(Yudo J. Seggelke)
Es gibt wohl niemanden, der gegen einen offenen innerbuddhistischen Dialog ist und dabei
auch an den interreligiösen Dialog
denkt. Jeder wird sicher zustimmen, dass wir dabei keine Zeit mehr verschwenden
sollte, aber bislang gibt es eher zaghafte Versuche und nur wenige lebendige
Dialoge. Ich denke dabei zum Beispiel an Gespräche zwischen dem tibetischen-
und dem Zen-Buddhismus. Beide großartige Übertragungslinien basieren wesentlich
auf der Philosophie des Mittleren Weges (MMK) des indischen Meisters Nagarjuna.[1]
Alle buddhistischen Linien und Traditionen sind heute praktisch im
Westen, also in Europa und Amerika, vertreten und lebendig. Wir dürfen nicht
vergessen, dass Gautama Buddha ein Nachkomme der indo-europäischen Einwanderer
war und in einer Sprache gedacht und gesprochen hat, die z. B. dem antiken
Griechisch und Lateinisch durchaus verwandt war. Diese Tatsache wird oft zu
wenig beachtet. Etwas lax ausgedrückt heißt das: Gautama Buddha konnte sich sprachlich
vielleicht noch mit seinen Philosophen-Kollegen in Griechenland verständigen,
etwa mit Heraklit und Parmenides (, die ich leider nur im Groben kenne).
Vielleicht wäre das so ähnlich wie ein heutiger Dialog eines Bayern
mit einem Holländer, eventuell allerdings mit anderem Inhalt. Wer weiß.
Wahrscheinlich ist uns im Westen der Buddhismus wegen der gemeinsamen Wurzel
der Sprache und Grammatik im Kern vertrauter, als viele meinen, wenn wir einmal
die jeweiligen Zeremonien und Rituale beiseite lassen. Übrigens hat gerade die
deutsche Sprache manche Ähnlichkeiten mit Sanskrit und Pali, also der Sprache und
Schrift des frühen Buddhismus.
Im geschichtlichen Ablauf und durch die Integration z. B. mit der tibetischen
und chinesich-japanischen Kultur sind dann weitere wertvolle Bereiche im
Buddhismus hinzu gekommen und haben in der Wechselwirkung der jeweiligen
Kulturen neue kreative Potentiale in Gang gesetzt, der Chan-Buddhismus z. B.
mit der Lehre des Dao und dem großen Philosophen Laozi. Das ist wirklich eine
spannende Ausgangslage für den sich entwickelnden westlichen Buddhismus!
Auf dieser Grundlage möchte ich einige Überlegungen anstellen, wie
ein innerbuddhistischer Dialog zwischen den verschiedenen Traditionen
durchgeführt werden könnte, in diesem Fall z. B. zwischen dem Tibetischen
Buddhismus und dem Zen.
Dabei möchte ich auch Überlegungen einfließen lassen, die auf
meinen langjährigen Erfahrungen beim Umwelt-Dialog in nationalen und
internationalen Bereichen beruhen. Sie sind hoffentlich eine brauchbare
Anregung für praktische Aktivitäten, denn der innerbuddhistische Dialog ist
durch einen wichtigen Diskussionsbeitrag in der Zeitschrift „Buddhismus
aktuell“ besonders vertieft worden. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Zen
nicht zuletzt auf der Grundlage von Meister Dogens fulminantem Werk Shobogenzo dazu wertvolle Beiträge liefern kann.[2]
Ein solcher Dialog, der im Tibetischen Rimé[3]
( vgl. Ringu Tulku) heißt, sollte wirklich frei von offenen und verdeckten Hierarchien zwischen den Vertretern der Übertragungslinien sein.
Dazu ist es nicht zuletzt wichtig, die überlieferten buddhistischen Lehren
nicht "gläubig anzuhimmeln" (so der Philosoph Wolfgang Welsch[4])
sondern auch kritisch zu hinterfragen, damit die alten Texte lebendig werden
und anfangen zu reden: Wie können wir
uns mit den alten Texten wirklich unterhalten, damit deren Sinn zur heutigen
Zeit zu uns spricht?
Ein interbuddhistischer Dialog zweier Übertragungslinien könnte
folgende Elemente enthalten:
1. Einführende Worte eines Mediators, der
keiner der beiden Übertragungslinien angehört.
2. Grundsatzreferate, oder mit einem
modernen Wort "Impulsvorträge", der beiden Vertreter zu einem
zentralen Thema des Buddhismus, Dauer ca. 30-45 Minuten.
