(Aus meinem neuen Buch "Sternstunden des Buddhismus")
In dem großem Werk des ZEN-Buddhismus, Shôbôgenzô, von Meister Dôgen gibt es zwei Kapitel, die zentrale Fragen und Probleme wie in der Präambel des MMK behandeln. Im vorletzten Kapitel hat seines Werkes hat Dôgen, schon von schwerer Krankheit gezeichnet, den Willen zur Wahrheit in den Mittelpunkt gestellt und damit eine dogmatische Verengung auf die angeblich unumstößlich tradierte buddhistische Lehre destruiert. Im Zen wird Wahrheit immer pragmatisch und nicht absolut, dogmatisch und metaphysisch verstanden. Jeder Mensch, der den buddhistischen Weg geht, wird nach eigenem Erleben und eigenen Erfahrungen vorankommen, die Lehre und ein Lehrer oder Meister können nur die Richtung und fundierte Hilfestellungen geben, Hinweise übermitteln und hoffen, dass der Funke der Suche nach der Wahrheit überspringt und eigene Kräfte und Energien beim Schüler entwickeln.
Der
Wille zur Wahrheit wird sich dabei
auf dem Buddha – Weg immer mehr verfeinern, es wird Sackgassen und Fehlentwicklungen
geben, aber wenn dieser Wille stark und
ausdauernd ist, wird es weitergehen und nicht stehen bleiben. Der Wille der
Wahrheit ist der Kompass auf dem Weg,
der uns auch bei Sackgassen und Fehlentwicklungen wieder in die richtige
Richtung zurückführt. Aber Dogen sagt nicht, dass diese Wahrheit ein
abgegrenztes intellektuelles Wissen ist, das sich nicht mehr weiterentwickelt
und quasi dinghaft und endgültig ist. Aber das ist genau der sichere Weg zur
Mitte, zum Frieden, zur Befreiung und Emanzipation!
Die große
Bedeutung des Willens zur Wahrheit (Dôshin)
Dieses Kapitel über den
Willen zur Wahrheit und zum Buddha-Weg ist das 93. des Shōbōgenzō – es steht also beinahe am Ende des Werkes.[i].
Nach meiner Einschätzung hat Dōgen es in späteren Jahren verfasst, sodass seine
lange Erfahrung als Meister und Lehrer eingeflossen ist
Die beiden ersten Glieder des Achtfachen Pfades, der
bereits ausführlicher besprochen wurde, sind die rechte Sichtweise und der rechte
Entschluss. Dōgens Kapitel über den Willen zur Wahrheit hat also eine
direkte Verbindung zum Achtfachen Pfad. Allerdings dürfen wir uns die acht
Glieder nicht als ein zeitliches Nacheinander vorstellen. Sie wirken auf dem
Buddha-Weg gleichzeitig und müssen miteinander verbunden in unserem Leben verwirklicht
werden.
In diesem Kapitel fasst
Dōgen seine Lehre vom Streben und Willen zur Wahrheit zusammen. Mit einfachen
Worten erklärt er die wichtigen Eckpunkte des buddhistischen Weges, der mit dem
festen Willen zur Wahrheit beginnt und mit dem Bekenntnis zu den drei Juwelen
Buddha, Dharma und Sangha verbunden ist. Die Zazen-Praxis spielt dabei eine
ganz wesentliche Rolle.
Unsere Entscheidung, die wirkliche Wahrheit zu suchen, ist
von größter Wichtigkeit
Nach Dôgen ist es für unseren schwierigen Lebensweg
von entscheidender Bedeutung, dass wir den Willen zur Wahrheit erwecken und ihn
wie einen Kompass in uns tragen. Dann können wir auch in verwirrenden
Situationen, und wenn wir in schwierige Sackgassen geraten sind, wieder die
richtige Richtung finden, um zu einem Leben in Freude, Frieden, im
Gleichgewicht und lebendiger Kreativität zu kommen. Er selbst hatte zum
Beispiel auf seiner langen Suche nach der wahren buddhistischen Lehre und
Praxis in Japan und auch in China viele Schwierigkeiten zu überwinden, bis er
endlich seinen wahren Lehrer gefunden hatte. Dann entdeckte und verwirklichte
er die wahre buddhistische Lehre und fand durch die Zazen-Praxis in
Wechsel-Wirkung mit der Lehre den befreienden Ausweg aus dem Lebenslabyrinth.
