(Yudo J. Seggelke)
Mittlerer Weg
Nâgârjuna
ist der große indische Philosoph des Mittleren Weges, er wird häufig als
wichtigster Denker zur Philosophie der Leerheit angesehen. In seinem großen
Werk in Form eines Lehr-Gedichtes "Weisheit des Mittleren Weges"
(MMK) von 27 Kapiteln stellt er zwei tiefgründige Basis-Verse voran, die immer
wieder zu Diskussionen und grundsätzlichen Fragen des Mâhâyâna-Buddhismus
Anlass geben. Warum?:
Im
ersten Vers werden wir aufgefordert, die fest gefahrenen Bedeutungen der im
Buddhismus gebräuchlichen Begriffe und Vorstellungen beiseite zu lassen.
Nâgârjuna will offensichtlich ganz neu ansetzen und in einer Zeit, in der sich
der Buddhismus bereits in verschiedene z. T. eigenartige Linien und Lehr-Meinungen
aufgespalten hatte, eine feste Grundlage geben. Einige Übertragungslinien
bekämpften sich sogar recht drastisch untereinander. Er wollte sicher die Lehre
Gautama Buddhas auf die wesentlichen Kernpunkte zurückführen und Fehlentwicklungen
und Fehlinterpretationen eine radikale Absage erteilen. Dabei sollten die validen
Ausdifferenzierungen durch den Mâhâyâna beibehalten werden. Dieser Grundansatz
ist in der buddhistischen Forschung auch weitgehend unbestritten.
Nagarjuna negiert (!) im ersten Vers die folgenden
buddhistischen Begriffs-Paare :
Vergehen
und Entstehen, Abbrechen und Andauern, Einheit und Vielheit, Erscheinen und
Verschwinden.
Er
formuliert daher: " Nicht-Vergehen
und Nicht-Entstehen " usw..
Bei
oberflächlicher Betrachtung muss es verwundern, dass er diese zentralen
Begriffe der buddhistischen Lehre ablehnt und die ´normalen´ Buddhisten damit
vor den Kopf stoßen muss. Aber offensichtlich ist das kein Nihilismus und keine
undifferenzierte Negation. Er will uns damit zweifellos auffordern, diese
Grund-Begriffen neu zu durchdenken und praktisch zu realisieren: wir sollen gemeinsam
mit ihm für die buddhistischen Grundlagen ganz von vorn bei Null anfangen und
nicht einfache das Überkommene ohne gründliche Reflexion übernehmen. Die buddhistischen
Begriffe und Vorstellungen hatten sich z. T. verselbständigt und von der Lebenswirklichkeit abgekoppelt. Sie
hatten ein unwirkliches Eigenleben, eine
unwirkliche Eigen-Existenz,
entwickelt und waren daher inhaltsleer geworden: leere isolierte Worthülsen,
die intelligent hin und her geschoben wurden; ein hoch intellektuelles
Glasperlenspiel weniger Experten.
Nâgârjuna
fragte beim Mittleren Weg dagegen: Was ist wirkliches
Entstehen im Netz der Welt und der Mensch? Das übersteigt jeden Begriff und
jede übernommene Vorstellung. Es war ja nicht mehr zu übersehen, dass sich
vielfältige falsche Vorstellungen, Dogmen und damit verbunden nicht-buddhistische
Weltanschauungen eingenistet hatten, die er richtig stellen wollte, um die
Kraft und Frische der buddhistischen Lehre und Praxis neu zu beleben. Auf einer
abgehobenen und illusionären Weltanschauung kann kein solider Befreiungsweg
aufgebaut werden
Im
zweiten Vers präzisiert er daher die buddhistische Lehre von der Wirklichkeit
und Wahrheit der Welt und des Kosmos :
Alles
entwickelt sich andauernd in Wechselwirkung, nichts ist isoliert und kann für
sich allein nicht existieren. Das ist das kosmische gewaltige Netzwerk, in dem
wir leben, lernen, uns entwickeln und in dem wir unser Leben gestalten.
Fehlentwicklungen
führen zu menschlichem Leiden, das nach wie vor in der Welt und bei den
Menschen da ist. Gautama Buddha hat mit seinen Vier Edlen Wahrheiten und dem
Achtfachen Pfad einen sicheren Weg ausgewiesen, wie wir diesem Leiden entkommen,
gewissermaßen aus ihm heraus-wachsen können. In Sanskrit wird diese vernetzte
kreative Wirklichkeit des Lebens und der Welt pratitya samutpada genannt.
