Samstag, 20. Februar 2021

Nach der Verwirklichung der Buddha-Wahrheit

Meister Dōgen beschreibt in diesem Kapitel (Butsu kōjō nu ji), dass ein erwachter Mensch, der die Buddha-Wahrheit und den großem Frieden verwirklicht hat, ganz natürlich weiterlebt, sich weiterentwickelt und geistig nicht stehen bleibt. Dies kann man auch als´ Leben nach der Erleuchtung´ bezeichnen. Drei starken Pfeiler eines solchen Lebens sind Zazen-Meditation, Bodhisattva-Handeln und Überwindung des Leidens.  Wer erwacht ist, versucht nicht den Zustand eines Erleuchteten unbeweglich und mit Gewalt festzuhalten, sondern praktiziert und handelt natürlich weiter, auf menschlich hohem Level. Er ist nicht verkrampft auf die angebliche übernatürliche Erleuchtung fixiert. Dann wird er nicht weiter kommen. Er hat also viel Freude im Leben und macht anderen viel Freude. Um es mit Buddha zu sagen: Er praktiziert und übt das gemeinsame, heilsame Entstehen in Wechselwirkung und ist ´gut drauf´. Ich hatte das große Glück, Nishijima Roshi als Lehrer zu haben, der genau so lebte. Und Buddha sagte klar und deutlich, dass jeder Mensch die grundsätzliche Veranlagung dazu hat. Jeder hat also das Potential und die Möglichkeiten, sein Leben tiefgreifend zu Besseren zu verändern. Meister Dôgen sagt ganz klar, dass diese Verwandlung fast von allein geschieht, wenn man die Übungen jeden Tag verlässlich praktiziert. Ich vertraue Buddha und Dôgen dabei voll und ganz.

Dōgen verwendet dabei den Begriff „Buddha“ auch für die großen alten Meister in China, beschränkt ihn also nicht auf Gautama Buddha oder die legendären alten indischen Buddhas. Er spricht häufig von einem ewigen Buddha, wenn er die großen Meister wie Nāgārjuna, Bodhidharma, Daikan Enō, Seppō, Gensa oder Tendō Nyojō usw. meint. Er sagt von Ihnen, dass sie als „Buddhas“ eigentlich gar nicht mehr wahrgenommen werden können, weil sie eine natürliche höchste Form eines Menschen verwirklicht haben. Dōgen verehrte diese Meister sehr, er sah allerdings bei ihnen durchaus Unterschiede und hinterfragte oder kritisierte zum Teil sogar ihr Verständnis des Buddha-Dharma. Außerdem ist der Zustand eines Buddha in dauerndem Wandel begriffen, ist alles andere als statisch und fixiert. Er hat die Doktrinen von scheinbaren unveränderlichen Substanzen für den Menschen und für die die Dinge und Phänomene überwunden.

Die großen Meister entwickeln sich immer weiter. Dabei ist es nach Dōgen unbedingt erforderlich, die buddhistische Übungspraxis, also vor allem Zazen als Shikantaza, fortzusetzen und das eigene Handeln in immer bessere Übereinstimmung mit der Ethik des Buddha-Dharma zu bringen. Denn ohne ethisch gutes Leben kann sich die Erleuchtung nicht ereignen.

