Der Buddhismus ist eine positive und
lebensvolle Lehre und Praxis, die uns Menschen in zwei großen
Entwicklungsschritten aus überflüssigem und selbst verursachtem Leiden
herausführen möchte, damit wir zunächst einmal ein „normales“ Leben führen
können. Dazu müssen wir natürlich unser Leiden möglichst klar erkennen und die
Verursachung und Wechselwirkung mit anderen Menschen und Einflüssen gründlich
und so weit es geht ohne Tabus analysieren: Das ist der wesentliche Impuls der Vier Edlen Wahrheiten Buddhas für
Körper, Psyche und Geist.[1]
Es bringt nichts, immer bei anderen die Schuld zu suchen oder sich selbst zu
beklagen.
Beides sind Extreme, die der
Wirklichkeit niemals entsprechen können und uns nicht wirklich weiterhelfen.
Denn Buddhismus ist der Mittlere Weg der Wechselwirkung, auch und gerade beim
Ausweg aus dem Leiden. Extreme sind nur hohle Ideologien, die uns verhärten,
aber sie führen nicht zur freudigen psychischen, geistigen und spirituellen
Bewegung. Sie dienen meist nur dem eigenen Helden-Status, sei es als grandioses
Ich mit Sieg oder Untergang oder sei es als Klage-Ich des Opfers. Im Gegensatz
dazu sind die buddhistischen Bewegungen und Entwicklungen für unsere Befreiung unbedingt
erforderlich und sinnvoll.
In der Abbildung habe ich Einzelheiten
dem sutta „Grundlagen der Achtsamkeit“ entnommen: die Arten des Leidens, die
fünf Hemmnisse auf dem Weg der Befreiung und die sieben Glieder des Erwachens.[2]
Aber die Lehre Buddhas bleibt bei dem Zustand des „normalen“ Lebens nicht stehen. Sie will uns darüber hinaus zu dem bringen, was Erwachen, Licht oder Erleuchtung genannt wird. Es geht darum, aus einem schwierigen dunklen, durch Kummer, Gram und Verzweiflung bestimmten Leben heraus zu kommen, das Leiden zu überwinden und zur Freiheit und Leichtigkeit zu gelangen, dann können wir an deren Kraft und Wahrheit teilnehmen. Nishijima Roshi sagt im Einklang mit Meister Dôgen, dass dies die Verwirklichung der Buddha-Natur oder des Buddha-Wesens ist. Und Buddha lehrte, dass es für uns keine Utopie und Illusion ist oder bleiben muss, sondern dass wir durch Übung und klärende Lebens-Prozesse unser Buddha-Wesen wirklich erleben können
Welche Blume ist nun als Symbol besonders
geeignet, um eine solche Entwicklung und Befreiung zu kennzeichnen? Ohne
Zweifel ist das die Lotos – Blume,
die aus dem Schlamm und dem schmutzigen Sumpf eines stehenden Gewässers ihre
Knospe nach oben an die Oberfläche und zum Licht wachsen lässt, um sich dann in
ihrer ganzen überwältigenden Schönheit der Sonne zu öffnen. Damit ist der
Entwicklungs- und Befreiungsweg des Buddhismus aus dem Leiden gleichnishaft
präzise beschrieben.
Gautama Buddha hat diese Lehre mit den
Vier Edlen Wahrheiten und dem Achtfachen
Pfad zum Erwachen und zur Befreiung einfühlsam und psychologisch treffend
beschrieben. Im Zen – Buddhismus wird dabei besonders betont, dass es nicht
allein um den Geist und die
theoretische Lehre geht, sondern um das praktische
Erleben durch sich verfeinernde Übungen und Methoden der buddhistischen
Praxis: Das freudige Bewegen zur
Befreiung in unserem Leben.
