Freitag, 1. Januar 2021

ZEN-Meditation, Dogens authentische Beschreibung

 

Im Folgenden wird die authentische wörtliche Übersetzung des Textes des Zazen von Meister Dôgen (Fukan zazengi) wiedergegeben. Sie basiert auf der englischen Fassung von Nishijima Roshi [1]und auf der gemeinsam mit Ritsunen Linnebach Roshi [2] erarbeiteten deutschen Fassung. Außerdem wurde die englische Fassung des Shobogenzo zugezogen.[3]

Da es erhebliche Unklarheiten zur korrekten Methode der ZEN-Meditation gibt, also Zazen, hat diese genaue Beschreibung  größte Bedeutung. Sie ist die genau Vorgabe für die erste Erleuchtung, wie Meister Nishijima es nannte. Verkürzt bedeutet diese Praxis "nichts als sitzen", shikantaza. Das heißt also, das unsere Gefühle, Gedanken und Wahrnehmung wie von selbst zur Ruhe kommen und wir einfach sitzen. Und genau dadurch entsteht die an ein Wunder grenzende Wirkung dieser einzigartigen Meditation. Nach meiner Einschätzung beruht die Wirkung vor allem auf dem Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems und dem guten Wirken der Faszien. Das bewusste Denken stört meist nur. 

Dann sind nach Buddha die sieben Faktoren der Erleuchtung wirksam und die fünf Hemmnisse ausgeschaltet. Es wird verlässlich berichtet, dass Meister Dôgen in China genau dadurch tiefe Erleuchtung und große Befreiung  erlangte. 

Buddha hat bekanntlich selbst die damaligen Methoden der Erleuchtung bis zum Extrem erprobt, also die damaligen Meditations-Methoden und die Askese. Beides erwies sich sich als unbrauchbar, um Erleuchtung zu erlangen, wie damals allgemein geglaubt wurde. Da er sich sich selbst der härtesten dem Menschen überhaupt möglichen Prüfungen unterzogen hatte, können wir ihm vertrauen. Dagegen schreiben Wissenschaftler nur aus anderen Texten ab oder denken sich Theorien aus, sind also viel weniger verlässlich. 

Auch Dôgen hat die Wirkung der Zazen-Meditation in China bei dem authentischen Meister Tendo Nyojo erlernt und gründlich praktiziert. Es ist verlässlich überliefert, dass er dadurch tiefe verlässlicher Erleuchtung erlangte. Wir können ihm also wirklich vertrauen. Ich selbst habe die Zazen-Methode schließlich bei meinem authentischen Lehrer Nishijima Roshi erlernt, der wiederum langjähriger Schüler des berühmten Meisters  Kodo Sawaki war.


Fukan Zazengi:

Allgemein gesagt ist die Wahrheit ursprünglich vorhanden und durchdringt das ganze Universum, wenn wir sie wirklich untersuchen! Das buddhistische Fahrzeug der Wirklichkeit ist ganz natürlich vorhanden. Warum ist es für uns überhaupt sinnvoll und notwendig, dass wir manchmal auf der eigenen Praxis aufbauen und manchmal vertrauensvoll auf die authentische Erfahrung anderer setzen?

Den ganzen Körper gibt es jenseits von Staub und Schmutz der üblichen Welt. Außerdem sind die Methoden überall vorhanden, die zum Verwirklichen der grundlegenden Prinzipien des Buddhismus angewendet werden können. Warum ist es für uns eigentlich notwendig, von der großen Anstrengung erschöpft zu werden, um diese Prinzipien zu verwirklichen?[4]



Darüber hinaus sollten wir als buddhistische Mönche doch schon bisher den weltlichen Staub und Abfall vollständig abgeschüttelt haben. Warum ist es dann für irgendjemanden überhaupt zusätzlich erforderlich, der Notwendigkeit dieser Praxis-Methode der Zazen-Meditation zu vertrauen, um diesen Staub und Abfall wegzubürsten und abzuwischen?

Grundsätzlich können wir menschlichen Wesen unseren angemessenen Ort im Dharma nicht verlassen. Warum ist es dann für uns notwendig, dass wir einen Teil unserer Beine und Füße nur ein wenig für diesen Zweck benutzen?

