(von Yudo J. Seggelke).
Einführung:
In meiner Kindheit sprachen die Erwachsenen von etwas ganz Wunderbarem: "Wie im tiefsten Frieden". Damals war Krieg. Haben wir jetzt den großen Frieden verwirklicht? Wohl nicht!
Hiermit möchte ich den berühmten Mittleren Weg in sieben Weisheiten zusammenfassen. Es ist ein grundlegendes Werk des Buddhismus, das von Meister Nâgârjuna etwa 150 nach der Zeitenwende verfasst wurde. Diese Werk ist von fundamentaler Bedeutung für einen modernen Buddhismus des 21.ten Jahrhunderts, an dem ich mitarbeiten möchte. Es ist die fundierte Kritik an falschen Denk-Gewohnheiten, die ins Leiden führen und eigentlich vermeidbar sind. Im Kern sind solche Probleme heute aktueller den je, in der Scheinwelt der Medien und angeblich sozialen Netze!
Etwa 650 Jahre nach Buddha hatten sich nämlich verschiedene Schulen und Sekten vor allem in Hinayana heraus entwickelt, die aus der Sicht von Nâgârjuna fundamentale Fehl-Interpretationen des Buddha-Dharma sind. Nach seinen präzisen Untersuchungen verzerren sie die zentralen Lehraussagen Buddhas oder verkehren sie sogar in ihr Gegenteil. Dann sei es nicht möglich, dass unser Leiden zur Ruhe kommt und wir uns befreien.
Hiermit möchte ich den berühmten Mittleren Weg in sieben Weisheiten zusammenfassen. Es ist ein grundlegendes Werk des Buddhismus, das von Meister Nâgârjuna etwa 150 nach der Zeitenwende verfasst wurde. Diese Werk ist von fundamentaler Bedeutung für einen modernen Buddhismus des 21.ten Jahrhunderts, an dem ich mitarbeiten möchte. Es ist die fundierte Kritik an falschen Denk-Gewohnheiten, die ins Leiden führen und eigentlich vermeidbar sind. Im Kern sind solche Probleme heute aktueller den je, in der Scheinwelt der Medien und angeblich sozialen Netze!
Etwa 650 Jahre nach Buddha hatten sich nämlich verschiedene Schulen und Sekten vor allem in Hinayana heraus entwickelt, die aus der Sicht von Nâgârjuna fundamentale Fehl-Interpretationen des Buddha-Dharma sind. Nach seinen präzisen Untersuchungen verzerren sie die zentralen Lehraussagen Buddhas oder verkehren sie sogar in ihr Gegenteil. Dann sei es nicht möglich, dass unser Leiden zur Ruhe kommt und wir uns befreien.
Der Mittlere Weg, MMK, wird zu recht geschätzt als eines der wichtigsten Dokumente des Buddhismus und hatte
nachweisbar großen Einfluss auf die buddhistischen Entwicklungen in China,
Japan und Tibet. Auch im Westen ist nunmehr ein deutlich ansteigendes Interesse
zu beobachten. Aber wegen seiner philosophischen Komplexität ist dieses Werk nicht einfach zu verstehen und zu entschlüsseln: es wurde wiederholt irreführend übersetzt und
interpretiert. Was sind nun die Kernaussagen des MMK? Zu dieser Frage haben E.
Steinbrückner und ich auf der Grundlage der fundamentalen Arbeiten meines Lehrers Nishijima
Roshi eine ganz neue Übersetzung erstellt und sind bei der Interpretation
teilweise zu überraschend aktuellen und präzisen Aussagen gekommen. Die
Ergebnisse möchte ich mit den folgenden "Sieben Pfeiler des MMK" zusammenfassen.
Die erste Weisheit: Gemeinsames Entstehen in Wechsel-Wirkung, kontra Ideologien und Doktrinen der Unveränderlichkeit
und Fixierung
Co-arising in Mutual Interaction,
Co-arising in Mutual Interaction,
Alle
Buddhisten waren und sind sich einig, dass das spezifische vor-buddhistische
Selbst des Menschen, Âtman, abzulehnen
ist (anâtman). Der menschliche Âtman galt als unveränderlich und müsse individuell
durch oft Millionen von Wiedergeburten gehen, so die alte Lehre. Er werde
vollständig gereinigt in das Nirvana eingehen.
