(Von Gudo Wafu Nishijima
Roshi)
Meister
Dōgens großes Werk Shōbōgenzō, „Die
Schatzkammer des wahren Dharma-Auges habe ich über vierzig Jahre eingehend
studiert, und bin der festen Überzeugung, dass die von mir bearbeiteten Quellentexte
auch für den Westen von unschätzbarem Wert sind. Ich unterstütze die deutsche
Fassung des Shobogenzo und dessen Einführung: „ZEN-Schatzkammer“ ausdrücklich,
weil damit das Verständnis der sicher nicht einfachen Aussagen des Shōbōgenzō im deutschsprachigen Raum für
viele Leser wesentlich verbessert werden kann.
Manche
meinen, der Buddhismus eigne sich als Religion nur für jene Menschen, die sich
aus dem beruflichen Alltag und gesellschaftlichen Leben in die Nische eines
Klosters zurückgezogen haben und versuchen, dort auf einer „Insel der Seligen“
ohne die Ungerechtigkeiten des normalen Alltags zu leben. Manche glauben auch,
dass der Buddhismus ausgesprochen lebensfeindlich oder gar nihilistisch sei.
Vor allem der Zen-Buddhismus sei, so eine verbreitete Ansicht, von
lebensfeindlicher Askese und dem schmerzhaften Ringen um die große Erleuchtung
(Satori, Kensho) geprägt, diese sei
aber für einen „normalen“ Menschen ohnehin nicht erreichbar. Eine solche
Sichtweise kann ich jedoch aus meiner praktischen Erfahrung und der in langem
Studium gewachsenen Kenntnis heraus nur als völlig
falsch bezeichnen – das Gegenteil ist richtig.
Wirklichkeit der Welt
Wer
sich aus der Wirklichkeit der Welt verabschiedet hat, gerät unweigerlich in
einen meist ausweglosen Kreislauf von Illusionen, Leiden, Trugbildern, Ängsten
und subjektiven Welten und kann von diesem Leiden nur dann befreit werden, wenn
er zur Wirklichkeit des Lebens und der Welt und damit zur Wahrheit
zurückfindet. Gautama Buddha hat dies erfahren und erkannt und uns die großartige
Lehre des Buddha-Dharma geschenkt, die uns nicht zuletzt von Meister Dōgen
authentisch übermittelt wurde.
Der
Buddhismus lehrt nicht, dass das ganze Leben aus Leiden besteht, wie
manchmal behauptet wird, sondern im Gegenteil: Er will uns praktisch gangbare
Wege aufzeigen, wie wir das vorhandene oder zukünftige Leiden überwinden
können. Dann können wir eindimensionale Weltanschauungen über Bord werfen,
Ideologien und Verführungen schnell durchschauen und zu Gleichgewicht und
Harmonie zurückfinden. Dies ist der mittlere Weg und der natürliche Zustand des
Menschen. Mit Meister Dōgen bin ich der festen Überzeugung, dass die Meditations-Praxis
des Zazen in Verbindung mit der authentischen buddhistischen Lehre genau der
richtige Weg ist, den wir beschreiten sollten.
Meine
eigene Lehre stützt sich neben Gautama Buddha selbst auf die genialen Meister
Nagārjuna, Bodhidharma und vor allem auf Meister Dōgen. Ich habe bei meinen
zahlreichen Vorträgen und Gesprächen in Asien, Europa und Amerika festgestellt,
dass sich die Kernpunkte der Theorie und Praxis des wahren Buddhismus in der
heutigen Zeit immer klarer herauskristallisieren und besser verstanden werden.
Dies betrachte ich als große Hoffnung. Es wäre von großem Wert für die gesamte
Menschheit, wenn der Buddhismus im Westen neue Kraft und Klarheit erlangen
könnte, und ich würde mich sehr freuen, wenn mein Schüler, der Zenmeister Prof.
Dr. Yudo J. Seggelke, und ich dazu einen substanziellen Beitrag leisten
könnten.
Welches
sind nun die maßgeblichen Kernbereiche des Buddha-Dharma?