Wenn aber nur irgendeine kleinste Abweichung (von Wahrheit und Praxis) da ist, dann wird diese Lücke der Abweichung (etwa durch unheilsame Doktrinen) sehr viel breiter und übertrifft sogar den ungeheuren Abstand zwischen Himmel und Erde. Wenn sich daher der kleinste Unterschied irgendeiner Art und Weise (zwischen Praxis und Lehre) ereignet, müssen wir wegen dieser Differenz unser geistiges und körperliches Gleichgewicht vollständig verlieren.

Obgleich wir doch stolz auf unser klares Verständnis und reich mit klugen Entscheidungen ausgestattet sind, misslingt es uns dann vollkommen, unseren Körper tatsächlich in den Bereich des wahren Handelns zu bringen. Dies misslingt, obgleich wir noch zusätzliches ausgezeichnetes Denken und die Wahrheit erlangen, obgleich wir den Geist klären, den Willen ertüchtigen und den Himmel großartig durchstoßen. Es misslingt sogar, obwohl wir  den Kopf in den Bereich des denkenden Handelns bringen. (Aber woran liegt das?)

Darüber hinaus können wir die historisch bleibenden und eindeutigen Tatsachen des Genies Gauthama Buddha ansehen, der am Ort von Jetavana Anathapindikarama selbst sechs Jahre lang authentisch (im Zazen) saß. Der historische Meister (Bodhidharma) im Shaolin-Tempel hat auch heute noch seine authentische Ausstrahlung. Er brachte das zentrale Symbol des Buddhismus nach China und saß neun Jahre meditierend vor der Wand. Weitere große alte Meister haben uns in diesem Sinne hervorragende Beispiele gegeben.

Wie kann es also angehen, dass wir, die heutigen Menschen, die Zeit verstreichen lassen, ohne überhaupt Zazen zu praktizieren?

Daher sollten wir die Anstrengungen beenden, nur verbale Begriffe zu suchen und nur theoretisch zu verstehen. Es ist für uns notwendig, dass wir lernen und innezuhalten. Wir sollten uns zurückzunehmen, das Licht nach innen richten und uns selbst gründlich analysieren und hinterfragen. (Dann wird das über-fixierte Ich von) Körper und Geist auf natürliche Weise in wenigen Minuten verschwinden. Unser wahres Gesicht und unsere wahren Augen werden sich sofort im Augenblick ganz natürlich verwirklichen. Wenn wir etwas Unfassbares (jenseits des dualen Denkens) sofort erlangen wollen, sollten wir sofort das Unfassbare praktizieren, nämlich Zazen!

Allgemein gesagt ist es anzuraten, einen ruhigen Raum zu benutzen, wenn wir Zazen authentisch praktizieren wollen. Wir sollten nur maßvoll essen und trinken. Unsere vielfältigen Umstände und Verwirrungen sollten wir wegwerfen und die vielfältigen Aufgaben (unseres gewöhnlichen Lebens) vollständig beenden. Denkt nicht an Gut oder Schlecht! Sorgt euch nicht über Richtig und Falsch! Stoppt die vielfältigen Aktivitäten des Geistes, des Willens und des Bewusstseins! Stoppt Überlegungen, Gedanken und Reflexionen! Erstrebt wirklich niemals das Ziel, ein wunderbarer Buddha zu werden! Ein solcher Zustand der klaren Übung (des Zazen) beschränkt sich aber nicht nur auf das gewöhnliche Sitzen oder Stehen.

Wo wir auf dem Boden im Zazen sitzen, breiten wir im Allgemeinen eine dicke Matte aus und legen ein dickes rundes Sitz-Kissen darauf. Entweder praktizieren wir die Haltung des vollen oder des halben Lotossitzes. Beim vollen Lotossitz legen wir zuerst den rechten Fuß auf den linken Oberschenkel. Dann legen wir den linken Fuß auf den rechten Oberschenkel – oder umgekehrt. Beim halben Lotossitz legen wir den linken Fuß auf den rechten Oberschenkel – oder umgekehrt.