Nach
der alten indischen Weltanschauung und Philosophie war die Welt außerdem durch feste Bausteine, Dharmas (Plural), aufgebaut und konnte so zu größeren Einheiten zusammengesetzt
werden. Die Dharmas seien grundsätzlich unteilbar, unveränderlich und
voneinander unabhängig . Sie hatten daher große Ähnlichkeiten mit den unteilbaren
Atomen und den ewigen unveränderlichen Ideen in der griechischen Philosophie.
Im
Hinayana, insbesondere der Linie der sogenannten Sarvastivadins, entwickelte
sich dann aber auch im Buddhismus selbst der feste Glaube, dass die Entitäten, "Bausteine der Welt" (Plural), die Dharmas, ebenfalls
unveränderlich, ewig und von einander
isoliert existieren würden. Diese Doktrin verfälscht jedoch nach Nagarjuna
grundsätzlich das wahre Fundament der Lehre Buddhas. Sie ist vor Allem mit
Buddhas Grundsatz der Veränderung sowie des Entstehens
und Vergehens in Wechsel-Wirkung unvereinbar, denn mit dieser Doktrin wäre gerade
das Vergehen des Leidens, das Erwachen und das Entstehen der Befreiung und Erleuchtung unmöglich.
Daher können nach dieser statischen Doktrin der Dharmas auch keine neue Fähigkeiten und Potentiale
zur Befreiung und Emanzipation des Menschen entstehen und verwirklicht werden.
Übrigens
gab es auch die doktrinäre Fehlentwicklung, dass es abgegrenzte Zeit-Bausteine und Entitäten geben würde, die den genannten
substanzhaften Bausteine und Entitäten entsprechen. Damit können sich Veränderungen beim
Menschen natürlich nicht ereignen (Lehre der Sautrantika).
Genau
an diesen Punkten setzt Nâgârjunas radikale Destruktion dieser Doktrinen im MMK
an. Er analysiert und destruiert das falsche Grundprinzip der Statik, falschen
Substanz und Isolation mit großer Präzision. Das ist die erste Säule des MMK, er sagt in der Präambel:
"Buddha,
der vollkommen Erwachte, zeigte das wechsel-wirkende, gemeinsame Entstehen (in der Welt, pratitiya samutpada, co-arising in mutual interaction) und das beglückende
Aufhören der wegführenden Fehlentwicklungen und Verwirrungen (durch täuschende Doktrinen)."
Was
wird damit klar gesagt? Die Dharmas, die Welt und die Menschen sind
gekennzeichnet durch gemeinsames
vernetztes Entstehen. Die Dinge und Phänomene sind gerade nicht statisch,
substanzhaft und fixiert, sondern veränderlich und nicht isoliert, nämlich
wechselwirkend. Das ist die klar erkennbare Realität und so werden die Dharmas
erfahren. Das Gemeinsame, Ganzheitliche und Lebendige der Dharmas wird durch
den Begriff der Wechsel-Wirkung gut ausgedrückt, das heißt es geht um
Vernetzungen, Rückkopplungen, eben um die Wechselwirkungen und Veränderungen, also beim Entstehen, Andauern
und Vergehen. Damit werden nach Nâgârjuna sowohl die doktrinären Verwirrungen,
Fehlentwicklungen, das Herumirren und ideologische Erstarren außer Kraft
gesetzt.
Der
Zen-Meister Shunryu Suzuki spricht in diesem Sinne von der Harmonie der
Differenz und nicht von der Trennung und Dualität in Subjekt und Objekt. Die
Doktrin der unveränderlichen Schein-Substanzen behauptet absolute Identität
oder absolute Unterscheidung; beides ist spekulativ und schein-logisch gedacht
und daher nicht wirklich. Es handelt
sich gerade nicht um die absolute Trennung von Subjekt und Objekt sondern um
deren harmonisches Zusammenwirken. Die scheinbaren Paradoxien der Zen-Koans
sind nur so lange paradox, wie man an die absolute Wahrheit der
unveränderlicher Substanzen von Gedanken und Gefühlen glaubt. Aber solche
Substanz löst sich beim wahren Handeln einfach auf. In unserem Leben gewinnen
wir genau dann eine neue Richtung, neuen Sinn und neue Energien. Die
doktrinären Hemmnisse und Blockaden kommen so zur Ruhe und unsere Befreiung aus
Fixierungen beginnt zu wirken. Ich folge dieser fundamentalen Einschätzung
ausdrücklich.
Ich
möchte außerdem betonen, dass diese m. E. wirklich korrekte Übersetzung von
pratitya samutpada (co-arising in mutual interaction) mit der modernen Öko-Systemforschung und der Neuro-Wissenschaft zusammen passt. Buddha hatte aus meiner Sicht diese tiefen Einsicht in die
Wirklichkeit der Welt und des Menschen bereits vor 2.500 Jahren.
