Dienstag, 2. Februar 2021

Ist die westliche Philosophie von Platon und Parmenides kontrovers zu Buddhas Lehre und Praxis?

Und wie wurden die drei Bände der "Sternstunden des Buddhismus" erarbeitet?

Hinführung

Häufiger werde ich nach der Vorgehensweise gefragt, wie der deutsche Text zum Mittleren Weg von Meister Nagarjuna erarbeitet wurde. Von Altphilologen gab es deutliche Kritik, dass wir von der Wort-für-Wort-Übersetzung des Urtextes aus dem Sanskrit ausgegangen sind. Daher möchte ich erläutern, wie wir bei der Übersetzung des Mittleren Weges, MMK, von Nagarjuna vorgegangen sind.

Zunächst zu den Eckpunkten meines Weltbildes, wenn man so will, also meiner Ontologie:

Es gibt die Wirklichkeit, die wir aber niemals vollständig erkennen können. Diese Wirklichkeit und die Welt sind unendlich komplex, wie auch unser neuronales Netz, also unser Gehirn: Wie und was wir denken, fühlen, wahrnehmen, wie Bewusstes und Unbewusstes funktionieren usw. ist ebenfalls unendlich komplex und nicht vollständig zu verstehen oder zu erfassen. Meister Dogen sagt einfach: "Der Geist kann nicht erfasst werden."

Um sich im Leben zurecht zu finden, müssen wir diese unendliche Komplexität reduzieren, handhabbar machen und einen sinnvollen und guten Weg in unserem Leben finden, gestalten und zur Blüte bringen. Sonst landen wir im Chaos. Wir müssen diese Komplexität  daher vereinfachen und reduzieren. Dazu bedarf es z. B. der Erkenntnis des ´Unterschiedes, der den Unterschied macht´. Abstrakte All-Aussagen ergeben daher keinen Informations-Mehrwert und sind eigentlich Nichts oder Chaos. Die eigene Weltanschauungen müssen so weit wie möglich hinterfragt werden: Also sich selbst gut beobachten, wenn wir etwas beobachten, denken und verstehen.

Buddha nennt das bekanntlich die Achtsamkeit. Aber es ist natürlich nicht leicht, sich auf die Schliche zu kommen. Besonders wichtig sind dabei die Lehren von weisen Menschen, an die wir uns halten. Ich vertraue in hohem Maße Buddha, Nagarjuna, Vasubandhu, Dogen und nicht zuletzt meinem Lehrer Meister Nishijima. Ich halte ihn für einen der größten Zen-Meister des letzten Jahrhunderts.

Aber wir müssen uns selbst beobachten, das kann uns keiner abnehmen. Außerdem vertraue ich bewährter Wissenschaft, soweit ich sie kenne und verstehe. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse sind vor allem ökologische und neuronale Vernetzungen, also auch Informations-Speicherung und Verarbeitung im Gehirn. Daraus ergibt sich, dass es keine unveränderlichen Dinge und Phänomene gibt, also keine  Entitäten, Substanzen und statische Substantive in der Hermeneutik. Es handelt sich also oft um den gefährlichen Dogmatismus von Schein-Substanzen. Stattdessen ist die Wirklichkeit durch dynamische Vernetzungen, Rückkoppelungen, Wechselwirkungen, Lernprozesse, Selbstbeobachtungen usw. gekennzeichnet. Daher gibt es in der Wirklichkeit keine totale Dualität, keine Extreme, keine Ja-Nein-Logiken. Die Mathematik ist ein Hilfswerkzeug und eine eigene konstruierte Welt, übrigens für Vernetzungen lebender Systeme weniger geeignet.

