Dōgen
verwendet dabei den Begriff „Buddha“ auch für die großen alten Meister in
China, beschränkt ihn also nicht auf Gautama Buddha oder die legendären alten
indischen Buddhas. Er spricht häufig von einem ewigen Buddha, wenn er die
großen Meister wie Nāgārjuna, Bodhidharma, Daikan Enō, Seppō, Gensa oder Tendō
Nyojō usw. meint. Er sagt von Ihnen, dass sie als „Buddhas“ eigentlich gar
nicht mehr wahrgenommen werden können, weil sie eine natürliche höchste Form
eines Menschen verwirklicht haben. Dōgen verehrte diese Meister sehr, er sah
allerdings bei ihnen durchaus Unterschiede und hinterfragte oder kritisierte
zum Teil sogar ihr Verständnis des Buddha-Dharma. Außerdem ist der Zustand
eines Buddha in dauerndem Wandel begriffen, ist alles andere als statisch und
fixiert. Er hat die Doktrinen von scheinbaren unveränderlichen Substanzen für
den Menschen und für die die Dinge und Phänomene überwunden.
Die
großen Meister entwickeln sich immer weiter. Dabei ist es nach Dōgen unbedingt
erforderlich, die buddhistische Übungspraxis, also vor allem Zazen als
Shikantaza, fortzusetzen und das eigene Handeln in immer bessere
Übereinstimmung mit der Ethik des Buddha-Dharma zu bringen. Denn ohne ethisch
gutes Leben kann sich die Erleuchtung nicht ereignen.
Wenn
man heute hört, dass die selbst ernannte Meister verkünden, nicht mehr
praktizieren zu müssen, weil sie voll erleuchtet seien, so ist dies Unsinn. Es
ist vielmehr ein sicheres Zeichen dafür, dass sie keine wahren Meister sind, sondern
dies nur vorgeben. Nishijima Roshi wird nicht müde zu lehren, dass man an jedem
Tag praktizieren solle. Denn im Zen gibt es keine Trennung von Praxis und
Erleuchtung, sie verwirklichen sich zugleich. Die aus der asiatischen Tradition
erwachsene hierarchische Rolle eines Meisters verführt eventuell zu
Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit. Dies wird oft noch von einer zur Schau
gestellten Unterwürfigkeit der Schüler verstärkt, sie werden zu
"devoties" und entwickeln sich nicht mehr weiter. Manchmal werden sie
sogar immer höriger und unselbständiger. Dabei werden von solchen falschen
„Meistern“ häufig schwer verständliche und intellektualisierte Begriffe wie
„Leerheit, Tranzendenz, Überwindung des Dualismus“ usw. verwendet, um sich
selbst den Glanz eines Meisters zu geben, der dies alles einschließlich der
buddhistischen Paradoxien „versteht“. Ein wahrer Buddha handelt dagegen nach
Dōgen einfach, direkt, unkompliziert, offen und mitfühlend gegenüber jedem
Menschen, ohne sich sonderlich von ihm abzugrenzen und auf ein Podest zu
stellen. Ihm gelingt eine positive lebendige Wechselwirkung mit den Schüler und
Teilnehmern der buddhistischen Gruppe. Dôgen verdeutlicht, dass ein wahrer
Meister sein einfaches Leben im Alltag fort, als ob nichts Besonderes geschehen
sei, und praktiziert laufend weiter.