Dôgen macht dabei unmissverständlich deutlich, dass nur in der unauflösbaren
Verbindung von Theorie und Praxis nach dem authentischen Buddha-Dharma gesucht
werden kann.
Viele Buddhisten hoffen vergeblich, dass sie allein
mit einer idealistischen oder esoterisch buddhistischen Lehre zum höchsten
Zustand des Erwachens und der Erleuchtung gelangen können. Dies ist aber nach
Nishijima Roshi, der sich auf Dôgen stützt, ein schwerwiegender Irrtum und ich
folge ihm dabei. Es ist unbedingt erforderlich, auch die Lebensphilosophie der
Formen und Dinge, also die Vielfalt dieser materiellen Welt, im Einzelnen und
differenziert kennen zu lernen und zu erfahren. Außerdem muss dies mit einem
anderen Schritt und der nächsten Phase des Lebens, nämlich dem Tun und Handeln
im Hier und Jetzt, verschmolzen werden. Wer diese Entwicklungsphasen der
äußeren Formen und des Handelns überspringen will, kann niemals in den Zustand der Befreiung gelangen.
Nach der Lehre des frühen Buddhismus müssen alle fünf
Komponenten (skandhas) des Menschen zusammenwirken. Dies mag für viele
idealistische Buddhisten überraschend und enttäuschend sein, wenn man die große
Bedeutung des täglichen Handelns im Zen-Buddhismus, zum Beispiel im Tempel und
auf den Feldern, bedenkt, ist diese Aussage wirklich einleuchtend.
Die Zazen-Praxis des einfachen Sitzens, ohne sich
dabei auf ein Meditationsobjekt zu konzentrieren, ist nach Nishijima Roshi das
Tun und Handeln in reiner Form im Hier und Jetzt. Es ist die Verbindung von Tun
und Handeln in der Klarheit des Augenblick. Er betont, dass es ohne Zazen
überhaupt keinen wahren Buddhismus gibt. Dann ist Psyche-und-Geist frei von
erlerntem Wissen, Vorstellungen und Ideologien; erstarrte Begriffe sind
verschwunden und alle Extreme verlieren ihre Bedeutung: Mittlerer Weg,
Augenblick und lebendiges Handeln sind nicht getrennt.
Dōgen
beschreibt Zazen als einen Zustand von hoher Qualität, den er auch als hohes
Niveau des Lebens bezeichnet.
„Das hohe Niveau des Zustandes der wirklichen
(und wahren) Erfahrung erlaubt keinen müßigen Augenblick, wenn er (tatsächlich)
aktiv ist.“
Dieser
Zustand ermöglicht die aktive und ungetrübte Entfaltung jedes einzelnen
Augenblicks und führt dazu, dass kein einziger Augenblick sinnlos verschwendet
wird. Häufig treiben die Menschen jedoch ihre Aktivitäten aufgrund falscher und
vordergründiger Absichten, von verfestigten Doktrinen gesteuert und gegen die
tiefere Vernunft voran. Dann gehen die Augenblicke der Wirklichkeit verloren.
Die Folgen sind entweder träge Unbeweglichkeit oder hektische Betriebsamkeit –
beim Handeln können dann im Gegensatz zur Zazen-Praxis die notwendige Ruhe und
das innere Gleichgewicht nicht wirksam werden.