Wenn man heute hört, dass die selbst ernannte Meister verkünden, nicht mehr praktizieren zu müssen, weil sie voll erleuchtet seien, so ist dies Unsinn. Es ist vielmehr ein sicheres Zeichen dafür, dass sie keine wahren Meister sind, sondern dies nur vorgeben. Nishijima Roshi wird nicht müde zu lehren, dass man an jedem Tag praktizieren solle. Denn im Zen gibt es keine Trennung von Praxis und Erleuchtung, sie verwirklichen sich zugleich. Die aus der asiatischen Tradition erwachsene hierarchische Rolle eines Meisters verführt eventuell zu Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit. Dies wird oft noch von einer zur Schau gestellten Unterwürfigkeit der Schüler verstärkt, sie werden zu "devoties" und entwickeln sich nicht mehr weiter. Manchmal werden sie sogar immer höriger und unselbständiger. Dabei werden von solchen falschen „Meistern“ häufig schwer verständliche und intellektualisierte Begriffe wie „Leerheit, Tranzendenz, Überwindung des Dualismus“ usw. verwendet, um sich selbst den Glanz eines Meisters zu geben, der dies alles einschließlich der buddhistischen Paradoxien „versteht“. Ein wahrer Buddha handelt dagegen nach Dōgen einfach, direkt, unkompliziert, offen und mitfühlend gegenüber jedem Menschen, ohne sich sonderlich von ihm abzugrenzen und auf ein Podest zu stellen. Ihm gelingt eine positive lebendige Wechselwirkung mit den Schüler und Teilnehmern der buddhistischen Gruppe. Dôgen verdeutlicht, dass ein wahrer Meister sein einfaches Leben im Alltag fort, als ob nichts Besonderes geschehen sei, und praktiziert laufend weiter.

Im Zen-Buddhismus gibt es viele Berichte, dass der Meister und Abt eines Klosters für einen unerfahrenen Dritten überhaupt nicht erkennbar war, weil er ganz normal mitarbeitete. Die Erleuchtung ist nach Nishijima Roshi ein Leben des Mittleren Weges im Gleichgewicht, und zwar vor allem in der Balance des vegetativen Nervensystems. Es ist also keinesfalls nur ein wunderbares Gleichgewicht des isoliert gedachten Geistes, sondern des ganzen Menschen. Nachdem die großen Meister und Buddhas die Wahrheit verwirklicht haben, leben sie also einfach und fast unauffällig weiter. Sie handeln im gegenwärtigen Augenblick, im Hier und Jetzt je nach der Situation. Dōgen bezeichnet sie als Menschen der „Menschen jenseits von Buddha“. Er meint damit nicht zuletzt, dass fixierte Begriffe und doktrinäre Vorstellungen von "Buddha" überwunden sind. Er gibt die folgende Geschichte wieder: Ein großer alter Meister sagte in einer Dharma-Rede:

„Wenn ihr den Zustand jenseits von Buddha vollkommen mit dem Körper erfahren habt, habt ihr wirklich die Hilfsmittel, ein wenig zu sprechen.“

Ein Mönch aus der Zuhörerschaft hatte jedoch offensichtlich besondere Vorstellungen vom Zustand der Erleuchtung und fragte daher:

„Was ist diese Sprechweise?“

Um den Mönch in die konkrete Wirklichkeit zu holen, sagte der Meister:

 „Wenn du Mönch (zum Beispiel) redest, kannst du nicht zuhören.“

Der Mönch war natürlich verblüfft über diese Antwort und fragte weiter:

„Hört der Meister selbst, während er spricht, oder nicht?“

Der Meister sagte darauf trocken:

„Wenn ich nicht rede, dann höre ich zu.“

Nishijima Roshi vermutet, dass der der Mönch vielleicht romantische Vorstellungen vom übernatürlichen Zustand des Erwachens und der Erleuchtung hatte, die er selbst unbedingt erreichen wollte. Er dachte wohl, dass dann das Leben total anders ist und einen völlig neuen Glanz erhält. er hoffte, dass bei ihm ganz großartige neue und übernatürliche Fähigkeiten entstehen würden, die er vorher überhaupt noch nicht ahnte und kannte. Vermutlich meinte er auch, dass man als ein großer erleuchteter Meister und Buddha gleichzeitig reden und hören kann. Vielleicht dachte er sogar, dass man beim Reden in übernatürlicher Weise versteht, was die anderen sagen wollen, ohne die Worte des anderen zu hören. Der Meister sagte ihm daher nüchtern, dass man immer das, was man gerade tut, mit ganzem Herzen, ganzer Aufmerksamkeit, also mit Körper und Geist, tun soll. Wenn man redet, soll man wahrhaftig, klar und treffend reden, um anderen das Wichtige lebendig zu übermitteln. Wenn man dagegen zuhört, sollte man dies auch mit ganzer Aufmerksamkeit und mit dem ganzen Körper und Geist tun.

