beeindruckendes übergreifendes Dach für die Hauptströmungen des frühen
Buddhismus, des Mahāyāna-Buddhismus und des Zen. Gleichzeitig zeugt diese
Leistung von seiner umfassenden und tiefgreifenden Kenntnis der gesamten
buddhistischen Lehre.
Zweifellos hat aber jede Lehre, jedes Bild oder
Gleichnis und jede verbale Äußerung bestimmte Grenzen, die letztlich überschritten
werden müssen, wenn man zur buddhistischen Wirklichkeit selbst, also zum
Erwachen, gelangen will. Wer nur in intellektuellen und abstrakten Theorien
verharrt, bleibt nach Dōgens Überzeugung in der „schwarzen Höhle des
unterscheidenden Denkens“ gefangen. Er beginnt dieses Kapitel mit den folgenden
Ausführungen:
„Die Wirklichkeit der
ewigen Buddhas ist (immer) gegenwärtig. Sie ist insbesondere die Lehre, die
Praxis und die Erfahrung der 37 Elemente des Bodhi-Erwachens. Die enge
Verflechtung des Aufsteigens und Absteigens durch die Anordnung (dieser 37
Elemente) ist genau der verflochtene Zustand der Wirklichkeit, die wir die
Buddhas und Vorfahren im Dharma nennen.“
Dōgen weist hier auf die Wirklichkeit und Wahrheit
des Buddha-Dharma hin, die zum Beispiel auch im Kapitel „Das verwirklichte
Leben und Universum“ beschrieben werden, und
stellt die Verbindung mit den 37 Elementen des Bodhi-Erwachens her. Die Lehre,
die Praxis und die Erfahrung bilden eine unauflösbare Einheit und sind im Kern
genau dasselbe wie die 37 Elemente, die als nützliche oder notwendige Hilfen
für das Erwachen zu verstehen sind. Das genannte Geflecht der 37 Elemente sei die direkte Einheit mit der Wirklichkeit, in der
auch Gautama Buddha, die großen Meister und Vorfahren im Dharma existieren.
Als Erstes erläutert Dōgen die vier Grundlagen der Achtsamkeit.
Die vier Arten der rechten
Anstrengung
„Die Erste bedeutet, das Schlechte zu verhindern, das
sich noch nicht ereignet hat.
Die Zweite bedeutet, zu bewirken, dass das Schlechte
ausgelöscht wird, das bereits entstanden ist.
Die Dritte bedeutet, zu bewirken, dass sich das Gute
ereignet, das sich noch nicht ereignet hat.
Die Vierte ist die Unterstützung des Guten, das sich
bereits ereignet hat.“
Die vier Grundlagen der
mystischen Fähigkeiten und Kräfte
„Das Erste ist das Wollen als Basis der mystischen Fähigkeit.
Das Zweite ist der Geist als Basis der mystischen
Fähigkeit.
Das Dritte ist die Willenskraft als Basis der
mystischen Fähigkeit.
Das Vierte ist das Denken als Basis der mystischen
Fähigkeit.“
Der
Geist umfasst die ganze Wirklichkeit als mystische Fähigkeit, und dazu zählt
Dōgen „Zäune, Mauern, Ziegel und Kiesel“. Der Geist beinhaltet auch die „Berge,
die Flüsse und die Erde“. Eine dualistische Abgrenzung von Geist und Objekten
der materiellen Wirklichkeit macht es nach Dōgen unmöglich, den wirklichen
Geist als mystische Fähigkeit zu erfassen.
Die
Willenskraft, um auf dem Weg vorwärts zu gehen, ergibt sich dadurch, dass sich
in der Welt und in unserem Leben alles bewegt und vorwärts schreitet. Dōgen
zitiert an dieser Stelle den berühmten Ausspruch von Daikan Enō: „Dies ist der Ort, wo etwas Unfassbares existiert.“
Tatsächlich muss man keine übernatürlichen Legenden bemühen, um die mystischen
Kräfte des wahren Lebens und der Wirklichkeit zu erahnen. Jedes Handeln im
Augenblick und jedes Vorwärtsschreiten im Leben kann vom Verstand niemals
vollständig erfasst oder gar mit Worten beschrieben werden. Bereits solches Handeln
ist selbst die mystische Grundlage der Wirklichkeit.
Auch
das Denken als Basis der mystischen Fähigkeiten wird bei Dōgen über die bewusste
Gehirntätigkeit hinaus erweitert. Für ihn ist die umfassende gegenwärtige
Intuition maßgeblich, da sie die gesamte Umgebung einbezieht und viel
leistungsfähiger als das unterscheidende, lineare Denken ist.