„Zazen eröffnet auf diese Weise eine
wunderbare und mystische Zusammenarbeit mit allen Dharmas (der Welt) und
durchdringt vollständig alle Zeiten, auch wenn es nur ein Mensch ist, der einen
Augenblick lang sitzt.“
Dōgen
unterstreicht hier wieder die Überwindung des Dualismus, wodurch die
„wunderbare und mystische Zusammenarbeit“ mit allen Dingen und Phänomenen
(Dharmas) der Welt verwirklicht wird. Der Begriff „Zusammenarbeit“ bedeutet,
dass es sich nicht um passives oder gar träges Herumsitzen und um Zeitvertreib
beim Zazen handelt, sondern um befreites und befreiendes Tun und Handeln.
Dieses ist nach Dōgen nicht mit dem denkenden Verstand zu erfassen, sondern
wird als mystisch und geheimnisvoll bezeichnet und überschreitet das
dualistische und unterscheidende Denken.
Die übliche Zeiteinteilung in Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft wird im Augenblick der Zazen-Praxis ebenfalls
überschritten[ii]. Das Erstaunliche bei diesem
Zitat ist die Aussage, dass bereits die richtige Zazen-Praxis eines einzigen
Menschen all dies bewirkt.
„(Die Zazen-Praxis) vollzieht damit die
ewige Arbeit der Buddhas im grenzenlosen Universum und deren prägenden Einfluss
in der Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Für alle Menschen ist es vollständig
dieselbe Praxis und Erfahrung.“
Die
im Zazen verwirklichte Ganzheit des Menschen mit den anderen Menschen und dem
Universum steht im obigen Zitat noch einmal im Mittelpunkt. Nishijima Roshi
formuliert es so, dass alle Menschen in der ganzen Welt, die im selben
Augenblick Zazen praktizieren, diese Einheit mit dem Universum gemeinsam und in
der vollständig gleichen Art und Weise erfahren. Da heute eine globale
Kommunikation mithilfe der modernen Techniken des Internets, Telefonierens und
auch von Flugreisen möglich ist, haben diese Ausführungen Dōgens nun eine
völlig neue Aktualität und Bedeutung erhalten. Denn es eröffnen sich
tatsächlich neue großartige Möglichkeiten, trennende Grenzen zwischen den
Menschen in der Welt zu überwinden. Es ist für mich keine Frage, dass auch die
trennenden Grenzen zwischen den Religionen überwunden werden können und müssen.
„Die Praxis ist nicht durch das Sitzen
selbst begrenzt, sondern sie schlägt den (großen) Raum an und klingt wie das
Anschlagen der Glocke, das sich vor und nach dem Glockenschlag fortsetzt.“
In
diesem Gleichnis wird die Wirkung der Zazen-Praxis poetisch auf den Punkt
gebracht: Wenn wir morgens und abends Zazen praktizieren, bleibt die Wirkung
auch in der Folgezeit erhalten und verleiht uns Klarheit und Handlungsfähigkeit
im Alltag. Nishijima Roshi nennt dies die dauernde Kraft des Zazen: „Der
Einfluss der Zazen-Praxis ist niemals auf die Zeit begrenzt, in der man
tatsächlich Zazen praktiziert.“ Durch die morgendliche Zazen-Praxis ist es zum
Beispiel möglich, die beruflichen und familiären Aufgaben besser und zügiger zu
bewältigen.
Besonders
psychische Probleme wie die Über- oder Unterschätzung der eigenen Möglichkeiten
können durch die Zazen-Praxis behoben werden; hektische Betriebsamkeit oder
pessimistische Untätigkeit werden wirksam und nachhaltig überwunden. Dies kann
ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Vor allem im Berufsleben treten heute
häufig gravierende Versagensängste auf, umgekehrt führt auch eine
Selbstüberschätzung zu unvernünftigem und der Situation und Sache nicht
angemessenem Handeln, was nicht selten in einem Desaster endet. Beides wird
durch den Mittleren Weg und die Zazen-Praxis in ein kraftvolles und
tatkräftiges Gleichgewicht gebracht.
