(Von Gudo Nishijima Roshi)[1]
Meister Dōgens großes Werk Shōbōgenzō („Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“)[2] habe ich
über 40 Jahre eingehend studiert, und ich bin der festen Überzeugung, dass die
von mir bearbeiteten Quellentexte auch für den Westen von unschätzbarem Wert
sind. Die deutsche Fassung des Shōbōgenzō
und dessen Einführung „ZEN Schatzkammer“ unterstütze ich ausdrücklich, weil
damit das Verständnis der sicher nicht einfachen Aussagen Dôgens im
deutschsprachigen Raum für viele Leser wesentlich verbessert werden kann.
Manche meinen, der Buddhismus eigne sich als Religion
nur für jene Menschen, die sich aus dem beruflichen Alltag und
gesellschaftlichen Leben in die Nische eines Klosters zurückgezogen haben und
versuchen, dort auf einer „Insel der Seligen“ ohne die Ungerechtigkeiten und
Schwierigkeiten des normalen Alltags zu leben. Andere glauben, dass der
Buddhismus ausgesprochen lebensfeindlich oder gar nihilistisch sei. Vor allem
der Zen-Buddhismus sei, so eine verbreitete Ansicht, von lebensfeindlicher
Askese und dem schmerzhaften Ringen um die große Erleuchtung (Satori, Kensho) geprägt, diese sei aber
für einen „normalen“ Menschen ohnehin nicht erreichbar. Eine solche Sichtweise
kann ich jedoch aus meiner praktischen Erfahrung und der in langem Studium
gewachsenen Kenntnis heraus nur als völlig
falsch bezeichnen – das Gegenteil ist richtig.
Wer sich aus der Wirklichkeit der Welt verabschiedet
hat, gerät unweigerlich in einen meist ausweglosen Kreislauf von Illusionen,
Leiden, Trugbildern, Ängsten und subjektiven Welten und kann von diesem Leiden
nur dann befreit werden, wenn er zur Wirklichkeit des Lebens und der Welt und
damit zur Wahrheit zurückfindet. Gautama Buddha hat dies erfahren und erkannt
und uns die großartige Lehre des Buddha-Dharma geschenkt, die uns nicht zuletzt
von Meister Dōgen authentisch übermittelt wurde.
Der Buddhismus lehrt nicht, dass das ganze Leben
aus Leiden besteht, wie manchmal behauptet wird, sondern im Gegenteil: Er
will uns praktisch gangbare Wege aufzeigen, wie wir das vorhandene oder
zukünftige Leiden überwinden können. Dann können wir eindimensionale
Weltanschauungen über Bord werfen, Ideologien und Verführungen schnell
durchschauen und zu Gleichgewicht und Harmonie zurückfinden. Dies ist der
Mittlere Weg und der natürliche Zustand des Menschen im Gleichgewicht. Mit
Meister Dōgen bin ich der festen Überzeugung, dass die Meditationspraxis des
Zazen in Verbindung mit der authentischen buddhistischen Lehre genau der
richtige Weg ist, den wir beschreiten sollten.
Meine eigene Lehre stützt sich neben Gautama Buddha
selbst auf die genialen Meister Nagārjuna, Bodhidharma und vor allem auf
Meister Dōgen. Ich habe bei meinen zahlreichen Vorträgen und Gesprächen in
Asien, Europa und Amerika festgestellt, dass sich die Kernpunkte der Theorie und Praxis des wahren Buddhismus in der
heutigen Zeit immer klarer herauskristallisieren und besser verstanden werden.
Dies betrachte ich als große Hoffnung. Es wäre von großem Wert für die gesamte
Menschheit, wenn der Buddhismus im Westen neue Kraft und Klarheit erlangt.
Welches sind nun die maßgeblichen Kernbereiche des
Buddha-Dharma? Lassen Sie mich dabei zunächst kurz auf das Leben und die
Erfahrungen von Meister Dōgen eingehen. Er wurde 1200 n. Chr. geboren und
erlebte schon in früher Jugend schwere Schicksalsschläge, weil sein Vater und
seine Mutter früh starben und er auf diese Weise bitter erfahren musste, dass
das Leben endlich ist. Dies mag der Grund dafür sein, dass er schon in jungen
Jahren nach dem Sinn und der Wahrheit des Lebens und der menschlichen
Wirklichkeit suchte. Er trat mit zwölf Jahren in ein buddhistisches Kloster ein
und hatte sich nicht zuletzt wegen seiner überragenden Intelligenz und
Beharrlichkeit schon bald die verschiedenen buddhistischen Lehren im damaligen
Japan erarbeitet und sie durchdrungen.
Der junge Dōgen war nicht nur außergewöhnlich begabt,
sondern auch überaus ehrlich sich selbst gegenüber, sodass ihn der damals in
Japan gelehrte sehr theoretische und spekulative Buddhismus trotz besten
Willens und großer Anstrengung nicht überzeugte. Er entschied sich daher, nach
China in das Ursprungsland des Zen-Buddhismus zu gehen. Auch dort erlebte er
zunächst Enttäuschungen, bis er schließlich und fast am Ende der Reise seinem
Meister Tendō Nyojō begegnete, der
neben der fundierten Lehre des Buddhismus vor allem die Praxis des Zazen und
das Handeln im Alltag in den Mittelpunkt des buddhistischen Lebens stellte.
Tendō Nyojō hatte selbst viele Jahre lang einen wahren Meister gesucht, aber
nicht gefunden. Solche großen Meister gab es zu jener Zeit nur noch wenige in
China.
Zazen ist keine geistige Meditation, bei der die
Konzentration auf ein Meditationsobjekt, zum Beispiel auf ein Thema oder ein
Bild, auf den Atem, auf das Zählen oder auch auf die paradoxe Frage eines Kōans
gerichtet ist. Zazen ist genau das Gegenteil, nämlich praktisches Handeln ohne
diskursives Denken in Form des Sitzens in der richtigen Zazen-Haltung. Zazen
ist gegenstandslose Meditation: einfach Sitzen. Dabei stellt sich beim Menschen
ein bestimmtes Gleichgewicht ein, und alle Gedanken, Gefühle und die normale
Wahrnehmung verschwinden früher oder später. Dadurch befreit sich unser Geist
von Grund auf. Nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen handelt es sich
dabei vor allem um das Gleichgewicht des vegetativen
Nervensystems, wenn die Aktivität und Spannung des einen Teilsystems –
Sympathikus – und die Passivität und Entspannung des anderen – Parasympathikus
– im Gleichgewicht sind.
Das japanische Wort „Shōbōgenzō“ bedeutet: der
wesentliche Kern oder die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges, also des
Buddhismus. Dieser kostbare Schatz der Lehre ist aus der Sicht von Meister
Dōgen zusammen mit der Praxis des Zazen die umfassende Lehre des Gautama
Buddha. Er beschreibt sie in seinen Lehrreden (Sūtras) sehr genau und hat sie,
wie wir wissen und erfahren, an seine Schüler und an uns weitergegeben.
Was sind nun die Kennzeichen der Zazen-Praxis, die
Meister Dōgen sehr umfassend lehrt?[3] Er führt
die folgenden vier wesentlichen Bereiche auf:
(1) Das Überschreiten des üblichen unterscheidenden
Denkens mit dem Verstand durch die besondere Art des „Nicht-Denkens“;
(2) Das regelmäßige Sitzen im Zazen in der richtigen
Körperhaltung, die von Dōgen exakt beschrieben wird. Dieses Sitzen ist
praktisches Tun, umfasst damit den ganzen Menschen und beschreibt wie im Yoga
die körperliche Dimension als Grundlage des Handelns und des Geistes.
(3) Dōgen beschreibt das wirkliche Handeln und
Erleben bei der Zazen-Praxis mit den Worten „das Fallenlassen von Körper und
(denkendem) Geist“ und meint damit, dass wir uns von den Fesseln des Körpers
und des gewöhnlichen Verstandes, die uns in unserem Leben so häufig einengen
und quälen, befreien. Ich interpretiere diese von Dōgen formulierte Tatsache
als das Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems, das durch die Zazen-Praxis
erreicht wird.
(4) Die Praxis des Zazen wird durch das japanische
Wort Shikantaza beschrieben, das
übersetzt etwa heißt „nichts anderes tun als sitzen“. Damit will Dōgen vor
allem klarmachen, dass wir uns bei der Zazen-Praxis nicht auf ein vorgestelltes
Objekt, also ein Thema, Ziel oder Kōan, konzentrieren sollen, sondern dass das
richtige Sitzen selbst die wesentliche Übungspraxis ist.
Durch das Sitzen werden Gleichgewicht und Harmonie
ermöglicht, von denen wir heute wissen, dass sie die Balance des vegetativen
Nervensystems ausmachen. Diese Zazen-Praxis bezeichne ich, wenn sie sich
verwirklicht, als die erste Erleuchtung.
Sie kann aber nicht auftreten, wenn sich intellektuelle oder andere unruhige
Gedanken im Gehirn festsetzen, wenn Gefühle vorherrschen, wenn verzerrte
Wahrnehmung dominiert oder man gierig nach irgendetwas verlangt, zum Beispiel
auch nach der großen eigenen Erleuchtung. Besonders schädlich sind die Gier
nach Ruhm, Ansehen, eigener Wichtigkeit, Macht oder Profit und der damit
verbundene Stolz. Daher ist es so wesentlich, durch Shikantaza nicht unbedingt irgendein „großartiges“ Ergebnis wie die
Erleuchtung erlangen zu wollen und sich nicht auf irgendetwas Spezielles zu
konzentrieren. Vielmehr kommt es darauf an, die richtige körperliche Haltung
einzunehmen und das Sitzen als Handeln zu verwirklichen. Nur dann wird sich die
erste Erleuchtung bei der Zazen-Praxis wie von selbst ereignen.
Gautama Buddha hatte im damaligen Indien zunächst
versucht, durch die bekannten Formen der Meditation und geistigen Konzentration
sowie durch extreme Übungen der Askese die Befreiung und das Erwachen zu
erlangen und war dabei gescheitert. Die damals in Indien gelehrte Philosophie
des Idealismus, bei dem Gedanken, Ideen, Vorstellungen und Ideale vorherrschend
waren, hatte nicht zum ersehnten Erwachen geführt. Aber auch die materielle
Lebensphilosophie, die behauptet, allein die Wahrnehmung, Beobachtung und der
sinnliche Genuss seien wirklich, hatte sich für ihn als Sackgasse erwiesen.
Auch Skeptizismus und Nihilismus, die es schon damals als Denkrichtungen gab,
führten nicht zum Erwachen.
Schließlich erkannte Gautama Buddha beim Zazen und
dem Aufleuchten des Morgensterns, wie Meister Dōgen es ausdrückt: „Die ganze Erde und alle Lebewesen
verwirklichen zusammen die Wahrheit.“ Ihm wurde plötzlich klar, dass er
über das gewöhnliche unterscheidende Denken und die übliche Wahrnehmung
hinausgehen musste, um die Wahrheit und Wirklichkeit der Welt direkt zu
erfahren und zu erleben. Dazu benutzte er die Praxis des Zazen in der seit
Langem bekannten Yogahaltung des halben oder ganzen Lotossitzes.
Durch den einfachen Akt des Sitzens im Augenblick und
im Hier und Jetzt verlassen wir das oft quälende dualistische Bewusstsein von
Körper und Geist und erfahren unser Leben im Einklang und in der Harmonie mit
dem Universum ganzheitlich und unmittelbar intuitiv. In der wirklichen
Erfahrung des Zazen können wir den Buddha-Dharma vollkommen verwirklichen, wenn
wir, wie ich immer wieder betone, zweimal täglich diese Übung praktizieren.
Um das Shōbōgenzō
von Meister Dōgen wirklich zu „verstehen“ und sich nicht an scheinbaren
Widersprüchen und Paradoxien aufzureiben, gibt es einen Schlüssel, der den großen Wert dieses Werkes besser erschließt, den
ich im Laufe meines langen Lebens entwickelt und immer mehr verfeinert habe. Es
handelt sich dabei um die, wie ich glaube, umfassende Lehre der sogenannten
vier Sichtweisen oder Lebensphilosophien, die Meister Dōgen in dem Kapitel „Das
verwirklichte Leben und Universum“ (Genjō-kōan)
beschreibt.[4]
Die volle Wirklichkeit des Lebens und der Welt sind
danach weder durch den Verstand noch durch die Wahrnehmung allein ganz zu
erfassen, sondern beide ermöglichen nur Teilsichten
und Teilwahrheiten, die durch ihre
Einseitigkeit als umfassende Philosophien letztlich für das praktische Leben
ungeeignet sind und daher zwangsläufig zu verschiedenen Formen des Leidens
führen müssen.
Die beiden ersten Lebensphilosophien sind die im
Westen vorherrschenden Lehren des Idealismus
und Materialismus, des Denkens und
der Materie. Gautama Buddha und Meister Dōgen zufolge muss als dritter Bereich
das Handeln und Erfahren im gegenwärtigen Augenblick, also im Hier und Jetzt,
hinzukommen. Dann können wir die enge Perspektive des Subjekts überschreiten und
uns dadurch wesentlich befreien. Bei der Zazen-Praxis und im Alltag eröffnet
sich durch das direkte Handeln im Hier und Jetzt eine neue Wirklichkeit, die
zum Kern der buddhistischen Lehre gehört.
Die vierte umfassende Lebensphilosophie des
Buddhismus ist das Erwachen oder die Erleuchtung, also die Befreiung. Sie
enthält integrierend auch die drei ersten genannten Teilbereiche. Das Erwachen
geht aber über diese Bereiche hinaus und bildet den „Schlussstein“ des buddhistischen Lehrgebäudes und der Praxis. Wenn
die umfassende buddhistische Lehre im Einklang mit der Zazen-Praxis und dem
täglichen Handeln steht, nenne ich das die zweite
Erleuchtung. Meister Dōgen drückt dies im Kapitel Genjō-kōan wie folgt aus:
„Selbst wenn dies alles so ist, fallen die Blüten,
während sie geliebt werden, und wuchert das Unkraut, während es ungeliebt ist.“[5]
Damit will er sagen, dass wir über unsere kleinen
Wünsche, Hoffnungen, Ängste und Erwartungen, an die wir uns klammern,
hinausgehen müssen. Wir müssen sie als solche erkennen und ihnen die einengende
Kraft nehmen, um zur Wahrheit des Buddha-Dharma und des Lebens zu gelangen.
Denn diese wirkliche Welt ist so, wie sie ist: rein, ohne Bedauern, kraftvoll
und voller Dynamik. Warum sollten wir ihr entfliehen? Ich bin der festen
Überzeugung, dass wir mit den vier Lebensphilosophien den Schlüssel für die
Lehren Gautama Buddhas und Meister Dōgens in der Hand halten und das großartige
Werk Shōbōgenzō damit erschließen
können.
Das Gesetz von Ursache und Wirkung hat im Buddhismus
einen zentralen Stellenwert für uns selbst und für andere, und auch Meister
Dōgen bekennt sich zu dieser Wahrheit. In dem Shōbōgenzō-Kapitel „Tiefes Vertrauen in das Gesetz von Ursache und
Wirkung“ kommt dies in aller Klarheit zum Ausdruck.[6] Es legt
den Schwerpunkt auf die Verantwortung für das eigene Handeln. Es betrifft
zunächst die Lebensphilosophie des Materiellen und der Naturwissenschaft, die
im Buddha-Dharma als Teilwirklichkeit geschätzt und anerkannt wird. Auch
Meister Dōgen beschreibt in verschiedenen Kapiteln die physische Welt und, wie
wir heute sagen würden, die Gesetze der Naturwissenschaft. Der große
Wissenszuwachs der modernen Zeit ist ja nicht zuletzt in diesem Bereich
entstanden und steht keinesfalls im Gegensatz zur buddhistischen Lehre.
Besonders deutlich wird dies in den Kapiteln des Shōbōgenzō „Das verwirklichte Leben und Universum“, „Das ganze
Universum ist eine leuchtende Perle“[7] und „Die
Stimmen des Tales und die Form der Berge“[8].
Das Gesetz von Ursache und Wirkung gilt im
Buddha-Dharma jedoch auch und nicht zuletzt für die Ethik und Moral des menschlichen Lebens. Es besagt, dass moralisch
schlechte Taten unweigerlich auf den Urheber zurückschlagen, und zwar nach
meiner festen Überzeugung noch in diesem Leben. Umgekehrt gilt dies auch für
ethisch gutes Handeln, denn uns selbst kommt der „Nutzen“ daraus zugute und wir
entkommen dem Leiden.
Das Gesetz von Ursache und Wirkung erklärt die
Zusammenhänge im Zeitablauf oder, wie wir sagen, mit dem Verständnis der
linearen Zeit. Dies wird auch von Meister Dōgen im Shōbōgenzō beschrieben. Aus dem Gesetz von Ursache und Wirkung gibt
es kein Entrinnen.
