Der Buddhismus ist eine Lehre der Praxis und des wirklichen Lebens, bei der Handeln und Erfahren besonders wichtig sind. Zen-Meisterin Doko Waskönig beschreibt zum Beispiel, dass die praktische alltägliche Arbeit für sie wesentlich für den Zugang zum Zen-Buddhismus war:
“Es war die Küche, die gleichsam zum Katalysator für meine Hinwendung zum buddhistischen Weg wurde“.Während in der abendländischen Philosophie dem Denken der höchste Stellenwert eingeräumt wird, wird im Buddhismus seit dem großen Genie Gautama Buddha das Handeln als ganz wesentlicher Bestandteil des Lebens anerkannt und dies entscheidet nicht zuletzt über unser Glück und Unglück über Freude und Leid. Die bevorzugte Stellung und hohe Wertschätzung des Denkens im Westen haben neben kräftigen Impulsen für unsere Kultur auch zu großen Problemen und Katastrophen geführt. Insbesondere der Idealismus, der dem Denken und den Ideen alleinige Wirklichkeit zuschreibt, verzerrt sich oft zu Ideologien. Dies ist zunächst oft kaum zu erkennen, aber gewinnt dann eine Eigendynamik, die nicht mehr aufzuhalten ist. Solche Ideologien führten zu katastrophalen Kriegen, wie etwa dem Dreißigjährigen Krieg sowie dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Ideologen verlieren dann vollständig ein menschliches Gesicht, wie wir in Deutschland durch den Nationalsozialismus bitter erfahren mussten.
Auch
der Materialismus gründet in einer Theorie, also im Denken, und nicht in der
unverstellten Wirklichkeit des Handelns. Er besagt, dass allein die materiellen
Gegebenheiten wirklich real sind. Darüber hinaus solle man die Sinnlichkeit
genießen, weil in der Wirklichkeit gar nichts anderes existiere. Materialisten
argumentieren, dass der Idealismus und spirituelle Bereiche nur unsinnige
Fantasiegebilde seien, also nicht wahr und wirklich. Wir alle kennen jedoch die
Probleme des Materialismus: Verödung des Lebens, die Gier nach Profit und
materiellem Vorteil, Genuss und Konsum und die Sinnleere im geistigen Leben.
Für ein erfülltes und zufriedenes Leben muss nach buddhistischer Lehre der
Bereich des Handelns auf dem mittleren Weg hinzukommen. Wahres Handeln eröffnet
direkt den Zugang zur Wirklichkeit, und Wahrheit und ereignet sich im Hier und
Jetzt der Gegenwart und der Sein-Zeit. Während der berühmte Ausspruch des
französischen Philosophen Descartes lautet:, „Ich denke, also bin ich“, sagt
Meister Nishijima, „Ich handele, also bin ich“, denn das Denken kann unmöglich
das wahre Leben sein, und wir alle wissen, wie häufig sich Gedanken und
Wirklichkeit vollständig unterscheiden.
Der
Titel dieses wichtige Kapitels kann auch wie folgt übersetzt werden: „Das
reine, würdevolle Handeln der Buddhas“. Dabei kann die Bedeutung des Begriffs
„würdevoll“ weitgehend mit „wahr“ gleichgesetzt werden. Auf keinen Fall ist
damit gekünsteltes und starr an Formen und Vorschriften gebundenes
zeremonielles Handeln gemeint, denn es geht um den Alltag des Hier und Jetzt.
Dieses Handeln vollzieht sich in der Mitte des Gleichgewichts und ist damit als
Tun und Handeln der Buddhas und großen Meister zu verstehen. Die Praxis des
Zazen oder die erste Erleuchtung, die „den Körper und (denkenden) Geist fallen
lässt“, ist ein wesentlicher Bereich solchen Handelns und darf keinesfalls als
statisch verstanden werden. In der Praxis des Zazen befreien wir uns von
einengenden und störenden Gedanken, von Zwängen, Ängsten und vor allem von der
Gier nach Ruhm und Profit. In diesem Handeln werden der Geist und das
Bewusstsein von egoistischen Zwängen befreit, die das Handeln einseitig aus dem
Gleichgewicht bringen und uns ins Unglück rennen lassen.
Das
reine, wahre Handeln der Buddhas und erwachten Menschen ist nach Dôgen frei von
Berechnungen und Tricks. Durch das Handeln selbst eröffnet sich der Zugang zur
wunderbaren Wirklichkeit, und diese schenkt den Menschen heitere Gelassenheit,
aber auch schnelle und ausdauernde Tatkraft. Wie bekannt, entscheidet sich
Wolfgang von Goethe am Beginn des Faust
für die Aussage: „Am Anfang war die Tat“, und verwirft den Satz: „Am Anfang war
das Wort“.