Zum
Schluss der Ausführungen zu diesem Thema betont Dogen noch, dass selbst
zahllose Buddhas mit all ihrer Kraft und großen Buddha-Weisheit nicht ermessen
könnten, was das Gute und die Tugend der Zazen-Praxis eines einzigen Menschen
ist. Wesentlich ist dabei das Wort „ermessen“, das auf die materielle Dimension
der Zahlen, Berechnungen und Kalkulationen der Menschheit hinweist. Die wahre
Praxis kann laut Dōgen dadurch nicht erfasst und nicht im Entferntesten
ausgelotet werden.
Dôgen erklärt die wichtigen Eckpunkte des
buddhistischen Weges, der mit dem festen Willen zur Wahrheit beginnt und mit
dem Bekenntnis zu den drei Juwelen Buddha, Dharma und Sangha verbunden ist. Die
Meditation der Zazen-Praxis habe dabei eine ganz wesentliche Bedeutung. Er
lehrt hier mit einfachen Worten die entscheidenden Bereiche des Buddha-Dharma,
also des buddhistischen Lebens in Theorie und Praxis:
„Bei dem
Streben nach Buddhas Wahrheit sollten wir den Willen zur Wahrheit als das
Wichtigste ansehen. Menschen, die wissen, was es mit dem Willen zur Wahrheit
auf sich hat, sind (aber leider) selten. Wir sollten diese (Wahrheit nur) unter
solchen Menschen erkunden, die sie klar erkennen.“
Das heißt, dass die Entscheidung, die Wahrheit
wirklich und nachhaltig zu suchen, ist in unserem eigenen Leben von größter
Wichtigkeit ist. Für mich ist nicht zu übersehen, dass auch Nagarjuna mit der
Präambel eine solche Suche verfolgt, indem er bekannte Begriffe in Frage stellt
und destruiert, um nicht in alten scheinbar gesicherten Bahnen zu gehen. Sicher
haben auch heute viele jüngere Menschen die feste Absicht, herauszufinden, was
wahr und was falsch ist. Sie suchen diese Wahrheit in der Familie, in der
Gesellschaft, auf der ganzen Welt und nicht zuletzt in einer buddhistischen
Gruppe und Übertragungslinie.
Manchmal erlahmt aber dieser eigene Antrieb im Laufe
des Lebens jedoch, weil es in der Tat sehr schwer ist, bei dieser Suche auf die
richtige Spur zu kommen, die wirklich weiterführt und diesen Weg trotz
Hindernissen und Fehlentwicklungen weiterzugehen. Mit dem Beginn des Lebens als
Erwachsener tauchen bei buddhistischen Laien meist viele praktische Probleme
auf, die bewältigt werden müssen. Das Streben nach Erfolg und dem sogenannten
Aufstieg im Beruf, der mit finanziellen und materiellen Vorteilen verbunden
ist, beginnt eventuell, die grundsätzlichen, tiefergehenden Fragen des Lebens
in den Hintergrund zu drängen. Das Lebensglück wird dann meist nur noch mit dem
Erwerb materieller Objekte oder gesellschaftlicher Anerkennung verbunden. Wenn
man sich im übrigen dabei finanziell übernimmt, wachsen die Probleme und
Engpässe umso mehr. Bei Mönchen und Nonnen sind, kommt es darauf an,
dogmatische zu wenig untersuchte Festlegungen zu vermeiden und sich mit
oberflächlichen Erklärungen zufrieden zu geben.