Lassen
Sie mich dabei zunächst kurz auf das Leben und die Erfahrungen von Meister
Dōgen eingehen. Er wurde 1200 n. Chr. geboren und erlebte schon in früher
Jugend schwere Schicksalsschläge, weil sein Vater und seine Mutter früh starben
und er auf diese Weise bitter erfahren musste, dass das Leben endlich ist. Dies
mag der Grund dafür sein, dass er schon in jungen Jahren nach dem Sinn und der
Wahrheit des Lebens und der menschlichen Wiklichkeit suchte. Er trat mit zwölf
Jahren in ein buddhistisches Kloster ein und hatte sich nicht zuletzt wegen
seiner überragenden Intelligenz und Beharrlichkeit schon bald die verschiedenen
buddhistischen Lehren im damaligen Japan erarbeitet und sie durchdrungen.
Der
junge Dōgen war nicht nur außergewöhnlich begabt, sondern auch überaus ehrlich
sich selbst gegenüber, so dass ihn der damals in Japan gelehrte sehr
theoretische und spekulative Buddhismus trotz besten Willens und großer Anstrengung
nicht überzeugte. Er entschied sich daher, nach China in das Ursprungsland des
Zen-Buddhismus zu gehen. Auch dort erlebte er zunächst Enttäuschungen, bis er
schließlich und fast am Ende der Reise seinem Meister Tendō Nyojō begegnete, der neben der fundierten Lehre des
Buddhismus vor allem die Praxis des Zazen und das Handeln im Alltag in den Mittelpunkt
des buddhistischen Lebens stellte. Dieser hatte selbst viele Jahre lang einen
wahren Meister gesucht, aber nicht gefunden. Solche großen Meister gab es zu
jener Zeit nur noch wenige in China.
Zazen
ist keine geistige Meditation,
bei der die Konzentration auf ein Meditationsobjekt,
zum Beispiel auf ein Thema oder ein Bild, auf den Atem, auf das Zählen oder
auch auf die paradoxe Frage eines Kōans gerichtet ist. Zazen ist genau das
Gegenteil, nämlich praktisches Handeln ohne diskursives Denken in Form des
Sitzens in der richtigen Zazen-Haltung. Zazen ist gegenstanslode Meditation:
Einfach Sitzen. Dabei stellt sich beim Menschen ein bestimmtes Gleichgewicht
ein, und alle Gedanken, Gefühle und die normale Wahrnehmung verschwinden früher
oder später. Dadurch befreit sich unser Geist von Grund auf. Nach neuen
wissenschaftlichen Erkenntnissen handelt es sich dabei vor allem um das
Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems,
wenn die Aktivität und Spannung des einen Teilsystems – Sympathikus – und die
Passivität und Wahrnehmung des anderen – Parasympathikus – im Gleichgewicht
sind.
Das
japanische Wort „Shōbōgenzō“ bedeutet: der wesentliche Kern oder die
Schatzkammer des wahren Dharma-Auges, also des Buddhismus. Dieser kostbare
Schatz der Lehre ist aus der Sicht von Meister Dōgen zusammen mit der Praxis
des Zazen die umfassende Lehre des Gautama Buddha. Er beschreibt sie in seinen
Lehrreden (Sūtras) sehr genau und hat sie, wie wir wissen und erfahren, an
seine Schüler und an uns weitergegeben.
Eckpunkte der Zazen-Praxis
Was
sind nun die Kennzeichen der Zazen-Praxis, die Meister Dōgen sehr umfassend
lehrt?
Er
führt folgende vier wesentliche Bereiche auf:
(1) Das Überschreiten des üblichen unterscheidenden Denkens mit dem
Verstand durch die besondere Art des „Nicht-Denkens“;
(2) Das regelmäßige Sitzen im Zazen in der richtigen Körperhaltung, die
von Dōgen exakt beschrieben wird. Dieses Sitzen ist praktisches Tun, umfasst
damit den ganzen Menschen und beschreibt wie im Yoga die körperliche Dimension
als Grundlage des Handelns und des Geistes.
(3) Dōgen beschreibt das wirkliche Handeln und Erleben bei der Zazen-Praxis
mit den Worten „das Fallenlassen von Körper und (denkendem) Geist“ und meint
damit, dass wir uns von den einengenden Fesseln des Körpers und des gewöhnlichen
Verstandes, die uns in unserem Leben so häufig einengen und quälen, befreien.
Ich interpretiere diese von Dōgen formulierte Tatsache als das Gleichgewicht
des vegetativen Nervensystems, das durch die Zazen-Praxis erreicht wird.
