Dienstag, 19. Mai 2015

Innerbuddhistischer Dialog: Aber wie?

(Yudo J. Seggelke)


Es gibt wohl niemanden, der gegen einen offenen innerbuddhistischen Dialog ist und dabei auch an den interreligiösen Dialog denkt. Jeder wird sicher zustimmen, dass wir dabei keine Zeit mehr verschwenden sollte, aber bislang gibt es eher zaghafte Versuche und nur wenige lebendige Dialoge. Ich denke dabei zum Beispiel an Gespräche zwischen dem tibetischen- und dem Zen-Buddhismus. Beide großartige Übertragungslinien basieren wesentlich auf der Philosophie des Mittleren Weges (MMK) des indischen Meisters Nagarjuna.[1]

Alle buddhistischen Linien und Traditionen sind heute praktisch im Westen, also in Europa und Amerika, vertreten und lebendig. Wir dürfen nicht vergessen, dass Gautama Buddha ein Nachkomme der indo-europäischen Einwanderer war und in einer Sprache gedacht und gesprochen hat, die z. B. dem antiken Griechisch und Lateinisch durchaus verwandt war. Diese Tatsache wird oft zu wenig beachtet. Etwas lax ausgedrückt heißt das: Gautama Buddha konnte sich sprachlich vielleicht noch mit seinen Philosophen-Kollegen in Griechenland verständigen, etwa mit Heraklit und Parmenides (, die ich leider nur im Groben kenne).

Vielleicht wäre das so ähnlich wie ein heutiger Dialog eines Bayern mit einem Holländer, eventuell allerdings mit anderem Inhalt. Wer weiß. Wahrscheinlich ist uns im Westen der Buddhismus wegen der gemeinsamen Wurzel der Sprache und Grammatik im Kern vertrauter, als viele meinen, wenn wir einmal die jeweiligen Zeremonien und Rituale beiseite lassen. Übrigens hat gerade die deutsche Sprache manche Ähnlichkeiten mit Sanskrit und Pali, also der Sprache und Schrift des frühen Buddhismus.

Im geschichtlichen Ablauf und durch die Integration z. B. mit der tibetischen und chinesich-japanischen Kultur sind dann weitere wertvolle Bereiche im Buddhismus hinzu gekommen und haben in der Wechselwirkung der jeweiligen Kulturen neue kreative Potentiale in Gang gesetzt, der Chan-Buddhismus z. B. mit der Lehre des Dao und dem großen Philosophen Laozi. Das ist wirklich eine spannende Ausgangslage für den sich entwickelnden westlichen Buddhismus!

Auf dieser Grundlage möchte ich einige Überlegungen anstellen, wie ein innerbuddhistischer Dialog zwischen den verschiedenen Traditionen durchgeführt werden könnte, in diesem Fall z. B. zwischen dem Tibetischen Buddhismus und dem Zen.

Dabei möchte ich auch Überlegungen einfließen lassen, die auf meinen langjährigen Erfahrungen beim Umwelt-Dialog in nationalen und internationalen Bereichen beruhen. Sie sind hoffentlich eine brauchbare Anregung für praktische Aktivitäten, denn der innerbuddhistische Dialog ist durch einen wichtigen Diskussionsbeitrag in der Zeitschrift „Buddhismus aktuell“ besonders vertieft worden. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Zen nicht zuletzt auf der Grundlage von Meister Dogens fulminantem Werk Shobogenzo dazu wertvolle Beiträge liefern kann.[2]

Ein solcher Dialog, der im Tibetischen Rimé[3] ( vgl. Ringu Tulku) heißt, sollte wirklich frei von offenen und verdeckten Hierarchien zwischen den Vertretern der Übertragungslinien sein. Dazu ist es nicht zuletzt wichtig, die überlieferten buddhistischen Lehren nicht "gläubig anzuhimmeln" (so der Philosoph Wolfgang Welsch[4]) sondern auch kritisch zu hinterfragen, damit die alten Texte lebendig werden und anfangen zu reden: Wie können wir uns mit den alten Texten wirklich unterhalten, damit deren Sinn zur heutigen Zeit zu uns spricht?
Ein interbuddhistischer Dialog zweier Übertragungslinien könnte folgende Elemente enthalten:

1. Einführende Worte eines Mediators, der keiner der beiden Übertragungslinien angehört.

2. Grundsatzreferate, oder mit einem modernen Wort "Impulsvorträge", der beiden Vertreter zu einem zentralen Thema des Buddhismus, Dauer ca. 30-45 Minuten.