Die großen westlichen Buddhisten Joanna Macy und Francisco Varela haben dieser
lernenden Vernetzung der Welt und der Menschen ebenfalls zentrale Bedeutung
gegeben; wie ich meine zu Recht. Denn diese Wirklichkeit ermöglicht nicht nur
die Überwindung des Leidens, sondern eröffnet die Lebenswelt zur Freude, Befriedung
und des Glücks, also zum Erwachen und zur Erleuchtung.
Nishijima
Roshi und auch der Dalai Lama haben unmissverständlich darauf hingewiesen, dass
die buddhistische Lehre niemals im Gegensatz zu gesicherten Fakten der
Wissenschaft stehen könne. Der Dalai Lama fügt sogar hinzu, dass die
buddhistische Lehre entsprechend geändert und angepasst werden müsste, selbst
wenn die tibetische Überlieferung etwas anderes sagt. Wir sind daher
aufgefordert, die zentralen buddhistischen Aussagen Nâgârjunas auch mit
fundierten Ergebnissen der Wissenschaft und Forschung anzugehen, zu begründen
oder aber zu ändern oder abzulehnen. Welche Bereiche sind nun von besonderer
Bedeutung für das wechsel-wirkende Netzwerk pratitya
samutpada und die zentralen Aussagen Nâgârjunas, die er in den folgenden 27
Kapiteln im Einzelnen behandelt. Ich möchte dazu die Bereiche der
Evolutionsforschung und Gehirnforschung ansprechen und hier kurz darstellen,
soweit ich sie kenne.
Evolutionsforschung
Es
gilt nunmehr als gesichert, dass die Erde etwa 6 Milliarden Jahre alt ist und
etwa vor 3 Milliarden Jahren das Leben in allerersten Anfängen unter
schwierigen Bedingungen entstand. Wir schätzen, dass die Dino-Saurier als hoch entwickelte
Lebewesen mit den bekanntlich großen Ausmaßen etwa vor 250 Millionen Jahren
auftauchten und etwa vor 65 Millionen Jahren verschwanden. In der Zeit der Dino-Saurier
gab es bereits eine üppige Biosphäre, eine lebensnotwendige Atmosphäre mit
Sauerstoff, sodass viele Pflanzen und Tierarten in 3 Milliarden Jahren
entstanden waren. Die Tiere und Pflanzen bildeten bereits ein hoch vernetztes
Biosystem, das durch dauernde Veränderungen und zugleich relativ stabile
Gleichgewichtszustände gekennzeichnet war. Durch massive Natur-Katastrophen ergaben
sich immer wieder tiefgreifende Erschütterungen der vernetzten Gleichgewichte,
die aber danach wieder zu neuer Vielfalt und Vielfältigkeit führten. So wird
heute angenommen, dass vor 65 Millionen Jahren ein großer Meteorit auf der Erde
einschlug und die Biosphäre grundlegend erschütterte, sodass die Saurier in
ihren hoch spezialisierten, vernetzten Lebens- und Sozialsystemen nicht mehr
lebensfähig waren. Danach haben sich bekanntlich die Säugetiere aus kleinen
Anfängen von der Größe etwa einer Maus bis in die heutige Zeit entwickelt.
Ein
markantes Beispiel der Co-Evolution ist die Entwicklung der Farben auf der Erde
vor etwa 120 Millionen Jahren. Sie wurde parallel, gekoppelt und vernetzt von
den Pflanzen mit ihren Blüten und Früchten einerseits und den Tieren und deren
farbfähige Augen andererseits entwickelt. Unsere Welt ist in der Tat ohne
Farben heute nicht mehr vorstellbar: das Ergebnis einer vernetzten, co-evolutiven
Entwicklung, des Entstehens in Wechselwirkung, pratitya samutpada.
Die
ersten Menschen sind je nach dem wie man sie wissenschaftlich definiert vor
etwa 500 Tausend Jahren aufgetaucht und haben in der Jung-Steinzeit von
Zentralafrika aus die Erde besiedelt, wie wissenschaftlich ziemlich sicher
anzunehmen ist. Der Forscher Gerald Hüther geht davon aus, dass sich unser
Gehirn seit etwa Einhundert Tausend Jahren nicht wesentlich verändert hat,
sondern dass die „Hardware“ unseres Gehirns im Wesentlichen gleich geblieben
ist. Das heißt, dass sich die heutigen kulturellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten
auf der Grundlage des neuronalen Netzes unserer Vorfahren ausgebildet und
entwickelt haben und von Generation zu Generation übermittelt wurden.