Zweifellos hat diese zentrale Lehre des Buddhismus eine herausragende Bedeutung für das menschliche Zusammenleben in der Partnerschaft, Familie und im Beruf. Das beeindruckt mich sehr!
Zweifellos hat diese zentrale Lehre des Buddhismus eine herausragende Bedeutung für das menschliche Zusammenleben in der Partnerschaft, Familie und im Beruf. Das beeindruckt mich sehr!
Die zweite Weisheit: Richtig und falsch verstandene Leerheit
Nâgârjuna
gilt zu Recht als der wichtigste buddhistische Meister und Philosoph der
Leerheit, die zentrale Bedeutung für die weiteren Entwicklungen des Mâhâyâna-Buddhismus
in China, Japan und Tibet erlangte. Was bedeutet das? In Kapitel 24 des MMK
untersucht er die wahre Bedeutung der Vier Edlen Wahrheiten und des Achtfachen
Pfades, also der zentralen Lehre Buddhas. Er verbindet die Vier Edlen
Wahrheiten dabei mit dem gemeinsamen Entstehen in Wechselwirkung (pratitiya samutpada, co-arising in mutual interaction)
und vor Allem der Leerheit (shunyata). Es ist wichtig, die genaue korrekte
Übersetzung und Bedeutung dieser Verses zu kennen:
"Was
gemeinsames Entstehen in Wechselwirkung hat, dieses sehen wir als Leerheit an.
Indem
wir uns diese Bezeichnung angeeignet haben, ergibt sich eben der mittlere
Zugang
(zu Buddhas Wahrheit)."
Damit
wird die Leerheit klar definiert und ist zudem ohne Mystizismus, Metaphysik und
Spekulationen zu verstehen. Zur Bedeutung Leerheit gab und gibt es dagegen leider
geradezu abenteuerliche Interpretationen. Das gemeinsame Entstehen in
Wechselwirkung ist nach Buddha das Grundprinzip der Welt und es wird in seiner
von Doktrinen unverzerrten Form der Wirklichkeit als Leerheit angesehen und so bezeichnet. Wenn man sich diese Bezeichnung
und Bedeutung angeeignet hat, ergibt sich der Zugang zum Mittleren Weg der eigenen Befreiung und Emanzipation.
Das gilt vor Allem für die Überwindung des durch Unklarheiten und falsche
Doktrinen erzeugten Leidens. Dadurch können die Vier Edlen Wahrheiten und der
Achtfache Pfad vom Menschen verwirklicht werden. Die Sichtweise der genau so
verstandenen Leerheit eröffnet damit den Befreiungsweg Buddhas. Oder umgekehrt
ausgedrückt: Wenn man die Bedeutung von Leerheit und pratitiya samutpada (co-arising in mutual interaction) falsch
versteht, ist der Befreiungsweg Buddhas blockiert und versperrt. Das heißt
nichts anderes, als dass die genannten Hinayana-Doktrinen der unveränderlichen,
isolierten und ewigen Dharmas (Dinge und Phänomene) überhaupt nicht zur
Befreiung und Überwindung des Leidens führen können. Die wichtigste Sekte
dieser Hinayana Weltanschauung ist die der bereits genannten Savastivadins, die
im nordwestlichen Teil des Buddhismus eine erhebliche Bedeutung hatte.
Nâgârjuna sagt also unverblümt, dass mit dieser buddhistischen Doktrin der
Befreiungsweg Buddhas versperrt ist.
Vereinfacht möchte ich mit Nagarjuna zu unserem Leben sagen: Zur Ruhe kommen von Täuschungen, Selbsttäuschungen, Illusionen, intellektuellen Glasperlen-Spielen usw. aber voll vom natürlichen wirklichen Leben, und mit Freude hier und jetzt. Ein solches Zur-Ruhe-Kommen gelingt, weil all dieses leer von unveränderlicher fixierter Eigen-Substanz und ohne Ur-Substanz ist. Denn all dieses kann überhaupt nicht wahrgenommen werden. Und all diese ist nicht erstarrt sondern in harmonischer Wechsel-Wirkung. Das ist wahres Erwachen!