Das Handeln des Sprechens und Hörens setzt sich nach dem großen Erwachen und dem Erlangen der Wahrheit des Buddhismus nach Dōgen jeweils einfach fort. Es wird eher noch einfacher und unmittelbarer als vorher. Dabei erkennt ein Dritter die Lebensfreude und den Optimismus des Erwachten. Dem ist Meister bewusst, dass auch die Sprache ihre Grenzen hat und nicht alles ausdrücken kann. Dōgen sagt hierzu:

„Denkt daran: Sprechen, und ist weder vom Hören noch vom Nicht-Hören verunreinigt. Daher ist das Hören oder Nicht-Hören unwichtig für das Sprechen.“

Beim wahren Sprechen entsteht eine neue positive Verbindung der Beteiligten, so dass man zwischen Subjekt und Objekt nicht mehr sinnvoll trennen kann. Es entsteht die von Buddha betonte gemeinsame Wechselwirkung, ein Kernstück der Lehre auf dem Weg der Erleuchtung. Die Verunreinigungen breiten sich dagegen durch unheilsame Doktrinen aus, besonders durch Gier, Hass und Verblendung. Darauf hat nicht zuletzt Jürgen Habermas hingewiesen. Es geht vor allem nicht darum, dass jeweils einer sich durch seinen Beitrag hervortut. Man kann auch nicht von Geben und Nehmen der Informationen sprechen, etwa so als ob ein Sprechender ein Informations-Ding oder eine Substanz an den Zuhörer übergibt. Wir würden heute sagen, dass dies die wesentlichen Merkmale einer wirklichen Kommunikation sind, die lebendig im Augenblick alle Anwesenden erfasst und damit dynamisches Neuland im Geist und im Fühlen erschließt. Es wird nach Niklas Luhmann ein neues, lebendes, soziales System erzeugt, das über die getrennte Individuen hinausgeht. Auch Hans-Peter Dürr und Ulrich v. Weizsäcker betonen die Kreativität der Kommunikation, die etwas Neues bewirkt und im positiven Sinne „ansteckend“ ist.

Ein nur auf sich selbst bezogener Gedanke beim Reden wie, „ich bin jetzt jenseits von Buddha“, wäre dabei sehr hinderlich und würde die lebendige Kraft und Wechselwirkung des Gesprächs stören oder ganz verhindern. Ein solches Verhalten würde sich wie eine Milchglasscheibe zwischen die Menschen schieben und ein lebendiges, kreatives Gespräch ausschließen. Im Zustand jenseits von Buddha verwirklicht sich dagegen das wahre Sprechen, das die individuelle oder sogar isolierte Person übersteigt. aber Dôgen betont, dass auch, das es kein perfektes Sprechen und allwissendes Denken gibt. So etwas ist Illusion und Extrem und daher unwahr.

Der Buddhismus verwirklicht sich besonders beimm Handeln, und dieses wird selbst als Erwachen verstanden und erlebt. Aussagen wie der „Zustand jenseits von Buddha“ oder auch unsere Vorstellungen sind nur Abstraktionen und führen eher aus dem Handeln im Hier und Jetzt heraus. das Handeln im Hier und Jetzt ist die Qualität der Wirklichkeit, während konstante oder fixierte Zustände, Gegenstände und unveränderliche Personen abstrakte Vorstellungen sind. Diese werden zwar irgend wie vomm Handeln abgeleitet aber sie können unmöglich die umfassende natürliche Wirklichkeit sein. So ist das handelnde Sprechen jeweils im Augenblick niemals das Hören. Wir können dies so ausdrücken: Der wahre augenblickliche Zustand jenseits von Buddha verwirklicht sich in der obigen Geschichte, wenn der Meister direkt spricht, und der Meister kann nicht gleichzeitig reden und zuhören. das wäre im übrigen falsches multi-tasking. Weiterhin wird das Handeln des Sprechens nicht vom Hören gestört, oder, wie Dōgen dies ausdrückt, ist das Sprechen „weder vom Hören noch vom Nicht-Hören verunreinigt“.