Was
ist das Resumée der Evolutionsforschung? Aus sehr primitiven Anfängen hat sich
eine gewaltige Vielfalt von Vernetzungen der Tiere, Pflanzen, der Biosphäre,
Atmosphäre und uns Menschen entwickelt. Parallel dazu haben sich hoch komplexe
Moleküle, wie zum Beispiel Eiweiß entwickelt, die wesentliche Grundlage des
Lebens sind. Dieses hoch komplexe Netzwerk der Erde hat sich laufend weiterentwickelt,
vergrößert; es hat selbst schwere Erschütterungen nach einer gewissen Zeit
ausgeglichen und zu neuer Evolutionskraft geführt.
Ich
halte es für sehr wahrscheinlich, das Gautama Buddha und Nâgârjuna ein
intuitives Verständnis dieses evolutiven vernetzten Prozesses hatten und dass
sie daraus die Grundlage der buddhistischen Philosophie, pratitya samutpada , geschaffen haben. Ich vermute weiterhin, dass
diese tiefgreifende Kenntnis der hoch vernetzten Wirklichkeit in der Zeit
Nâgârjunas bereits bei vielen Buddhisten nicht mehr in vollem Umfang bekannt
war.
Gehirnforschung
Wir
wissen heute, dass unser Gehirn aus einer sehr großen Zahl von Neuronen Zellen
besteht, die miteinander vernetzt sind und dass es im Groben etwa 100 Module
oder Teilsysteme gibt, die jeweils eine gewissen Spezialisierung für bestimmte
Funktionen unseres Lebens haben. Der Gehirnforschen Manfred Spitzer spricht von
einem modularen Aufbau unseres neuronalen Netzes, z. B. des Seh-Systems , das
etwas 1/3 der Leistung des Gehirns umfasst, und des motorischen
Bewegungs-Systems mit der Steuerung der Arme und Beine usw. in der gleichen
Größenordnung. Hinzu kommen die weiteren anderen Gehirn-Leistungen: verbale
Fähigkeiten, mathematische Fähigkeiten, ethische Steuerung und gewaltige
gespeicherte Informationen. Und alle die Fähigkeiten sind eng und unauflösbar mit
Emotionen gekoppelt. Das neuronale Netz umfasst etwa Einhundert Milliarden
Neuronen-Zellen, mit etwa Zehntausend Vernetzungen je Zelle. Die Vernetzungs-Schnittstellen
werden Synapsen genannt, sie haben biochemische
und elektrische Funktionen für die Informations-Übermittelung. Dadurch ergeben
sich neben unvorstellbaren Informations-Leistungen eine kaum glaubliche
Lernfähigkeit: Unser neuronales Netz besitzt Modularität und Plastizität.
Dieses
neuronale Netz steht selbstverständlich in permanenter lebender Wechselwirkung
mit allen anderen Organen und Funktionen unseres Körpers und auch sowohl
biologisch als auch sozial in dauernder Wechselwirkung mit anderen Menschen und
der Umwelt. Unsere Sprache können wir z. B. nicht allein lernen sondern nur im
sozialen Kontakt mit anderen Menschen - und ohne Sprache sind wir eigentlich
keine Menschen. Vereinfacht gesagt: ohne soziales Lernen sind wir keine
Menschen.
Wenn
wir uns fragen, wo ein Ich-Kern
lokalisiert sein könnte, finden wir kein derartiges Zentrum im neuronalen Netz,
das als ein solches Ich bezeichnet werden kann. Sondern wir müssen sagen: das gesamte neuronale Netz ist in
Wechselwirkung mit dem Körper und der Umwelt das Ich. Etwas anders mit
Nâgârjuna ausgedrückt: es gibt keine unabhängige
zentrale Entität im Menschen oder im Gehirn, die als Ich bezeichnet werden kann. Das Ich ist also eine
Benennung des gesamten Netzwerkes mit allen Spezifika, die bekanntlich bei den
einzelnen Menschen sehr unterschiedlich sind. Es gibt Individualitäten des
Menschen, deren Grundlage aber wohlgemerkt immer ein Netzwerk ist.