Dôgen rät uns, einen wirklich überzeugenden Menschen
und Lehrer zu finden, der die Wahrheit des Lebens klar erkannt und sein Leben deutlich danach eingerichtet hat. Dies
bedeutet für uns heutige Buddhisten keineswegs, dass wir uns in eines der
wenigen Klöster zurückziehen und damit eventuell in eine scheinbar heile Welt
flüchten. Nishijima Roshi lehrt, dass wir den modernen Buddhismus im Alltag, im
Hier und Jetzt und in der sozialen
Verantwortung der Gegenwart entwickeln und pflegen sollten. Dabei hat die
tägliche Übungs-Praxis einen zentralen Stellenwert. Im Gegensatz zu den
schwierigen Lebensbedingungen der Laien im alten Japan und Indien bleibt heute
genügend Zeit, um zu meditieren, den Buddhismus gründlich zu studieren und so
die große Wahrheit zu suchen. Dôgen führt hierzu Beispiele einiger verantwortungsvoller
Minister im alten China an, die trotz ihrer hohen Arbeitsbelastung Zazen
praktizierten und den höchsten Zustand des Erwachens erlangten. Man denke auch
daran, dass in Deutschland pro Tag mehr als vier Stunden der Fernseher
eingeschaltet ist. Am Zeitmangel kann es nicht daher liegen.
Dogen warnt vor denjenigen Menschen als Lehrer, die
zwar behaupten, dass sie den Willen zur Wahrheit besitzen, aber in Wirklichkeit
andere Interessen haben. Man erkenne aber nicht immer sofort, ob jemand wirklich
den Weg der Wahrheit suche oder es nur vorgeben. Weiterhin sollten wir uns
nicht zu sehr auf unsere eigenen subjektiven Vorstellungen und Erwartungen
verlassen, sondern uns dem Gesetz des Universums und der Welt öffnen, das der
Buddhismus in Theorie und Praxis lehrt. Dabei könne es uns helfen, die
Unsicherheit in der Welt und in unserem eigenen Leben ohne Selbstlüge vor Augen
zu führen, um wirklich tiefer zu gehen und weiterzuforschen. Viele der von
Interessen gesteuerten Scheinwahrheiten und die „Lehren“ der selbsternannten
Meister, die in Wirklichkeit auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, lauern als
Gefahren auf unserem Weg und müssen erkannt und bewältigt werden. Wir sollten
auch mit den tradierten angeblich ewigen Wahrheiten bestimmter Übertragungslinien
mit gebührender Vorsicht umgehen. Genau diese Ziele verfolgt Nagarjuna mit dem
MMK.
Umgekehrt seien oft die Menschen nicht ohne Weiteres
erkennbar, die den Willen zur Wahrheit wirklich besitzen und daran arbeiten,
sodass es nicht einfach sei, einen wahren
Lehrer zu finden. Der Wille zur Wahrheit steht am Anfang des buddhistischen
Weges und ist der entscheidende Schritt zur Überwindung des Leidens beim
Achtfachen Pfad. Dôgen hält diesen Willen
für unabdingbar, um mit der Praxis und dem Studium der Lehre überhaupt zu
beginnen, und betont:
„Wir müssen
nicht unseren eigenen Geist als das Wichtigste ansehen. Wir sollten das große
Gesetz, das der Buddha gelehrt hat, als das Wichtigste sehen. Nacht und Tag
sollten wir andauernd (und unbeirrt) unseren Geist dabei ganz ergreifen lassen,
wie der Wille zur Wahrheit sein sollte.“
Der Geist ist hier nicht isoliert zu versehen, denn
es kommt auf das Tun und Handeln selbst an und nicht auf eine
Selbst-Betrachtung, wie wir die Suche nach der Wahrheit gestalten.
Der Schwerpunkt sollte nicht auf uns selbst, sondern
auf den Buddha-Dharma gelegt werden, Selbstbespiegelung ist die falsche
Achtsamkeit. Daher ist auch eine übergroße Sorge für den eigenen Körper und das
eigene Leben eher hinderlich.
Er sagt, dass diese Wirkung wie folgt genannt wird: „Den
Dharma bis zum Grund zu verwirklichen“ und „Die
Wahrheit Buddhas ist im Körper gegenwärtig“.
Am Ende bekräftigt er:
„Zazen ist
nicht eine Methode der dreifachen Welt (der gewöhnlichen Menschen), es ist die
(wahre) Methode der buddhistischen Vorfahren im Dharma.“
Die gewöhnlichen drei Welten sind durch die Gier, die
Fixierung auf die Materie und die Idee der Nicht-Materie gekennzeichnet.
