Und wie wurden die drei Bände der "Sternstunden des Buddhismus" erarbeitet?
Häufiger
werde ich nach der Vorgehensweise gefragt, wie der deutsche Text zum Mittleren Weg
von Meister Nagarjuna erarbeitet wurde. Von Altphilologen gab es deutliche
Kritik, dass wir von der Wort-für-Wort-Übersetzung des Urtextes aus dem
Sanskrit ausgegangen sind. Daher möchte ich erläutern, wie wir bei der Übersetzung
des Mittleren Weges, MMK, von Nagarjuna vorgegangen sind.
Zunächst
zu den Eckpunkten meines Weltbildes, wenn man so will, also meiner Ontologie:
Es gibt
die Wirklichkeit, die wir aber niemals vollständig erkennen können. Diese Wirklichkeit
und die Welt sind unendlich komplex, wie auch unser neuronales Netz, also unser
Gehirn: Wie und was wir denken, fühlen, wahrnehmen, wie Bewusstes und
Unbewusstes funktionieren usw. ist ebenfalls unendlich komplex und nicht
vollständig zu verstehen oder zu erfassen. Meister Dogen sagt einfach: "Der
Geist kann nicht erfasst werden."
Um sich
im Leben zurecht zu finden, müssen wir diese unendliche Komplexität reduzieren,
handhabbar machen und einen sinnvollen und guten Weg in unserem Leben finden,
gestalten und zur Blüte bringen. Sonst landen wir im Chaos. Wir müssen diese
Komplexität daher vereinfachen und reduzieren.
Dazu bedarf es z. B. der Erkenntnis des ´Unterschiedes, der den Unterschied macht´.
Abstrakte All-Aussagen ergeben daher keinen Informations-Mehrwert und sind
eigentlich Nichts oder Chaos. Die eigene Weltanschauungen müssen so weit wie möglich
hinterfragt werden: Also sich selbst gut beobachten, wenn wir etwas beobachten,
denken und verstehen.
Buddha
nennt das bekanntlich die Achtsamkeit. Aber es ist natürlich nicht leicht, sich
auf die Schliche zu kommen. Besonders wichtig sind dabei die Lehren von weisen
Menschen, an die wir uns halten. Ich vertraue in hohem Maße Buddha, Nagarjuna,
Vasubandhu, Dogen und nicht zuletzt meinem Lehrer Meister Nishijima. Ich halte
ihn für einen der größten Zen-Meister des letzten Jahrhunderts.
Aber
wir müssen uns selbst beobachten, das kann uns keiner abnehmen. Außerdem
vertraue ich bewährter Wissenschaft, soweit ich sie kenne und verstehe. Neue wissenschaftliche
Erkenntnisse sind vor allem ökologische und neuronale Vernetzungen, also auch Informations-Speicherung
und Verarbeitung im Gehirn. Daraus ergibt sich, dass es keine unveränderlichen
Dinge und Phänomene gibt, also keine Entitäten, Substanzen und statische
Substantive in der Hermeneutik. Es handelt sich also oft um den gefährlichen Dogmatismus von Schein-Substanzen. Stattdessen ist die Wirklichkeit durch
dynamische Vernetzungen, Rückkoppelungen, Wechselwirkungen, Lernprozesse,
Selbstbeobachtungen usw. gekennzeichnet. Daher gibt es in der Wirklichkeit
keine totale Dualität, keine Extreme, keine Ja-Nein-Logiken. Die Mathematik ist
ein Hilfswerkzeug und eine eigene konstruierte Welt, übrigens für Vernetzungen lebender
Systeme weniger geeignet.
Zeitlicher Ablauf
Im
Jahre 2000 habe ich mit Nishijima Roshi vereinbart, auf der Grundlage seiner
Arbeiten weitere deutsche Texte zu Dogens Shobogenzo und Nagarjunas Mittlerem Weg, MMK, zu erstellen. Die deutsche Übersetzung des Shobogenzo wurde von
der Zen-Meisterin Ritsunen
Linnebach geleistet, an der ich mitgearbeitet habe. Nishjimas Arbeiten zum MMK
waren damals bereits in vollem Gang. Die Mitarbeit seines bekannten Schülers
Brad Warner gab dem Ganzen für die englische Fassung einen markanten Schub.
Im Jahre
2011 kam seine englische Fassung des MMK heraus: "Fundamental Wisdom of
the Middle Way". Die Reaktion in der Fachwelt reichte von begeisterter
Zustimmung wegen der guten Verständlichkeit und spirituellen Tiefe bis zur Kritik, dass die
Übersetzung aus dem Sanskrit fehlerhaft sei. Deshalb entschloss ich mich, die
wörtliche Übersetzung des MMK noch einmal nachzuvollziehen. Inzwischen war
mein Verständnis von Dogens Shobogenzo so weit gewachsen, dass ich Nishijimas
Arbeit zum MMK besser verstehen konnte. Es ergab sich im Resümee, dass er als erleuchteter
Zen-Meister einen neuen wertvollen und praxisorientierten Zugang zum MMK geschaffen
hatte, der von Gelehrten kaum geleistet werden kann.