Wir sollten unsere Kleidung über den Beinen und Füßen ausbreiten und darauf achten, dass sie geordnet ist. Dann legen wir beim ganzen Lotossitz die rechte Hand auf den linken Fuß und die linke Hand in die rechte Hand, sodass sich die Spitzen der Daumen gegenseitig berühren. Entsprechendes gilt für den halben Lotossitz.

Nehmt die authentische Sitzhaltung mit gestreckter, aufrechter Wirbelsäule ein und bleibt dann in dieser Haltung. Neigt die Wirbelsäule weder nach links noch nach rechts (also gerade Sitzhaltung). Sitzt nicht gekrümmt nach vorn und lehnt euch nicht nach hinten zurück. Die Linien der Ohren und der Schultern müssen waagerecht und parallel zueinander verlaufen. Die Nase und der Bauchnabel sollten in einer senkrechten Linie gehalten werden. Legt die Zunge an den oberen Gaumen und haltet die Lippen und Zähne geschlossen. Die Augen sollten natürlich offen oder halboffen gehalten werden.

Atmet sanft durch die Nase. Nachdem ihr die Sitzhaltung bereits gut reguliert habt, atmet einmal tief ein und lasst den Oberkörper zu Anfang nach rechts und links pendeln. Dann sitzt ohne Bewegung im Berg-stillen Zustand und denkt den konkreten und einfachen Zustand des Nicht-Denkens. Wie ist es für uns möglich, den einfachen konkreten Zustand des Nicht-Denkens zu denken? Er unterscheidet sich fundamental vom (üblichen dualen) Denken. Dies ist kurz gefasst genau die Technik des Zazen.

Was Zazen genannt wird, ist ganz verschieden von der Meditation der Konzentration und des (angestengten) Lernens. Denn es ist genau das Tor des Friedens und der Freude zum Universum und zur Dharma-Wahrheit. Es ist die Praxis-und-Erfahrung, um die Wahrheit zu klären. Die Ganheit des Universums ist dann bereits verwirklicht. Denn die Netze und Käfige (des Irrens) sind bei uns in Wirklichkeit überhaupt niemals angekommen.

Wenn wir den Zustand erreicht haben, der beim Zazen angestrebt wird, sind wir vermutlich in derselben Lage wie ein Drache, der zum Wasser gekommen ist, oder ein Tiger, der einen Berg als Bollwerk von hinten hat. Wir sollten genau erkennen, dass die Dharma-Wahrheit sich sofort natürlich verwirklicht. Dunkelheit Ungenauigkeit haben sich dann bereits aufgelöst.

Wenn wir uns vom Sitzen erheben, bewegen wir zuerst allmählich und langsam den Körper, und dann stehen wir ohne Schwanken auf. Wir sollten niemals hastig oder gewaltsam in den Bewegungen sein.

Indem wir uns an die alten Zeiten (des Buddha-Dharma) erinnern (wird uns klar), dass alles auf der Kraft von Praxis und Übung beruht: Das Überschreiten des gewöhnlichen Verstandes und das Übersteigen der Vorstellung des Heiligen. Es wird vom friedliche Sterben während des Sitzens berichtet, oder dass ein alter Meister sanft im Stehen aus dem Leben scheidet.

Außerdem liegt der wesentliche Kernpunkt weit jenseits von Entscheidungen durch theoretische oder duale Überlegungen oder irgendwelche Bewertungen. Worum geht es im Zazen? Es geht um die klare Erfahrung des Fingerzeigs von Meister Gutei, des Niederholens des Flaggenmastes durch Meister Ananda, der Benutzung einer Nadel durch Meister Nâgârjuna, um (seinen Schüler) Kanadewa zu lehren. Es geht um die klare Erfahrung des Schlagens eines Blockes, der von Meister Manjusri benutzt wurde, oder der bekannten Verwendung eines Wedels, einer Faust, eines Stabes oder eines Schreis.

Wie könnte es nur mit dem Verstand möglich sein, irgendeine tiefe intuitive Fähigkeit, Praxis oder Erfahrung wirklich zu erkennen? (Das ist unmöglich.) Und was darüber hinausgeht mag die wahre reine Form jenseits von Stimmen und Farben sein. Nur so war es (den alten Meistern) möglich, den wahren Maßstab für das Denken und die Wahrnehmung zu verwirklichen.