Im
Zen-Buddhismus gibt es viele Berichte, dass der Meister und Abt eines Klosters
für einen unerfahrenen Dritten überhaupt nicht erkennbar war, weil er ganz
normal mitarbeitete. Die Erleuchtung ist nach Nishijima Roshi ein Leben des
Mittleren Weges im Gleichgewicht, und zwar vor allem in der Balance des
vegetativen Nervensystems. Es ist also keinesfalls nur ein wunderbares Gleichgewicht
des isoliert gedachten Geistes, sondern des ganzen Menschen. Nachdem die großen
Meister und Buddhas die Wahrheit verwirklicht haben, leben sie also einfach und
fast unauffällig weiter. Sie handeln im gegenwärtigen Augenblick, im Hier und
Jetzt je nach der Situation. Dōgen bezeichnet sie als Menschen der „Menschen
jenseits von Buddha“. Er meint damit nicht zuletzt, dass fixierte Begriffe und
doktrinäre Vorstellungen von "Buddha" überwunden sind. Er gibt die
folgende Geschichte wieder: Ein großer alter Meister sagte in einer
Dharma-Rede:
„Wenn ihr den Zustand jenseits von
Buddha vollkommen mit dem Körper erfahren habt, habt ihr wirklich die
Hilfsmittel, ein wenig zu sprechen.“
Ein
Mönch aus der Zuhörerschaft hatte jedoch offensichtlich besondere Vorstellungen
vom Zustand der Erleuchtung und fragte daher:
„Was ist diese Sprechweise?“
Um
den Mönch in die konkrete Wirklichkeit zu holen, sagte der Meister:
„Wenn du
Mönch (zum Beispiel) redest, kannst du nicht zuhören.“
Der
Mönch war natürlich verblüfft über diese Antwort und fragte weiter:
„Hört der Meister selbst, während er
spricht, oder nicht?“
Der
Meister sagte darauf trocken:
„Wenn ich nicht rede, dann höre ich
zu.“
Nishijima
Roshi vermutet, dass der der Mönch vielleicht romantische Vorstellungen vom
übernatürlichen Zustand des Erwachens und der Erleuchtung hatte, die er selbst
unbedingt erreichen wollte. Er dachte wohl, dass dann das Leben total anders
ist und einen völlig neuen Glanz erhält. er hoffte, dass bei ihm ganz
großartige neue und übernatürliche Fähigkeiten entstehen würden, die er vorher
überhaupt noch nicht ahnte und kannte. Vermutlich meinte er auch, dass man als
ein großer erleuchteter Meister und Buddha gleichzeitig reden und hören kann.
Vielleicht dachte er sogar, dass man beim Reden in übernatürlicher Weise
versteht, was die anderen sagen wollen, ohne die Worte des anderen zu hören.
Der Meister sagte ihm daher nüchtern, dass man immer das, was man gerade tut,
mit ganzem Herzen, ganzer Aufmerksamkeit, also mit Körper und Geist, tun soll.
Wenn man redet, soll man wahrhaftig, klar und treffend reden, um anderen das
Wichtige lebendig zu übermitteln. Wenn man dagegen zuhört, sollte man dies auch
mit ganzer Aufmerksamkeit und mit dem ganzen Körper und Geist tun.
Das Handeln des Sprechens und Hörens setzt sich nach dem
großen Erwachen und dem Erlangen der Wahrheit des Buddhismus nach Dōgen jeweils
einfach fort. Es wird eher noch einfacher und unmittelbarer als vorher. Dabei
erkennt ein Dritter die Lebensfreude und den Optimismus des Erwachten. Dem ist Meister
bewusst, dass auch die Sprache ihre Grenzen hat und nicht alles ausdrücken
kann. Dōgen sagt hierzu:
„Denkt daran:
Sprechen, und ist weder vom Hören noch vom Nicht-Hören verunreinigt. Daher ist
das Hören oder Nicht-Hören unwichtig für das Sprechen.“
Beim
wahren Sprechen entsteht eine neue positive Verbindung der Beteiligten, so dass
man zwischen Subjekt und Objekt nicht mehr sinnvoll trennen kann. Es entsteht
die von Buddha betonte gemeinsame Wechselwirkung, ein Kernstück der Lehre auf
dem Weg der Erleuchtung. Die Verunreinigungen breiten sich dagegen durch unheilsame
Doktrinen aus, besonders durch Gier, Hass und Verblendung. Darauf hat nicht
zuletzt Jürgen Habermas hingewiesen. Es geht vor allem nicht darum, dass
jeweils einer sich durch seinen Beitrag hervortut. Man kann auch nicht von
Geben und Nehmen der Informationen sprechen, etwa so als ob ein Sprechender ein
Informations-Ding oder eine Substanz an den Zuhörer übergibt. Wir würden heute sagen, dass dies die
wesentlichen Merkmale einer wirklichen Kommunikation sind, die lebendig im
Augenblick alle Anwesenden erfasst und damit dynamisches Neuland im Geist und
im Fühlen erschließt. Es wird nach Niklas Luhmann ein neues, lebendes, soziales
System erzeugt, das über die getrennte Individuen hinausgeht. Auch Hans-Peter
Dürr und Ulrich v. Weizsäcker betonen die Kreativität der Kommunikation, die
etwas Neues bewirkt und im positiven Sinne „ansteckend“ ist.