Das
neuronale Netz ist dauernd aktiv, und es ist lebendig, leistungsfähig und lernt
genau so, wie es benutzt wird, und wie es handelt, am besten in der Einheit von
Körper und Geist. Neuere Forschungen haben ergeben, dass sich bei intensiven körperlichen
Aktivitäten sogar neue Gehirnzellen bilden können und dass sich beim Lernen grundsätzlich
neue Vernetzungen im neuronalen Verbund bilden. Bei der Übung vorhandener
Fähigkeiten werden bereits vorhandene Leitungs-Verbindungen des Netzes aktiviert
und verbessert. Was beim Menschen nicht benutzt wird, verliert seine Funktionsfähigkeit,
sodass man sagen kann, das Gehirn ist genau
das, was es macht. Das Netzwerk
hat also "keine feste Verdrahtung", die wir aus der Elektronik
kennen, sondern ist ein biologisch lebendes Netzwerk, das bei Benutzung
funktionsfähig ist und bleibt. Es kann sich ein ganzes Leben lang verbessern
und erweitern, wenn entsprechende Lernprozesse und Um-Lernprozesse stattfinden.
Wenn
wir also in unserem Leben eine radikale Neuausrichtung angehen, um unnötiges
Leiden zu vermeiden und neue Lebensfreude und Lebenssicherheit zu gewinnen, ist
es notwendig alte eingefahrene negative Verbindungen im neuronalen Netz
auslaufen zu lassen und neue bessere aufzubauen.
Der
große Zen-Meister Dôgen sagt in diesem Sinne im dritten Kapitel des Shôbôgenzô
zur Verwirklichung des Lebens und Universums beim Dharma-Weg:
„Buddhas Wahrheit zu erlernen bedeutet,
uns selbst zu erlernen. Uns selbst zu erlernen bedeutet, uns zu vergessen. Uns
zu vergessen bedeutet, von den vielen, vielen Dharmas erfahren zu werden. Von
den vielen, vielen Dharmas erfahren zu werden bedeutet, unseren eigenen Körper
und (denkenden) Geist und den Körper und Geist der äußeren Welt fallen zu lassen.“
Wenn
wir von den vielen "Dharmas erfahren werden", bedeutet das nichts
anderes, als dass wir uns für die unverstellte Wirklichkeit der Welt öffnen und
die eigenen Fixierungen und Verengungen aufgeben, die uns bisher blockiert
haben.
Es
gibt in unserem Gehirn und in unserem gesamten Körper keinen unveränderlichen
dauerhaften zentralen Ich-Kern, der von der Geburt bis zum Tod konstant bleibt,
sich nicht verändert und unsere Individualität dauerhaft ausmacht. Für die
Lehre der Reinkarnation der Upanishaden im alten Indien vor Gautama Buddha galt
das Gegenteil: es gebe einen Ich-Kern, den die Inder Atman nannten, der als
konstante Entität im Leben unverändert bleibt und durch verschiedene
Wiedergeburten wandert. Im Lichte der modernen Gehirnforschung ist die Annahme eines
solchen Ich-Kerns ausgeschlossen. Unsere wahre Existenz ist also kein dauerhafter
unveränderlicher Ich-Kern, sondern ein lebendes vernetztes Ganzes, das sich
dauernd verändert und entwickelt, erstaunlich lernfähig ist und durch Wechselwirkung
mit anderen Menschen und der Umwelt gekennzeichnet ist. Das ist so, obgleich
wir vielleicht an ein unveränderliches Ich glauben. Aber dieser Glaube entspricht
nicht der Wirklichkeit.
Entstehung in
Wechselwirkung
Die
Lebensphilosophie der lernenden Vernetzung, also des Entstehens in Wechselwirkung,
wird damit durch die Evolutionsforschung und Gehirnforschung voll bestätigt: pratitya samutpada ist die
Wirklichkeit selbst, genau so wie es Nâgârjuna sagt. Sie besteht nicht aus
menschlichen Ich-Kernen, Atman, die unabhängig voneinander konstant und dauerhaft
von Leben zu Leben wandern, sondern die Menschen sind Teil eines großen
Netzwerkes, im Innen- und im Außenverhältnis.
Es
geht für uns Menschen darum, innerhalb dieses Netzwerkes ein sinnvolles Leben
zu führen und einen guten Lebensweg zu finden. Aus meiner Sicht ist das die
Essenz der buddhistischen Lehre und Praxis, die von Gautama Buddha vor etwa
2500 Jahren selbst erfahren, erkannt, erprobt und entwickelt wurde.
Aus
meiner Sicht ist der Buddhismus eine ausgesprochen optimistische und positive
Weltanschauung und wenn man so will einer Religion. Es geht um Entwickeln,
Lernen, Weiterentwickeln und Entstehen: in Kooperation und Wechselwirkung mit
anderen Menschen und der Umwelt. Einseitige Abhängigkeiten reduzieren die
Lebenschancen und die Lebensfreude ganz erheblich und führen zu Leiden, sei es
Abhängigkeiten von uns selbst, wie Gier, Hass, Neid, Angst usw. oder sei es von
anderen Menschen oder Umständen. Dann kann nicht viel Neues entstehen, es gibt
keinen Lebensoptimismus, sondern das Leben wird immer mehr verengt und gerät in
immer größere Abhängigkeit, zum Beispiel von den obigen buddhistischen Giften,
aber auch von falschen Gurus, Politikern und charismatischen machtgierigen und
verführerischen Menschen: moderne
psychische Wölfe in Schafspelzen. Und es gibt auch spirituelle Wölfe in Schafspelzen!