Die fünf grundlegenden Kräfte
(Wurzelkräfte)
Als
Wurzelkräfte werden im frühen Buddhismus die wesentlichen Grundlagen
bezeichnet, auf denen buddhistisches Handeln beruhen.
„Das Erste ist das Vertrauen
Das Zweite sind Fleiß und Sorgfalt
Das Dritte ist Achtsamkeit
Das Vierte ist Samādhi oder Gleichgewicht
Das Fünfte sind Wissen und Erkenntniskraft.“
Die fünf verwirklichten Kräfte
Die
fünf Kräfte, die tatsächlich verwirklicht
und nicht nur grundlegende Fähigkeiten sind, lassen sich in gleicher Weise wie
die oben genannten Wurzelkräfte unterteilen:
„Vertrauen und Glaube als Kraft,
Fleiß und Sorgfalt,
Achtsamkeit,
Samādhi (Sammlung, Gleichgewicht),
Wissen und Erkenntniskraft.“
Vertrauen
und Glaube als Kraft haben die Täuschungen und Illusionen überwunden. Dōgen
sagt: „Die Übertragung des Dharma und die Übertragung der Robe werden
‚Vertrauen’ genannt.“
Bei
Fleiß und Sorgfalt verdeutlicht er den Unterschied zwischen einer verbalen
Erklärung und der Wirklichkeit selbst.
Bei
der Beschreibung der Achtsamkeit, des Samādhi sowie des Wissens und der
Erkenntniskraft als geistige Kräfte geht Dōgen ebenfalls auf die Bedeutung der
Wirklichkeit ein und grenzt sie von den Theorien, Spekulationen und Fantasien
ab.
Die sieben Glieder des
Großen Erwachens
Dōgen
behandelt hier die aus dem frühen Buddhismus bekannten sogenannten sieben
Glieder des Sambodhi-Erwachens, also des Zustandes des Gleichgewichts und der
Wahrheit:
„Das Erste ist das klare Unterscheiden bei den
Lehren.
Das Zweite sind Fleiß und Sorgfalt.
Das Dritte ist die Freude.
Das Vierte sind die Klärung und Ruhe (wörtlich:
„Gestillt-Sein“; wir sind dann nicht mit uns selbst oder mit der Außenwelt auf
komplizierte Weise verstrickt).
Das Fünfte ist die Gleichmut.
Das Sechste ist der Samādhi (der sich nicht zuletzt
durch Gleichgewicht und Intuition auszeichnet).
Das Siebte ist die Achtsamkeit (die Dōgen auch als
„Brüllen des Löwen in seiner Höhle“ bezeichnet und die die umfassende Lehre Gautama
Buddhas ist).
Schließlich
erläutert Dōgen ausführlich die einzelnen Elemente des Achtfachen Pfades, der dazu beiträgt, das Leiden auszuschalten und
das Erwachen zur Wirklichkeit zu erlangen. Zum Schluss unterstreicht Dōgen,
dass die 37 Elemente des Erwachens nicht einzeln oder als Rangfolge zu
verstehen sind, sondern in Kombination und Verflechtung miteinander: in
vernetzter Wechselwirkung (pratitya
samutpada).
Im
tibetischen
Buddhismus geht es nach Matthieu Ricard vor allem um die Schulung, Transformation und Kultivierung des
Geistes, also der Gedanken und Emotionen. Die negativen Geistes-Gifte wie Hass, Zorn, Neid,
Gier, Eifersucht Rache, Schadenfreude usw. sollen durch Geistestraining schon
im Entstehen erkannt werden und durch geistige Gegenmaßnahmen wie liebevolle Zuwendung, Mitgefühl,
Mitfreude und Gleichmut (Himmlische Verweilungen) unschädlich gemacht werden.
Das erfolgt durch die Hinwendung nach
innen in der Meditation und die Abwendung vom Äußeren.
Das
Ziel ist die liebevolle Zuwendung zu allen Lebewesen und das reine Gewahrsein, das Gleichgewicht, in jeder Lebenssituation
des Lebens, ganz ohne die Geistes-Gifte. Dabei ist es von essentieller
Bedeutung, die Illusion eines selbständigen
und dauerhaften Selbst zu erkennen
und zu überwinden Diese Illusion ist die Ursache für sehr viel Leiden und
Negativität in unserem Leben.