Die Formulierung „Hören und Nicht-Hören“ besagt, dass es sich um doktrinäre Unterscheidungen des Verstandes und der Begriffe auf einer recht hohen Abstraktionsebene handelt, die von der unmittelbaren Wirklichkeit des Augenblicks wegführen. Das Sprechen ist nach Dôgen in sich verwoben und vernetzt, weil die einzelnen Worte ihren Sinn erst im Zusammenhang ergeben. Das ist die zentrale Bedeutung des gemeinsamen Entstehensw in Wechselwirkung, pratitya samutpada. Denn ein einzelnes Wort, das von anderen Worten isoliert ist, ergibt beim Sprechen keinen Sinn. Es wären nur ein zusammenhangloser Begriff und sinnlose Geräusche. Die Worte beziehen sich also in lebendiger Weise aufeinander und ergeben das, was Dōgen „die Entwicklung jenseits von Buddha“ nennt. Sie sind eine wahre Dharma-Rede eines großen Meisters. Es ist unsinnig anzunehmen, dass ein solcher Meister von seiner eigenen Rede selbst verliebt beeindruckt ist und dass er seiner eigenen Rede ergriffen lauscht. Die Rede nicht mehr oder weniger als einfaches Handeln.

Der Meister wartet während seiner Rede auch nicht verspannt darauf, dass er bald selbst zuhören kann, denn dies würde seine Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt ausdünnen. Er tut das, was er gerade tut, ganz und wirklich. Er bewertet nicht, ob es besser oder schlechter ist, zu reden oder zu hören, sondern er handelt unmittelbar wie es die Situation mit den Zuhörern erfordert. Es hat auch keinen Sinn zweifelnd darüber nachzudenken, ob das Reden beendet werden soll, um danach lieber zuzuhören. Reden und Zuhören haben jeweils ihre eigene Bedeutung und ereignen sich lebendig je im Augenblick.

Es wäre nach Dōgen sehr abstrakt zu denken, dass sich das Hören sozusagen in der Rede verbirgt, so als ob es bereits vorhanden wäre, aber noch nicht von außen erkannt werden kann oder will. Das wäre substantialistische Doktrin, die von dem indischen Meistern Nagarjuna und Vasubandehu überzeugend falsifiziert wird. Es leuchtet unmittelbar ein, dass dies nur eine gedankliche Konstrukte ist, die beim wahren Reden nicht weiterführen, sondern hinderlich sind. Buddha fasst solche Fehlentwicklung in den fünf Hemmnissen des Erwachens zusammen, dabei sind besondern Kritiksucht, Übelwollen und Hektik und Trägheit zu nennen. Während positiv als Faktoren der Erleuchtung Genauigkeit, Freude und Gelassenheit genannt werden. Wenn man spricht, erfährt man dies mit dem ganzen Körper-Geist, und wenn man aufgehört hat zu reden, erfährt man dies ebenfalls mit dem ganzen Körper-Geist, und dann hört man zu. Das handelnde Reden und Hören ist die charakteristisch für die buddhistischen Wirklichkeit, sie ist der Zustand jenseits von Erleuchtung und Buddha und vollzieht sich in einem erweiterten intuitiven udn vor allem klaren Bewusstsein.

Dōgen zitiert den großen Meister Tōsan, er war der zweite Nachfolger von Meister Daikan Enō in seiner eigenen Linie war. Er lehrte :

„Ihr sollt wissen, dass es Menschen im lebenden Zustand jenseits von Buddha gibt.“

Er bezog die Weiterentwicklung nicht auf abstrakte und heilige Lehrinhalte eines Buddha oder großen Meisters, sondern meinte damit die Entwicklung als Handeln selbst, und zwar Handeln in der Zazen-Praxis, im Alltag, im Denken, Reden, Fühlen, Zuhören usw. Daher antwortete ein Meister auf die Fragen des Mönches, was ein Mensch jenseits von Buddha eigentlich ist:

„Ein Nicht-Buddha.“ Das heißt, er ist nicht Vorstellung oder Doktrin von Buddha sondern die von Doktrinen entleerte Wirklichkeit und gerade kein hohler Begriff.