Das Lotus – Sûtra ist typisch für einen
von Freude durchdrungenden Befreiungsweg und, wie uns Dôgen in seinem Kapitel
zum Lotus – Sûtra sagt, alles andere als ein weltfremdes illusorisches „Märchenbuch“[3].
So ist es verständlich, dass das Lotus – Sûtra das wohl am meisten gelesene und
rezitierte buddhistische Werk Ostasiens ist. Die wichtigste Botschaft dieses
Sûtras lautet: Selbstverständlich gibt es Schlamm, Schmutz und Leiden, zum
Beispiel drei Gifte Gier, Hass und Verblendung in dieser Welt.
Aber es liegt weitgehend an uns selbst, dass wir uns wie die
Lotus – Blüte nicht von all diesem Negativen und diesem Schlamm verunreinigen
lassen, sondern uns befreien und zum Licht der Schönheit und Freiheit unseres
Lebens entwickeln. Dann können wir auch anderen Menschen effizient helfen. Dazu
gibt es im Lotus – Sûtra mehrere Gleichnisse: Zum Beispiel bemerken die in ihr
Spiel völlig vertieften Kinder gar nicht, dass ihr Haus Feuer gefangen hat und sie in großer Gefahr sind,
eingeschlossen zu werden und zu verbrennen.
Sie werden dann gerettet und besteigen
eine geschmückte Kutsche, die viel schöner ist als gedacht. Das Spiel im
brennenden Haus ist nicht nur gefährlich sondern auch Zeitverschwendung. Das Lotus – Sûtra spricht häufig in Gleichnissen
die Probleme, Schwierigkeiten und Gefahren dieser Welt an, ermutigt uns aber
nachhaltig und überzeugend, dass wir diese Gefahren mit klarem Geist und guter
Praxis meistern, ihnen entkommen und uns befeien können.
Ein sehr wichtiger Teil des Lotus –
Sûtras besteht in der Weissagung,
dass alle Menschen irgendwann Erleuchtung und die Freiheit eines Buddhas
erlangen können, selbst wenn sie noch so tief in Schwierigkeiten, Unkenntnis
und falschem Handeln verstrickt sind. Ein besonders problematisches Beispiel
ist Buddhas Vetter Devadatta, der
nach buddhistischer Überlieferung die Sangha gespalten hat und Buddha
verleumdete. Auch ihm wird aber im Lotus – Sûtra geweissagt, dass er irgendwann
nach vielen Zeitaltern ein Buddha wird. Das ist in der Tat eine erstaunliche
Weissagung.
Dôgens Interpretation des Lotus – Sûtra
bleibt nicht bei der Sichtweise einer schönen aber unbeweglichen Blüte und des Lebens stehen, sondern er wiederholt
den berühmten Satz des großen Zen – Meisters Daikan Eno (Hui Neng), dass
sich
die Blume des Buddha-Dharma, die durch die Lotos – Blume symbolisiert wird,
dreht und dass sich genau in dieser Bewegung, Drehung und Dynamik die Gesundung
der Welt und Befreiung des Menschen ereignet.
Wer dumpf und unklar ist, bemerkt diese befreiende Dynamik der
sich drehenden Dharma-Blume nicht. Aber wer selbst auf dem Buddha – Weg
Freiheit und handelnde Energie erlangt hat, dreht
selbst die Dharma – Blume der Wahrheit und gestaltet zugleich sich selbst
zusammen und diese Welt. Für mich ist diese Aussage der Bewegung, Dynamik und
wie es hier heißt, der Drehung ein fundamentaler
philosophischer Fortschritt gegenüber einem statischen Seins-Verständnis der Welt. Bei Buddha und dem großen indischen
Philosophen Nâgârjuna gibt es dazu die
tiefgründige Lehre der Bewegung und Entwicklung: das wechsel-wirkende gemeinsame Entstehen, pratitya samutpada.[4]
Ich bin sicher, dass Dôgen genau diese zentrale Aussage des Buddhismus durch
das Zitat des Zen – Meisters Daikan Eno ansprechen wollte.
