Mittwoch, 21. Juli 2021

Dogens tiefe Erfahrung der Buddha-Natur (Busshō)

 



Wir wissen, dass Meister Dōgen selbst mit der Frage nach der Buddha-Natur persönlich sehr stark gerungen hat und mit den theoretischen und abstrakten Erklärungen der japanischen buddhistischen Meister in seiner überhaupt Zeit nicht zufrieden war. Wie kann es sein, so war seine Frage, dass man sich so sehr mit der Übungspraxis und den theoretischen Überlegungen zur Buddha-Natur abmühen muss, wenn sie doch bereits bei jedem von Anfang an in Vollkommenheit existiert. Dann haben wir sie schon immer, sie existiert also sofort bei der Geburt. Warum müssen wir überhaupt intensiv und ausdauernd üben, wenn wir doch die Buddha-Natur schon immer „haben“? Dann ist sie ein unveränderliches Merkmal wie eine Substanz in uns. Wir können also die Buddha-Natur wie ein Goldstück oder einen inneren Diamanten verstehen. Und in der Tat gibt es auch heute solche Vorstellung und solche Glauben, auch im Zen. Aber Dogen konnte sich mit dieser naiven Erklärung nicht zufrieden geben, denn er stieß auf zu viele innere Widersprüche. Im Kern geht es um die Behauptung, dass die Buddha-Natur eine unveränderliche, ewige Substanz ist. Das wäre aber genau die Âtman-Lehre, die Buddha radikal ablehnte. Sie führt nämlich zum Leiden. Und schon der große Nagarjuna hatte etwa eintausend Jahre früher zwingend bewiesen, dass es solche Substanzen nicht geben kann, denn es handelt sich um Pseudo-Substanzen. Dieses fundamentale buddhistische Wissen war  offensichtlich im Japan verloren gegangen.

Die ungeklärte Frage nach der Buddha-Natur war ein wesentlicher Antrieb seiner eigenen Reise nach China, wo er jedoch zunächst ebenfalls ohne Antwort blieb. Erst als er seinem Meister, Tendō Nyojō, begegnete und sein Schüler wurde, konnte er das die damaligen Täuschungen der Buddha-Natur durchdringen und seine damit zusammenhängenden Probleme lösen. Dadurch erlangte er tiefe und eindeutige Erleuchtung, wie sein Meister Tendo Nyoja bestätigte. Das Kapitel zur Buddha-Natur ist im Shōbōgenzō von zentraler Bedeutung, es ist eines der längsten und schwierigsten.

Dōgen zitiert Shākyamuni Buddha wie folgt:

„Alle Lebewesen haben vollständig die Buddha-Natur.“

Bei flüchtiger Betrachtung könnte man diese Aussage als selbstverständlich hinnehmen, und sie entspricht in der Tat dem gesunden Menschenverstand einiger Buddhisten. Allerdings ergibt sich bei genauer Untersuchung ein ernstes Problem, weil man sich fragen muss, ob es auch Menschen oder Lebewesen ohne die Buddha-Natur gibt. Denn wenn es im obigen Zitat heißt, alle haben die Buddha-Natur, müsste es auch möglich sein, sie nicht zu haben. Denn das wäre das Prinzip einer Substanz, die man entweder hat oder nicht. Und es wäre dualistisch gedacht und damit nicht wirklich, sondern eine Konstruktion des Geistes. Den Satz könnte man daher auch so verstehen, dass es sich um eine bestimmte duale Entität oder duale Eigenschaft der Lebewesen handelt, die man haben kann oder nicht. Es läge dann auch nahe, an einen substanzhaften Seelenkern, einen Wesenskern oder überhaupt an so etwas wie eine wunderbare und ewige unzerstörbare Seele zu denken, die man besitzt. Sicher haben viele Menschen große Sehnsucht nach einem solchen substanzhaften unveränderlichen Selbst. Leider handelt es sich nach Dgen un eine Täuschung und Illusion, die gefährliche Folgen hat.