Wesentliche Erfahrungen und das wahre Erleben im Hier
und Jetzt finden genau im gegenwärtigen Augenblick statt. Dies hat im Buddha-Dharma
eine sehr große Bedeutung, weil wir im gegenwärtigen Augenblick die
Wirklichkeit und die Wahrheit selbst erleben und erfahren. Auch das Handeln
findet im gegenwärtigen Augenblick statt, sodass die Augenblicklichkeit des
Lebens und des Universums in der Lehre und in der Praxis des Buddhismus im
Mittelpunkt stehen. Das Handeln im Augenblick bei der Zazen-Praxis ist mit der ersten Erleuchtung identisch und
bedeutet, dass wir den Bodhi-Geist[9]
erwecken. Dōgen sagt hierzu:
„Wer auf des Tathagatas (Buddhas) Schatzkammer des
wahren Dharma-Auges und den wunderbaren Geist des Nirvana vertraut, glaubt auch an den Grundsatz der
Augenblicklichkeit des Erscheinens und Vergehens aller Dinge.“
Eine solche intuitive Weisheit und Klarsicht
übersteigt bei Weitem das übliche verstandesmäßige Denken und intellektuelle
Ideen, seien sie auch noch so anspruchsvoll, komplex und scharfsinnig. Diese
intuitive Weisheit und die volle Gegenwart und Freiheit des Handelns werden im
Buddhismus gelehrt und praktiziert. Dann können wir sagen, dass es uns wie
„Schuppen von den Augen fällt“ und wir im Einklang mit der Welt und dem
Universum handeln und leben. Wir können uns dann selbst erkennen, wie wir
wirklich sind und werden. Dann handeln wir ohne Zögern und Hemmnisse
unmittelbar, ethisch richtig und entschieden, so wie es die Situation gerade
erfordert.
Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, ist die
westliche europäische Philosophie am Endpunkt der alten Kontroverse von
Idealismus und Materialismus angelangt und sucht nach neuen Wegen, die nach
meinem Verständnis von den großen Meistern des Buddhismus bereits gegangen
worden sind. Beispielhaft möchte ich hier das Werk des deutschen Philosophen
Martin Heidegger „Sein und Zeit“ nennen.
Das Handeln im gegenwärtigen Augenblick ist demgegenüber Wahrheit und
Wirklichkeit zugleich, es vollzieht sich hier und jetzt. Es ereignet sich in
der Ganzheit von Subjekt und Objekt sowie von Körper und Geist. Dadurch werden
wir frei und haben ein erfülltes und freudiges Leben. Dies ist die Überwindung
des Leidens.
Es
ist sicher unbestritten, dass Ethik und Moral im Buddhismus von fundamentaler
Bedeutung sind und dass vor allem die Übereinstimmung von Reden, Denken und
Handeln gelehrt und erlernt wird.[10]
Hierbei
ist die Praxis des Zazen genauso wichtig wie das alltägliche Handeln auf dem
Buddha-Weg. Aber auch die buddhistische Lehre, die zum Beispiel im Shôbôgenzô von Meister Dôgen formuliert
wurde, ist unverzichtbar. Zazen ist die reinste Form des Handelns, und indem
wir physisch im halben oder ganzen Lotossitz mit aufrechter Wirbelsäule sitzen,
kommt das vegetative Nervensystem automatisch ins Gleichgewicht und zur Ruhe.
Dieses geistige und körperliche Gleichgewicht gibt uns Kraft und Gelassenheit,
es macht uns handlungsfähig und gesund. Es übersteigt das verstandesmäßige
Denken oder die irritierenden Gefühle sowie die Genusssucht. Dieses
Gleichgewicht ermöglicht intuitive Klarheit, Weisheit und Entscheidungskraft. Der Buddhismus ist die Verbindung von
Lehre und Praxis, und er umfasst das ganze menschliche Leben und Universum.
[1] Entnommen: Seggelke,
Yudo J.: ZEN Schatzkammer Einführung in Dogens Shobogenzo, 3 Bände
[2] Dogen:
Shobogenzo, deutsche Fassung und englische Fassung in vier Bänden
[3] Dōgen:
Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Au
[4] Dōgen:
Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche
Übersetzung) Bd. 1, S. 57 ff.
[5] Dōgen:
Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche
Übersetzung) Bd. 1, S. 311ff.
[6] Dōgen: Shōbōgenzō.
Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 4,
S. 237 ff
[7] Dōgen:
Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd.
1, S. 62ff.
[8] Dōgen:
Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd.
1, S. 108ff.
[9] Dōgen:
Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd.
3, S. 312ff.
[10] Shobogenzo, deutsche Fassung, Bd.
1, S. 121ff.