Vereinfacht möchte ich mit Nagarjuna zu unserem Leben sagen: Zur Ruhe kommen von Täuschungen, Selbsttäuschungen, Illusionen, intellektuellen Glasperlen-Spielen usw. aber voll vom natürlichen wirklichen Leben, und mit Freude hier und jetzt. Ein solches Zur-Ruhe-Kommen gelingt, weil all dieses leer von unveränderlicher fixierter Eigen-Substanz und ohne Ur-Substanz ist. Denn all dieses kann überhaupt nicht wahrgenommen werden. Und all diese ist nicht erstarrt sondern in harmonischer Wechsel-Wirkung. Das ist wahres Erwachen!
Die dritte Weisheit: Extreme und Ideologien blockieren das Erwachen. Die Kraft für den Frieden kommt aus der Mitte
Buddha
und Nâgârjuna warnen eindringlich vor allen Extremen, sei es im Geist und bei
allen Komponenten des Menschen, den Skandhas. Die weit verbreitete Vorstellung
von absoluter Existenz und Nicht-Existenz destruiert Buddha selbst in einem
berühmten Sûta, weil es solche Extreme in der Wirklichkeit nicht gibt und weil
dadurch schädliche Doktrinen und Ideologien zum Zuge kämen. Der Mittlere Weg
der eigenen Entwicklung und des Abbaus von Hemmnissen, der Überwindung von Unfreiheit
und der Emanzipation hat in der Wirklichkeit keine Extreme.
Derartige
Extremvorstellungen und Behauptungen können in der Wirklichkeit nicht gefunden werden,
werden also durch unseren eigenen Geist und unseren Intellekt künstlich erzeugt
und so konstruiert. Der Mittlere Weg hat gerade keine Mittelmäßigkeit, sondern
im Gegenteil, es ergeben sich durch die Vermeidung der Extreme neue vitale
Kräfte und vor allem die Möglichkeit der nachhaltigen eigenen Entwicklung und
Emanzipation. Im Übrigen kennen wir in den lebenden Systemen der Ökologie und
des neuronalen Netzes derartige Extreme überhaupt nicht, sie sind also durch
unsolide oder fantastische Weltanschauungen künstlich erzeugt. Besonders
schädliche und brutale Gruppierungen, Sekten und politische Strömungen wie in die NS-Zeit und des islamischen IS
sind schlagende Beweise für die Schädlichkeit derartiger Extrem-Ideologien.
Die vierte Weisheit: Sehnsucht der Menschen nach der ewigen Eigen-Substanz und ewigem Ego
Sogar
im Buddhismus hatten sich bestimmte Doktrinen und Sekten entwickelt, die der
alten Menschen-Sehnsucht gehorchten, dass es doch im Leben etwas Unveränderliches,
Dauerhaftes, Ewiges und Verlässliches geben müsse. Genau dies hatte Buddha aber
als gefährlich und schädlich erkannt, da es der Wirklichkeit überhaupt nicht
entspricht und zu Leiden und Schmerzen führt. In der Welt und beim Menschen entstehen
und vergehen Dinge und Phänomene in Wechselwirkung. Es geht gerade darum, die
Veränderungen zur eigenen Befreiung zu nutzen. Trotzdem gibt es natürlich
Kontinuitäten und langsame und schnelle Veränderungen
Eine
weit verbreitete sich verstärkende Lehrtradition des Buddhismus behauptete wie
gesagt, dass die Dharmas als Bausteine des Lebens und der Welt unveränderlich,
ewig und isoliert seien, sie würden der Wechselwirkung nicht entsprechen. Die
wichtigste dieser Hinayana Linien sind die genannten Savastivadins, die eben für
die Dharmas behaupteten, dass sie dauerhaft existieren: sie seien teilweise
unsichtbar und teilweise manifestierten sie sichtbar und erkennbar. Was würde
das bedeuten? Diese Sekte sagten zwar nicht, dass es einen dauerhaften
Seelen-Kern wie den Âtman gäbe, aber sie behaupteten, dass die Unveränderlichkeit,
Ewigkeit und Dauerhaftigkeit der Dharmas als statische Bausteine, Entitäten, des Lebens und der Welt existieren. Ist das mit
Buddha Weisheit vereinbar? Sicher nicht!
Der
zentrale Begriff dieser Sekte für die Bausteine der Welt heißt in Sanskrit svabhâva. Dies sei die unveränderliche,
ewige Substanz; sie sei in sich gleichbleibend und zu Ur-Zeiten allein aus sich
selbst entstanden. Ich habe im MMK dafür den Begriff fiktive unveränderliche Eigen-Substanz verwendet. Es handelt
sich wohlgemerkt um eine ideologisch und fiktive
gedachte ewige Substanz in den Dingen und Phänomenen, den Dharmas.