Der Zen – Buddhismus gründet auf der
Wirklichkeit hier und jetzt, ohne das Ganze und den Sinn des Lebens durch falsche
Fragmentierung also ideelle, ideologische oder materielle Zersplitterung zu verdecken. Es geht
um das Zusammenwirken des Einzelnen mit dem Ganzen, von Differenz und Einheit,
Bewegung und Ruhe. Dabei reicht intellektuelles Denken, Wissen oder Rezitieren nicht
aus, sondern wesentlich sind erlebendes
Erfahren und die zunehmende Offenheit und Wechselwirkung mit anderen
Menschen und nicht zuletzt mit der Schönheit dieser Welt, zum Beispiel einer
Blume. So heißt es im Lotos-Sutra:
„Die
Buddhas zusammen mit den Buddhas können vollständig verwirklichen, dass alle
Dharmas (Dinge und Phänomene) wirklich Form sind.“
Dazu bedarf es des festen Vertrauens darauf,
dass „wir ursprünglich Könige im Dharma
sind“ wie es in diesem Kapitel zum Lotos-Sûtra heißt. Das gibt uns ein
Erleben in der Harmonie der Welt.
Ich möchte nun den großen
buddhistischen Meister Padmasambhava,
der „Lotos - Entstandene“, zu Wort
kommen lassen, der im 8. Jahrhundert vermutlich im Ost-Iran geboren wurde und
wesentlich in Tibet gewirkt hat, ohne selbst Inder oder Tibeter gewesen zu
sein. Für ihn sind die Schönheit, Bewegung der Welt, das Licht und die
Helligkeit von zentraler Bedeutung. Seine Texte sind aus meiner Sicht von
tiefer Poesie und großer Glaubwürdigkeit:
„Aus
dem Zentrum des Daseins, die reine sichtbare Erscheinungsform der dem
Himmelsraum (gleichenden) wirbelnden Spiralbewegung (des Seins),
sie
haben sich als ein strahlendes Licht manifestiert, unaufhörlich schöpferische
Fähigkeiten:
Diese
seinsmäßige Turbulenz hat sich als meine schöpferische Fähigkeit erwiesen.
Und
das strahlende Licht ist die schöpferische Kraft meines Spiels (und meiner
freudigen Bewegung)“ [5]
Ich möchte diese Verse nach meinem
Verständnis kurz in diesem Rahmen deuten:
Das Dasein wird als wirbelndes Licht
bezeichnet, also Bewegung und Helligkeit. Dabei wird nicht zunächst festgelegt,
welches Dasein gemeint ist, des Kosmos oder unser eigenes. Ich meine, der Autor
spricht beides an. Da ist die reine Erscheinungsform unseres Lebens und der
Welt. Weiter wird das Licht als unsere unaufhörliche sich immer entwickelnde
schöpferische Fähigkeit bezeichnet und erkannt. Und das ist die freudige
Entwicklung, nicht bierernst, nicht dogmatisch sondern spielerisch, wie im
Tanz.
Wie der Übersetzer und Kommentator Herbert
Guenther mit Peter Gäng zu Recht betont, sind die Arbeiten Padmasambhavas
bisher viel zu wenig beachtet worden und verdienen es, in buddhistischen
Kreisen gründlich gelesen, interpretiert und stärker wahrgenommen zu werden.
In einem anderen Kapitel Dôgens wird
der große Zen – Meister Gensa zitiert:
„Das
ganze Universum ist eine leuchtende Perle“.[6]
Dieser Meister verband klares Erleben
mit poetischer Kraft und Direktheit. Auch eine Perle rollt, bewegt sich und
spiegelt dabei nicht zuletzt durch ihre eigene Schönheit die Welt in deren
ganzer Schönheit wieder. Dieses Kapitel wurde von Dôgen außerordentlich
geschätzt, und er stellte es zu den anderen fundamentalen Kapiteln in den
Anfangsteil seines Werkes „Shôbôgenzô. Direktes eigenes Erleben und Erfahren
ist viel wesentlicher und wichtiger als erlernte Theorie und auswendig
gelerntes Wissen, es ermöglicht den unmittelbaren Zugang zur Wirklichkeit
dieser Welt.