Die acht
Wahrheiten eines wirklich großen Menschen (Hachi-dainingaku)
Nach der Überlieferung lehrte Gautama Buddha kurz vor seinem Tod die acht Wahrheiten eines
wirklich großen Menschen, also eines Buddhas oder Bodhisattvas, sie sind eine reale Zusammenfassung der Weisheit des Mittleren Weges. Die acht Wahrheiten
sind auch Thema des letzten Kapitels des Shôbôgenzô,
das Dôgen lehrte und niederschrieb, als er schon schwerkrank und vom Tode
gezeichnet war. Man nimmt heute an, dass Dôgen an Tuberkulose litt, die damals
meist unheilbar war. Er kehrte zwar zur besseren ärztlichen Behandlung vom
Kloster Eihei-ji nach Kyoto zurück, erholte sich aber nicht mehr und verstarb
dort im Alter von 53 Jahren.
Wir sollten diese letzte Lehrrede von Gautama Buddha und von Dôgen mit großer
Sorgfalt studieren. Sie fasst die wichtigsten Regeln für ein wahres
buddhistisches Leben recht einfach und praxisorientiert zusammen. Diese Regeln
sind keine Dogmen, sie sind auch keine
Extrem-Forderungen, sondern ähnlich wie die Bodhisattva-Gelöbnisse als
Hilfe für unser natürliches tägliche Leben zu verstehen.
Dôgen schreibt am Anfang des Kapitels, dass man den
ruhigen und ausgeglichenen Lebenszustand
erreicht, wenn man diese acht Wahrheiten verwirklicht. Damit verwendet er den
selben Begriff „zur Ruhe kommen“ wie Nagarjuna. Er spricht davon, dass man in
das Nirvâna eingeht, und meint damit vor allem den Zustand des Gleichgewichts
und der Befreiung im Hier und Jetzt. Im Folgenden werden die acht Wahrheiten
dargestellt und kurz erläutert.
1. Geringe
Begierde
Diese Regel beinhaltet, dass wir nicht Dingen
nachjagen sollen, die wir noch nicht besitzen, aber unbedingt haben wollen.
Dazu gehören vor allem die Objekte der Begierden, die durch die Wahrnehmung mit
den fünf Sinnesorganen – den Augen, Ohren, der Nase, Zunge und Haut –
hervorgerufen und angestachelt werden. Dôgen zitiert Gautama Buddha, der warnte, dass das Leiden grenzenlos ist, wenn
wir diesen Begierden hemmungslos, extrem und unkontrolliert nachgeben. Hat man
sie jedoch „im Griff“, kann sie steuern und hält sie klein, befreit man sich
von ihrer Dominanz und damit auch vom Leiden. Solche Menschen schmeicheln auch
nicht um des eigenen Vorteils willen und kriechen nicht vor denjenigen, von
denen sie die Objekte der Begierden erhalten möchten. Nur auf diese Weise seien
wir ohne Sorgen und Furcht, haben umfassende Freiheit und großen Spielraum im
eigenen Leben und sind nicht unzufrieden. Dogen sagt nicht, dass wir alles
Wollen und Wünschen asketisch unterdrücken sollen. Das widerspräche dem
Mittleren Weg und ist ziemlich sinnlos, wie Buddha selbst erfahren hatte.