Nâgârjuna destruiert und falsifiziert eine solche Eigen-Substanz, svabhâva,
umissverständlich und eindeutig in allen wichtigen Kapiteln des MMK. Er weist
nach, dass mit dieser irrigen buddhistischen Ideologie die gesamte Lehre
Buddhas zur Überwindung des Leidens und der Befreiung hinfällig ist. Eine kurze
Erklärung dafür kann wie folgt formuliert werden: Wenn die Bausteine, die Dharmas
dieser Welt unveränderlich, ewig und isoliert wären, kann es auch durch deren
Zusammenfügen keine dynamische Entwicklung, keine Weiterentwicklung, keine
Befreiung und kein Erwachen geben. Das ist besonders für die Menschen richtig.
Bei
den meisten Autoren wird für svabhāva (ähnlich Âtman) der Begriff self nature, also Selbst-Natur verwendet. Ich rate von diesem
Begriff ab. Es muss betont werden, dass es sich gerade nicht um die Natur und deren Wirklichkeit der Dharmas handelt,
sondern gerade um die metaphysische
Ideologie, dass es eine derartige unveränderliche Eigen-Natur geben würde. Das
ist Spekulation und allein aus dem Geist konstruiert. Es ist eine fälschlich behauptete Ur-Natur, die
überhaupt nicht beobachtet oder erfahren werden kann. Große Teile der
Argumentationen Nâgârjunas im MMK sind der Destruktion dieser Ideologie einer falschen Selbst-Natur, svabhāva (ähnlich Âtman),
gewidmet, die bei realistischer Sicht fiktiv, ideologisch und ausgedacht ist.
Es ist einleuchtend, dass eine derartige unveränderliche Selbst-Natur oder
fiktive Eigen-Substanz mit der Grundaussage des gemeinsamen Entstehens in
Wechselwirkung im eklatanten Widerspruch steht. Damit würde die belastbare
Grundlage des Buddha-Dharma zerstört.
Die fünfte Weisheit: Wahres Handeln und Karma befreit und schafft gute Energien zum Leben
Für
eine gute Veränderung des Menschen bedarf es des Tuns und Handelns, sei es
geistiger, psychischer oder körperlich-materieller Art. Im Mâhâyana Buddhismus
wird dies Bodhisattva-Handeln genannt. Es hat damit eine wichtige ethische
Komponente, dass unser Handeln nämlich anderen hilft und sie auf ihrem Weg der
Befreiung unterstützt. Nishijima Roshi bezeichnet auch die Zazen-Meditation als
Handeln in der richtigen Sitzhaltung, um sich im Gleichgewicht, Ruhe und
Sammlung zu verwirklichen. Er nennt Zazen die erste Erleuchtung. Durch aktives
und nicht zuletzt bewusstes Handeln können wir unser Leben nachhaltig positiv gestalten,
wenn wir nach der buddhistischen Lehre eine rechte Sichtweise haben, um
Richtiges von Falschem zu unterscheiden. Denn Handeln kann auch aus
egoistischem oder gar verbrecherischem Wollen entstehen und geleitet werden.
Daraus wird deutlich, dass nicht alles und jedes Handeln im buddhistischen
Sinne unterstützend und nützlich für den eigenen und fremden Befreiungsweg ist.
Man denke an die ideologischen Verbrechen aus der NS-Zeit und des sog. islamischen States.
Im
Buddhismus haben die sogenannten Früchte
des Handelns, also die Ergebnisse, eine hohe Bedeutung. Hier warnt
Nâgârjuna in aller Klarheit, dass eine falsche Doktrin von statischen Entitäten
und Substanzen den buddhistischen Handlungs-Prozess schadet oder sogar sinnlos
macht. Das dinghafte, statische oder gar
materielle Verständnis der Früchte führt in die Sackgasse. Mit einer solchen
Doktrin könne es nicht gelingen, den Achtfachen Pfad zu beschreiten und
Befreiung zu erlangen. Wer also die Früchte dinghaft, materiell und
substanzhaft annimmt, kann die Vier Edlen Wahrheiten Buddhas grundsätzlich nicht verwirklichen.
In
diesem Sinne wird besonders im Zen-Buddhismus das rechte Handeln hervorgehoben, um Änderungs-Prozesse in die
richtige Richtung zu lenken und voranzubringen. Das Entscheidende der Wirkung sei
das Handeln selbst im Augenblick oder, wie es in der Psychologie auch heißt,
der Flow. Durch die Fokussierung auf waches Handeln wird die
ungute Fixierung auf ersehnte und erwünschte Ergebnisse gemindert und das gute
und genaue Handeln im Augenblick kann viel besser kontrolliert und gesteuert
werden.