Dōgen verwirft daher eine Trennung von einem Lebewesen als Subjekt und der Buddha-Natur als Objekt bzw. der Buddha-Natur als einer bestimmten unveränderliche Eigenschaft des Subjekts. Mit einer dualistischen Trennung von Subjekt und der Buddha-Natur als statische  Objekt kommen wir also nicht weiter.Besser wäre daher eine andere Übersetzung der Aussage von Shākyamuni Buddha:

„Alle Lebewesen sind die Buddha-Natur.“ Danach ist die Buddha-Natur die Wirklichkeit der Lebewesen.

Diese Übersetzung ist übrigens auch korrekt, weil das entsprechende japanische Wort beides bedeuten kann: haben und sein. Die Vorstellung einer Buddha-Natur bei allen Lebewesen hat zweifellos eine große spirituelle Anziehungskraft und gibt die positive, lebensbejahende Weltsicht des Buddhismus wieder. Aber sind Vorstellung und Wirklichkeit identische? Sie sind sicher nicht total identisch. Demnach sind die Menschen von Natur aus keine Sünder, die bestraft, diszipliniert und kontrolliert werden müssen, sondern sie entfalten sich und ihre Buddha-Natur in ihrem Leben und im Hier und Jetzt. Denn wie bei jedem Konzept und Ideal besteht bei die Gefahr, dass sie sich das Konzept verhärtet oder unbemerkt zu einer Ideologie verzerrt und sich zu Dogmen verhärtet. Dann kann die Lehre der Buddha-Natur eventuell benutzt werden, um andere zu kritisieren, herabzusetzen, ihnen vorzuwerfen, dass sie die Buddha-Natur verraten oder nicht mehr besitzen und dergleichen mehr. Das wäre wieder Pseuo-Substanz und keine Wirklichkeit. Leider gibt es hierfür ähnliche Beispiele in allen Weltreligionen. Gautama Buddha hat das Ideal eines unveränderlichen statischen Seelenkerns des alten Indien immer wieder mit Nachdruck zurückgewiesen, da diese Dogma aus der Wirklichkeit des Hier und Jetzt wegführt und damit die Menschen leiden lässt. Es wurde zudem Grundlage des politischen und religiösen Systems der isolierten Kasten, die im damaligen Indien großes Leid erzeugt at und von Buddha abgelehnt wurde.

Gemäß der buddhistischen Lehre muss man nach Dōgen die Buddha-Natur auch auf fühlende wesen und auf die Natur von Pflanzen und Bäumen und sogar auf die sogenannten unbelebten Bereiche der Welt ausgedehnt werden, wie zum Beispiel Berge, Flüsse, Ozeane, Felsen, Kiesel usw.:

„Das ganze Universum mit allen Lebewesen ist die Buddha-Natur.“

das sagt vor Allem, dass es keine Isolation und keine Dualität von Menschen und Buddha-Natur gibt. In diesem Kapitel wird der Ausspruch eines großen glaubwürdigen Meisters zitiert, die der Aussage Dōgens scheinbar widerspricht:

„Du bist ohne die Buddha-Natur, sagt der vierte zum fünften Vorfahren im Dharma.“

Dies hört sich wirklich wie das genaue Gegenteil der ersten Aussage zur Buddha-Natur an. Wie kann das erklärt werden?

Der Zen-Buddhismus zeichnet sich durch Nüchternheit, unverstellte Beobachtung und Klarheit im Hier und Jetzt aus. Und dadurch wirkt er nach meiner festen Meinung so stak und unmittelbar. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Spekulative Fantasien und Theorien ohne Bodenhaftung sind ihm vollständig fremd. Geht es in diesem Satz vielleicht um die reine Beobachtung ohne jede religiösen oder spirituellen Ideen? sicher nicht. Wenn man nämlich nur in dem Bereich der Sinne und der Wahrnehmung bleibt, also nur sieht, hört, schmeckt, tastet und riecht, kann es die Vorstellung einer Buddha-Natur in der Tat allerdings nicht geben. Denn in der Welt der Formen, der Farben, der Gerüche, des Geschmacks usw. kann man bleiben, ohne irgendwelchen spirituellen Ideen anzuhängen. Aber die Natur ist viel mehr, als eine materielle Lebensweise. Denn die entscheidende Bedeutung der Leerheit (shūnyatā) liegt darin, dass man die Abhängigkeit von den Giften, also verzerrenden Ideologien überwindet. Weder der Materialismus noch der Idealismus kann die Buddha-Natur verwirklichen. Denn beides sind Ideologien, also Verblendungen, wenn sie uns beherrschen. Es geht bei der Buddha-Natur darum, dass man zur Wirklichkeit nichts Künstliches, Gedachtes und Spekulatives hinzusetzt, aber auch nicht irgendetwas weglässt und unterdrückt. Die Wirklichkeit so zu sehen und zu erleben, wie sie ist, das ist die Wahrheit des Zen-Buddhismus.