Folgende Themen könnten z. B. gewählt werden: Erwachen/Erleuchtung, Leerheit und bedingtes Entstehen, Buddha-Natur, Geist-Training, Einheit von Körper-und-Geist, intuitive Klarheit und Grenzen des Denkens, Ich-Losigkeit, Achtsamkeit, Meditation/Samadhi, wahres Handeln, Bodhisattva, Ethik/Moral, Karma und Wiedergeburt usw. Nach Nishijima Roshi geht es im Buddhismus um die vier Bereiche: Idealismus, Materialismus, Handeln im Augenblick und Erwachen/Erleuchtung zum höchsten menschlichen Zustand.[5]

Weitere Schritte:

3. Freier und offener Dialog der beiden Vertreter miteinander und den Teilnehmern über die Impulsvorträge.

4. Fragen des Mediators an beide Vertreter, vorbereitet und/oder spontan sowie weitere Fragen von Dritten, z. B. aus dem Publikum.

5. Zusammenfassung und Ausblick des Mediators, ohne der Verführung der Vereinfachung zu erliegen.

Dabei ist von großer Wichtigkeit, dass kreative Anschlussqualität ermöglicht wird. Der Dialog hat nach H. G. Gadamer[6] das Ziel, kein Ziel zu haben. Ein hermeneutischer Dialog muss gerade offen in die Zukunft gehen, also über sich hinausweisen. Ein bloßer Wissensaustausch ist zu wenig. Dabei sollte ein gewisser Basis-Konsens vorhanden sein. Die Kernpunkte der Hermeneutik sind:

Verstehen
Auslegen und interpretieren
Sich-Selbst-Verstehen

Ohne ein gutes Maß an Empathie und gegenseitiger Achtung dürfte nach C. R. Rogers allerdings ein fruchtbarer Dialog nicht zu führen sein. Denn seine Aussagen gehen über die Beziehung von Klient und Therapeut weit hinaus und sind auf jedes menschliche Gespräch anzuwenden.[7]

Es ist klar, das sich ein solcher inner-buddhistischer Dialog deutlich von den Retreats, Lehr- und Praxistagen innerhalb einer Übertragungs-Linie unterscheidet. Beide Formen dürfen daher nicht vermischt und verwechselt werden. Es geht gerade nicht um Belehrung und Unterweisung.

Es darf auf keinen Fall das Ziel bestehen, den Vertreter der jeweils anderen Linie zu belehren oder besiegen oder auch nur mit Tricks mehr Redezeit für sich selbst heraus zu holen, sondern es geht um kreative Wechselwirkungen und Anregungen, die nicht zuletzt für die jeweils eigene Linie fruchtbar und vertiefend sind. Es darf keine offene oder verdeckte Höherstellung eines der beiden Vertreter geben.

Die Teilnehmer sollten dabei anschließend gleichberechtigt den Dialog mitgestalten. Das kommt der genannten Hermeneutik des Philosophen H. G. Gadamas und der Empathie des Therapeuten C. R. Rogers sehr nahe. Im innerbudistischen Dialog geht es also um Kreativität im Dialog und nicht um den begrenzten Austausch bereits vorhandenen Wissens als unveränderliche Entität und schon gar nicht um Sieger und Besiegte.

Besonders wichtig ist es, eine festgelegte Wortgläubigkeit zu hinterfragen. Es sollte auch kein festes Ziel vorgegeben werden, sondern es ist das Ziel kein Ziel zu haben: wir wissen nicht was herauskommt. Es geht überhaupt nicht um falsch verstandene Belehrung oder Unterweisung von oben nach unten, sondern um einen "leeren" Dialog ohne Verfestigungen und Isolation der Teilnehmer von einander, ohne svabhava: kurz die Trennung des Dualismus im Gespräch wird aufgehoben. Das ist u. E. die zentrale Aussage von pratitya samutpada, das ist das wechselwirkende Aufblühen des Buddha Dharma.

Dabei ist auch der enge Bezug zum frühen Pali-Buddhismus besonders wichtig.

Was meinen Sie/meint Ihr dazu? Gibt es Erfahrungen für einen solchen fruchtbaren Dialog.?

Welche Themen sind für einen innerbuddhistischen Dialog besonders?






[1] Kalupahana, David J.: Nāgārjuna: The Philosophy of the Middle Way, Mūlamadhyamakakārikā
[2] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung: Ritsunen Gabriele Linnebach und Gudo Wafu Nishijima), Bände 1–4.

[3] Ringu Tulku: Die RI-ME-Philosophie des großen Dschamgön Kongtrul: Eine Studie der buddhistischen Überlieferungen in Tibet 

[4] Welsch, Wolfgang: Immer nur der Mensch
[5] Nishijima, Gudo Wafu: Aus meinem Leben. Wirklichkeit und Buddhismus.
[6] Dutt, Carsten (Hrsg.): Hans-Georg Gadamer im Gespräch
[7] Rogers, Carl R.: Die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie