Nagarjunas Mittlerer Weg (MMK) und die Gelöbnisse im ZEN
(Aus meinem Buch "Sternstunden des Buddhismus, Band 3", in Vorbereitung)
Hinführung beim Mittleren Weg:
Hinführung beim Mittleren Weg:
In diesem
wichtigen Kapitel 23 des MMK untersucht Nâgârjuna wie und warum die ethische Reinheit durch vielfältige Täuschungen, Irrtümern,
Illusionen und Verfälschungen in ihr Gegenteil verkehrt wird.
Und diese Verfälschungen ereignen sich im sogenannte normale Leben und normale Denken der Menschen. Das Sanskrit Wort heißt vipariasa und wird nach Möbius (Sanskrit Lexikon) in Deutsch wie folgt übersetzt: Umwerfen, Wechsel, Vertauschung, Gegenteil, Irrtum, Verkehrtheit, Unglück und Unfall. Dieses semantische Feld charakterisiert meines Erachtens recht gut die zentralen Aspekte, die Nâgârjuna hier angeht. Eine enge Beziehung gibt es dabei zu ethischen Bewertungen, wie rein und unrein, gut und schlecht, heilig und unheilig usw. Nach Buddhas Erfahrungen sind für solche Vertauschungen und Verfälschungen der Wahrnehmung der Gefühle, des Denkens und der Ethik vor allem die drei Gifte Gier, Hass und Verblendung maßgebend. Sie führen zu einem Leben der Passivität, Dumpfheit, der fehlenden Selbstreflexion und Achtsamkeit und der unzureichenden Selbststeuerung. Diese Gifte verhindern die Entwicklung des Menschen auf dem Achtfachen Pfad und die Verwirklichung der Befreiung und Erleuchtung, die Buddha in sieben Bereiche gliedert. Jemand der von den drei Giften abhängig und determiniert ist, unterliegt Täuschungen, Verfälschungen oder auch romantisierenden Illusionen, die er nicht durchschaut und die letztlich ins Leiden führen. Aber Nagârjuna geht es auch um die verfälschenden Wirkungen falscher und schädlicher Ideologien und Doktrinen wie zum Beispiel des Substantialismus unveränderlicher Entitäten. Damit kommen angeblich unveränderliche und ewige Dharmas in den Blick. Und es geht um das unveränderliche und ewige âtman-Selbst der vorbuddhistischen Religiion des Brahmanismus, das Buddha für vieles Leiden und große Plagen der Menschen identifiziert.
Oft sind dabei subjektiv-doktrinäre Bewertungen vorherrschend, nicht zuletzt um sich selbst entweder zu überhöhen und den Fakten des eigenen Lebens auszuweichen. Das trifft zum Beispiel bei Narzisten zu. Aber auch das Gegenteil kann beobachtet werden: Solche Menschen verdammen sich selbst über die Maßen und verachten sich. Damit kreisen sie um sich selbst, sodass wichtige Lern- und Befreiungsprozesse schwierig sind oder ganz unterbleiben. Diese Menschen sind gerade nicht wach und nicht klar im Augenblick, sind geradezu abwesend gegenüber der Wirklichkeit. Es kann sich um Dumpfheit oder Dösigkeit handeln oder auch um ideologisch aufgeladene Rechthaberei und Indoktriniertheit.
Und diese Verfälschungen ereignen sich im sogenannte normale Leben und normale Denken der Menschen. Das Sanskrit Wort heißt vipariasa und wird nach Möbius (Sanskrit Lexikon) in Deutsch wie folgt übersetzt: Umwerfen, Wechsel, Vertauschung, Gegenteil, Irrtum, Verkehrtheit, Unglück und Unfall. Dieses semantische Feld charakterisiert meines Erachtens recht gut die zentralen Aspekte, die Nâgârjuna hier angeht. Eine enge Beziehung gibt es dabei zu ethischen Bewertungen, wie rein und unrein, gut und schlecht, heilig und unheilig usw. Nach Buddhas Erfahrungen sind für solche Vertauschungen und Verfälschungen der Wahrnehmung der Gefühle, des Denkens und der Ethik vor allem die drei Gifte Gier, Hass und Verblendung maßgebend. Sie führen zu einem Leben der Passivität, Dumpfheit, der fehlenden Selbstreflexion und Achtsamkeit und der unzureichenden Selbststeuerung. Diese Gifte verhindern die Entwicklung des Menschen auf dem Achtfachen Pfad und die Verwirklichung der Befreiung und Erleuchtung, die Buddha in sieben Bereiche gliedert. Jemand der von den drei Giften abhängig und determiniert ist, unterliegt Täuschungen, Verfälschungen oder auch romantisierenden Illusionen, die er nicht durchschaut und die letztlich ins Leiden führen. Aber Nagârjuna geht es auch um die verfälschenden Wirkungen falscher und schädlicher Ideologien und Doktrinen wie zum Beispiel des Substantialismus unveränderlicher Entitäten. Damit kommen angeblich unveränderliche und ewige Dharmas in den Blick. Und es geht um das unveränderliche und ewige âtman-Selbst der vorbuddhistischen Religiion des Brahmanismus, das Buddha für vieles Leiden und große Plagen der Menschen identifiziert.
Oft sind dabei subjektiv-doktrinäre Bewertungen vorherrschend, nicht zuletzt um sich selbst entweder zu überhöhen und den Fakten des eigenen Lebens auszuweichen. Das trifft zum Beispiel bei Narzisten zu. Aber auch das Gegenteil kann beobachtet werden: Solche Menschen verdammen sich selbst über die Maßen und verachten sich. Damit kreisen sie um sich selbst, sodass wichtige Lern- und Befreiungsprozesse schwierig sind oder ganz unterbleiben. Diese Menschen sind gerade nicht wach und nicht klar im Augenblick, sind geradezu abwesend gegenüber der Wirklichkeit. Es kann sich um Dumpfheit oder Dösigkeit handeln oder auch um ideologisch aufgeladene Rechthaberei und Indoktriniertheit.