Dōgen
geht in diesem Kapitel zunächst auf den fundamentalen Unterschied zwischen
abstrakten Begriffen und Vorstellungen wie „Buddha“ und „Erleuchtung“
einerseits und dem wirklich handelnden Buddha und erwachten Menschen andererseits
ein. Er grenzt auch das wahre Handeln von Begriffen wie „allmähliche
Erleuchtung“ oder „plötzliche Erleuchtung“ ab und erteilt der Vorstellung, dass
man in der Absicht handeln solle, unbedingt Erleuchtung zu erlangen, eine
Absage. Er arbeitet heraus, dass Begriffe wie „Buddha“ und „Dharma“ manchmal
nur Fesseln sind, die es verunmöglichen, das reine und wahre Handeln zu
verwirklichen. Denkgebilde, Fantasien und das durch Begriffe und ehrgeizige
Ziele eingeengte Bewusstsein sind demnach wesentliche Hindernisse auf dem Weg
des wahren Handelns der Menschen und der Buddhas.
Auch
Begriffe und Vorstellungen wie „Buddha-Natur“ und „Dharma-Natur“ führen nach
Dōgen häufig in die Sackgasse, denn Denken und Vorstellungen sowie Bilder und
Fantasien können zwar vorbereitende und begleitende Theorien und Sichtweisen
des Buddhismus sein, aber sie sind nicht in der Lage, die ganze Wirklichkeit im
unmittelbaren Erleben und Handeln zu eröffnen.
Dōgen
zitiert eine bekannte Stelle aus dem Lotos-Sūtra,
wo Buddha sagt:
„Die Lebensspanne, die ich durch meine ursprüngliche Praxis
des Bodhisattva-Weges verwirklicht habe, ist auch jetzt noch nicht beendet.“
Er
will damit sagen, dass sein Handeln als Bodhisattva und Buddha immer weiter
geht, dass es nichts Bestimmtes zu erreichen gibt und dass das Tun und Handeln
selbst das Wesentliche ist. Dōgen spricht in diesem Zusammenhang von einer
„zehntausend Meilen langen Eisenschiene“ und meint damit, dass es sich nicht um
eine begrenzte Zeitspanne handelt, sondern um ein Ganzes, um das Handeln in der
Gegenwart, das zeitlich unbegrenzt ist und kein berechnendes Ziel kennt.
Ganz
wesentlich bei buddhistischem Handeln ist die moralische Reinheit, die das tut,
was im Augenblick in der bestimmten Situation getan werden muss, um anderen auf
dem Bodhisattva-Weg des Buddhismus zu helfen. Dies wird besonders durch das
Zitat des Meisters Daikan Enō deutlich: „Gerade diese Reinheit ist es, welche
die Buddhas immer bewahrt und beherzigt haben.“ Er fährt dann in seinem
Gespräch mit Meister Nangaku fort: „Du bist so, ich bin so, und die alten
Meister in Indien waren ebenso.“
Eine
solche Reinheit des Handelns unterscheidet nach Dôgen nicht, ob ich selbst etwas
tue oder ob du handelst, denn ich und du bilden im reinen, wahren Handeln eine
Einheit. Damit ist der Dualismus aufgehoben. Es geht also um Praxis und
Erfahrung und nicht um irgendwelche Begriffe wie „Essenz“, „Form“ oder „Prinzip“,
und man kann nicht unterscheiden, ob ein Ich als „Subjekt“ handelt oder ob mit
mir als „Objekt“ gehandelt wird. Beide Begriffe und Vorstellungen versagen auf
dieser Ebene. Wir sehen, dass im Tun, Handeln, Erfahren und Praktizieren als
existenzielle Wahrheit eine dualistische Unterscheidung von Subjekt und Objekt
sinnlos ist. Bei einer solchen Trennung, die allerdings in unserer Sprache tief
verankert ist, wird das Wesentliche, die Wirklichkeit und Wahrheit, verschleiert
und verdeckt.
Das
Handeln soll nach Dōgen nicht mit Gedanken und Vorstellungen überfrachtet und
damit unnötig verzerrt werden, sondern „es handelt ganz natürlich“, so, wie es
ist. Wenn das Handeln also verengt und verkürzt wird, verliert es seine
Natürlichkeit, Kraft und Reinheit, sodass ein solches verzerrtes Handeln die
Wirklichkeit sogar ausklammert. Wahres Handeln kann durch Denken nicht ausgeschöpft
und nicht erfasst werden und kann theoretisch und philosophisch nur begrenzt
beschrieben werden. Im reinen, wahren Handeln ist der Körper nach Dōgen
entspannt und gewissermaßen durchlässig, und trotzdem kraftvoll und voller
Energie.
Wir
müssen uns von quälenden Vorstellungen und Gedanken lösen, dass wir geboren
wurden und sterben müssen, denn beides ist eigentlich nur unmittelbares
Handeln. Die im Buddhismus früher üblichen Unterscheidungen der Geburt aus dem
Schoß, aus der mystischen Verwandlung, aus dem Ei oder aus der Feuchtigkeit
sind nach Dōgen zunächst und vor allem nur Begriffe und Ideen. Sie verbergen
oft mehr, als sie offenlegen, und sind nur dann sinnvoll, wenn man ihre
Begrenztheit in der Kommunikation und Lehre klar erkennt.