Ein
nur auf sich selbst bezogener Gedanke beim Reden wie, „ich bin jetzt jenseits
von Buddha“, wäre dabei sehr hinderlich und würde die lebendige Kraft und
Wechselwirkung des Gesprächs stören oder ganz verhindern. Ein solches Verhalten
würde sich wie eine Milchglasscheibe zwischen die Menschen schieben und ein
lebendiges, kreatives Gespräch ausschließen. Im Zustand jenseits von Buddha
verwirklicht sich dagegen das wahre Sprechen, das die individuelle oder sogar
isolierte Person übersteigt. aber Dôgen betont, dass auch, das es kein
perfektes Sprechen und allwissendes Denken gibt. So etwas ist Illusion und
Extrem und daher unwahr.
Der
Buddhismus verwirklicht sich besonders beimm Handeln, und dieses wird selbst
als Erwachen verstanden und erlebt. Aussagen wie der „Zustand jenseits von
Buddha“ oder auch unsere Vorstellungen sind nur Abstraktionen und führen eher
aus dem Handeln im Hier und Jetzt heraus. das Handeln im Hier und Jetzt ist die
Qualität der Wirklichkeit, während konstante oder fixierte Zustände,
Gegenstände und unveränderliche Personen abstrakte Vorstellungen sind. Diese
werden zwar irgend wie vomm Handeln abgeleitet aber sie können unmöglich die
umfassende natürliche Wirklichkeit sein. So ist das handelnde Sprechen jeweils
im Augenblick niemals das Hören. Wir können dies so ausdrücken: Der wahre augenblickliche
Zustand jenseits von Buddha verwirklicht sich in der obigen Geschichte, wenn
der Meister direkt spricht, und der Meister kann nicht gleichzeitig reden und
zuhören. das wäre im übrigen falsches multi-tasking. Weiterhin wird das Handeln
des Sprechens nicht vom Hören gestört, oder, wie Dōgen dies ausdrückt, ist das
Sprechen „weder vom Hören noch vom Nicht-Hören verunreinigt“.
Die
Formulierung „Hören und Nicht-Hören“ besagt, dass es sich um doktrinäre
Unterscheidungen des Verstandes und der Begriffe auf einer recht hohen
Abstraktionsebene handelt, die von der unmittelbaren Wirklichkeit des
Augenblicks wegführen. Das Sprechen ist nach Dôgen in sich verwoben und
vernetzt, weil die einzelnen Worte ihren Sinn erst im Zusammenhang ergeben. Das
ist die zentrale Bedeutung des gemeinsamen Entstehensw in Wechselwirkung,
pratitya samutpada. Denn ein einzelnes Wort, das von anderen Worten isoliert
ist, ergibt beim Sprechen keinen Sinn. Es wären nur ein zusammenhangloser
Begriff und sinnlose Geräusche. Die
Worte beziehen sich also in lebendiger Weise aufeinander und ergeben das, was
Dōgen „die Entwicklung jenseits von Buddha“ nennt. Sie sind eine wahre
Dharma-Rede eines großen Meisters. Es ist unsinnig anzunehmen, dass ein solcher
Meister von seiner eigenen Rede selbst verliebt beeindruckt ist und dass er
seiner eigenen Rede ergriffen lauscht. Die Rede nicht mehr oder weniger als
einfaches Handeln.