Wie kann es nun zu
solchen Täuschungen, Verdrehungen und Verfälschungen kommen, die der Moral und
Ethik diametral entgegen wirken? Buddha nennt auf dem Weg des Erwachens und der
Emanzipation die berühmten negativen Fünf Hemmnisse, die er nicht zuletzt den
sieben positiven Gliedern der Erleuchtung gegenüberstellt. Es handelt sich um
folgende Hemmnisse: auf Sinnlichkeit
gerichtetes Wollen, das unkontrolliert und rücksichtslos gegenüber den
Objekten der Sinnlichkeit entsteht, vorhanden ist und im besten Fall vergeht
und überwunden werden kann. Ähnliches gilt für das Übelwollen anderen gegenüber, das oft sogar verdeckt und nicht
einfach erkennbar ist. Buddha nennt weiterhin Erstarren und Trägsein, das heißt eben Dumpfheit, laues oder
abgestorbenes Interesse und Passivität, die heute im Übrigen nicht zuletzt
durch ein Übermaß an Fernsehkonsum und Smartphon-Abhängigkeit und
Smartphon-Sucht ("sozialer Zombi")erzeugt
werden. Das Gegenteil, aber in ähnlicher Weise negativ wirksam, sind Aufgeregtheit und Unruhe. Dazu sind
Stress, ungezügelter Ehrgeiz und krankhafte Konkurrenz zu zählen. Schließlich
wird von Buddha die Zweifelsucht
genannt, die aus meiner Sicht einem nihilistischen Geist entspringt. Wer an
allem und jedem zweifelt, hat keine Möglichkeit der Befreiung und Emanzipation.
Der Philosoph Gadamer stellt für chronische Nihilisten ein erhebliches Maß an
Unehrlichkeit und Verlogenheit fest, weil auch ein Nihilist überleben will und
der Nihilismus vielleicht nur show und Wichtigtuerei ist. Ein Nihilist meint
wohl, besonders intellektuell zu sein und durchschaue die Negativität als
Wahrheit der Welt. Diese fünf Hemmnisse würde ich ohne Schwierigkeiten dem
Thema zuordnen, das in dem Kapitel von Nâgârjuna als Täuschungen, Verdrehungen und
Verfälschungen behandelt wird.
In diesem Kapitel geht es nun
vor allem um menschliche Einschätzungen und Bewertungen von schön, erfreulich
und wahr, aber auch von rein, unrein im Zusammenhang mit Irrtümern,
Täuschungen und Verwechslungen und durch die drei Giften Gier, Hass und
Verblendung. Wie können wir ´objektiv´ Klarheit bei körperlichen, geistigen
und psychischen Problemen gewinnen? Gibt es dabei nicht vielleicht doch absolute
Wahrheiten, wie auch die westliche Philosophie der Metaphysik zumindest
teilweise behauptet hat? Und wie vermeidet man ideologische Simplifizierungen
und dogmatische Verhärtungen zum Beispiel mit einfachen Ja-Nein-Bewertungen,
moralischen Diffamierung anderer Menschen oder Gruppen und extremen ideologischen
Konzepten? Kalupahana spricht nicht zufällig von Perversionen, die bei
Doktrinen und Ideologien gerade bei manchen Religionen, Weltanschauungen oder
Vorurteilen zu beobachten sind.[i]
Sind die Hexenverbrennungen des späten Mittelalters und der beginnenden
Renaissance etwas anderes als furchtbare Perversionen der christlichen Religion
der Wahrheit und Nächstenliebe? Es heißt doch: „Liebe Deine Feinde wie dich
selbst“. Wohl kaum. Wann und warum entstehen Vertauschungen und Verfälschungen
von schön und hässlich, erfreulich und unerfreulich, redlich und unredlich
sowie wahr und nicht-wahr.
Das sind zweifellos
schwierige Fragen und Themen der buddhistischen Lehre, die in diesem Kapitel einer
gründlichen Analyse und Klärung unterzogen werden.
Wenn wir wie Gautama
Buddha und Nagarjuna Wechsel-Wirkungen und gemeinsames Entstehen in unserem
Leben einbeziehen, können wir nicht mehr von simplen dogmatischen Extremen
ausgehen. Aber wie gewinnen wir umgekehrt Klarheit und Sicherheit in unserem
Leben, wenn alles relativ und damit unbestimmt oder sogar chaotisch ist?
Wir werden sehen, wie
Nagarjuna diese Fragen angeht.
In der westlichen
Philosophie hat sich Nietzsche gegen dichotome Simplifizierungen von Ethik und
Moral positioniert, vor allem in seinem Werk „Jenseits von Gut und Böse“. Wenn
sich Moral zu Doktrinen und Dogmen verhärtet, gibt es nicht zuletzt die große
Gefahr der Instrumentalisierung, Disziplinierung und Entmündigung der
Abhängigen. Aber Ethik soll keine Unfreiheit bewirken, sondern helfen, dass das
Leben gelingt und wir ein gutesLeben führen (Maerten). Hier gibt es
erstaunliche Parallelen zu Nagarjunas Kritik der einfache insbesondere
substanzhaften und plakativer Lehren zu recht und nicht-recht.
Die ist umso beachtlicher, weil das MMK schon vor über 1700 Jahre verfasst
wurde.
Ausgewählte Texte und
Interpretationen
Vers 23.1
Es wird gesagt, dass Einbildung die Quelle und Herkunft von Gier, Hass und Verblendung
sind.
Diese drei Gifte entstehen in Wechselwirkung mit den
Täuschungen und Verdrehungen von freudig
und rein sowie nicht-freudig und nicht-rein
sowie diesen beiden zusammen. [ii]
Die drei Gifte sind wie folgt mit dem Freudigen und
Reinen sowie dem Nicht-Freudigen und Nicht-reinen in Wechsel-Wirkungen:
1. Erregung
und Gier mit dem Angenehmen,
Freudigen und Reinen.
Dies bedeutet, dass man das Reine oder das als
angenehm Empfundene unbedingt haben will.
2. Abneigung
und Hass mit dem Nicht-Reinem und
Unangenehmen.
Dies werden abgelehnt, weil man will sie gerade nicht
haben will.
3. Verblendung
mit Täuschungen, Verdrehungen und Pervertiertheiten.
Nâgârjuna baut also die Untersuchung der drei Gifte:
Gier, Hass und Verblendung als Gegensatz zu den positiven Zuständen von Freudig
und Nicht-Freudig auf und bezieht sie auf Körper, Psyche und Geist oder genauer
die fünf Skandhas auf. So verbindet er Gier und Erregung mit Freudigem sowie
Abneigung und Hass mit Nicht-Freudigem. Diese Verbindungen bezeichnet er als
Täuschungen, Verdrehungen, Irrtümern und sogar mit Perversionen. Die Gier wäre mit
einen dringend erstrebter Glückszustand verbunden und ein solcher Zustand wäre
mit etwas Reinem und Schönem verbunden. Das wirkt zunächst vielleicht etwas
überraschend, hat aber durchaus eine innere Plausibilität. Denn was uns in
Erregung versetzt und wonach wie gierig sind, wollen wir unbedingt haben. Wir
erwarten davon Glück und Befriedigung. Darauf baut nicht zuletzt unsere moderne
Werbung für materielle Güter auf: Diese Güter sollen bei uns positive und
schöne Lebensgefühle erzeugen und sie sollen als Gutes und Edles erscheinen.
Wir können angeblich nicht nur glücklich damit sein, sondern erwerben auch das
Ansehen eines guten und erfolgreichen Menschen. Mir scheint dieser Zusammenhang
auch bei zu oberflächlich verstandenem Karma wirksam zu sein: Wer in diesem
Leben reich und wichtig sei, habe früher moralisch gutes Karma erworben. Ein
solcher Reichtum könne zum Beispiel durch eine großzügige Erbschaft aufgrund
des Karmas entstanden sein.
Ähnliches und vielleicht etwas deutlicher kann vom
Hass wegen der Ablehnung und Abneigung von etwas Hässlichem, Unreinem und
moralisch Minderwertigem gesagt werden. Der interreligiöse Hass ist wohl immer
mit den Verachtung des anderen Glaubens verbunden, der als total unmoralisch
gebranntmarkt wird: Besonders die Glaubensreligionen von Christentum, Judentum
und Islam liefern dafür furchtbare Beispiele. Aber auch die ideologischen und
zerstörerischen Weltanschauungen des modernen Faschismus und Kommunismus müssen
genannt werden.
Diese Hass-Affekte entwickeln sich als etwas, das
als total falsch,widerwärtig und unrein
empfunden und gedacht wird. Zum Beispiel gibt es den unveränderlichen ideologischen
Hass der heutigen Islamisten, weil sie die Gegner als unrein hassen, die die Welt verunreinigen und vergiften. Deshalb
müssten sie aus der Welt entfernt und total vernichtet werden, damit die Welt
wieder rein und schön wird und von Unreinheit befreit wird. Dass dabei ethische
fundamentale menschliche Regeln und Gesetze verletzt werden, wird in solchen
Fällen total beiseite geschoben und ist in deren Geist und Psyche nicht präsent
und völlig unwirksam. Ähnliche Aussagen lassen sich zum Beispiel über den
Rassismus in Deutschland sagen: Das Germanische und Arische waren allein das Reine und das
Nicht-Arische war das Un-Reine und sollte ausgemerzt werden. Als bereits
entschieden war, dass das Nazi-Deutschland den Krieg verlieren würde, sollen
Hitler und seine Hass-Ideologen stolz darauf gewesen sein, das internationale
Judentum entscheident bekämpft und geschwächt zu haben. Es ist zu hoffen, dass
die AFD-Anhänger sich nicht in solchen Hass versteigen, wenn sie
Minderwertiges, Hässliches und angebliche „Schmarotzer“ aus Deutschland
verjagen wollen.
Im Laufe dieses Kapitels soll also geklärt werden,
wie weit bewertende Grundsätze von rein und unrein, zum Beispiel von Gier und
Hass maßgebend sind. Dabei sollen Gier und Hass nicht zuletzt an Verblendungen und
Verfälschungen festgemacht werde.
Vers 23.2
Wenn man von einer isolierten unveränderlichen Eigen-Substanz ausgeht (, die angeblich
aus sich selbst entstanden ist), werden keine (wahren) Wechsel-Wirkungen des Schönen und Reinen, Unschönen und Nicht-Reinen
und beiden zusammen gefunden.
Von daher gibt es die Plagen und Befleckungen nicht
aus selbst.
Wenn man die Plagen und Befleckungen und damit auch
das Leiden fälschlich als isolierte unveränderliche substantielle Entitäten
versteht, die angeblich aus sich selbst entstanden sind, entspricht dies nicht
der Wirklichkeit. In der Präambel wird die Wirklichkeit nämlich als gemeinsames
Entstehen in Wechselwirkung gekennzeichnet. Isolation und substantiale Entitäten
lassen keine Wechselwirkungen zu.
Nâgârjuna kommt auf die Dogmatisierung und extreme
Idealisierung zu sprechen, die dadurch zustande kommt, dass schön und unschön
sowie rein verabsolutiert und isoliert werden. Sie werden dann wie dinghafte
isolierte Entitäten verstanden und aus ihrem lebendigen Zusammenhang und der
Wechselwirkung herausgelöst. Dadurch entstehen extreme und oft sogar
pervertierte Bewertungen und Einschätzungen von Reinheit und Schönheit, die ein
isoliertes Eigenleben entwickeln. Wie beim Rassismus und religiöser Ideologien
wird eine pervertierte Moral wirksam,
bei der die bestimmte Menschen verachtet und sogar getötet werden. Eine
menschwürdige einschätzung ist dann ausgeschlossen und verwandelt sich in ihr
Gegenteil. Nâgârjuna wird auf die Vermeidung der Extreme durch den Mittleren
Weg auch im folgenden Kapitel 26 detaillierter eingehen.
Maßgeblich ist hier also, dass Bewertungen von rein,
nicht-rein und eine Abwägung beider ins Extrem getrieben werden, sodass sie aus
ihrem Zusammenhang der Wirklichkeit, ihrer Wechselwirkung herausgelöst werden. Damit wird die
Wechselwirkung negiert, sodass irreale Welten im verwirrten Geist entstehen, zu
wuchern anfangen und Verwirrungen stiften. Sie entstehen also im verwirten
Geist selbst und sind nicht durch die äußere Wirklichkeit erzeugt. Dann kann es
keine klare Einschätzung der gesamten realen Situation geben.
Vers 23.3
Und auf keine Weise können die Zustände „es
existiert“ und „es existiert nicht“ für das Selbst gelingen.“
Wie gelingen dann aber die Zustände „es existiert“
und „es existiert nicht“ für die Plagen und Leiden?
Die Extreme von absoluter Existenz und absoluter
Nicht-Existenz ermöglichen nicht das
Verständnis eines wirklichen und lebendigen Selbst, sondern nur des doktrinären
altindischen und fiktiven âtman-Selbst. Dieses Selbst wird von Buddha und
Nagarjuna in aller Klarheit abgelehnt. Daraus folgt, dass die absoluten
Zustände der totalen Existenz oder totalen Nicht-Existenz auch nicht für die
Plagen und Leiden gelten können.
Nâgârjuna verbindet hier das von ihm abgelehnte âtman
– Selbst mit den Plagen, die ihrerseits fälschlich als dinghafte Entitäten und
Substanzen angenommen werden. Für derartige doktrinäre Substanzen wird fälschlich
gesagt, dass sie absolut existieren oder absolut nicht existieren. Damit werden
auch die Wahrnehmung und die phänomenologische genauen Analysen unterminiert,
weil die doktrinierten Geisteszustände realitätsnahe Wahrnehmung und realitätsnahes
Denken verhindern. Auch die ethische Wirklichkeit und Wahrheit werden damit in
ihr Gegenteil verkehrt. Sicher neigte in der brahmanische Glaubenslehre des
âtman – Selbst auch zu derartiger einer markanten Entmenschlichung. Die
angebliche göttliche „Ordnung“ in erstarrte Kasten und Kastenlose muss in
diesem Zusammenhang genannt werden. Nâgârjuna verbindet hier die Verfälschung
zum Extremismus mit der Unmenschlichkeit der drei Gifte Gier, Hass und
Verblendung. Mit den Doktrinen der Extreme des Substantialismus entstehen dabei
neue Täuschungen, die die authentische buddhistische Lehre zur Überwindung der
Gifte unterminieren.
Vers 23.4
Denn diese Plagen
und Leiden gehören (als Entitäten) nicht
zu irgendeinem Menschen. Und zudem kann es einen solchen Menschen nicht geben.
Oder existieren diese Plagen ohne irgendjemanden
vielleicht für niemanden?
Wenn man Plagen und Leiden als Substanzen annimmt, so
würden sie absolut und isoliert für sich unabhängig von einem Menschen existieren.
Sie könnte auch scheinbar substanzhafte Merkmale eines Menschen sein. Solche
Plagen und Leiden hängen sozusagen „in der Luft“, denn sie wären isolierte
eigenständige Entitäten.
Hier wird also die Verbindung der dinghaft und als
Entitäten angenommenen Plagen und Leiden zum Menschen untersucht. Aber nach dem
oben Argumenten gibt es auch solche Menschen als Entitäten oder Substanzen gar
nicht. Ein solcher Mensch, den es gar nicht gibt, kann daher auch keine
Merkmale haben. Wie sollen dann solche Plagen überhaupt als Merkmale existieren,
wenn es keinen Träger der Merkmale gibt? Folglich existieren weder solche
Plagen und Leiden als auch die Menschen. Beide Entitäten wären nur fiktiv und
durch Doktrinen künstlich im verfälschten völlig unklaren Geist erzeugt, in der
Wirklichkeit sind aber sie nicht zu finden.
Vers 23.23
Auf diese Weise kommt das Nicht-Wissen zur Ruhe, weil
die Täuschungen und Vertauschungen zur
Ruhe kommen.
Das Nicht-Wissen ist zur Ruhe gekommen: Dann kommen
die formenden Kräfte und die anderen Komponenten des Menschen (Skandhas) zur
Ruhe.
Durch die bisherigen Argumente wird klar, dass die
irrtümlichen Verwechslungen, die sich zu Verhexungen steigern können, zur Ruhe
kommen, auch und gerade das Nicht-Wissen
zur Ruhe gebracht wird.
Wenn das Nicht-Wissen zur Ruhe gekommen ist, werden
die Lebens-Dynamik und die formenden
Kräfte und die anderen Komponenten des
Menschen (skandhas) als Substanzen zur
Ruhe gebracht und ein natürliches dynamisches Gleichgewicht wird wirksam. Das
bedeutet, dass verwirrende und unheilsamen Doktrinen ihre Kraft verloren haben
und die Wirklichkeit unverzerrt wirken kann.
Damit kommt Nagarjuna zu
seiner Kernaussage: Die Klarheit des Menschen mit seinen fünf Komponenten
(Skandhas) ergibt sich, wenn er nicht den Illusionen und Verfälschungen
aufsitzt, dass er ohne Wechselwirkung isoliert und Ego-zentriert lebt oder
entstanden ist. Das wäre das Nicht-Wissen der wahren Lehren Buddhas. Dann kommt
der Mensch als Ganzes zur Ruhe und ist körperlich, psychisch und geistig im
Gleichgewicht.
Dann und nur dann können
ethische oder auch sachliche Bewertungen korrekt gelingen. Und wir benötigen
solche rechten Bewertungen in der Tat dauernd in unserem Lebens-Prozess. Den
schwierigen Befreiungsweg aus Ideologien und Abhängigkeiten finden wir auf
diese Weise, und das können wir letztlich nicht durch Kopieren irgendeiner
auswendig gelernten Lehre leisten, und sei sie noch weise. Ethisch zu handeln
ist viel mehr als nur ethisch zu reden und ethisches Wissen auswendig zu
lernen. Ethik wird eigens kreativ entwickelt.
Vers 23.24
Denn falls für irgendjemanden irgendwelche Plagen mit
doktrinärer Eigen-Substanz entstanden sind, fragt sich,
wie nämlich diese Plagen aufgegeben werden könnten.
Und weiter: Wer wird eine doktrinärer Eigen-Substanz, den âtman, aufgeben?
Niemand kann Unwissen, Plagen und Leiden aufgeben,
der nicht auch die Doktrin einer
solchen unveränderlichen und ewigen
Eigen-Substanz und des Subtanz-Selbst aufgibt oder beendet. Eine solche
unheilsame Doktrin wäre ohne Wechselwirkung und Dynamik. Das widerspräche fundamental
der Beobachtung, dass die Welt veränderlich ist und sich entwickelt. Damit wird
die Doktrin der Unveränderlichkeit
destruiert.
Wenn wir die irrige Vorstellung oder verhärtete
Ideologie von einem zwar irgend wie gewordenen aber unveränderlichen Eigen-Selbst (svabhâva) haben, können wir unser
Plagen nicht beenden und schweren
Probleme nicht lösen.
Es gibt tatsächlich immer wieder Menschen, die fest
davon überzeugt sind, dass ihre tief sitzenden Leiden und Problemen sich nicht
lösen lassen, nicht von ihnen selbst und auch nicht von anderen. Diese
Vorstellung ist nach Buddha und Nagarjuna aber unrichtig und entspricht nicht
der Wirklichkeit des Lebens und der Welt. Denn dahinter steckt die falsche
Vorstellung eines unveränderlichen substanzhaften Selbst und auch
substanzhafter Merkmale des Menschen. Jedes wahre Selbst des Menschen ist
veränderlich und kann befreit werden, da es verändernde Wechsel-Wirkungen gibt,
die gute, heilsame und befreiende Entwicklungen ermöglichen.
Vers 23.25
Denn falls für irgendjemanden irgendwelche Plagen mit
Eigen-Substanz gar nicht entstanden
sind, fragt sich,
wie nämlich (diese Plagen) aufgegeben werden könnten.
Wer kann ein nicht-existierendes Seiendes aufgeben?
Wenn für irgendjemanden irgendwelche Plagen nach der
dDoktrin einer unveränderliche
Eigen-Substanz gar nicht entstanden sind, stellt sich die einfache Frage, ob
und wie diese Plagen überhaupt beendet werden könnten und müssten. Denn sie
wären ohnehin nur ein irreales Produkt
des Geistes, das durch die Doktrin des Substantialismus entstanden ist.
Und wer ist überhaupt in der Lage, solche nicht
realen Plagen aufzugeben? Sie sind eigentlich nur Schein wie eine Fata Morgana.
Wer wird denn etwas nicht Vorhandenes beenden und aufgeben, das gar nicht existiert? Antwort: Beides ist
nicht möglich.
Ertrag beim Mittleren Weg:
Nagarjuna geht also davon
aus, dass die Phänomene und Dinge dieser Welt, des Menschen und unseres Lebens
in Wechselwirkung und mit Verursachungen entstanden sind. Sie sind wie es im
Zen heißt, hier und jetzt da und verändern lassen sich laufend. Wenn man ein
statisches unveränderliches Selbst, eine unveränderlich Substanz oder Essenz
annimmt, so ist das ein gravierender Fehler der Vertauschung und Verfälschung.
Dann wäre die Befreiungslehre Buddhas sinnlos, weil es ja gar keine
Veränderungen und Lernprozesse geben könnte. Dann wären auch unsere Plagen und
Schmerzen trotz des Achtfachen Pfades nicht
zu überwinden.
Und das widerspricht
radikal den Erfahrungen der Menschen seit 2500 Jahren. Aber wie können wir uns
selbst wirksam von unseren Verirrungen von den Pöagen des Lebens befreien?
Um Irrtümer, Verblendungen und geistige Vergiftungen
anzugehen und zu überwinden, brauchen wir den klaren Willen, uns von
Scheinwahrheiten und Ideologien zu lösen. Besonders schwierige Widerstände
ergeben sich aus erstarrten Einbildungen zum eigenen Ich, sei es ein
heldenhaftes Sieger-Ich oder ein
klagendes Opfer-Ich. Beides wird
jeweils psychisch zu erstarrten und statischen Ich-Biographien verdichtet,
fixiert und deterministisch fortgeschrieben, an die sich die Menschen klammern,
ohne sich dessen vielleicht bewusst zu sein. Aber letztlich schaden sich die
Menschen damit vielmehr, als es ihnen nützt. So lassen sich die Plagen nicht
überwinden. Daher ist die Suche nach der psychischen, ethischen und
spirituellen Wirklichkeit so wichtig. Sie wird maßgeblich durch eine wirksame
Achtsamkeit und ethisch klaren Handeln ermöglicht.
Meister Dôgens ZEN-Buddhismus
Das
Empfangen der buddhistischen Gelöbnisse (Jukai)
Im traditionellen frühen Buddhismus (Hinâyâna,
Theravâda) hatte sich die Anzahl der Gelöbnisse in den ersten Jahrhunderten
nach Gautama Buddha zunehmend erhöht, sodass schließlich 250 Gelöbnisse für
Mönche und 348 für Nonnen existierten. Sie werden in diesen Traditionen auch
heute noch so abgelegt. Mit der Bewegung des Mahâyâna und der Entwicklung des
buddhistischen Ideals des Bodhisattva,
der sich im sozialen Handeln mit anderen Menschen verwirklicht und die eigene
Erleuchtung grundsätzlich zurückstellt, bis alle anderen Lebewesen gerettet
worden sind, ergab sich die Notwendigkeit einer Vereinfachung. Dies gilt umso
mehr, da die Gelöbnisse auch von Laien empfangen und abgelegt werden und nicht
nur von Mönchen und Nonnen, wenn sie in ein Kloster eintreten.
Nishijima Roshi betont, dass es bei den Gelöbnissen
überhaupt nicht um Bestrafung, Abwertung oder gar Stigmatisierung derjenigen
geht, die angeblich oder wirklich die Gelöbnisse verletzt haben, sondern dass
ein Moment der Kräftigung für die Schüler wirksam wird. Mit der bewussten
Entscheidung, den Buddha-Weg zu gehen, benötigt man auch ein deutliches
Leitbild und bestimmte Ziele oder Vorgaben, um sich im eigenen Leben nicht zu
verzetteln und nicht den verschiedensten Verführungen und Ablenkungen zu
erliegen, die heute mehr denn je auf uns einwirken. Gerade in der modernen Zeit
mit den sehr leistungsfähigen Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten
werden die vielfältigsten Leitbilder und Lebensphilosophien an uns
herangetragen, sodass wir immer erneut verwirrt werden. Hinzu kommt, dass uns
viele populistische und suggestive „Lehren“ für das richtige und erfolgreiche
Leben erreichen, die von ganz bestimmten Interessen gesteuert werden. Zum
Beispiel stammen solch falsche Lehren häufig aus politischen Lagern und dienen
in Wahrheit der eigenen Macht. Ähnliches gilt für die Unternehmen der Industrie
und Wirtschaft, die mithilfe von Werbeslogans und ästhetischen Bildern
versuchen, den eigenen Marktanteil und Gewinn zu vergrößern. Dies wird aber
natürlich nicht offen zugegeben, sondern als großartiger Lebensentwurf
verpackt. In der Tat scheinen die in Werbespots und -bildern dargestellten
Menschen das große Glück, um nicht zu sagen die Erleuchtung, erlangt zu haben.
Dies ereignet sich angeblich durch den Kauf der entsprechenden Produkte. Eine
Formel dafür könnte etwa lauten: „Erfolgreiche Menschen kaufen dieses Produkt
und werden damit noch glücklicher.“ Dass solche Menschen schön und attraktiv
aussehen, versteht sich dabei von selbst. Auch in vielen Zeitschriften werden
Leitbilder und Lebensphilosophien „verkauft“, die so ersonnen sind, dass sie
eine möglichst große Zahl von Lesern in entsprechenden Zielgruppen ansprechen
und dadurch sicherstellen, dass diese Zeitschriften auch weiterhin gekauft
werden. Selbst ernannte Psychologen und Heilsbringer verkünden dort die
verschiedensten Patentlösungen, um glücklich zu werden. Sie erwecken den
Eindruck, als ob man bereits durch das Lesen dieser Artikel den Schlüssel für
das eigene Glück in Händen halten würde. Ähnliches gilt für die vielen
Lockangebote des spirituellen Buchmarktes. Dies hat eine lange traurige
Tradition, die bis auf die Zeit Gautama
Buddhas zurückgeht.
Bei der gegenwärtigen komplexen und verwirrenden
Gemengelage von Informationen und wegen des Verfalls der Bindungskraft der
christlichen Gebote gewinnt der praktische Wert der klaren buddhistischen
Gelöbnisse erheblich an Bedeutung. Dôgen schildert die buddhistischen
Gelöbnis-Zeremonien, die vom jeweiligen Meister geleitet werden. Wer selbst
schon eine solche Zeremonie mit einem bedeutenden Meister erlebt hat, wird gern
bestätigen, dass sie eine besondere spirituelle und psychische Kraft
entwickelt, und will sie keinesfalls auf dem Buddha-Weg missen. Auch Dôgen
schätzt die Bodhisattva-Gelöbnisse und die entsprechende Zeremonie sehr. In der
Dôgen-Sangha von Nishijima Roshi werden nach wie vor Dôgens wörtliche
Formulierungen der Gelöbnisse verwendet. Auch die Zeremonie wird nach seinen
Vorgaben durchgeführt. Dôgen gibt einen alten Meister wieder:
„Daher sind die Gelöbnisse das Wichtigste, wenn wir
(Za)zen praktizieren und die Wahrheit erkunden. Wenn wir uns nicht von
Übertreibungen fernhalten und gegen das Falsche schützen: Wie ist es dann
möglich, den Zustand des Buddhas zu verwirklichen und ein Nachfolger im Dharma
zu werden?“
Wir sollten die Gelöbnisse keinesfalls als
nebensächlich ansehen. Deshalb ist es nach Dôgen sinnvoll, neue und saubere
Kleidung dafür anzuziehen, damit wir ganzheitlich die Erfahrung eines neuen
Beginns von Körper-und-Geist in unserem Leben machen. Wir sollten die
Gelöbnisse gewissermaßen in unser Herz eingravieren, damit sie eine große
andauernde Kraft und Energie in unser Leben bringen und sich immer klarer und
richtungsweisender entwickeln. Dôgen sagt, dass die so verstandenen Gelöbnisse
bereits der „Schatz des wahren Dharma-Auges“ sind, und er betont die
authentische Weitergabe von einem Meister zum anderen, die sich gerade bei den
Gelöbnissen konkret verwirklichen würde:
„Es kann keinen buddhistischen Meister geben, der die
buddhistischen Gelöbnisse nicht empfangen und bewahrt hat. Einige haben sie
(direkt) unter dem Tathâgata empfangen und bewahrt. Das bedeutet in jedem Fall,
das (wahre) Lebensblut empfangen zu haben.“
Dôgen nennt dann beispielhaft einige große Vorfahren
im Dharma – Nâgârjuna, Bodhidharma, Daikan Enô, Seigen und Nangaku – und bedauert sehr, dass es
leider auch unverlässliche, angebliche Meister gibt. Durch die Gelöbnisse
bekommen wir laut Dôgen einen direkten Zugang zum „inneren Heiligtum“ der
Meister. Dies gelte aber nicht für nachlässige und träge Menschen.