Andere Meister sagen:

„Wir können es nicht benennen und wir können es nicht mit Worten beschreiben: Deshalb nennen wir es "Nicht-Buddha ist Nicht". Oder

„als geschicktes Hilfsmittel nennen wir es Buddha.“

Die Sprache reicht damit nicht aus, um das, was Buddha ist, erschöpfend zu beschreiben und wir können den Begriff nur als geschicktes Hilfsmittel für den Buddha-Dharma verstehen. Aber ohne Sprache geht es auch nicht, wir sollten sie sinnvoll verwenden. Diese Aussagen verdeutlichen, dass es um die Wirklichkeit selbst geht. Das Handeln wird natürlich und wie selbstverständlich fortgesetzt, wenn man den Zustand eines Buddha oder eines großen Meisters und damit die Wahrheit erlangt und Doktrinen überschritten hat. Dōgen bedauert dabei, dass es in den verschiedenen Linien des Buddha-Dharma große Meister gegeben habe, die diesen Zusammenhang nicht klar erkannt hätten. Man müsse den Zustand jenseits von Buddha auch mit dem Körper, als ganzer Mensch, also handelnd erleben, um „ein wenig zu sprechen" wie es heißt.

Ein Meister sollte sich der Begrenztheit der sprachlichen Möglichkeiten zwar bewusst sein, wenn er den Dharma lehrt, aber wenn er im Zustand jenseits der Idee von Buddha redet, ist es möglich, wirklich zu sprechen. Dann bewegt es die Menschen und führt sie auf den Weg der Befreiung. Die Praxis und Erfahrung dieser Menschen ist immer ganz real und auf das Hier und Jetzt bezogen. Das kraftvolle Handeln, das dann möglich wird, gewinnt dabei nach Dōgen etwas Leichtes fast Spielerisches und löst sich aus Verkrampfungen und Starrheit. Es ist nicht eigensinnig und ich-bezogen, sondern fügt sich in die gesamte Umgebung der Menschen und die Umstände harmonisch ein. Es biedert sich aber nicht an und ist nicht lasch.

Wir sollten unbedingt wissen, dass es solche Menschen wirklich gibt, und uns gleichzeitig davor hüten, sie verkrampft und verbissen zu suchen, weil wir sie unbedingt finden wollen. Denn auf dem authentischen Buddha-Weg ereignet sich die Erleuchtung wirklich. Darauf könnt ihr vertrauen, das ist kein Gerede und keine abgehobene Ideologie. Dann sind Bezeichnungen wie „Buddha“ oder „Erleuchtung“ eigentlich überflüssig, so dass man auch sagen könnte „kein Buddha“. Sagen kann man alles, wie mein Lehrer Nishijima Roshi gern sagte. Wichtig ist: , dass Idee und Handeln sind in kraftvoller Wechselwirkung sind. Denn der erwachte ist, wie Dōgen sagt, ein natürlicher Mensch mit zwei Beinen, der wie alle auf der realen Erde geht und sich vollständig von fixierten Ideen und illusionären Bildern befreit hat.

Ein großer Meister beschrieb einmal einen Menschen, der sich über die Vorstellung von Buddha hinaus entwickelte:

„Es ist ein großer Mensch, der keinen (nur gedachten) Samen der Buddha-Natur besitzt. Wenn er den (nur begrifflichen) „Buddha“ trifft, tötet er einen solchen Buddha. Wenn er nur die Bezeichnung „Vorfahren im Dharma“ trifft, tötet er solche „Vorfahren im Dharma“. Der Himmel kann ihn nicht annehmen und auch die Hölle hat kein Tor, um ihn einzulassen. Mönche! kennt ihr einen solchen Menschen oder nicht?“

Nach dieser Frage entstand eine Pause bei den Zuhörern, und der Meister fügte hinzu:

„Der Mensch, der vor euch steht, ist nicht besonders klug. Er schläft viel und redet eine Menge im Schlaf.“ Zweifellos: Dieser Meister war voll erwacht!