Zu
Nagarjunas Mittlerem Weg: Ich habe etwa 20 vorhandene Übersetzungen und
Kommentare verwendet und davon zwei für die detaillierte Bearbeitung
ausgewählt: Die Autoren Kalupahana und Garfield. Außerdem war die Fassung meines Lehrers
Nishijima Roshi natürlich von fundamentaler Bedeutung.
Zunächst
habe ich vieles dieser Fassungen nicht wirklich verstanden. Kalupahanas MMK
habe ich viele Male durchgearbeitet, ich schätze sie sehr. Dabei sind mir
allerdings Eigentümlichkeiten aufgefallen. Es gibt manchmal für einen Sanskrit-Begriff
verschiedene englische Übersetzungen und umgekehrt für mehrere Sanskrit-Begriffe
nur eine englische Übersetzung. Außerdem fand ich bestimmte Übersetzungen, die
in keinem Lexikon stehen und für mich recht eigenartig waren. Das war für mich
methodisch bedenklich.
Parallel
dazu lief die exakte Übersetzung des Sanskrit-Textes mit der Indologin
Elisabeth Steinbrückner. Das meiste davon war für mich wiederum zunächst schwer
verständlich. Durch diversen Wiederholungen kam dann je nach Textstelle das
Erkennen von Mustern und Regeln der Worte, Sätze, Kapitel und des ganzen Textes
ganz gut in Gang. Ich wusste, dass unser Gehirn durch Wiederholung und positiver
Motivation am besten funktioniert. Daher machte es mich nicht nervös, dass ich
zunächst vieles nicht in der nötigen Klarheit verstehen konnte.
Diese
Arbeiten gingen von 2014 bis 2020. Das ganze dauerte also nach längerem Vorlauf sechs Jahre bis zu Fertigstellung der drei Bände "Sternstunden des
Buddhismus". Die
Die Arbeiten
an :
- Vollkommen wörtliche Übersetzung (Indologin)
- Erste deutsche Formulierung (Indologin)
- Zweite deutsche Formulierung von mir mit Vergleich zu den vorhandenen Fassungen.
-
Interpretationen und Kommentare von mir auf der Grundlage von Nishijima Roshi.
Meine
Kenntnisse der Ökologie und Gehirnforschung (vernetzte lebende Systeme) habe
ich zur Klärung von tradierten Unklarheiten, Widersprüchen und Paradoxien in der
bisherigen Literatur hinzugezogen
Was ist das nächste Projekt zur westlichen Philosophie und zum Buddhismus?
Ich bin
auf der Suche nach Verbindungen und Unterschieden zu den Anfängen der
westlichen Philosophie von Parmenides und Platon, soweit ich sie verstehe. Das
ist besonders spannend, weil das Verständnis von Sein, Seiendem,
Substanzhaftigkeit, Essenz, Veränderung, Ganzheit usw. dieser griechischen
Philosophen meist in krassem Widerspruch zur buddhistischen Philosophie und
Therapie zu stehen scheint. Dieser griechische Ansatz ist m. E. vor Allem durch die die Unveränderlichkeit,
Ewigkeit und absolute Wahrheit bestimmt, während der buddhistische Ansatz durch Veränderung,
Entstehen, Lernen und genaue Beobachtung der lebenden vernetzten Dinge und
Phänomenen (Dharmas) gekennzeichnet ist.
Der
Text des Lehrgedichtes des griechischen Philosophen Parmenides zum rechten Weg, dem Seiendem
und Sein ist kürzer als das MMK und wohl schneller zu bearbeiten.
Die von Buddha, Nagarjuna und Dogen präzisierte Kritik an der
vor-buddhistischen Philosophie in Indien sowie der dortigen späteren
Fehlentwicklungen ist also m. E. weitgehend identisch mit den tradierten Aussagen
zu Platon und Parmenides. Sind deren Ontologien sogar Doktrinen von Schein-Substanzen, zum Beispiel die Lehre von unveränderlichen absoluten Ideen? Solche Ontologie führt nach Buddha sogar zum Leiden wegen
der Statik, Dogmatik, Unveränderlichkeit und fehlenden Lernmöglichkeit! Wir können dann kaum Prozesse zur Überwindung des Leidens und zur Befreiung verwirklichen. Das ist
vor allem durch den Ansatz der Substantialismus und eines unveränderlichen Seins bedingt. Das absolute Sein des Abendlandes wäre dann eine nicht ungefährliche Schein-Substanz.
Ist das
vielleicht ein wichtiger Hinweis für die geistigen Dramen und Sackgassen des Abendlandes,
z. B. die Verstrickung von Heidegger mit der Nazi-Ideologie und dem Rassismus?
Daher
möchte ich Parmenides besser verstehen. Sein Lehrgedicht könnte ein Fokus der
Verbindung oder Unterscheidung der westlichen Philosophie zu Buddhas Lehre und
Praxis sein. Dabei möchte ich einen Beitrag leisten. Dabei will ich die bewährte Methode wie bei der buddhistischen Philosophie anwenden und vom griechischen Urtext ausgehen..