Folgende Themen könnten z. B. gewählt werden:
Erwachen/Erleuchtung, Leerheit und bedingtes Entstehen, Buddha-Natur,
Geist-Training, Einheit von Körper-und-Geist, intuitive Klarheit und Grenzen
des Denkens, Ich-Losigkeit, Achtsamkeit, Meditation/Samadhi, wahres Handeln,
Bodhisattva, Ethik/Moral, Karma und Wiedergeburt usw. Nach Nishijima Roshi geht
es im Buddhismus um die vier Bereiche: Idealismus, Materialismus, Handeln im
Augenblick und Erwachen/Erleuchtung zum höchsten menschlichen Zustand.[5]
Weitere Schritte:
3. Freier und offener Dialog der beiden
Vertreter miteinander und den Teilnehmern über die Impulsvorträge.
4. Fragen des Mediators an beide
Vertreter, vorbereitet und/oder spontan sowie weitere Fragen von Dritten, z. B.
aus dem Publikum.
5. Zusammenfassung und Ausblick des
Mediators, ohne der Verführung der Vereinfachung zu erliegen.
Dabei ist von großer Wichtigkeit, dass kreative Anschlussqualität ermöglicht wird. Der Dialog hat nach H.
G. Gadamer[6]
das Ziel, kein Ziel zu haben. Ein
hermeneutischer Dialog muss gerade offen in die Zukunft gehen, also über sich
hinausweisen. Ein bloßer Wissensaustausch ist zu wenig. Dabei sollte ein gewisser
Basis-Konsens vorhanden sein. Die Kernpunkte der Hermeneutik sind:
Verstehen
Auslegen und interpretieren
Sich-Selbst-Verstehen
Ohne ein gutes Maß an Empathie und gegenseitiger Achtung dürfte
nach C. R. Rogers allerdings ein fruchtbarer Dialog nicht zu führen sein. Denn
seine Aussagen gehen über die Beziehung von Klient und Therapeut weit hinaus
und sind auf jedes menschliche Gespräch anzuwenden.[7]
Es ist klar, das sich ein solcher inner-buddhistischer Dialog deutlich von den Retreats, Lehr- und
Praxistagen innerhalb einer Übertragungs-Linie unterscheidet.
Beide Formen dürfen daher nicht vermischt und verwechselt werden. Es geht
gerade nicht um Belehrung und
Unterweisung.
Es darf auf keinen Fall das Ziel bestehen, den Vertreter der
jeweils anderen Linie zu belehren oder besiegen oder auch nur mit Tricks mehr
Redezeit für sich selbst heraus zu holen, sondern es geht um kreative
Wechselwirkungen und Anregungen, die nicht zuletzt für die jeweils eigene Linie
fruchtbar und vertiefend sind. Es darf keine offene oder verdeckte
Höherstellung eines der beiden Vertreter geben.
Die Teilnehmer sollten dabei anschließend gleichberechtigt den
Dialog mitgestalten. Das kommt der genannten Hermeneutik
des Philosophen H. G. Gadamas und der Empathie
des Therapeuten C. R. Rogers sehr nahe. Im innerbudistischen Dialog geht es
also um Kreativität im Dialog und nicht um den begrenzten Austausch bereits vorhandenen Wissens als unveränderliche
Entität und schon gar nicht um
Sieger und Besiegte.
Besonders wichtig ist es, eine festgelegte Wortgläubigkeit zu
hinterfragen. Es sollte auch kein festes Ziel vorgegeben werden, sondern es ist
das Ziel kein Ziel zu haben:
wir wissen nicht was herauskommt. Es geht überhaupt nicht um falsch verstandene
Belehrung oder Unterweisung von oben nach unten, sondern um einen
"leeren" Dialog ohne Verfestigungen und Isolation der Teilnehmer von
einander, ohne svabhava: kurz
die Trennung des Dualismus im Gespräch wird aufgehoben. Das ist u. E. die
zentrale Aussage von pratitya
samutpada, das ist das wechselwirkende Aufblühen des Buddha Dharma.
Dabei ist auch der enge Bezug zum frühen Pali-Buddhismus besonders
wichtig.
Was meinen Sie/meint Ihr dazu? Gibt es Erfahrungen für einen
solchen fruchtbaren Dialog.?
Welche Themen sind für einen innerbuddhistischen Dialog besonders?
[1] Kalupahana,
David J.: Nāgārjuna: The Philosophy
of the Middle Way, Mūlamadhyamakakārikā
[2] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren
Dharma-Auges (deutsche Übersetzung: Ritsunen Gabriele Linnebach und Gudo Wafu
Nishijima), Bände 1–4.
[3] Ringu Tulku: Die RI-ME-Philosophie des großen Dschamgön Kongtrul: Eine Studie der buddhistischen Überlieferungen in Tibet
[4] Welsch, Wolfgang: Immer nur der
Mensch
[5] Nishijima, Gudo Wafu: Aus meinem
Leben. Wirklichkeit und Buddhismus.
[6] Dutt, Carsten (Hrsg.): Hans-Georg Gadamer im Gespräch
[7] Rogers, Carl R.: Die
klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie