Montag, 12. Juni 2017

Mitte und Gleichgewicht im ZEN-Buddhismus: Berühmte Texte

(Aus meinem neuen Buch "Sternstunden des Buddhismus")

In dem großem Werk des ZEN-Buddhismus, Shôbôgenzô, von Meister Dôgen gibt es zwei Kapitel, die zentrale Fragen und Probleme wie in der Präambel des MMK behandeln. Im vorletzten Kapitel hat seines Werkes hat Dôgen, schon von schwerer Krankheit gezeichnet, den Willen zur Wahrheit in den Mittelpunkt gestellt und damit eine dogmatische Verengung auf die angeblich unumstößlich tradierte buddhistische Lehre destruiert. Im Zen wird Wahrheit immer pragmatisch und nicht absolut, dogmatisch und metaphysisch verstanden. Jeder Mensch, der den buddhistischen Weg geht, wird nach eigenem Erleben und eigenen Erfahrungen vorankommen, die Lehre und ein Lehrer oder Meister können nur die Richtung und fundierte Hilfestellungen geben, Hinweise übermitteln und hoffen, dass der Funke der Suche nach der Wahrheit überspringt und eigene Kräfte und Energien beim Schüler entwickeln.

Der Wille zur Wahrheit wird sich dabei auf dem Buddha – Weg immer mehr verfeinern, es wird Sackgassen und Fehlentwicklungen geben, aber wenn dieser Wille stark und ausdauernd ist, wird es weitergehen und nicht stehen bleiben. Der Wille der Wahrheit ist der Kompass auf dem Weg, der uns auch bei Sackgassen und Fehlentwicklungen wieder in die richtige Richtung zurückführt. Aber Dogen sagt nicht, dass diese Wahrheit ein abgegrenztes intellektuelles Wissen ist, das sich nicht mehr weiterentwickelt und quasi dinghaft und endgültig ist. Aber das ist genau der sichere Weg zur Mitte, zum Frieden, zur Befreiung und Emanzipation!

Die große Bedeutung des Willens zur Wahrheit (Dôshin)
Dieses Kapitel über den Willen zur Wahrheit und zum Buddha-Weg ist das 93. des Shōbōgenzō – es steht also beinahe am Ende des Werkes.[i]. Nach meiner Einschätzung hat Dōgen es in späteren Jahren verfasst, sodass seine lange Erfahrung als Meister und Lehrer eingeflossen ist
Die beiden ersten Glieder des Achtfachen Pfades, der bereits ausführlicher besprochen wurde, sind die rechte Sichtweise und der rechte Entschluss. Dōgens Kapitel über den Willen zur Wahrheit hat also eine direkte Verbindung zum Achtfachen Pfad. Allerdings dürfen wir uns die acht Glieder nicht als ein zeitliches Nacheinander vorstellen. Sie wirken auf dem Buddha-Weg gleichzeitig und müssen miteinander verbunden in unserem Leben verwirklicht werden.

In diesem Kapitel fasst Dōgen seine Lehre vom Streben und Willen zur Wahrheit zusammen. Mit einfachen Worten erklärt er die wichtigen Eckpunkte des buddhistischen Weges, der mit dem festen Willen zur Wahrheit beginnt und mit dem Bekenntnis zu den drei Juwelen Buddha, Dharma und Sangha verbunden ist. Die Zazen-Praxis spielt dabei eine ganz wesentliche Rolle.