Wir sollten daher niemals nach speziellen Fähigkeiten auswählen (und urteilen), wer nun klüger oder dümmer ist. Wir sollten niemals einen klugen Menschen gegenüber einem einfältigen Menschen vorziehen und über höhere Weisheit oder niedrigere Dummheit diskutieren.

Wenn wir ehrlich unsere Probleme bedenken, muss es nur das Streben nach der Wahrheit sein. Praxis-und-Erfahrung sollten sich niemals gegenseitig beschmutzen, und das angestrebte Handeln sollte im Gleichgewicht und dauerhaft sein.

Ganz grundsätzlich bewahren diese (japanische) Welt, ein anderes Land, das westliche Land Indien und das östlich Land China die charakteristischen Merkmale des Buddhismus und umfassen genau das authentische Verhalten.

Wir praktizieren Zazen sorgfältig und genau und sind ganz auf diesen bewegungslosen Zustand ausgerichtet. Obgleich unsere Lebenssituationen jewels verschieden sind und viele Unterschiede aufweisen, praktizieren wir sorgfältig und genau dieses Zazen, um nach der Wahrheit zu streben. Wie wäre es möglich, dass wir unseren eigenen Sitzplatz des Zazen verwerfen, um in fremden staubigen Ländern hier und dort herumzustreifen, ohne jede Orientierung? Wenn wir auf dem Weg nur einen einzigen fehlerhaften Schritt machen, müssen diesen Fehler zugeben, genau im gegenwärtigen Augenblick.

Wir haben zu unserem großen Glück schon einen hervorragenden, wertvollen menschlichen Körper. Wir sollten niemals die wertvolle Zeit verstreichen lassen, ohne etwas Nützliches damit zu tun

Wir menschlichen Lebewesen haben schon die außerordentlich wichtigen Fähigkeiten der buddhistische Moral und Ethik. Wie könnte es daher für irgend einen Menschen sinnvoll sein, die überaus wertvolle Zeit achtlos zu verschwenden und für seichte, flüchtige Freuden zu opfern? Außerdem ist das Körperliche so vergänglich wie ein Tautropfen auf dem Blatt des Grases. Das augenblickliche Leben ist dem Aufleuchten eines Lichtstrahls sehr ähnlich. Beide verschwinden ganz plötzlich und vollständig; sie verlöschen sehr schnell

Ich möchte daher euch edle Menschen bitten, den Buddha-Dharma in der wahren Praxis zu erlernen. Wie sollten uns nicht davor zu fürchten, dem Wirklichen Drachen tatsächlich zu begegnen, obgleich wir uns leider an die Nachahmungen vom Drachen gewöhnt haben. Praktiziert sorgfältig Zazen und vertraut dem einfachen, direkten Streben nach der Wahrheit. Verehrt den Menschen, der das nur theoretische duale Lernen überschritten hat und vordergründige Absichten beiseite gelassen hat.

Wir werden vollkommenes Ganzes mit der Höchsten Wahrheit vieler Buddhas. Wir empfangen authentisch den Zustand des Gleichgewichts des Samâdhi vieler großer Meister. Wenn ihr beständig dieses Etwas des Unfassbaren praktiziert, wird sich das Schatzhaus der Juwelen auf natürliche Weise öffnen. Es wird für euch leicht möglich sein, die Schätze zu empfangen und zu verwenden – genau so, wie ihr es wollt.“



[1] Der folgende Text wurde von mir auf der Grundlage der im Internet-Blog von Nishijima Roshi veröffentlichten englischen Fassung übersetzt.

[2] Shobgenzo, deutsche Fassung

[3] Vgl. auch mein Buch: Die Kraft der ZEN-Meditation

[4] Dôgen erinnert hier an die berühmte Begebenheit der Dharma-Übertragung auf Daikan Enô und den fundamentalen Optimismus Gautama Buddhas, dass wir von Natur aus ohne Verunreinigung sind. Warum sei es dann überhaupt erforderlich, dass wir ausdauernd Zazen praktizieren und die buddhistische Ethik im Alltag handelnd verwirklichen? Dôgen gibt im Folgenden dazu sehr prägnante Begründungen.