Die Vorstellung der Buddha-Natur ist zweifellos etwas Spirituelles, das große Kraft entfalten kann, aber auch beachtliche Gefahren in sich birgt. Bei der Vorstellung oder Erwartung darf es also nicht bleiben. Sehr schnell erscheinen unter der Maske einer vorgestellten Buddha-Natur starke oder extreme Bewertungen, denen Egoismus und die Gier nach Ruhm und Profit zugrunde liegen. Dadurch wird die buddhistische Wahrheit getötet, wie Dōgen an mehreren Stellen des Shōbōgenzō hervorhebt. Die Freiheit und Leerheit von Dogmen, Spekulationen und Fantasien hat im Zen-Buddhismus eine große Bedeutung, und auf dem Weg der Leerheit müssen wir lernen, was wirklich ist, und eben nicht das, was wir zu gern wollen oder nicht wollen. Wir können nicht wünschen, was nicht wünschbar ist. Nur in der vollen Wirklichkeit und Wahrheit können wir das Leiden überwinden. Auch Sigmund Freud betonte, dass jede Flucht aus der Wirklichkeit psychisches Leiden erzeugen muss. Verdrängungen können zwar zunächst das mühsame tägliche Überleben sichern, haben aber auf Dauer schwere psychische Schäden und Leiden zur Folge, die dann aufgearbeitet und aufgelöst werden müssen. Es geht um grundlegende Lernprozesse um die drei Gift Gier, Hass und Verblendung zu überwinden, die Leiden verursachen. Die Buddha-Natur kann sich verwirklichen, wenn wir uns von den Giften entleeren.

Eine materialistische Lebensphilosophie, die allein den oberflächlichen Sinnen und ihren Genüssen gewidmet ist und keine spirituelle und idealistische Tiefe hat, führt zwangsläufig zu einer Verödung des Lebens und kann niemals aus dem Leiden hinausführen. Deshalb ist eine materialistische Lebensphilosophie ungeeignet für ein sinnvolles und erfülltes Leben.

Der große Meister Hyakujō sagt:

„Es beleidigt Buddha, wenn wir lehren, dass alle Lebewesen die (substanzhafte) Buddha-Natur haben, und es beleidigt Buddha auch, wenn wir lehren, dass sie ohne Buddha-Natur sind.“

Dieses Zitat kann so entschlüsselt werden, dass er den Glauben an die Pseudo-Substanz der Buddha-Natur radikal kritisiert, weil dies keine Wirklichkeit ist. Sowohl die eine als auch die andere Behauptung entspringt dualer Ideologie. Sie sind beide grundsätzlich falsch und einseitig verstandene Lebensphilosophien. Das kann nicht die ganze Lehre und Wahrheit des Buddhismus sein, sondern ist jeweils nur eine eingeengte bestimmte Sichtweise oder Teilphilosophie mit sehr begrenztem Wahrheitsgehalt ist. Die Dogmatisierung und Dualität führen dann direkt ins Leiden. Der Zen-Buddhismus ist nicht unvernünftig oder unlogisch, wie manche leichtfertig behaupten. Er erkennt zwar die undogmatische Teilwahrheit der idealistischen Denkweise an, aber verschließt sich auch nicht der undogmatischen materiellen Teilwahrheit. Die umfassende Lehre des Buddha-Dharma geht aber über diese dualen Sichtweisen weit hinaus. Nicht der Widerspruch und das Paradox ist also das Typische des Zen-Buddhismus, sondern eine umfassende, darüber hinausgehende Wahrheit. Sie wirk zusammen mit dem Handeln und die Zazen-Praxis. Dadurch verwirklicht man ein umfassendes, intuitives Verständnis, und zwar im Einklang mit Ethik und Moral. Dies gilt nach Nishijima Roshi für den Zustand der Erleuchtung als vierte und höchste Lebensphilosophie. Die Aussage: "Es gibt die Buddha-Natur und eben deshalb gibt es sie nicht", ist also schlichter Unsinn und verwirrt mehr als dass sie weiterführt. Das geht radikal gegen die Vernunft und Logik und bleibt in der Paradoxie hängen. Diese dualen Aussagen greifen zu kurz, denn es geht nach Nishijima Roshi um die umfassende Lebensdimension des Erwachens.