Unsere Entscheidung, die wirkliche Wahrheit zu suchen, ist von größter Wichtigkeit

Nach Dôgen ist es für unseren schwierigen Lebensweg von entscheidender Bedeutung, dass wir den Willen zur Wahrheit erwecken und ihn wie einen Kompass in uns tragen. Dann können wir auch in verwirrenden Situationen, und wenn wir in schwierige Sackgassen geraten sind, wieder die richtige Richtung finden, um zu einem Leben in Freude, Frieden, im Gleichgewicht und lebendiger Kreativität zu kommen. Er selbst hatte zum Beispiel auf seiner langen Suche nach der wahren buddhistischen Lehre und Praxis in Japan und auch in China viele Schwierigkeiten zu überwinden, bis er endlich seinen wahren Lehrer gefunden hatte. Dann entdeckte und verwirklichte er die wahre buddhistische Lehre und fand durch die Zazen-Praxis in Wechsel-Wirkung mit der Lehre den befreienden Ausweg aus dem Lebenslabyrinth. Dôgen macht dabei unmissverständlich deutlich, dass nur in der unauflösbaren Verbindung von Theorie und Praxis nach dem authentischen Buddha-Dharma gesucht werden kann.

Viele Buddhisten hoffen vergeblich, dass sie allein mit einer idealistischen oder esoterisch buddhistischen Lehre zum höchsten Zustand des Erwachens und der Erleuchtung gelangen können. Dies ist aber nach Nishijima Roshi, der sich auf Dôgen stützt, ein schwerwiegender Irrtum und ich folge ihm dabei. Es ist unbedingt erforderlich, auch die Lebensphilosophie der Formen und Dinge, also die Vielfalt dieser materiellen Welt, im Einzelnen und differenziert kennen zu lernen und zu erfahren. Außerdem muss dies mit einem anderen Schritt und der nächsten Phase des Lebens, nämlich dem Tun und Handeln im Hier und Jetzt, verschmolzen werden. Wer diese Entwicklungsphasen der äußeren Formen und des Handelns überspringen will, kann niemals in den Zustand der Befreiung gelangen.
Nach der Lehre des frühen Buddhismus müssen alle fünf Komponenten (skandhas) des Menschen zusammenwirken. Dies mag für viele idealistische Buddhisten überraschend und enttäuschend sein, wenn man die große Bedeutung des täglichen Handelns im Zen-Buddhismus, zum Beispiel im Tempel und auf den Feldern, bedenkt, ist diese Aussage wirklich einleuchtend.

Die Zazen-Praxis des einfachen Sitzens, ohne sich dabei auf ein Meditationsobjekt zu konzentrieren, ist nach Nishijima Roshi das Tun und Handeln in reiner Form im Hier und Jetzt. Es ist die Verbindung von Tun und Handeln in der Klarheit des Augenblick. Er betont, dass es ohne Zazen überhaupt keinen wahren Buddhismus gibt. Dann ist Psyche-und-Geist frei von erlerntem Wissen, Vorstellungen und Ideologien; erstarrte Begriffe sind verschwunden und alle Extreme verlieren ihre Bedeutung: Mittlerer Weg, Augenblick und lebendiges Handeln sind nicht getrennt.
Dōgen beschreibt Zazen als einen Zustand von hoher Qualität, den er auch als hohes Niveau des Lebens bezeichnet.

Das hohe Niveau des Zustandes der wirklichen (und wahren) Erfahrung erlaubt keinen müßigen Augenblick, wenn er (tatsächlich) aktiv ist.“

Dieser Zustand ermöglicht die aktive und ungetrübte Entfaltung jedes einzelnen Augenblicks und führt dazu, dass kein einziger Augenblick sinnlos verschwendet wird. Häufig treiben die Menschen jedoch ihre Aktivitäten aufgrund falscher und vordergründiger Absichten, von verfestigten Doktrinen gesteuert und gegen die tiefere Vernunft voran. Dann gehen die Augenblicke der Wirklichkeit verloren. Die Folgen sind entweder träge Unbeweglichkeit oder hektische Betriebsamkeit – beim Handeln können dann im Gegensatz zur Zazen-Praxis die notwendige Ruhe und das innere Gleichgewicht nicht wirksam werden.

„Zazen eröffnet auf diese Weise eine wunderbare und mystische Zusammenarbeit mit allen Dharmas (der Welt) und durchdringt vollständig alle Zeiten, auch wenn es nur ein Mensch ist, der einen Augenblick lang sitzt.“

Dōgen unterstreicht hier wieder die Überwindung des Dualismus, wodurch die „wunderbare und mystische Zusammenarbeit“ mit allen Dingen und Phänomenen (Dharmas) der Welt verwirklicht wird. Der Begriff „Zusammenarbeit“ bedeutet, dass es sich nicht um passives oder gar träges Herumsitzen und um Zeitvertreib beim Zazen handelt, sondern um befreites und befreiendes Tun und Handeln. Dieses ist nach Dōgen nicht mit dem denkenden Verstand zu erfassen, sondern wird als mystisch und geheimnisvoll bezeichnet und überschreitet das dualistische und unterscheidende Denken.

 Die übliche Zeiteinteilung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird im Augenblick der Zazen-Praxis ebenfalls überschritten[ii]. Das Erstaunliche bei diesem Zitat ist die Aussage, dass bereits die richtige Zazen-Praxis eines einzigen Menschen all dies bewirkt.

„(Die Zazen-Praxis) vollzieht damit die ewige Arbeit der Buddhas im grenzenlosen Universum und deren prägenden Einfluss in der Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Für alle Menschen ist es vollständig dieselbe Praxis und Erfahrung.“

Die im Zazen verwirklichte Ganzheit des Menschen mit den anderen Menschen und dem Universum steht im obigen Zitat noch einmal im Mittelpunkt. Nishijima Roshi formuliert es so, dass alle Menschen in der ganzen Welt, die im selben Augenblick Zazen praktizieren, diese Einheit mit dem Universum gemeinsam und in der vollständig gleichen Art und Weise erfahren. Da heute eine globale Kommunikation mithilfe der modernen Techniken des Internets, Telefonierens und auch von Flugreisen möglich ist, haben diese Ausführungen Dōgens nun eine völlig neue Aktualität und Bedeutung erhalten. Denn es eröffnen sich tatsächlich neue großartige Möglichkeiten, trennende Grenzen zwischen den Menschen in der Welt zu überwinden. Es ist für mich keine Frage, dass auch die trennenden Grenzen zwischen den Religionen überwunden werden können und müssen.

„Die Praxis ist nicht durch das Sitzen selbst begrenzt, sondern sie schlägt den (großen) Raum an und klingt wie das Anschlagen der Glocke, das sich vor und nach dem Glockenschlag fortsetzt.“

In diesem Gleichnis wird die Wirkung der Zazen-Praxis poetisch auf den Punkt gebracht: Wenn wir morgens und abends Zazen praktizieren, bleibt die Wirkung auch in der Folgezeit erhalten und verleiht uns Klarheit und Handlungsfähigkeit im Alltag. Nishijima Roshi nennt dies die dauernde Kraft des Zazen: „Der Einfluss der Zazen-Praxis ist niemals auf die Zeit begrenzt, in der man tatsächlich Zazen praktiziert.“ Durch die morgendliche Zazen-Praxis ist es zum Beispiel möglich, die beruflichen und familiären Aufgaben besser und zügiger zu bewältigen.

Besonders psychische Probleme wie die Über- oder Unterschätzung der eigenen Möglichkeiten können durch die Zazen-Praxis behoben werden; hektische Betriebsamkeit oder pessimistische Untätigkeit werden wirksam und nachhaltig überwunden. Dies kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Vor allem im Berufsleben treten heute häufig gravierende Versagensängste auf, umgekehrt führt auch eine Selbstüberschätzung zu unvernünftigem und der Situation und Sache nicht angemessenem Handeln, was nicht selten in einem Desaster endet. Beides wird durch den Mittleren Weg und die Zazen-Praxis in ein kraftvolles und tatkräftiges Gleichgewicht gebracht.

Zum Schluss der Ausführungen zu diesem Thema betont Dogen noch, dass selbst zahllose Buddhas mit all ihrer Kraft und großen Buddha-Weisheit nicht ermessen könnten, was das Gute und die Tugend der Zazen-Praxis eines einzigen Menschen ist. Wesentlich ist dabei das Wort „ermessen“, das auf die materielle Dimension der Zahlen, Berechnungen und Kalkulationen der Menschheit hinweist. Die wahre Praxis kann laut Dōgen dadurch nicht erfasst und nicht im Entferntesten ausgelotet werden.
Dôgen erklärt die wichtigen Eckpunkte des buddhistischen Weges, der mit dem festen Willen zur Wahrheit beginnt und mit dem Bekenntnis zu den drei Juwelen Buddha, Dharma und Sangha verbunden ist. Die Meditation der Zazen-Praxis habe dabei eine ganz wesentliche Bedeutung. Er lehrt hier mit einfachen Worten die entscheidenden Bereiche des Buddha-Dharma, also des buddhistischen Lebens in Theorie und Praxis:

„Bei dem Streben nach Buddhas Wahrheit sollten wir den Willen zur Wahrheit als das Wichtigste ansehen. Menschen, die wissen, was es mit dem Willen zur Wahrheit auf sich hat, sind (aber leider) selten. Wir sollten diese (Wahrheit nur) unter solchen Menschen erkunden, die sie klar erkennen.“

Das heißt, dass die Entscheidung, die Wahrheit wirklich und nachhaltig zu suchen, ist in unserem eigenen Leben von größter Wichtigkeit ist. Für mich ist nicht zu übersehen, dass auch Nagarjuna mit der Präambel eine solche Suche verfolgt, indem er bekannte Begriffe in Frage stellt und destruiert, um nicht in alten scheinbar gesicherten Bahnen zu gehen. Sicher haben auch heute viele jüngere Menschen die feste Absicht, herauszufinden, was wahr und was falsch ist. Sie suchen diese Wahrheit in der Familie, in der Gesellschaft, auf der ganzen Welt und nicht zuletzt in einer buddhistischen Gruppe und Übertragungslinie.

Manchmal erlahmt aber dieser eigene Antrieb im Laufe des Lebens jedoch, weil es in der Tat sehr schwer ist, bei dieser Suche auf die richtige Spur zu kommen, die wirklich weiterführt und diesen Weg trotz Hindernissen und Fehlentwicklungen weiterzugehen. Mit dem Beginn des Lebens als Erwachsener tauchen bei buddhistischen Laien meist viele praktische Probleme auf, die bewältigt werden müssen. Das Streben nach Erfolg und dem sogenannten Aufstieg im Beruf, der mit finanziellen und materiellen Vorteilen verbunden ist, beginnt eventuell, die grundsätzlichen, tiefergehenden Fragen des Lebens in den Hintergrund zu drängen. Das Lebensglück wird dann meist nur noch mit dem Erwerb materieller Objekte oder gesellschaftlicher Anerkennung verbunden. Wenn man sich im übrigen dabei finanziell übernimmt, wachsen die Probleme und Engpässe umso mehr. Bei Mönchen und Nonnen sind, kommt es darauf an, dogmatische zu wenig untersuchte Festlegungen zu vermeiden und sich mit oberflächlichen Erklärungen zufrieden zu geben.

Dôgen rät uns, einen wirklich überzeugenden Menschen und Lehrer zu finden, der die Wahrheit des Lebens klar erkannt und sein Leben deutlich danach eingerichtet hat. Dies bedeutet für uns heutige Buddhisten keineswegs, dass wir uns in eines der wenigen Klöster zurückziehen und damit eventuell in eine scheinbar heile Welt flüchten. Nishijima Roshi lehrt, dass wir den modernen Buddhismus im Alltag, im Hier und Jetzt und in der sozialen Verantwortung der Gegenwart entwickeln und pflegen sollten. Dabei hat die tägliche Übungs-Praxis einen zentralen Stellenwert. Im Gegensatz zu den schwierigen Lebensbedingungen der Laien im alten Japan und Indien bleibt heute genügend Zeit, um zu meditieren, den Buddhismus gründlich zu studieren und so die große Wahrheit zu suchen. Dôgen führt hierzu Beispiele einiger verantwortungsvoller Minister im alten China an, die trotz ihrer hohen Arbeitsbelastung Zazen praktizierten und den höchsten Zustand des Erwachens erlangten. Man denke auch daran, dass in Deutschland pro Tag mehr als vier Stunden der Fernseher eingeschaltet ist. Am Zeitmangel kann es nicht daher liegen.

Dogen warnt vor denjenigen Menschen als Lehrer, die zwar behaupten, dass sie den Willen zur Wahrheit besitzen, aber in Wirklichkeit andere Interessen haben. Man erkenne aber nicht immer sofort, ob jemand wirklich den Weg der Wahrheit suche oder es nur vorgeben. Weiterhin sollten wir uns nicht zu sehr auf unsere eigenen subjektiven Vorstellungen und Erwartungen verlassen, sondern uns dem Gesetz des Universums und der Welt öffnen, das der Buddhismus in Theorie und Praxis lehrt. Dabei könne es uns helfen, die Unsicherheit in der Welt und in unserem eigenen Leben ohne Selbstlüge vor Augen zu führen, um wirklich tiefer zu gehen und weiterzuforschen. Viele der von Interessen gesteuerten Scheinwahrheiten und die „Lehren“ der selbsternannten Meister, die in Wirklichkeit auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, lauern als Gefahren auf unserem Weg und müssen erkannt und bewältigt werden. Wir sollten auch mit den tradierten angeblich ewigen Wahrheiten bestimmter Übertragungslinien mit gebührender Vorsicht umgehen. Genau diese Ziele verfolgt Nagarjuna mit dem MMK.

Umgekehrt seien oft die Menschen nicht ohne Weiteres erkennbar, die den Willen zur Wahrheit wirklich besitzen und daran arbeiten, sodass es nicht einfach sei, einen wahren Lehrer zu finden. Der Wille zur Wahrheit steht am Anfang des buddhistischen Weges und ist der entscheidende Schritt zur Überwindung des Leidens beim Achtfachen Pfad. Dôgen hält diesen Willen für unabdingbar, um mit der Praxis und dem Studium der Lehre überhaupt zu beginnen, und betont:

„Wir müssen nicht unseren eigenen Geist als das Wichtigste ansehen. Wir sollten das große Gesetz, das der Buddha gelehrt hat, als das Wichtigste sehen. Nacht und Tag sollten wir andauernd (und unbeirrt) unseren Geist dabei ganz ergreifen lassen, wie der Wille zur Wahrheit sein sollte.“

Der Geist ist hier nicht isoliert zu versehen, denn es kommt auf das Tun und Handeln selbst an und nicht auf eine Selbst-Betrachtung, wie wir die Suche nach der Wahrheit gestalten.
Der Schwerpunkt sollte nicht auf uns selbst, sondern auf den Buddha-Dharma gelegt werden, Selbstbespiegelung ist die falsche Achtsamkeit. Daher ist auch eine übergroße Sorge für den eigenen Körper und das eigene Leben eher hinderlich.
Er sagt, dass diese Wirkung wie folgt genannt wird: „Den Dharma bis zum Grund zu verwirklichen“ und „Die Wahrheit Buddhas ist im Körper gegenwärtig“.

Am Ende bekräftigt er:
„Zazen ist nicht eine Methode der dreifachen Welt (der gewöhnlichen Menschen), es ist die (wahre) Methode der buddhistischen Vorfahren im Dharma.“

Die gewöhnlichen drei Welten sind durch die Gier, die Fixierung auf die Materie und die Idee der Nicht-Materie gekennzeichnet.


Die acht Wahrheiten eines wirklich großen Menschen (Hachi-dainingaku)
Nach der Überlieferung lehrte Gautama Buddha kurz vor seinem Tod die acht Wahrheiten eines wirklich großen Menschen, also eines Buddhas oder Bodhisattvas, sie sind eine reale Zusammenfassung der Weisheit des Mittleren Weges. Die acht Wahrheiten sind auch Thema des letzten Kapitels des Shôbôgenzô, das Dôgen lehrte und niederschrieb, als er schon schwerkrank und vom Tode gezeichnet war. Man nimmt heute an, dass Dôgen an Tuberkulose litt, die damals meist unheilbar war. Er kehrte zwar zur besseren ärztlichen Behandlung vom Kloster Eihei-ji nach Kyoto zurück, erholte sich aber nicht mehr und verstarb dort im Alter von 53 Jahren.
Wir sollten diese letzte Lehrrede von Gautama Buddha und von Dôgen mit großer Sorgfalt studieren. Sie fasst die wichtigsten Regeln für ein wahres buddhistisches Leben recht einfach und praxisorientiert zusammen. Diese Regeln sind keine Dogmen, sie sind auch keine Extrem-Forderungen, sondern ähnlich wie die Bodhisattva-Gelöbnisse als Hilfe für unser natürliches tägliche Leben zu verstehen.

Dôgen schreibt am Anfang des Kapitels, dass man den ruhigen und ausgeglichenen Lebenszustand erreicht, wenn man diese acht Wahrheiten verwirklicht. Damit verwendet er den selben Begriff „zur Ruhe kommen“ wie Nagarjuna. Er spricht davon, dass man in das Nirvâna eingeht, und meint damit vor allem den Zustand des Gleichgewichts und der Befreiung im Hier und Jetzt. Im Folgenden werden die acht Wahrheiten dargestellt und kurz erläutert.

1. Geringe Begierde
Diese Regel beinhaltet, dass wir nicht Dingen nachjagen sollen, die wir noch nicht besitzen, aber unbedingt haben wollen. Dazu gehören vor allem die Objekte der Begierden, die durch die Wahrnehmung mit den fünf Sinnesorganen – den Augen, Ohren, der Nase, Zunge und Haut – hervorgerufen und angestachelt werden. Dôgen zitiert Gautama Buddha, der warnte, dass das Leiden grenzenlos ist, wenn wir diesen Begierden hemmungslos, extrem und unkontrolliert nachgeben. Hat man sie jedoch „im Griff“, kann sie steuern und hält sie klein, befreit man sich von ihrer Dominanz und damit auch vom Leiden. Solche Menschen schmeicheln auch nicht um des eigenen Vorteils willen und kriechen nicht vor denjenigen, von denen sie die Objekte der Begierden erhalten möchten. Nur auf diese Weise seien wir ohne Sorgen und Furcht, haben umfassende Freiheit und großen Spielraum im eigenen Leben und sind nicht unzufrieden. Dogen sagt nicht, dass wir alles Wollen und Wünschen asketisch unterdrücken sollen. Das widerspräche dem Mittleren Weg und ist ziemlich sinnlos, wie Buddha selbst erfahren hatte.

2. Erkennen der Zufriedenheit mit dem, was man hat
Hier wird vor allem angesprochen, dass wir mit den Dingen, die wir besitzen, und unseren Lebensumständen zufrieden sind und nicht immer Extremen nachjagen. Wenn wir eine solche Zufriedenheit klar erkennen, dann überwinden wir die verschiedenartigen Leiden in unserem Leben und erleben einen Ort des Reichtums, der Freude und des Friedens. Wenn wir eine solche Zufriedenheit nicht kennen, könnten wir sogar an einem himmlischen Ort leben und wären trotzdem immer unzufrieden, frustriert und wollten immer noch mehr. Neid und Missgunst sind die Fend der Zufriedenheit und schaden uns selbst am meisten Dôgen zitiert dazu Buddha:
„Jene Menschen, die die Zufriedenheit nicht kennen, sind arm, selbst wenn sie reich sind, und jene, die die Zufriedenheit kennen, sind reich, selbst wenn sie arm sind. Jene, die die Zufriedenheit nicht kennen, werden ununterbrochen von den fünf Begierden gesteuert.“

3. Freude an der Stille haben
Wir sollten uns von lärmenden, unruhigen Gruppen und Veranstaltungen fernhalten und einen ruhigen Ort suchen. Das ist in der heutigen hektischen Zeit besonders wichtig. Viele empfinden in einer solchen Abgeschiedenheit große Langeweile, aber der dauernde exaltierter Trubel ist sicher der falsche Weg für ein Leben im Gleichgewicht. Gautama Buddha vergleicht diese Situation mit einem Schwarm von Vögeln, die auf einem Baum sitzen und ständig in großen Sorgen und Ängsten sind, dass dieser zusammenbricht und umfällt, obgleich er leicht die auf ihm sitzenden Vögel tragen kann. Außerdem sagt er:
„(Jene), die an die Welt gefesselt sind und ihr anhaften, versinken in verschiedenartiges Leiden, wie ein alter Elefant, der im Sumpf versinkt und selbst nicht in der Lage ist, wieder herauszukommen. Dies wird genannt‚ sich fernzuhalten’.“ Wir müssen dabei sicher den extremen lärmenden Unterhaltungs-Konsum der Massenmedien erwähnen.

4. Fleiß praktizieren
Dabei kommt es darauf an, ausdauernd zu praktizieren und nicht in seinen Bemühungen zu erlahmen. Nach Gautama Buddha wird dann überhaupt nichts schwierig und unüberwindbar sein:
Wir sollten Fleiß und Ausdauer praktizieren wie „ein steter Tropfen Wasser, der andauernd niederfällt und wirklich in der Lage ist, einen Felsen zu durchbohren.“
Das Gegenteil davon sei ein hektischer oder träger Mensch ohne Ausdauer, der Feuer durch schnelles Reiben zweier Hölzer aneinander erzeugen will, aber leider aufhört, kurz bevor die Hölzer heiß genug sind und das Feuer sich tatsächlich entzündet. Extreme und hektisch und ohne Ausdauer verfolgte Ziele führen häufig zu bösen Rückschlägen und unterminieren die Kraft etwas Sinnvollen zu tun.

5. Nicht die (rechte) Achtsamkeit verlieren
Hier geht es vor allem um die wahre Achtsamkeit für andere und nicht um den oft sentimentalen Selbstbezug und das Selbstmitleid, die heute häufig festzustellen sind. Der Begriff der Achtsamkeit ist nach Buddha umfassend zu verstehen. Wenn man dauernd um sich selbst kreist, sich selbst kramphaft beobachtet und interpretiert, entspricht das bestimmt nicht der von Gautama Buddha gelehrten Achtsamkeit. Dôgen setzt dabei vor allem auf gute Lehrer, denen wir uns anvertrauen und unter deren Anleitung wir auf dem Buddhas Mittleren Weg weiterlernen.

Durch eine solche Achtsamkeit können uns „die Banditen der Not“ nicht erobern und wir bleiben im Gleichgewicht. Wir sollten daher unsere Gedanken und Gefühle steuern, vor Extremen bewahren und sie im richtigen Ort des Geistes halten. Wer seine Achtsamkeit verliert, verliert seine Tugend und Lebensfreude. Wir seien durch die Achtsamkeit im Kampf des Lebens wie durch einen Panzer geschützt.