Der
Meister wartet während seiner Rede auch nicht verspannt darauf, dass er bald
selbst zuhören kann, denn dies würde seine Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt
ausdünnen. Er tut das, was er gerade tut, ganz und wirklich. Er bewertet nicht,
ob es besser oder schlechter ist, zu reden oder zu hören, sondern er handelt
unmittelbar wie es die Situation mit den Zuhörern erfordert. Es hat auch keinen
Sinn zweifelnd darüber nachzudenken, ob das Reden beendet werden soll, um
danach lieber zuzuhören. Reden und Zuhören haben jeweils ihre eigene Bedeutung
und ereignen sich lebendig je im Augenblick.
Es
wäre nach Dōgen sehr abstrakt zu denken, dass sich das Hören sozusagen in der
Rede verbirgt, so als ob es bereits vorhanden wäre, aber noch nicht von außen
erkannt werden kann oder will. Das wäre substantialistische Doktrin, die von
dem indischen Meistern Nagarjuna und Vasubandehu überzeugend falsifiziert wird.
Es leuchtet unmittelbar ein, dass dies nur eine gedankliche Konstrukte ist, die
beim wahren Reden nicht weiterführen, sondern hinderlich sind. Buddha fasst
solche Fehlentwicklung in den fünf Hemmnissen des Erwachens zusammen, dabei
sind besondern Kritiksucht, Übelwollen und Hektik und Trägheit zu nennen. Während
positiv als Faktoren der Erleuchtung Genauigkeit, Freude und Gelassenheit
genannt werden. Wenn man spricht, erfährt man dies mit dem ganzen Körper-Geist,
und wenn man aufgehört hat zu reden, erfährt man dies ebenfalls mit dem ganzen
Körper-Geist, und dann hört man zu. Das handelnde Reden und Hören ist die
charakteristisch für die buddhistischen Wirklichkeit, sie ist der Zustand
jenseits von Erleuchtung und Buddha und vollzieht sich in einem erweiterten
intuitiven udn vor allem klaren Bewusstsein.
Dōgen
zitiert den großen Meister Tōsan, er war der zweite Nachfolger von Meister
Daikan Enō in seiner eigenen Linie war. Er lehrte :
„Ihr sollt wissen,
dass es Menschen im lebenden Zustand jenseits von Buddha gibt.“
Er
bezog die Weiterentwicklung nicht auf abstrakte und heilige Lehrinhalte eines
Buddha oder großen Meisters, sondern meinte damit die Entwicklung als Handeln
selbst, und zwar Handeln in der Zazen-Praxis, im Alltag, im Denken, Reden, Fühlen,
Zuhören usw. Daher antwortete ein Meister auf die Fragen des Mönches, was ein
Mensch jenseits von Buddha eigentlich ist:
„Ein Nicht-Buddha.“ Das heißt, er ist nicht Vorstellung oder
Doktrin von Buddha sondern die von Doktrinen entleerte Wirklichkeit und gerade
kein hohler Begriff.