(4) Die Praxis des Zazen wird durch das japanische Wort Shikantaza beschrieben, das übersetzt
etwa heißt „nichts anderes tun als sitzen“. Damit will Dōgen vor allem klar
machen, dass wir uns bei der Zazen-Praxis nicht auf ein vorgestelltes Objekt,
also ein Thema, Ziel oder Kōan, konzentrieren sollen, sondern dass das richtige
Sitzen selbst die wesentliche Übungspraxis ist. Durch das Sitzen werden Gleichgewicht
und Harmonie ermöglicht, von denen wir heute wissen, dass sie die Balance des
vegetativen Nervensystems ausmachen. Dieses Zazen-Praxis bezeichne ich, wenn
sie sich verwirklicht, als die erste
Erleuchtung. Sie kann aber nicht auftreten, wenn sich intellektuelle oder
andere unruhige Gedanken im Gehirn festsetzen, wenn Gefühle vorherrschen, wenn
verzerrte Wahrnehmung dominiert oder man gierig nach irgendetwas verlangt, zum
Beispiel auch nach der großen eigenen Erleuchtung.
Besonders schädlich ist die Gier
nach Ruhm, Ansehen, eigener Wichtigkeit, Macht oder Profit und der damit
verbundene Stolz. Daher ist es so wesentlich, durch Shikantaza nicht unbedingt irgendein „großartiges“ Ergebnis wie die
Erleuchtung erlangen zu wollen und sich nicht auf irgendetwas Spezielles zu
konzentrieren. Vielmehr kommt es darauf an, die richtige körperliche Haltung
einzunehmen und das Sitzen als Handeln zu verwirklichen. Nur dann wird sich die
erste Erleuchtung bei der Zazen-Praxis wie von selbst ereignen.
Gautama
Buddha hatte im damaligen Indien zunächst versucht, durch die bekannten Formen
der Meditation und geistigen Konzentration sowie durch extreme Übungen der
Askese die Befreiung und das Erwachen zu erlangen und war dabei gescheitert.
Die damals Indien gelehrte Philosophie des Idealismus, bei dem Gedanken, Ideen,
Vorstellungen und Ideale vorherrschend waren, hatte nicht zum ersehnten
Erwachen geführt. Aber auch die materielle Lebensphilosophie, die behauptet,
allein die Wahrnehmung, Beobachtung und der sinnliche Genuss seien wirklich, hatte
sich für ihn als Sackgasse erwiesen. Dasselbe gab die harten Übungen der Askese
als wertlos auf. Auch Skeptizismus und Nihilismus, die es schon damals als
Denkrichtungen gab, führten nicht zum Erwachen.
Was erkannte Gautama Buddha?
Schließlich
erkannte Gautama Buddha beim Zazen und dem Aufleuchten des Morgensterns, wie Meister
Dōgen es ausdrückt: „Die ganze Erde und
alle Lebewesen verwirklichen zusammen die Wahrheit.“ Ihm wurde plötzlich
klar, dass er über das gewöhnliche unterscheidende Denken und die übliche Wahrnehmung
hinausgehen musste, um die Wahrheit und Wirklichkeit der Welt direkt zu
erfahren und zu erleben. Dazu benutzte er die Praxis des Zazen in der seit
langem bekannten Yogahaltung des halben oder ganzen Lotossitzes.
Durch
den einfachen Akt des Sitzens im Augenblick und im Hier und Jetzt verlassen wir
das oft quälende dualistische Bewusstsein von Körper und Geist und erfahren
unser Leben im Einklang und in der Harmonie mit dem Universum ganzheitlich und
unmittelbar intuitiv. In der wirklichen Erfahrung des Zazen können wir den
Buddha-Dharma vollkommen verwirklichen, wenn wir, wie ich immer wieder betone,
zweimal täglich diese Übung praktizieren.
Um
das Shōbōgenzō von Meister Dōgen
wirklich zu „verstehen“ und sich nicht an scheinbaren Widersprüchen und Paradoxien
aufzureiben, gibt es einen Schlüssel,
der den großen Wert dieses Werkes besser erschließt, den ich im Laufe meines
langen Lebens entwickelt und immer mehr verfeinert habe. Es handelt sich dabei
um die, wie ich glaube, umfassende Lehre der sogenannten vier Sichtweisen oder
Lebensphilosophien, die Meister Dōgen in dem Kapitel „Das verwirklichte Leben
und Universum“ (Genjō-kōan)
beschreibt.