Was bedeutet ein solcher fast brutaler Zen-Spruch nun wirklich? Ist damit gemeint, dass man den wahren lebenden Buddha töten muss, um frei zu werden und sich weiterzuentwickeln? Das kann wohl nicht sein.

Dōgen erläutert, dass sich ein solcher Mensch aus der einseitigen Abhängigkeit von seinen eigenen sechs Sinnen befreit hat. Das wäre Materialismus. Seine Augen uns, dass er nicht von Gier, Leidenschaften, Hass Narzismus und ungesteuerten Emotionen bewegt und getrieben wird. Er hat die fantastischen Bilder und Vorstellungen einer goldenen Buddha-Figur hinter sich gelassen, denn diese sind letztlich nur Bilder und nicht die Wirklichkeit des buddhistischen Lebens. Genauso hat er die negativen Sichten eines „Schlamm-Buddha“ verlassen, und sein Buddha ist einfach aus Holz geschnitzt, wie dies früher häufig in China anzutreffen war. Seinen Geist hat er in der buddhistischen Praxis viele Jahre lang geschult und geklärt, so dass er einem „alten zerbrochenen Holzlöffel“ gleicht, der viele Jahre lang benutzt wurde. So hat er die theoretischen oder abgehobenen Vorstellungen und Bilder von Buddha getötet, denn er dem wahren Buddha als der großer Wahrheit direkt begegnet. Beeindruckende aber illusionäre Vorstellungen und Worte von Himmel und Hölle sind ihm fremd, sie sagen ihm nichts. Wenn es sie gäbe, würde er selbst in der Hölle gar keine Aufnahme finden, weil er nicht hineinpasst. Er wäre zum Beispiel als Höllenwächter völlig ungeeignet. Er muss nicht überragend intelligent sein und hat vielleicht kein großartiges komplexes Wissen aufzuweisen. So steht er einfach da, lächelt und lebt sein natürliches Leben mit den anderen. Und jeder sieht: Er ist ein befreiter zufriedener Mensch.

Aber er hat ein umfassendes, tiefes Verständnis der Berge und der ganzen Erde; sie sind ihm vertraut und ans Herz gewachsen. Dōgen formuliert es folgendermaßen:

„Sein ganzer Juwel- und Steinkörper ist in hundert Teile und Stücke zersprungen.“ Er ist zur lebendigen Natürlichkeit erwacht.

Diese eigenartige Formulierung, die der Ausdrucksweise im Kapitel des Shobogenzo über den ewigen Spiegel ähnelt, bedeutet nach Nishijima Roshi, dass alle fantastischen, juwelenartigen, aber nicht wirklichen Bilder und Vorstellungen zersprungen sind, genauso wie die gewöhnlichen Abbildungen aus Steinen und Edelsteinen. Damit werden von Dōgen die täuschenden nur idealistischen und auch die vordergründigen materiellen Bereiche des Lebens überschritten.

Dôgen untersucht anschließend die Bedeutung des Namens eines Menschen. Er stellt fest, dass die üblichen Familiennamen, an die wir uns gewöhnt haben, bei der Entwicklung jenseits von Fixierung auf "Buddha" keine Bedeutung mehr haben. Man mag an diesen Namen hängen oder nicht, man hat sich vielleicht an sie gewöhnt, aber zur Frage des Standes jenseits von Buddha ist dies alles unwesentlich. Ob man seinen bürgerlichen Namen als Mönch weiterhin verwendet oder nicht, hält Dōgen für unwichtig. Man kann es tun, wenn es für die gute Kommunikation hilfreich ist. Manche Buddhisten hängen dagegen sehr an ihrem Dharma-Namen. Dōgen würde dies nicht unterstützen, es kann sogar gefährlich für die wahre eigene Entwicklung werden. Darauf sollten wir achten.