Andere Meister sagen:
„Wir können es nicht
benennen und wir können es nicht mit Worten beschreiben: Deshalb nennen wir es
"Nicht-Buddha ist Nicht". Oder
„als geschicktes
Hilfsmittel nennen wir es Buddha.“
Die
Sprache reicht damit nicht aus, um das, was Buddha ist, erschöpfend zu beschreiben
und wir können den Begriff nur als geschicktes Hilfsmittel für den
Buddha-Dharma verstehen. Aber ohne Sprache geht es auch nicht, wir sollten sie
sinnvoll verwenden. Diese Aussagen verdeutlichen, dass es um die Wirklichkeit
selbst geht. Das Handeln wird natürlich und wie selbstverständlich fortgesetzt,
wenn man den Zustand eines Buddha oder eines großen Meisters und damit die
Wahrheit erlangt und Doktrinen überschritten hat. Dōgen bedauert dabei, dass es
in den verschiedenen Linien des Buddha-Dharma große Meister gegeben habe, die
diesen Zusammenhang nicht klar erkannt hätten. Man müsse den Zustand jenseits
von Buddha auch mit dem Körper, als ganzer Mensch, also handelnd erleben, um „ein
wenig zu sprechen" wie es heißt.
Ein
Meister sollte sich der Begrenztheit der sprachlichen Möglichkeiten zwar
bewusst sein, wenn er den Dharma lehrt, aber wenn er im Zustand jenseits der
Idee von Buddha redet, ist es möglich, wirklich zu sprechen. Dann bewegt es die
Menschen und führt sie auf den Weg der Befreiung. Die Praxis und Erfahrung
dieser Menschen ist immer ganz real und auf das Hier und Jetzt bezogen. Das
kraftvolle Handeln, das dann möglich wird, gewinnt dabei nach Dōgen etwas Leichtes
fast Spielerisches und löst sich aus Verkrampfungen und Starrheit. Es ist nicht
eigensinnig und ich-bezogen, sondern fügt sich in die gesamte Umgebung der
Menschen und die Umstände harmonisch ein. Es biedert sich aber nicht an und ist
nicht lasch.
Wir
sollten unbedingt wissen, dass es solche Menschen wirklich gibt, und uns gleichzeitig
davor hüten, sie verkrampft und verbissen zu suchen, weil wir sie unbedingt
finden wollen. Denn auf dem authentischen Buddha-Weg ereignet sich die
Erleuchtung wirklich. Darauf könnt ihr vertrauen, das ist kein Gerede und keine
abgehobene Ideologie. Dann sind Bezeichnungen wie „Buddha“ oder „Erleuchtung“ eigentlich
überflüssig, so dass man auch sagen könnte „kein Buddha“. Sagen kann man alles,
wie mein Lehrer Nishijima Roshi gern sagte. Wichtig ist: , dass Idee und
Handeln sind in kraftvoller Wechselwirkung sind. Denn der erwachte ist, wie
Dōgen sagt, ein natürlicher Mensch mit zwei Beinen, der wie alle auf der realen
Erde geht und sich vollständig von fixierten Ideen und illusionären Bildern befreit
hat.
Ein
großer Meister beschrieb einmal einen Menschen, der sich über die Vorstellung
von Buddha hinaus entwickelte:
„Es ist ein großer Mensch, der keinen (nur gedachten) Samen
der Buddha-Natur besitzt. Wenn er den (nur begrifflichen) „Buddha“ trifft,
tötet er einen solchen Buddha. Wenn er nur die Bezeichnung „Vorfahren im
Dharma“ trifft, tötet er solche „Vorfahren im Dharma“. Der Himmel kann ihn
nicht annehmen und auch die Hölle hat kein Tor, um ihn einzulassen. Mönche! kennt
ihr einen solchen Menschen oder nicht?“
Nach
dieser Frage entstand eine Pause bei den Zuhörern, und der Meister fügte hinzu:
„Der Mensch, der vor euch steht, ist nicht besonders klug.
Er schläft viel und redet eine Menge im Schlaf.“ Zweifellos: Dieser Meister war
voll erwacht!
Was
bedeutet ein solcher fast brutaler Zen-Spruch nun wirklich? Ist damit gemeint,
dass man den wahren lebenden Buddha töten muss, um frei zu werden und sich
weiterzuentwickeln? Das kann wohl nicht sein.