Der ehrwürdige Meister Nāgārjuna wird von Dōgen wie folgt zitiert:

„Wenn du die Buddha-Natur verwirklichen willst, musst du zuerst deinen selbstsüchtigen Stolz überwinden.“

Es ist also bei der Frage der Buddha-Natur notwendig, Selbstsucht, Egoismus und überhaupt den Stolz, der sich an ein Ich festmacht, zu erkennen und zu überwinden. Warum ist das so? Weil durch den Ich-Stolz ein Geist der Pseudo-Substanz die Oberhand gewinnt und die drei Gifte Gier, Hass und Verblendung dominieren. Bevor wir diese Extreme nicht loslassen, besteht keine Chance, die Buddha-Natur zu verwirklichen und intuitiv zu erfahren. Damit wird die Wichtigkeit des ethisch richtigen Handelns unterstrichen. Dōgen sagt damit nicht mehr und nicht weniger, als dass der Ich-Stolz uns daran hindert, die Buddha-Natur überhaupt zu erleben, zu erfahren und zu erkennen. Theoretisches und intellektuelles Denken ohne Moral verhindern dann die Verwirklichung der Buddha-Natur.

Dōgen zitiert ein berühmtes Gespräch zweier großer Zen-Meister:

Meister Nansen fragte Meister Ōbaku:

„Wenn wir gleichmäßig Balance und Weisheit praktizieren, erkennen wir klar die Buddha-Natur. Wie steht es mit dieser Theorie?“

Meister Ōbaku antwortete: „(Den ganzen Tag), vierundzwanzig Stunden, haben wir sie schon erlangt, ohne von etwas abhängig zu sein.“

Es geht also vor allem um Unabhängigkeit und Freiheit von den drei Giften. Damit kommen die für Dōgen zentralen Kernpunkte bei der Wirklichkeit der Buddha-Natur zur Sprache, nämlich die Zazen-Praxis, das Handeln und das Gleichgewicht im Hier und Jetzt. Das geht über duales Denken und Reden weit hinaus. Daraus entsteht die intuitive Weisheit, die gerade über auswendig gelerntes Wissen hinausgeht. Außerdem wird die reale Lebenspraxis des ganzen Tages und damit der buddhistisch gestaltete Alltag angesprochen. Erst durch diese Praxis der Mitte und des Gleichgewichts im Zazen und im Handeln erlangt man Freiheit und Unabhängigkeit sowohl von materiellen Dingen als auch von festgelegten verblendungen. Damit werden die vielen Problemen des Alltags überwunden, indem man handelt und lebt. Dann behindert das heilsame Wissen und die sogenannte verstandesmäßige Weisheit auch nicht die Buddha-Natur, sondern ist im Gegenteil mit ihr in Wechselwirkung. In dem obigen Gespräch werden nach Dōgen keine subjektiven Ansichten oder Meinungen ausgetauscht; vielmehr geht es um Wahrheitsaussagen und Erfahrungen, die jenseits der einzelnen Personen liegen.

Dōgen geht dann genauer auf die folgende im Zen-Buddhismus berühmte Koān-Geschichte ein:

„Hat auch ein Hund die Buddha-Natur oder nicht?“

Der große Zen-Meister Jōshū antwortet einem Mönch auf diese Frage: „Nichts dergleichen. (Mu, sie ist ohne).“ Einem anderen Mönch antwortet er aber bei der fast der gleichen Frage:

"Gibt es die Buddha-Natur auch in einem Hund oder nicht?“, scheinbar genau das Gegenteil: „(Ja), es gibt sie“.