6. Den Zustand des Gleichgewichts der Meditation praktizieren
Dies bedeutet, dass wir ohne Störung im Gleichgewicht der Meditation und im Buddha-Dharma verweilen. Nishijima Roshi sagt, dass es ohne die Meditation z. B. des Zazen keinen Buddhismus gibt. Gautama Buddha erklärt, dass durch die Steuerung des Geistes der Zustand der inneren und äußeren Balance eintritt. Dann zerstreut sich unser Geist nicht, sondern ist gesammelt. Buddha vergleicht ihn mit einem Leitungssystem für Trinkwasser, das kein Leck hat und dicht ist, sodass kein Wasser unnütz versickert und verloren geht.

7. Weisheit praktizieren
Buddha betont: „Wenn ihr Mönche Weisheit habt, dann werdet ihr ohne Gier und Anhaftung sein.“ Es sei wichtig, dass wir uns sorgfältig beobachten und darüber reflektieren, wie wir denken, fühlen und handeln, was sich also in unserem Geist und unserer Psyche ereignet und ob wir durch extreme Gefühle und Gedanken hin und her geworfen werden. Wir sollten möglichst schnell durchschauen, wenn wir von der Gier nach Ruhm und Profit getrieben werden.

Dadurch verweilen wir in der Wahrheit des Dharma und erreichen die Befreiung und Emanzipation. Ist dies nicht der Fall, dann unterscheiden wir uns grundsätzlich von den Menschen der Wahrheit, seien es Nonnen, Mönche oder Laien. Die Weisheit sei wie ein stabiles Schiff, mit dem wir den Ozean des Alterns, der Krankheit und des Todes überqueren wollen und können. Sie sei ein großartiges Licht für die Dunkelheit der Unwissenheit und eine gute Medizin für kranke Menschen. Er fügt hinzu:
„Wenn ein Mensch das Licht der Weisheit besitzt, ist er auch mit den körperlichen Augen jemand mit klarer Sichtweise. Dies wird ‚Weisheit’ genannt.“

8. Sich nicht in müßigen Diskussionen engagieren
Indem wir uns von exaltierten Unterscheidungen und einseitigen Abwertungen anderer fernhalten, verwirklichen wir die reale Form und Wirklichkeit des Lebens. Aufgebrachte affektive Diskussionen in Extremen verwirren dagegen nach Gautama Buddha den Geist. Wir können uns dann nicht von diesen Verwirrungen befreien, selbst wenn wir in ein Kloster eingetreten sind. In der Tat sind derartig hitzige, oft aggressiv geführte Streitgespräche wenig geeignet, um auch nur ein Stück Wahrheit zu finden und zu befördern.

Dann zitiert Dôgen noch einmal Gautama Buddha:
„Ihr Mönche solltet euch dauerhaft anstrengen, mit ungeteiltem Geist die Wahrheit der Befreiung anzustreben. Alle Dharmas dieser Welt, die sich bewegen oder bewegungslos sind, vergehen ohne Ausnahme und haben keine stabile Form. Ihr solltet jetzt für eine Weile innehalten und nicht mehr reden. Die Zeit muss weitergehen und ich schicke mich an, zu sterben. Dies ist meine letzte Unterweisung.“

Dôgen bedauert, dass zu seiner Zeit viele Menschen die acht Wahrheiten des Mittleren Weges nicht kennen und auch nicht erlernen wollen. Wer jedoch Zugang zu ihnen habe, könne sich glücklich schätzen, weil er auf diese Weise gute Wurzeln für sein eigenes Leben besitze. Er bezeichnet seine eigene Zeit als heimtückisch und dekadent und mahnt uns:

Solange der wahre Dharma des Tathâgata die tausendfache (Welt) durchdringt und solange die reine Lehre noch nicht verschwunden ist, sollten wir sie ohne Verzug erlernen. Seid nicht träge oder nachlässig.“






[i] Shōbōgenzō, deutsche Fassung, Bd. 4, S. 281 ff. und englische Fassung, Bd. 4, S. 223 ff.
[ii] Kap. 11, ZEN Schatzkammer, Bd.1, S. 110 ff.: „Die Sein-Zeit der Wirklichkeit im Hier und Jetzt (Uji)