Dōgen
erläutert, dass sich ein solcher Mensch aus der einseitigen Abhängigkeit von
seinen eigenen sechs Sinnen befreit hat. Das wäre Materialismus. Seine Augen
uns, dass er nicht von Gier, Leidenschaften, Hass Narzismus und ungesteuerten
Emotionen bewegt und getrieben wird. Er hat die fantastischen Bilder und
Vorstellungen einer goldenen Buddha-Figur hinter sich gelassen, denn diese sind
letztlich nur Bilder und nicht die Wirklichkeit des buddhistischen Lebens. Genauso
hat er die negativen Sichten eines „Schlamm-Buddha“ verlassen, und sein Buddha
ist einfach aus Holz geschnitzt, wie dies früher häufig in China anzutreffen
war. Seinen Geist hat er in der buddhistischen Praxis viele Jahre lang geschult
und geklärt, so dass er einem „alten zerbrochenen Holzlöffel“ gleicht, der
viele Jahre lang benutzt wurde. So hat er die theoretischen oder abgehobenen Vorstellungen
und Bilder von Buddha getötet, denn er dem wahren Buddha als der großer
Wahrheit direkt begegnet. Beeindruckende aber illusionäre Vorstellungen und Worte
von Himmel und Hölle sind ihm fremd, sie sagen ihm nichts. Wenn es sie gäbe,
würde er selbst in der Hölle gar keine Aufnahme finden, weil er nicht
hineinpasst. Er wäre zum Beispiel als Höllenwächter völlig ungeeignet. Er muss
nicht überragend intelligent sein und hat vielleicht kein großartiges komplexes
Wissen aufzuweisen. So steht er einfach da, lächelt und lebt sein natürliches
Leben mit den anderen. Und jeder sieht: Er ist ein befreiter zufriedener
Mensch.
Aber
er hat ein umfassendes, tiefes Verständnis der Berge und der ganzen Erde; sie
sind ihm vertraut und ans Herz gewachsen. Dōgen formuliert es folgendermaßen:
„Sein ganzer Juwel- und Steinkörper ist in hundert Teile und
Stücke zersprungen.“ Er ist zur lebendigen Natürlichkeit erwacht.
Diese
eigenartige Formulierung, die der Ausdrucksweise im Kapitel des Shobogenzo über
den ewigen Spiegel ähnelt, bedeutet nach Nishijima Roshi, dass alle
fantastischen, juwelenartigen, aber nicht wirklichen Bilder und Vorstellungen
zersprungen sind, genauso wie die gewöhnlichen Abbildungen aus Steinen und Edelsteinen.
Damit werden von Dōgen die täuschenden nur idealistischen und auch die
vordergründigen materiellen Bereiche des Lebens überschritten.
Dôgen
untersucht anschließend die Bedeutung des Namens eines Menschen. Er stellt
fest, dass die üblichen Familiennamen, an die wir uns gewöhnt haben, bei der
Entwicklung jenseits von Fixierung auf "Buddha" keine Bedeutung mehr
haben. Man mag an diesen Namen hängen oder nicht, man hat sich vielleicht an
sie gewöhnt, aber zur Frage des Standes jenseits von Buddha ist dies alles
unwesentlich. Ob man seinen bürgerlichen Namen als Mönch weiterhin verwendet
oder nicht, hält Dōgen für unwichtig. Man kann es tun, wenn es für die gute
Kommunikation hilfreich ist. Manche Buddhisten hängen dagegen sehr an ihrem
Dharma-Namen. Dōgen würde dies nicht unterstützen, es kann sogar gefährlich für
die wahre eigene Entwicklung werden. Darauf sollten wir achten.
Man
kann das Handeln jenseits des Zustandes von Buddha ganz von einem einzelnen
individuellen Menschen loslösen und besser von einem Weg der Weiterentwicklung
sprechen. Diesen Weg findet man vor allem durch die buddhistische Übungspraxis
und die authentische Lehre. Letztlich kann der Weg nicht von einem Heiligen auf
einen anderen übertragen werden. Dieser eigene Weg überschreitet die
Möglichkeiten ihrer Weisheit und Heiligkeit des bestimmten Menschen.