Für
das rechte Handeln sind im Buddhismus die zehn sog. Bodhidsattva-Gelöbnisse
entwickelt worden, mit denen ethisch rechtes Handeln erleichtert und gebündelt wird.
Jedes physische Handeln zum Beispiel der Senso-Motorik, z. B. Bewegungen, bewirkt im Übrigen Veränderungen
in unserem Gehirn, wie die moderne Gehirnforschung weiß. Dieses Zusammenwirken der
körperlichen mit den geistigen und psychischen Bereichen des Menschen ergibt
sich durch die Vernetzung all dieser Funktionen im Gehirn und ganzheitlich im
Körper. Im selben Sinne hat Buddha die Ganzheit und Vernetzung der fünf
Komponenten des Menschen (Skandhas) gerade beim Handeln und bei den
buddhistischen Früchten hervorgehoben. Bewegung und Handeln wirken also
unauflösbar zusammen und lassen sich weder körperlich noch geistig trennen.
Nâgârjuna betont eindeutig ein solches Handeln von Karma und Früchten; das ist
die Bedeutung der wahren Lehre Buddhas. Damit wird die Gefahr der Blockade und
Unwirksamkeit durch Doktrinen der Statik, Selbst-Gerechtigkeit, Unveränderlichkeit
und Substanzhaftigkeit für Handeln und Karma außer Kraft gesetzt. Der
Befreiungs-Weg kommt so in Gang und geht immer weiter.
Die sechste Weisheit: Nirvana und die wirkliche Befreiung zum großen Frieden
Die sechste Weisheit: Nirvana und die wirkliche Befreiung zum großen Frieden
Das Kapitel über
Befreiung und Nirvana ist ohne Zweifel ein Höhepunkt des gesamten MMK.
Aber Nirvana ist keine
Entität und nichts Substanzhaftes. Buddha und Nâgârjuna vertreten in aller
Klarheit die Wirklichkeit von Prozesse der Veränderung, der Befreiung und
Emanzipation und nicht zuletzt der Überwindung des Leidens. es genauer heißt,
dass das „Leiden zur Ruhe kommt“. Abruptes Umschlagen von substanzhaftem Leiden
in substanzhafte unveränderliche Befreiung werden abgelehnt, denn sie sind in
der Wirklichkeit nicht vorfindbar und daher doktrinäre Extreme des Denkens und
von Doktrinen.
Es geht um das große Lebensziel
der Befreiung und Emanzipation des Menschen in diesem Leben im Hier und Jetzt.
Nâgârjuna nennt diese Befreiung Nirvana und distanziert sich damit von
dem Glauben, das Nirvana wäre in einer jenseitigen transzendenten Welt, die
total verschieden von der hiesigen realen Welt sei. Oder kurz gefasst: die
buddhistische Lehre und Praxis gibt uns die Möglichkeit, jetzt in unserem Leben
sich so weiter zu entwickeln, dass wir ein befreites Leben führen können. Dies
ist gleichzeitig ein gutes und freudiges Leben, das die Hemmnisse überwunden
hat und durch die sieben Faktoren der Erleuchtung von Buddha authentisch
beschrieben wurde.
Aber wir sollten uns im
Hier und Jetzt vor den Illusionen eines grenzenlosen himmlischen Lebens hüten,
in dem andauerndes unbedingtes Glück und nur Glückseeligkeit herrschen. Wir
werden auch zukünftig mit Problemen konfrontiert sein, aber wir können unnötiges
Leiden durch die buddhistische Praxis und Lehre vermeiden. Nishijima Roshi’s bezeichnet
das mentale und physische Gleichgewicht der Zazen-Praxis als „Nirvana oder den
freien und friedlichen Zustand“.
Buddha und Nagarjuna haben nicht gelehrt, dass es
einen radikalen Unterschied von Nirvāṇa
und Samsara gibt. Wenn wir das Nirvana in diesem Leben verwirklichen, dann
verwirklichen wir den großen Frieden. Wir können uns aus dem fatalen Kreislauf
des selbst erzeugten Leidens befreien.
Für die zentralen
Probleme und Fragen der Befreiung, der Überwindung des Leidens und letztlich
der Erleuchtung präzisiert Nâgârjuna mit großer Exaktheit verschiednen
Fehlentwicklungen, Illusionen und enttäuschte Hoffnungen. Sie entstehen vor
allem durch ungenaue oder sogar falsche Doktrinen. Er destruiert deren
philosophische Hilfskonstruktion als ungenau und in sich widersprüchlich.