Dann
reduziert sich die Wechselwirkung des Netzwerkes auf eine unidirektionale lineare Abhängigkeit: das ist das abhängige
Entstehen oder bedingte Entstehen, das aus meiner Sicht recht ungenau als
zentrale Aussage des Buddhismus aufgefasst wird. Nicht das Vergehen, Absterben
und die Abhängigkeit sind zentrale Aussage des Buddhismus, sondern das
Entstehen, die Wechselwirkung, das Lernen und die Evolution zu größerer
Vielfalt und auch Schönheit. Das ist gerade der Befreiungs-Weg zum Erwachen und
zur Erleuchtung. Das Lotus-Sûtra spricht in diesem Sinne davon, dass wir unsere Buddha-Welt mit Schönheit
schmücken sollen, um ein gutes und glückliches Leben zu führen. Das ist eine
wichtige Aussage, die mich überzeugt. Das positive Entstehen, die
Weiterentwicklung und vielfältige Lernprozesse sind die zentrale Essenz des
Sanskrit-Begriffes pratitya samutpada.
Zusammenfassung
Wir
können die beiden ersten Verse von Nâgârjunas Mittleren Weg (MMK) wie folgt zusammenfassen: vergesst eure
bisherigen eingefahrenen Vorstellungen und Begriffe, die auf der falschen
Weltanschauung eines unveränderlichen Ich-Kerns und isolierter Dinge und
Entitäten basieren. Die wahre Existenz des Menschen ist ein offenes, vernetztes
Selbst, das dauernd in Entwicklung ist und in dem dauernd etwas Neues entsteht.
Jedes Fortschreiten von einem Augenblick zum nächsten ergibt Neuerungen und
Entstehungsprozesse. Diese Veränderungen im kreativen evolutiven Netz sind
unsere wahre Existenz, nicht irgendetwas Unveränderliches, Dauerhaftes,
Festgelegtes und Dogmatisches, auch nicht nach einem buddhistischen Dogma.
Bei
einem unveränderlichen Ich-Kern gibt es kein Entstehen sondern nur bei einem
offenen lernenden Selbst, dass sich nicht isoliert, sondern im sozialen Netz
und in der sozialen Verantwortung tätig ist und handelt. Verkürzt könnte man
sagen: das verantwortungsvolle Handeln in der Vernetzung mit Anderen und der
Umwelt ist unsere wahre Existenz. Aus meiner Sicht ist dies genau die
Lebensphilosophie des Bodhisattva, die im Mahâyâna-Buddhismus zu hoher Blüte
gebracht wurde und nicht zuletzt im Zen-Buddhismus bis heute existiert.
Einen
unveränderlichen isolierten Ich-Kern gibt es weder geistig noch biologisch und
auch nicht materiell.: Der Starke ist am
schwächsten allein, er ist allerdings nicht einmal lebensfähig. Maßgeblich
ist es, wie wir handeln: Wir sind, was wir machen und wir sind nicht, was wir
nicht machen.
Im
Zen-Buddhismus heißt es bei Dôgen:
„Erleuchtung
ist Feuerholz tragen und Wasser schöpfen“ und
„in
der Zen-Meditation empfängt das Selbst das (wahre) Selbst“.
Dôgen
hat diese zentrale Lehre und Praxis vor allem in den fulminanten Kapiteln zur
Verwirklichung im Leben und Universum, zum Herz-Sûtra, zum Lotus-Sûtra und zur
Buddha-Natur behandelt. Sie stimmen genau mit Buddhas und Nâgârjunas zentraler
Aussage pratitya samtupada überein.
Und
Buddhismus ist eine umfassende im Grundsatz positive Religion. Sie kann nicht
durch den Satz „Alles ist Leiden"
gekennzeichnet werden. Es gibt zweifellos die Wirklichkeit des Leidens, das wir
mit dem Achtfachen Pfad überwinden können; oder anders formuliert:
„Alles
Leiden ist zwar Leiden", aber es
kann überwunden und verlernt werden.