Einige Zeit vor der Zeremonie fragt der Schüler den
Meister, ob er die Gelöbnisse erhalten und empfangen darf. Nach dessen
Zustimmung beginnt die eigentliche Vorbereitung damit, dass der Schüler die
neue Kleidung kauft oder selbst anfertigt. Zu Beginn der Zeremonie werden
Niederwerfungen vor den Statuen und Bildern des Zentrums oder Tempels, vor den
drei Juwelen des Buddhismus und vor den großen Vorfahren im Dharma gemacht.
Dadurch wirft man die bisherigen vielfältigen Einschränkungen und Blockaden ab
und ist in der Lage, den Körper-und-Geist zu reinigen.
Zuflucht zu
Buddha, Dharma und Sangha
Der Schüler wird entsprechend der Überlieferung am
Anfang der Zeremonie gebeten, die Worte zu sprechen, dass er zu Buddha, zum
Dharma und zum Sangha Zuflucht nimmt.
Der Begriff „Zuflucht“ hat sich im buddhistischen
Sprachgebrauch durchgesetzt und wird deswegen auch hier verwendet. Er trifft
allerdings nicht genau die Bedeutung dieses wesentlichen Schrittes, sich zu
Buddha, Dharma und Sangha zu bekennen, denn es handelt sich nach Dôgen nicht um
eine Flucht und schon gar nicht um eine Flucht aus der Welt, sondern um einen
ersten positiven Schritt zur Befreiung und zum Erwachen. Dieser erste Schritt
auf dem buddhistischen Weg eröffnet neue Möglichkeiten, um beengende und
lästige Behinderungen abzuschütteln und den Weg zur befreienden Wirklichkeit
anzutreten und voranzugehen. Auch die Zazen-Praxis entwickelt dann neue
nachhaltige Wirkungen.
Der Meister sagt nach diesem ersten Teil der Zeremonie:
„Gute Söhne (und gute Töchter), jetzt haben Sie das
Falsche verlassen und sich dem Wahren gewidmet. Die Gelöbnisse umgeben Sie
bereits. Sie sollen jetzt die drei Zusammengefassten Reinen Gelöbnisse
empfangen.“
Die drei
allgemeinen Gelöbnisse
Das erste dieser Gelöbnisse betrifft die Einhaltung
der buddhistischen Regeln, das zweite ist das moralische Gesetz und das dritte
ist das Gelöbnis, dass wir allen Lebewesen Gutes tun und sie retten. Diese
grundsätzlichen Gelöbnisse werden vom Meister als Frage jeweils dreimal
formuliert und vom Schüler jeweils dreimal mit den Worten „Ich kann es.“
beantwortet.
Dann sagt der Meister:
„Die drei vorherigen Zusammengefassten Reinen
Gelöbnisse dürfen nicht verletzt werden. Können Sie diese Gelöbnisse von Ihrem
gegenwärtigen Körper bis zum Erlangen von Buddhas Körper halten, oder nicht?“
Die Antwort lautet: „Ich kann es.“
Dies wird ebenfalls dreimal wiederholt.
Die zehn
speziellen Bodhisattva-Gelöbnisse
Anschließend wird die Zeremonie mit den zehn
einzelnen und sehr viel konkreteren Bodhisattva-Gelöbnissen in der gleichen
Weise fortgesetzt. Der Meister fragt den Schüler zu jedem Gelöbnis dreimal, ob
er dieses einhalten kann, und der Schüler antwortet jedes Mal: „Ich kann es.“
Die Gelöbnisse lauten wie folgt:
1. Nicht zu
töten
2. Nicht zu
stehlen
3. Sich
nicht der Gier hinzugeben
Dieses Gelöbnis wird häufig sexuell interpretiert. Es
hat dann den Sinn, niemanden sexuell zu missbrauchen. Damit wird also
keineswegs die sexuelle Liebe insgesamt abgelehnt, sondern es soll der
Missbrauch, zum Beispiel durch Machtausübung, psychischen Terror, finanzielle
Abhängigkeit und dergleichen, verhindert werden.
4. Nicht zu
lügen
5. Keinen
Alkohol zu verkaufen
Nishijima Roshi vermutet, dass dieses Gelöbnis
ursprünglich verhindern sollte, dass übermäßig viel Alkohol getrunken wird und
eine Abhängigkeit und damit Alkoholkrankheit entsteht. Er meint, dass in den
nördlichen Ländern, insbesondere im nördlichen China, der mäßige Konsum von
Alkohol allerdings hilfreich war, um während der langen winterlichen Periode
der Kälte und Dunkelheit durchzuhalten. Wer jedoch sein Geld damit verdient,
Alkohol zu vertreiben und zu verkaufen, ist in der Tat moralisch in einem sehr
schwierigen Beruf tätig. Wir wissen von den meisten hoch im Norden gelegenen
Ländern, zum Beispiel Finnland, Schweden und Norwegen, dass dort große
Alkoholprobleme bestehen und daher ein grundsätzliches Verbot des Kaufs und
Verkaufs von Alkohol verhängt wurde. Erwähnt sei noch, dass Mohammed im Islam
den Alkohol ebenfalls für schädlich hielt und daher verboten hat.