Man kann das Handeln jenseits des Zustandes von Buddha ganz von einem einzelnen individuellen Menschen loslösen und besser von einem Weg der Weiterentwicklung sprechen. Diesen Weg findet man vor allem durch die buddhistische Übungspraxis und die authentische Lehre. Letztlich kann der Weg nicht von einem Heiligen auf einen anderen übertragen werden. Dieser eigene Weg überschreitet die Möglichkeiten ihrer Weisheit und Heiligkeit des bestimmten Menschen.

In dem Zustand des Lebens und Handelns jenseits von "Buddha" gibt es keine Trennung mehr von Subjekt und Objekt, von außen und innen, von der „Spitze eines Stockes und der Sonne“ und dem Mond. Das ist die fruchtbare Wechselwirkung von Subjekt, Wahrnehmung, Denken und Objekt. Wie der große Meister Vasubandhu lehrte.

Ein anderer Meister sagte zu diesem Thema:

„Der weite Himmel behindert nicht das Dahin-Schwebens der weißen Wolken.“

Er versucht auf diese Weise mit einer poetischen Formulierung die Freiheit und Friedlichkeit des Handelns jenseits der Vorstellung von „Erleuchtung“ zu beschreiben. Behinderungen beim Handeln sind dann überwunden, und alles fügt sich harmonisch in den Gesamtzusammenhang ein. Dabei werden keine esinseitigen ehrgeizigen Ziele verfolgt, keine Positionen erkämpft oder verteidigt. Es wird nicht behauptet, dass man selbst den Buddhismus besser verstünde und in ihm tiefer verankert sei als jemand anders, sondern es ist dasselbe, als wenn weiße Wolken am Himmel dahin ziehen; Ego-Sucht und Ego-Stolz haben sich aufgelöst und hindern nicht mehr.

Dōgen erinnert an die älteren Meister des Zen-Buddhismus, die den Zustand der Entwicklung jenseits von Buddha noch nicht kannten und daher auch nicht lehren konnten. Er zitiert einen kundigen Meister, der zu seinen Mönchen in diesem Zusammenhang sagte:

„Wenn ihr die Augen und das Denken dieses Zustandes (jenseits von Buddha) habt, werdet ihr bei den religiösen Gruppen (in der Welt) das Falsche vom Wahren unterscheiden“

Dôgen sagt dazu: „Eine solche Wahrheit, der vom Meister ausdrückt wird, wurde aus der Vergangenheit von den Buddhas und Vorfahren im Dharma von Buddha-zu-Buddha und Meister-zu Meister übertragen. Er wird der Schatz des wahren Dharma-Auges und der feine Geist des Nirvana genannt. Obgleich er im Selbst möglich ist, mag es notwendig sein, ihn (durch authentische Praxis) zu kennen. Obgleich er im Selbst gegenwärtig sein kann, ist er noch nicht bekannt und aus der Verborgenheit befreit.“ Eine solche Erleuchtung kann sich weiter und wunderbar entfalten.

Dōgen bedauert, dass auch große Meister und Buddha das Handeln als Weiterentwicklung jenseits von Buddha nicht oder nicht klar genug erkannt hatten, und legt besonders großen Wert auf diesen Teil der Buddha-Lehre. Ein großer Buddha geht demnach immer weiter auf seinem Weg, er praktiziert, lehrt und bleibt nicht stehen und verharrt schon gar nicht in einer noch so angesehenen „spirituellen Position“. Dōgen sagt sogar:

„Dieser Punkt ist das wichtigste Auge des Lernens in der Praxis“.

Eine solche Weiterentwicklung umfasst den ganzen Menschen und damit auch seinen Körper. Sie erfasst nach Buddha alle Fünf Skandhas, die realen Komponenten des Menschen, und deren lebendige Wechselwirkung. Denn Erleuchtung und Buddha sind kein statischer Zustand und erschöpfen sich schon gar nicht im Begriff und der Vorstellung. Denn sie sind die ganze Fülle des Lebens. Und sie sind offen für Gegenwart und Zukunft!