Auch in diesem Kapitel wird die optimistische
und strahlende Erlebnis-Welt des Buddhismus wiedergegeben, ganz im Gegensatz zu
dem Pessimismus und Nihilismus, die dem Buddhismus leider häufig angeheftet
werden, sei es aus Unkenntnis, mangelndem Verständnis oder sei es aus dem
Interesse einer Abwertung oder sogar Verleumdung. Gensa sagt in aller Klarheit,
dass das Leben und das Universum wie eine Perle ist, die sich bewegt und damit
die Befreiung und Weiterentwicklung im Buddhismus durch eigenes Erleben und
Erfahren kennzeichnet.
Die buddhistischen Lehren sind sicher
von großer Bedeutung, aber sie sind letztlich nur ein Fingerzeig auf die Wirklichkeit und unseren Befreiungsweg, den wir
selbst zu praktizieren und zu gestalten haben: Bewegung, Wandel, Tun und Handeln
im Einklang mit der Entwicklung von Körper, Psyche und Geist verwirklichen wir
selbst in Wechsel-Wirkung mit anderen und nicht durch intellektuelle Theorie.
Insbesondere die auch im Buddhismus zu findende Behauptung, dass es einen Geist
isoliert vom Körper gäbe, wird von Gensa überzeugend verneint. Als er sich mit
seinen offenen Sandalen an einem Stein stieß und große Schmerzen hatte, wurde
ihm blitzartig klar: Es gibt keinen Geist
ohne den Körper.
Seine Aussage: „Das ganze Universum ist
eine leuchtende Perle“ kann nicht intellektuell und theoretisch erfasst werden,
sondern muss durch eigenes Erleben verwirklicht werden. So antwortet Gensa
einem Schüler der seine Aussage über die Perle wort-wörtlich wiederholt: „Ich sehe, dass du dich sehr anstrengst, um in
die Höhle eines Dämons in einem schwarzen Berg zu gelangen“. Dieser Berg
ist das begriffliche unterscheidende Denken und es ist die Höhle des intellektuellen
Dämons in einem schwarzen Berg.
Die hier angesprochenen beiden Kapitel
aus Dôgens Meisterwerk „Die Schatzkammer des wahren Dharma – Auges, Shobôgenzô“
geben die positive Lebensanschauung und Sinn-gebende Kraft des Buddhismus
treffend und poetisch wieder. Sie machen Mut in einer Zeit, die von Horror-Informationen
überschwemmt wird, die dann von den Massenmedien noch weiter verstärkt werden: German Angst. Aber weder Angst noch
Pessimismus können uns wirklich helfen, die positive Energie und Schönheit in
unserem Leben und unserer Umgebung zu entwickeln und zur Blüte zu bringen, wie
auch die heutige Gehirnforschung nachweist.
[1] Gäng, Peter (Hrsg.): Meditationstexte des Pali-Buddhismus I, S. 53 ff.
[2] Gäng, Peter (Hrsg.): Meditationstexte des Pali-Buddhismus I, S. 17 ff.
[3] Seggelke, Yudo J.: ZEN Schatzkammer. Einführung in Dogens Shobogenzo, Bd. 1, Kap. 17, S.
152 ff.
[4] Nagarjuna: Verse des Mittleren
Wges, MMK, Präambel
[5] Guenther, Herbert: Wirbelndes
Licht, S. 47
[6] Seggelke, Yudo J.: ZEN Schatzkammer. Einführung in Dogens Shobogenzo, Bd. 1, Kap. 4, S. 54
ff.