In
dem Zustand des Lebens und Handelns jenseits von "Buddha" gibt es
keine Trennung mehr von Subjekt und Objekt, von außen und innen, von der
„Spitze eines Stockes und der Sonne“ und dem Mond. Das ist die fruchtbare
Wechselwirkung von Subjekt, Wahrnehmung, Denken und Objekt. Wie der große
Meister Vasubandhu lehrte.
Ein
anderer Meister sagte zu diesem Thema:
„Der weite Himmel behindert nicht das Dahin-Schwebens der
weißen Wolken.“
Er
versucht auf diese Weise mit einer poetischen Formulierung die Freiheit und
Friedlichkeit des Handelns jenseits der Vorstellung von „Erleuchtung“ zu
beschreiben. Behinderungen beim Handeln sind dann überwunden, und alles fügt
sich harmonisch in den Gesamtzusammenhang ein. Dabei werden keine esinseitigen ehrgeizigen
Ziele verfolgt, keine Positionen erkämpft oder verteidigt. Es wird nicht
behauptet, dass man selbst den Buddhismus besser verstünde und in ihm tiefer
verankert sei als jemand anders, sondern es ist dasselbe, als wenn weiße Wolken
am Himmel dahin ziehen; Ego-Sucht und Ego-Stolz haben sich aufgelöst und
hindern nicht mehr.
Dōgen
erinnert an die älteren Meister des Zen-Buddhismus, die den Zustand der Entwicklung
jenseits von Buddha noch nicht kannten und daher auch nicht lehren konnten. Er
zitiert einen kundigen Meister, der zu seinen Mönchen in diesem Zusammenhang
sagte:
„Wenn ihr die Augen und das Denken dieses Zustandes
(jenseits von Buddha) habt, werdet ihr bei den religiösen Gruppen (in der Welt)
das Falsche vom Wahren unterscheiden“
Dôgen sagt dazu: „Eine solche Wahrheit, der vom Meister
ausdrückt wird, wurde aus der Vergangenheit von den Buddhas und Vorfahren im
Dharma von Buddha-zu-Buddha und Meister-zu Meister übertragen. Er wird der
Schatz des wahren Dharma-Auges und der feine Geist des Nirvana genannt. Obgleich
er im Selbst möglich ist, mag es notwendig sein, ihn (durch authentische Praxis)
zu kennen. Obgleich er im Selbst gegenwärtig sein kann, ist er noch nicht
bekannt und aus der Verborgenheit befreit.“ Eine solche Erleuchtung kann sich
weiter und wunderbar entfalten.
Dōgen
bedauert, dass auch große Meister und Buddha das Handeln als Weiterentwicklung
jenseits von Buddha nicht oder nicht klar genug erkannt hatten, und legt
besonders großen Wert auf diesen Teil der Buddha-Lehre. Ein großer Buddha geht
demnach immer weiter auf seinem Weg, er praktiziert, lehrt und bleibt nicht
stehen und verharrt schon gar nicht in einer noch so angesehenen „spirituellen
Position“. Dōgen sagt sogar:
„Dieser Punkt ist das wichtigste Auge des Lernens in der
Praxis“.
Eine
solche Weiterentwicklung umfasst den ganzen Menschen und damit auch seinen
Körper. Sie erfasst nach Buddha alle Fünf Skandhas, die realen Komponenten des
Menschen, und deren lebendige Wechselwirkung. Denn Erleuchtung und Buddha sind
kein statischer Zustand und erschöpfen sich schon gar nicht im Begriff und der
Vorstellung. Denn sie sind die ganze Fülle des Lebens. Und sie sind offen für
Gegenwart und Zukunft!