Bei
genauer Betrachtung können wir daher nicht sagen, dass Gautama Buddha gestorben
sei, denn seine Lehre und sein Wirken und nicht zuletzt seine moralische
Reinheit offenbaren sich im Handeln der Menschen im Hier und Jetzt. Sein
körperliches Sterben erweist sich als weniger wichtig, da seine Wahrheit lebt
und authentisch bis zum heutigen Tag weitergegeben wurde. Das wahre und reine
Handeln im Zazen und im Alltag wird durch nichts eingeschränkt und lebt aus
sich selbst. Es besitzt also umfassende Freiheit, die aber niemals auf Kosten
anderer geht.
Dōgen
untersucht dann ein wichtiges Koān-Gespräch zweier Meister. Seppō lehrte: „Die
Buddhas der drei Zeiten sind in der Flamme (des Kohleofens hier) und drehen das
große Dharma-Rad“.
Sein
Schüler Meister Gensa äußerte sich dazu wie folgt: „Die Flamme lehrt den Dharma
für die Buddhas der drei Zeiten, und die Buddhas der drei Zeiten stehen auf dem
Grund und hören den Dharma.“
Was
ist mit diesen Aussagen in Bezug auf das wahre, reine Handeln und den Dharma
gemeint? Gibt es Unterschiede bei diesen beiden großen buddhistischen Meistern,
die in der Blütezeit des Buddhismus im neunten Jahrhundert in China gelebt
haben? Warum wird die Flamme als Gleichnis für den Dharma und damit für die
Wirklichkeit und Wahrheit des Handelns verwendet?
Zunächst
ist festzustellen, dass ein enger Bezug zum Lotos-Sūtra
besteht, in dem das Lehren und Hören dieses Sūtra sehr hoch geschätzt wird.
Dōgen behauptet aber nicht, es sei höherwertig, den Dharma zu lehren, als ihn
zu hören, denn beides ist reines Handeln im Sinne des Buddhismus. In der ersten
Aussage von Meister Seppō heißt es, dass die Buddhas der drei Zeiten in der
Flamme sind und das Dharma-Rad drehen. Flamme und Buddha sind also identisch,
und im dauernden Veränderungsprozess offenbart sich der Dharma oder, wie es im
Buddhismus häufig heißt, dreht sich das Dharma-Rad. Es hat also überhaupt
keinen Sinn, etwas festhalten zu wollen und es als dauerhaftes Ding oder
statische Sache zu verstehen, sondern das Leben oder das Dharma-Rad drehen sich
wie das Handeln des Alltags.
Meister
Gensa stellt bei seiner Aussage etwas anderes in den Mittelpunkt: Er spricht
davon, dass die Flamme den Dharma für die Buddhas verkündet, dass die Buddhas
auf der Erde stehen und den Dharma hören. Das heißt, die Buddhas hören
achtungsvoll zu und tun dies ohne Ablenkung und Eigennutz. Es wäre zu kurz
gegriffen anzunehmen, dass die Flamme hier als Subjekt erscheint, das den
Buddhas etwas mitteilt. Es ist sicher gemeint, dass die Buddhas und Erwachten
mit den Regeln und Gesetzen der Welt und des Universums eine Einheit bilden und
dass diese Einheit wesentlich für die buddhistische Lehre ist. Die Buddhas denken
sich nicht selbst irgendeine Lehre aus, sondern sie geben achtungsvoll das
reine Gesetz der Welt wieder, und dadurch gelangen die Menschen zur
Wirklichkeit und Wahrheit. Im Lotos-Sūtra
heißt es weiter, dass es schwierig ist, den wahren Dharma zu lehren und zu
hören. Wesentliches in dem notwendigen Lern- und Befreiungsprozess wird nach
Dōgen durch die Praxis des Zazen verwirklicht.
Die
Aussagen der beiden oben genannten Meister, Seppō und Gensa, dass die Buddhas in der Flamme sind, dass die Flamme den Dharma
verkündet und die Buddhas zuhören, sind in der Tat nicht leicht zu verstehen.
Sie entwickeln jedoch, je mehr man sich mit ihnen beschäftigt, eine erhebliche
Tiefenschärfe und spirituelle, poetische Kraft. Die Flammen sind zweifellos
auch Symbol der Reinheit und der Wärme. Verweisen darauf, dass das wahre
Handeln nicht von Ehrgeiz und Mutwillen angetrieben werden sollte, sondern dass
zum Handeln auch das Geschehenlassen und Sichereignen gehört. Dōgen verwendet
häufig die Formulierung des Handelns und Geschehenlassens, also der Tat und der
Tatkraft einerseits und des verantwortungsvollen Geschehenlassens in einer
bestimmten Situation andererseits.