Die
volle Wirklichkeit des Lebens
und der Welt sind danach weder durch den Verstand
noch durch die Wahrnehmung allein ganz zu erfassen, sondern beide ermöglichen nur
Teilsichten und Teilwahrheiten, die durch ihre Einseitigkeit als umfassende Philosophien
letztlich für das praktische Leben ungeeignet sind und daher zwangsläufig zu
verschiedenen Formen des Leidens führen müssen.
Die
beiden ersten Lebensphilosophien sind die im Westen vorherrschenden Lehren des Idealismus und Materialismus, des Denkens und der Materie. Gautama Buddha und
Meister Dōgen zufolge muss als
dritter Bereich das Handeln und Erfahren im gegenwärtigen Augenblick, also im
Hier und Jetzt, hinzukommen. Dann können wir die enge Perspektive des Subjekts
überschreiten und uns dadurch wesentlich befreien. Bei der Zazen-Praxis und im
Alltag eröffnet sich durch das direkte Handeln im Hier und Jetzt eine neue
Wirklichkeit, die zum Kern der buddhistischen Lehre gehört.
Die
vierte umfassende Lebensphilosophie
des Buddhismus ist das Erwachen oder die
Erleuchtung, also die Befreiung. Sie enthält integrierend auch die drei ersten
genannten Teilbereiche. Das Erwachen geht aber über diese Bereiche hinaus und
bildet den „Schlussstein“ des buddhistischen
Lehrgebäudes und der Praxis. Wenn die umfassende buddhistische Lehre im Einklang
mit der Zazen-Praxis und dem täglichen Handeln steht, nenne ich das die zweite Erleuchtung.
Meister
Dōgen drückt dies im Kapitel Genjō-kōan
wie folgt aus:
„Selbst wenn dies alles so ist, fallen
die Blüten, während sie geliebt werden, und wuchert das Unkraut, während es
ungeliebt ist.“
Damit
will er sagen, dass wir über unsere kleinen Wünsche, Hoffnungen, Ängste und
Erwartungen, an die wir uns klammern, hinausgehen müssen. Wir müssen sie als
solche erkennen und ihnen die einengende Kraft nehmen, um zur Wahrheit des
Buddha-Dharma und des Lebens zu gelangen. Denn diese wirkliche Welt ist so, wie
sie ist: rein, ohne Bedauern, kraftvoll und voller Dynamik. Warum sollten wir
ihr entfliehen? Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit den vier
Lebensphilosophien den Schlüssel für die Lehren des Gautama Buddha und Meister
Dōgens in der Hand halten und das großartige Werk Shōbōgenzō damit erschließen können.
Das
Gesetz von Ursache und Wirkung hat im Buddhismus einen zentralen Stellenwert
für uns selbst und für andere, und auch Meister Dōgen bekennt sich zu dieser
Wahrheit.
In dem Shōbōgenzō-Kapitel:
„Tiefes Vertrauen in das Gesetz von Ursache
und Wirkung“ kommt dies in aller Klarheit zum Ausdruck. Es legt den
Schwerpunkt auf die Verantwortung für des eigene Handeln. Es betrifft zunächst
die Lebensphilosophie des Materiellen und der Naturwissenschaft, die im
Buddha-Dharma als Teilwirklichkeit geschätzt und anerkannt wird. Auch Meister
Dōgen beschreibt in verschiedenen Kapiteln die physische Welt und, wie wir
heute sagen würden, die Gesetze der Naturwissenschaft. Der große Wissenszuwachs
der modernen Zeit ist ja nicht zuletzt in diesem Bereich entstanden und steht
keinesfalls im Gegensatz zur buddhistischen Lehre. Besonders deutlich wird dies
in den Kapiteln des Shōbōgenzō „Das
verwirklichte Leben und Universum“, „Das ganze Universum ist eine leuchtende
Perle“ und „Die Stimmen des Tales und die Form der Berge“.
Ethik und Moral
Das
Gesetz von Ursache und Wirkung gilt im Buddha-Dharma jedoch auch und nicht
zuletzt für die Ethik und Moral des
menschlichen Lebens. Es besagt, dass moralisch schlechte Taten unweigerlich auf
den Urheber zurückschlagen, und zwar nach meiner festen Überzeugung noch in
diesem Leben. Umgekehrt gilt dies auch für ethisch gutes Handeln, denn uns
selbst kommt der „Nutzen“ daraus zugute, und wir entkommen dem Leiden.