Was sagt Zen-Meister
Dogen dazu: "Erleuchtung ist Feuerholz tragen und Wasser schöpfen".
Das ist für ihn der Flow im Nirvana. Und bei der Zazen-Meditation "lassen
wir Körper und Geist fallen". Das kann man Denken aus dem ´Nirvana-Denken´
bezeichnen.
Nâgârjuna schließt mit der genauen Analyse des
praktischen und theoretischen Befreiungsweges den fundamentalen Zyklus des MMK zur Bereinigung und weiteren Entwicklung des
wahren Buddhismus ab. Es nennt zwölf Faktoren der menschlichen Wechselwirkungen und Entwicklung Buddhas, an dessen Anfang der von Unwissen und nicht heilsamer Doktrinen „umhüllte“ Mensch steht, der vom Substanz-Glauben gefangen ist und daher seine Lebens-Dynamik nicht verwirklicht. Die formenden Kräften bedingen dann Erstarrung und Abhängigkeit von Gier, Hass und Verblendung. Ein unwissender Mensch, der in
unreflektierten Weltanschauungen, Doktrinen und Ideologien verfangener ist,
geht einen zwangsläufigen und vorgegebenen Weg seines Lebens. Dabei wiederholen sich Zyklen, die durch Probleme entstehen und sich zu großem meist unnötigen Leiden auftürmen. Umgekehrt gibt es in jeder Phase und bei jedem Schritt unseres Lebens die reale
Möglichkeit der Emanzipation und Befreiung von einer solchen abhängigen Zwangsläufigkeit,
sodass Leiden und Elend weitgehend aus unserem Leben verschwinden und
überwunden werden.
Nagarjuna
fasst im Kapitel 26 des MMK die beiden grundsätzlich möglichen Abläufe
menschlichen Lebens der Befreiung oder der unfreien Abhängigkeit vom Leiden zusammen. Die
unfreie Zwangsläufigkeit ohne die buddhistische Lehre führt zum Leiden, oft in
zyklischer Wiederholungen der falschen Schritte, wie in einem Teufelskreis.
Von großer Bedeutung sind Aussagen, in denen die Befreiung von Abhängigkeit, Ergreifen von angeblichen Substanzen und deren Determinierung durch unheilsame Doktrinen herausgearbeitet werden. Mit der Befreiung aus den fataler Vorprogrammierung wird der nicht heilsamen Ablauf zum Leiden durchbrochen. Das ist Erwachen und Erleuchtung. Dann verwirklicht sich die Buddha-Natur, nicht zuletzt bei der Meditation, im Flow und beim Handeln eines Bodhisattvas.
Vers 26.10
Von daher prägt ein Nicht-Wissende selbst die Wurzeln seiner Wanderung durch das Leben: die Wurzeln sind die formenden Kräfte. Von daher ist ein Nicht-Wissender selbst ein (blinder) Ausführer (der formenden
Kräfte).
Im Gegensatz dazu ist ein Wissender gerade kein (blinder) Ausführer der (unbewussten)
formenden Kräfte, denn er sieht diese Wirklichkeit und die Wahrheit des
Buddhismus.
Ein Unwissender kennt nicht die Entstehung und die Wechselwirkungen seiner Schmerzen
und Leiden. Vor allem weiß er nicht, dass er sie weitgehend selbst verursacht
hat und damit seine formenden Kräfte und seinen Gang durch das Leben in die falsche
und nicht heilsame Richtung lenkt. Er kann also den Befreiungsweg gehen!
Es gibt für jeden Menschen die Möglichkeit der
Befreiung und Erleuchtung: Das ist ein Wissender und so Fühlender und
Handelnder. Von zentraler Bedeutung sind dabei die rechte Sichtweise und die
rechte Entscheidung sowie die übrigen sechs Bereiche des Achtfachen Pfades, z. B. der Meditation.
Weiterhin geht es um die Vermeidung der fünf Hemmnisse und die Verwirklichung
der achtfach gegliederten Erleuchtung des Buddhismus. Besonders wichtig sind die formenden
Kräfte des Menschen, also vor Allem seine Ethik, seine Werte und seine
Semantik, also die Bedeutungen. Dazu bedarf es der genauen Selbst-Beobachtung,
also der Achtsamkeit des Körpers, der Gefühle und des Geistes.