Diese neuen fundierten wissenschaftlichen Erkenntnisse werden in der tradierten westlichen Philosophie und Hermeneutik vom Parmenides und Plato zu wenig beachtet. Übrigens gibt es im Unterschied dazu den griechischen Philosoph Heraklit: "Man kann nicht zweimal indem selben Fluss steigen." Er wurde allerdings von Platon radikal bekämpft. Buddha, Nagarjuna und Dogen haben im Unterschied zu Platon m. E. diese Zusammenhänge intuitiv und durch genaue Beobachtung der Wirklichkeit und des Lebens der Menschen erkannt. Das war die Basis für ihre Philosophie und  therapeutischen Lehren.

Daher sagen Buddha und Nagarjuna, dass das gemeinsame Entstehen in Wechselwirkung (in Sanskrit pratitya samutpada) die wichtigste philosophische Grundlage und Ontologie ist. Darauf bauen sie die Lehre der Überwindung des Leidens und der Gestaltung unseres guten heilsamen Lebens auf. Das sind vor Allem die vier Edlen Wahrheiten und der Achtfache Pfad zur Überwindung des Leidens. Außerdem gehören dazu die Sieben Faktoren der Erleuchtung und Fünf Hemmnisse auf dem Weg der Befreiung. Dabei sind Achtsamkeit und Meditation zentrale Elemente des Achtfachen Pfades des Erwachens und der Erleuchtung. Das ist im Westen bisher viel zu wenig beachtet worden.

Zeitlicher Ablauf

Im Jahre 2000 habe ich mit Nishijima Roshi vereinbart, auf der Grundlage seiner Arbeiten weitere deutsche Texte zu Dogens Shobogenzo und Nagarjunas Mittlerem Weg, MMK, zu erstellen. Die deutsche Übersetzung des Shobogenzo wurde von der Zen-Meisterin Ritsunen Linnebach geleistet, an der ich mitgearbeitet habe. Nishjimas Arbeiten zum MMK waren damals bereits in vollem Gang. Die Mitarbeit seines bekannten Schülers Brad Warner gab dem Ganzen für die englische Fassung einen markanten Schub.

Im Jahre 2011 kam seine englische Fassung des MMK heraus: "Fundamental Wisdom of the Middle Way". Die Reaktion in der Fachwelt reichte von begeisterter Zustimmung wegen der guten Verständlichkeit und spirituellen Tiefe bis zur Kritik, dass die Übersetzung aus dem Sanskrit fehlerhaft sei. Deshalb entschloss ich mich, die wörtliche Übersetzung des MMK noch einmal nachzuvollziehen. Inzwischen war mein Verständnis von Dogens Shobogenzo so weit gewachsen, dass ich Nishijimas Arbeit zum MMK besser verstehen konnte. Es ergab sich im Resümee, dass er als erleuchteter Zen-Meister einen neuen wertvollen und praxisorientierten Zugang zum MMK geschaffen hatte, der von Gelehrten kaum geleistet werden kann.

Zu Nagarjunas Mittlerem Weg: Ich habe etwa 20 vorhandene Übersetzungen und Kommentare verwendet und davon zwei für die detaillierte Bearbeitung ausgewählt: Die Autoren Kalupahana und Garfield. Außerdem war die Fassung meines Lehrers Nishijima Roshi natürlich von fundamentaler Bedeutung.

Zunächst habe ich vieles dieser Fassungen nicht wirklich verstanden. Kalupahanas MMK habe ich viele Male durchgearbeitet, ich schätze sie sehr. Dabei sind mir allerdings Eigentümlichkeiten aufgefallen. Es gibt manchmal für einen Sanskrit-Begriff verschiedene englische Übersetzungen und umgekehrt für mehrere Sanskrit-Begriffe nur eine englische Übersetzung. Außerdem fand ich bestimmte Übersetzungen, die in keinem Lexikon stehen und für mich recht eigenartig waren. Das war für mich methodisch bedenklich.