6. Nicht die
Überschreitungen und Verfehlungen anderer Bodhisattvas zu diskutieren
Dieses Gelöbnis soll verhindern, dass
emotionalisierte Diskussionen zwischen den Mitgliedern eines Sangha, also von
Menschen, die sich auf dem Buddha-Weg befinden, geführt werden. Oft geht es in
solchen Streitgesprächen darum, dem jeweils anderen vorzuwerfen, dass er die
Gelöbnisse verletzt oder gebrochen habe. Wer die Wirklichkeit in den
buddhistischen Gruppen und Sanghas kennt, weiß, dass dies tatsächlich ein
Problem darstellt. Nishijima Roshi erläutert dazu, dass das besondere
Engagement für eine gute buddhistische Lebensführung zur überzogenen Kritik an
anderen führen kann. In diesem Fall verkehrt sich die idealistische buddhistische
Lebensphilosophie zur Ideologie, ohne dass es dem Handelnden bewusst wird. Die
Fehler werden dann in übergroßer Klarheit beim anderen Menschen gesucht und
gefunden. Solche Diskussionen haben oft zur Folge, dass es zu tiefgreifenden
Spannungen und Trennungen kommt.
7. Sich
selbst nicht zu loben und andere nicht zu kritisieren und herabzusetzen
Im gleichen Sinne, aber weiter präzisiert, soll das
siebte Gelöbnis verhindern, dass man sich selbst lobt und überschätzt und den
anderen abwertet und kritisiert. Auch ein solches Verhalten ist leider in
buddhistischen Gruppen zu beobachten. Bei derartiger Selbstüberschätzung und
Überheblichkeit können wir davon ausgehen, dass dies den Handelnden oft nicht
bewusst ist. Die angeblichen oder wirklichen Fehler und Unzulänglichkeiten des
anderen werden dabei erheblich vergrößert. Die Kritik hat dann meist das
psychische Ziel, sich selbst über den anderen zu erheben und ihm moralische
Minderwertigkeit zu bescheinigen. Ein solches Phänomen tritt
verständlicherweise besonders dann auf, wenn jemand irrtümlich meint, er habe
die große Erleuchtung erlangt und sei daher vollständig im Recht und es sei
sogar seine Pflicht, andere zu kritisieren und zu „erziehen“. Ähnliche
Fehlentwicklungen lassen sich bei der Übung der Achtsamkeit feststellen, wenn
man sich selbst als sorgfältig und achtsam ansieht und den anderen
entsprechende Unachtsamkeit vorwirft. Formulierungen wie „Du stehst weit unter
mir und ich bin auf dem Niveau der großen Meister.“ sind dabei durchaus
anzutreffen. Derartige Selbstüberschätzungen kommen beim Denken, Reden und
Handeln vor, wenn es um eigene Interessen geht, die dem Handelnden jedoch
ebenfalls meist nicht voll bewusst sind. Im Buddhismus ist in diesem
Zusammenhang vor allem das Streben nach Ruhm, Anerkennung und Macht zu nennen,
das dazu führt, dass andere Menschen, die zum Beispiel auf demselben Gebiet
arbeiten, als Konkurrenten und Feinde empfunden und bekämpft werden.
8. Anderen
nicht den Dharma oder den Besitz von Materiellem zu missgönnen
In diesem Gelöbnis geht es darum, dass man freigiebig
und von ganzem Herzen anderen etwas gibt oder sie beschenkt. Wie Dôgen
erläutert, muss es sich dabei nicht unbedingt um materiell wertvolle Dinge
handeln, denn auch kleine Aufmerksamkeiten können eine menschliche Beziehung
wesentlich verbessern und Abneigung in Sympathie umwandeln. Dôgen erwähnt hier
besonders, dass man die Lehre des Buddha-Dharma großzügig an andere geben soll,
wenn diese darum bitten oder es für sie wichtig ist. Man soll daher anderen den
Dharma nicht missgönnen und vorenthalten, um selbst ein Gefühl der spirituellen
Überlegenheit zu haben oder den anderen in Abhängigkeit zu bringen. Dies
erinnert an die Situation in der Schule, wenn ein „Streber“ sein Wissen nicht
an andere weitergeben will. Der Dharma ist aber keine Materie und kein
einfaches Wissen, das man für sich behalten und horten kann, sondern er sollte
anderen freimütig gegeben werden. Es kommt im Sangha sogar vor, dass ein
Schüler buddhistische Informationen, die er von seinem Meister erhalten hat,
nicht an andere weiterleiten will. Er verhält sich so, als ob diese
Informationen eine Erbschaft seien, die nur ihm allein zusteht. In diesem
Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass manche Meister ihre buddhistische
Lehre leider nur zu hohen Preisen an die Schüler vermitteln wollen. Die
Begründung dafür lautet etwa wie folgt: „Wenn die Lehre nicht teuer ist, wird
sie nicht geachtet.“ Im Gegensatz dazu arbeitete Gautama Buddha darauf
hin, dass religiöse Zeremonien möglichst kostenlos abgehalten werden, nicht
zuletzt weil die „Preise“ der damaligen Brahmanen immer weiter gestiegen waren.
Selbst Mitglieder der Mittelschicht mussten große Anteile ihres Einkommens für
Zeremonien und Unterweisungen aufbringen. Ärmere Menschen mussten dann aus Kostengründen
auf derartige spirituelle Hilfen ganz verzichten.
Die Gelöbnisse 6 bis 8 weisen einen klaren Bezug zum
sozialen Handeln der Menschen auf. Dies ist im Einklang mit dem Ansatz des
Mahâyâna und dem Ideal des helfenden Bodhisattva
zu verstehen. Im Vergleich mit den zehn Geboten des Christentums fällt auf,
dass es dort eine direkte Entsprechung zu diesen drei buddhistischen
Gelöbnissen nicht gibt.
9. Nicht
wütend zu werden
10. Die drei
Juwelen des Buddhismus nicht zu beleidigen
[i] David J. Kalupahana:
Nâgârjuna, The Philosophy of the Middle Way, S. 312 ff.
[ii] Nagarjuna verwendet hier
das Wort s´ubha, nach Mylius: schön, schmuck, angenehm, erfreuhlic, günstig,
tüchtig, reich, redlich und wahr.