2. Erkennen
der Zufriedenheit mit dem, was man hat
Hier wird vor allem angesprochen, dass wir mit den
Dingen, die wir besitzen, und unseren Lebensumständen zufrieden sind und nicht
immer Extremen nachjagen. Wenn wir eine solche Zufriedenheit klar erkennen, dann
überwinden wir die verschiedenartigen Leiden in unserem Leben und erleben einen
Ort des Reichtums, der Freude und des Friedens. Wenn wir eine solche
Zufriedenheit nicht kennen, könnten wir sogar an einem himmlischen Ort leben und wären trotzdem immer unzufrieden,
frustriert und wollten immer noch mehr. Neid und Missgunst sind die Fend der
Zufriedenheit und schaden uns selbst am meisten Dôgen zitiert dazu Buddha:
„Jene
Menschen, die die Zufriedenheit nicht kennen, sind arm, selbst wenn sie reich
sind, und jene, die die Zufriedenheit kennen, sind reich, selbst wenn sie arm
sind. Jene, die die Zufriedenheit nicht kennen, werden ununterbrochen von den
fünf Begierden gesteuert.“
3. Freude an
der Stille haben
Wir sollten uns von lärmenden, unruhigen Gruppen und
Veranstaltungen fernhalten und einen ruhigen Ort suchen. Das ist in der
heutigen hektischen Zeit besonders wichtig. Viele empfinden in einer solchen
Abgeschiedenheit große Langeweile, aber der dauernde exaltierter Trubel ist
sicher der falsche Weg für ein Leben im Gleichgewicht. Gautama Buddha vergleicht diese Situation mit einem Schwarm von
Vögeln, die auf einem Baum sitzen und ständig in großen Sorgen und Ängsten
sind, dass dieser zusammenbricht und umfällt, obgleich er leicht die auf ihm
sitzenden Vögel tragen kann. Außerdem sagt er:
„(Jene), die
an die Welt gefesselt sind und ihr anhaften, versinken in verschiedenartiges
Leiden, wie ein alter Elefant, der im Sumpf versinkt und selbst nicht in der
Lage ist, wieder herauszukommen. Dies wird genannt‚ sich fernzuhalten’.“ Wir
müssen dabei sicher den extremen lärmenden Unterhaltungs-Konsum der
Massenmedien erwähnen.
4. Fleiß
praktizieren
Dabei kommt es darauf an, ausdauernd zu praktizieren
und nicht in seinen Bemühungen zu erlahmen. Nach Gautama Buddha wird dann überhaupt nichts schwierig und
unüberwindbar sein:
Wir sollten Fleiß und Ausdauer praktizieren wie „ein
steter Tropfen Wasser, der andauernd niederfällt und wirklich in der Lage ist,
einen Felsen zu durchbohren.“
Das Gegenteil davon sei ein hektischer oder träger
Mensch ohne Ausdauer, der Feuer durch schnelles Reiben zweier Hölzer aneinander
erzeugen will, aber leider aufhört, kurz bevor die Hölzer heiß genug sind und
das Feuer sich tatsächlich entzündet. Extreme und hektisch und ohne Ausdauer verfolgte
Ziele führen häufig zu bösen Rückschlägen und unterminieren die Kraft etwas
Sinnvollen zu tun.
5. Nicht die
(rechte) Achtsamkeit verlieren
Hier geht es vor allem um die wahre Achtsamkeit für
andere und nicht um den oft sentimentalen Selbstbezug und das Selbstmitleid,
die heute häufig festzustellen sind. Der Begriff der Achtsamkeit ist nach
Buddha umfassend zu verstehen. Wenn man dauernd um sich selbst kreist, sich
selbst kramphaft beobachtet und interpretiert, entspricht das bestimmt nicht
der von Gautama Buddha gelehrten
Achtsamkeit. Dôgen setzt dabei vor allem auf gute Lehrer, denen wir uns
anvertrauen und unter deren Anleitung wir auf dem Buddhas Mittleren Weg
weiterlernen.
Durch eine solche Achtsamkeit können uns „die
Banditen der Not“ nicht erobern und wir bleiben im Gleichgewicht. Wir sollten
daher unsere Gedanken und Gefühle steuern, vor Extremen bewahren und sie im
richtigen Ort des Geistes halten. Wer seine Achtsamkeit verliert, verliert
seine Tugend und Lebensfreude. Wir seien durch die Achtsamkeit im Kampf des
Lebens wie durch einen Panzer geschützt.