Damit wird in
aller Klarheit formuliert, dass wir selbst die Wurzeln der Freiheit und des
Leidens erzeugen, formieren und in die Dynamik der formenden Kräfte einbringen,
die uns zum Glück und zur Freude oder zum Leiden und Elend vorantreiben. Nâgârjuna verwendet den wichtigen Begriff „zur Ruhe kommen“ des Leidens, um den
großen Frieden bei gleichzeitigem klaren Handeln verwirklichen.
Ertrag:
Harmonie der Wechselwirkung und Leerheit der Illusionen, Fixierungen und Täuschungen.
Die Fülle der lebendigen Natur und der Wirklichkeit.
Die Kraft des Handelns, das ist gutes Karma.
Freude, Glück und Nirvana sind hier und jetzt.
Die Befreiung des Menschen in zwölf Schritten
Die Fülle der lebendigen Natur und der Wirklichkeit.
Die Kraft des Handelns, das ist gutes Karma.
Freude, Glück und Nirvana sind hier und jetzt.
Die Befreiung des Menschen in zwölf Schritten
Wenn man ideologisch die unveränderliche Statik und Entität aus ewiger Substanz der Dinge und Phänomene (Dharmas) behauptet, ergeben sich bei genauer Analyse unlösbare Widersprüche zur authentischen buddhistischen Lehre. Nâgârjuna destruiert und falsifiziert daher im gesamten MMK eine derartige Substanz-Ideologie, die dazu führt, dass Buddhas Lehren unterminiert und gegenstandslos sind. Bei genauer Untersuchung ist mit der Doktrin unveränderlicher isolierter Bausteine der Welt, Dharmas, kein Überwinden des Leidens und keine Befreiung möglich. Hierfür verwendet er den Begriff der Leerheit.
Diese
Argumentation wird für mich durch die Übersetzungen und Kommentierungen der wissenschaftlichen Autoren D. J. Kalupahana und J. L. Garfield grundsätzlich überzeugend dargelegt. Allerdings rate
ich auch zu einigen Präzisierungen und Weiterentwicklungen durch eine wirklich
genaue Übersetzung aus dem Sanskrit und den sich daraus ergebenden
Interpretationen. Besonders wertvoll erweist sich die Arbeit meines Lehrers und großen Zen-Meisters G. W. Nishijima. Durch Nâgârjunas Arbeiten zur Leerheit der fiktive, illusionären und daher unrealistische Eigen-Substanz oder Selbst-Natur wird
der wahre vitale Kern der buddhistischen Lehre von Fehl-Deutungen und Fehl-Ideologien
befreit. Dies ist sicher auch die wichtige Grundlage für die folgenden Weiterentwicklungen
des Buddhismus, z. B. im chinesischen Chan sowie japanischen Zen und auch heute
im Westen
Durch
Formulierungen von Negationen im MMK wie Nicht-Entstehen und Nicht-Vergehen
werden die unwirksame Ideologie der unveränderlichen Substanzen oder einer
ewigen Eigen-Natur radikal destruiert. Bestimmte negative Formulierungen sind
also keinesfalls Kernpunkte einer neuen buddhistische Lehre Nagarjunas, wie
bisweilen behauptet, weil er derartiges unveränderliches Substanz-Denken gerade
falsifiziert. Er behandelt tiefgründig die Ganzheit der buddhistischen Aussagen
zum Beispiel der Wirkungen, Früchte, der Bindung und Befreiung, des Entstehens
und Vergehens, der Vier Edlen Wahrheiten, des Achtfachen Pfades, der Einheit und
Differenz usw.. Er verbindet sie mit dem gemeinsame Entstehen in Wechselwirkung,
der Leerheit von falschen Doktrinen und dem Mittleren Weg. Das eröffnet die
wirkliche Befreiung und Emanzipation des Menschen.
Unmissverständlich
erklärt Nagarjuna, dass die Leerheit
keinesfalls das Nichts oder Nihilismus bedeutet. Im Gegenteil man kann sich damit für die harmonische Wechsel-Wirkung öffnen und sich von falschen Doktrinen und Täuschungen einer unveränderlichen Entität aus ewiger Substanz und Essenz befreien. Und man erkennt grundsätzlich, dass Doktrinen, Gedanken, Vorstellungen und Gefühle eben genau Doktrinen, Gedanken, Vorstellungen und Gefühle sind, und nicht die Wirklichkeit. Sie können heilsam oder nicht heilsam wirken. Illusionen und Täuschungen sind eben genau Illusionen und Täuschungen. Aber dann sind die Berge eben wirkliche Berge und die Blumen eben wirkliche Blumen, genau im Augenblick. Das ist die Verwirklichung des Buddha-Dharma in unserem Leben!