Parallel dazu lief die exakte Übersetzung des Sanskrit-Textes mit der Indologin Elisabeth Steinbrückner. Das meiste davon war für mich wiederum zunächst schwer verständlich. Durch diversen Wiederholungen kam dann je nach Textstelle das Erkennen von Mustern und Regeln der Worte, Sätze, Kapitel und des ganzen Textes ganz gut in Gang. Ich wusste, dass unser Gehirn durch Wiederholung und positiver Motivation am besten funktioniert. Daher machte es mich nicht nervös, dass ich zunächst vieles nicht in der nötigen Klarheit verstehen konnte.

Diese Arbeiten gingen von 2014 bis 2020. Das ganze dauerte also nach längerem Vorlauf sechs Jahre bis zu Fertigstellung der drei Bände "Sternstunden des Buddhismus". Die neue Übersetzung gliedert sich in vier Stufen

Die Arbeiten an :

- Vollkommen wörtliche Übersetzung (Indologin)

- Erste deutsche Formulierung (Indologin)

- Zweite deutsche Formulierung von mir mit Vergleich zu den vorhandenen Fassungen.

- Interpretationen und Kommentare von mir auf der Grundlage von Nishijima Roshi.

Meine Kenntnisse der Ökologie und Gehirnforschung (vernetzte lebende Systeme) habe ich zur Klärung von tradierten Unklarheiten, Widersprüchen und Paradoxien in der bisherigen Literatur hinzugezogen

Was ist das nächste Projekt zur westlichen Philosophie und zum Buddhismus?

Ich bin auf der Suche nach Verbindungen und Unterschieden zu den Anfängen der westlichen Philosophie von Parmenides und Platon, soweit ich sie verstehe. Das ist besonders spannend, weil das Verständnis von Sein, Seiendem, Substanzhaftigkeit, Essenz, Veränderung, Ganzheit usw. dieser griechischen Philosophen meist in krassem Widerspruch zur buddhistischen Philosophie und Therapie zu stehen scheint. Dieser griechische Ansatz ist m. E. vor Allem durch die die Unveränderlichkeit, Ewigkeit und absolute Wahrheit bestimmt, während der buddhistische Ansatz durch Veränderung, Entstehen, Lernen und genaue Beobachtung der lebenden vernetzten Dinge und Phänomenen (Dharmas) gekennzeichnet ist.

Der Text des Lehrgedichtes des griechischen Philosophen Parmenides zum rechten Weg, dem Seiendem und Sein ist kürzer als das MMK und wohl schneller zu bearbeiten. Die von Buddha, Nagarjuna und Dogen präzisierte Kritik an der vor-buddhistischen Philosophie in Indien sowie der dortigen späteren Fehlentwicklungen ist also m. E. weitgehend identisch mit den tradierten Aussagen zu Platon und Parmenides. Sind deren Ontologien sogar Doktrinen von Schein-Substanzen, zum Beispiel die Lehre von unveränderlichen absoluten Ideen? Solche Ontologie führt nach Buddha sogar zum Leiden wegen der Statik, Dogmatik, Unveränderlichkeit und fehlenden Lernmöglichkeit! Wir können dann kaum Prozesse zur Überwindung des Leidens und zur Befreiung verwirklichen. Das ist vor allem durch den Ansatz der Substantialismus und eines unveränderlichen Seins bedingt. Das absolute Sein des Abendlandes wäre dann eine nicht ungefährliche Schein-Substanz.

Ist das vielleicht ein wichtiger Hinweis für die geistigen Dramen und Sackgassen des Abendlandes, z. B. die Verstrickung von Heidegger mit der Nazi-Ideologie und dem Rassismus?

Daher möchte ich Parmenides besser verstehen. Sein Lehrgedicht könnte ein Fokus der Verbindung oder Unterscheidung der westlichen Philosophie zu Buddhas Lehre und Praxis sein. Dabei möchte ich einen Beitrag leisten. Dabei will ich die bewährte Methode wie bei der buddhistischen Philosophie anwenden und vom griechischen Urtext ausgehen..