6. Den
Zustand des Gleichgewichts der Meditation praktizieren
Dies bedeutet, dass wir ohne Störung im Gleichgewicht
der Meditation und im Buddha-Dharma verweilen. Nishijima Roshi sagt, dass es
ohne die Meditation z. B. des Zazen keinen Buddhismus gibt. Gautama Buddha erklärt, dass durch die
Steuerung des Geistes der Zustand der inneren und äußeren Balance eintritt.
Dann zerstreut sich unser Geist nicht, sondern ist gesammelt. Buddha vergleicht ihn mit einem
Leitungssystem für Trinkwasser, das kein Leck hat und dicht ist, sodass kein
Wasser unnütz versickert und verloren geht.
7. Weisheit
praktizieren
Buddha betont: „Wenn ihr Mönche Weisheit habt, dann werdet
ihr ohne Gier und Anhaftung sein.“ Es sei wichtig, dass wir uns sorgfältig
beobachten und darüber reflektieren, wie wir denken, fühlen und handeln, was
sich also in unserem Geist und unserer Psyche ereignet und ob wir durch extreme
Gefühle und Gedanken hin und her geworfen werden. Wir sollten möglichst schnell
durchschauen, wenn wir von der Gier nach Ruhm und Profit getrieben werden.
Dadurch verweilen wir in der Wahrheit des Dharma und
erreichen die Befreiung und Emanzipation. Ist dies nicht der Fall, dann
unterscheiden wir uns grundsätzlich von den Menschen der Wahrheit, seien es
Nonnen, Mönche oder Laien. Die Weisheit sei wie ein stabiles Schiff, mit dem
wir den Ozean des Alterns, der Krankheit und des Todes überqueren wollen und
können. Sie sei ein großartiges Licht für die Dunkelheit der Unwissenheit und
eine gute Medizin für kranke Menschen. Er fügt hinzu:
„Wenn ein Mensch das Licht der Weisheit besitzt, ist
er auch mit den körperlichen Augen jemand mit klarer Sichtweise. Dies wird
‚Weisheit’ genannt.“
8. Sich
nicht in müßigen Diskussionen engagieren
Indem wir uns von exaltierten Unterscheidungen und
einseitigen Abwertungen anderer fernhalten, verwirklichen wir die reale Form
und Wirklichkeit des Lebens. Aufgebrachte affektive Diskussionen in Extremen
verwirren dagegen nach Gautama Buddha
den Geist. Wir können uns dann nicht von diesen Verwirrungen befreien, selbst
wenn wir in ein Kloster eingetreten sind. In der Tat sind derartig hitzige, oft
aggressiv geführte Streitgespräche wenig geeignet, um auch nur ein Stück
Wahrheit zu finden und zu befördern.
Dann zitiert Dôgen noch einmal Gautama Buddha:
„Ihr Mönche
solltet euch dauerhaft anstrengen, mit ungeteiltem Geist die Wahrheit der
Befreiung anzustreben. Alle Dharmas dieser Welt, die sich bewegen oder
bewegungslos sind, vergehen ohne Ausnahme und haben keine stabile Form. Ihr
solltet jetzt für eine Weile innehalten und nicht mehr reden. Die Zeit muss
weitergehen und ich schicke mich an, zu sterben. Dies ist meine letzte
Unterweisung.“
Dôgen bedauert, dass zu seiner Zeit viele Menschen
die acht Wahrheiten des Mittleren Weges nicht kennen und auch nicht erlernen
wollen. Wer jedoch Zugang zu ihnen habe, könne sich glücklich schätzen, weil er
auf diese Weise gute Wurzeln für sein eigenes Leben besitze. Er bezeichnet
seine eigene Zeit als heimtückisch und dekadent und mahnt uns:
„Solange der
wahre Dharma des Tathâgata die tausendfache (Welt) durchdringt und solange die
reine Lehre noch nicht verschwunden ist, sollten wir sie ohne Verzug erlernen.
Seid nicht träge oder nachlässig.“