Das
Gesetz von Ursache und Wirkung erklärt die Zusammenhänge im Zeitablauf oder,
wie wir sagen, mit dem Verständnis der linearen Zeit. Dies wird auch von
Meister Dōgen im Shōbōgenzō beschrieben.
Aus dem Gesetz von Ursache und Wirkung gibt es kein Entrinnen.
Wesentliche
Erfahrungen und das wahre Erleben im Hier und Jetzt finden genau im
gegenwärtigen Augenblick statt.
Der gegenwärtigen Augenblick
Dieses hat im Buddha-Dharma eine sehr große
Bedeutung, weil wir im gegenwärtigen Augenblick die Wirklichkeit und die
Wahrheit selbst erleben und erfahren. Auch das Handeln findet im gegenwärtigen
Augenblick statt, so dass die Augenblicklichkeit des Lebens und des Universums
in der Lehre und in der Praxis des Buddhismus im Mittelpunkt stehen. Das
Handeln im Augenblick bei der Zazen-Praxis ist mit der ersten Erleuchtung identisch und bedeutet, dass wir den Bodhi-Geist
erwecken. Dōgen sagt hierzu:
„Wer auf des Tathagatas (Buddhas) Schatzkammer
des wahren Dharma-Auges und den wunderbaren Geist des Nirvana vertraut, glaubt
auch an den Grundsatz der Augenblicklichkeit des Erscheinens und Vergehens
aller Dinge.“
Eine
solche intuitive Weisheit und Klarsicht übersteigt bei weitem das übliche
verstandesmäßige Denken und intellektueller Ideen, seien sie auch noch so
anspruchsvoll, komplex und scharfsinnig. Diese intuitive Weisheit und die volle
Gegenwart und Freiheit des Handelns werden im Buddhismus gelehrt und
praktiziert. Dann können wir sagen, dass es uns wie „Schuppen von den Augen
fällt“ und wir im Einklang mit der Welt und dem Universum handeln und leben.
Wir können uns dann selbst erkennen, wie wir wirklich sind und werden. Dann
handeln wir ohne Zögern und Hemmnisse unmittelbar, ethisch richtig und
entschieden, so wie es die Situation gerade erfordert.
Wie
ich an anderer Stelle ausgeführt habe, ist die westliche europäische
Philosophie am Endpunkt der alten Kontroverse von Idealismus und Materialismus
angelangt und sucht nach neuen Wegen, die nach meinem Verständnis von den
großen Meistern des Buddhismus bereits gegangen worden sind. Beispielhaft
möchte ich hier das Werk des deutschen Philosophen Martin Heideggers: „Sein und
Zeit“ nennen. Das Handeln im gegenwärtigen
Augenblick ist dem gegenüber Wahrheit und Wirklichkeit zugleich, es vollzieht
sich hier und jetzt. Es ereignet sich in der Einheit von Subjekt und Objekt
sowie von Körper und Geist. Dadurch werden wir frei und haben ein erfülltes und
freudiges Leben. Dies ist die Überwindung des Leidens.
Es ist sicher unbestritten,
dass Ethik und Moral im Buddhismus von fundamentaler Bedeutung sind und dass
vor allem die Übereinstimmung von Reden, Denken und Handeln gelehrt und erlernt
wird. Hierbei ist die Praxis des Zazen genauso wichtig wie das alltägliche
Handeln im Alltag auf dem Buddha-Weg. Aber auch die buddhistische Lehre, die z.
B. im Shôbôgenzô von Meister Dôgen
formuliert wurde, ist unverzichtbar.
Zazen ist die reinste Form des Handelns,
und indem wir physisch im halben oder ganzen Lotossitz mit aufrechter
Wirbelsäule sitzen, kommt das vegetative Nervensystem automatisch ins
Gleichgewicht und zur Ruhe. Dieses geistige und körperliche Gleichgewicht gibt
uns Kraft und Gelassenheit, es macht uns handlungsfähig und gesund. Es
übersteigt das verstandesmäßige Denken oder die irritierenden Gefühle sowie die
Genusssucht. Dieses Gleichgewicht ermöglicht intuitive Klarheit, Weisheit und
Entscheidungskraft. Der Buddhismus
ist die Verbindung von Lehre und Praxis, und er umfasst das ganze menschliche
Leben und Universum.