Wie kann man nun diesen Widerspruch erklären, und was ist der Sinn der Antworten von Meister Jōshū? Wir können davon ausgehen, dass beide Mönche ernsthaft und intensiv auf dem Buddha-Weg üben. Die Antworten sollen ihnen dabei helfen, sich aus dem Gefängnis ihrer eigenen fixierten Meinungen, Vorurteile, Vorstellungen, Fantasien, Äußerlichkeiten, Zielvorstellungen usw. zu befreien. Für jemanden, der zu sehr idealistischen und romantischen Fantasien anhängt, ist sicher die Antwort, „der Hund hat keine Buddha-Natur“, die klare Aufforderung, sich mit dem konkreten Hier und Jetzt zu befassen und nicht in ferne Fantasie-Welten abzuschweifen. Er muss vor allem den Glauben an die Pseudo-Substanz und Dualität überwinden. Für einen anderen Menschen, der eher materiell orientiert ist und an der äußeren Form haftet, muss der kundige Meister aber anders vorgehen. Dann ist die umgekehrte Aussage nützlich, dass es auch beim Hund die Wirklichkeit der Buddha-Natur gibt. Man darf nicht an den äußeren Wahrnehmungen der Sinne hängen bleiben, sondern muss sich intensiver mit ideellen, spirituellen und moralischen Bereichen verbinden soll. Aber es ist auch klar, dass die Wirklichkeit der Buddha-Natur über diese beiden Fragen und Antworten und deren Verblendungen  hinausgeht

Schließlich zitiert Dōgen einen bedeutenden chinesischen Mandarin bei dem Zen-Meister Chōsa:

„Ein Regenwurm wurde in zwei Teile geschnitten, und beide Teile bewegen sich . Ich frage mich, in welchem der Teile sich die Buddha-Natur befindet.“

Zunächst können wir feststellen, dass es sich hier um eine sehr theoretische und arrogante Frage handelt. Sie ist ungeeignet, der tiefen Frage nach der Buddha-Natur auch nur nahe zu kommen und beweist den Glauben an Dualität und Pseudo-Substanz des Regenwurms. Eine solche Frage ist nur arrogantes Futter für den Verstand des Mandarins. Meister Chōsa antwortete zunächst:

„Täuscht euch nicht“ und fügte hinzu:

“Wind und Feuer haben sich noch nicht aufgelöst.“

Der Meister versucht daher in zwei Anläufen, den ranghohen Mandarin von seinem abstrakten Substanz-Denken und Täuschungen, die hier zu nichts führten, auf den Boden der Tatsachen und der Wirklichkeit zurückzuholen. Er reduziert die arrogante Komplexität konkret auf das Hier und Jetzt der materiellen Elemente Wind und Feuer. Der Mandarin versteht dies überhaupt nicht, vermutlich weil er wegen seines hohen Ranges dem Meister nicht folgen will und sein aufgeblasenes Ego nicht loslassen kann. Daher kann er den für die Wirklichkeit der Buddha-Natur notwendigen ganzheitlichen und moralisch-bescheidenen Lernprozess nicht beginnen.

Dōgen führt uns hier die Unfähigkeit eines eitlen und durch seine gesellschaftliche Stellung festgelegten Menschen vor Augen, dem es nicht gelingt, sein duales Denken, seinen hohen Stand und seine großartige Position beiseite zu lassen. Er müsste dazu als Anfänger nach der Wirklichkeit suchen und in die Buddha-Lehre hineinwachsen. Dabei wäre es notwendig, beim ganz Konkreten zu beginnen, denn: „Zen-Geist ist Anfänger-Geist.“ Stattdessen gefällt er sich durch eine scheinbar intelligente Frage, die aber nur Leerlauf des unterscheidenden Denkens ist und nicht zur Wirklichkeit vordringt. sie ist von dem Glauben an Schein-Substanzen und Dualität geprägt

Zusammenfassend können wir sagen, dass es auf die Frage der Buddha-Natur keine duale Antwort gibt. Die Frage nach absoluter Existenz oder der Nicht-Existenz ist sinnlos. Sie lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Und worauf kommt es an? Antwort: Das eigene klare Erleben und die eigene tiefe Erfahrung sind entscheident. Das ist der Unterschied, der den Unterschied macht!

Dōgen hatte im damaligen, auf abstrakter Theorie aufbauenden Buddhismus in Japan für seine bohrenden Fragen nach der Wahrheit der Buddha-Natur keine brauchbaren Antworten gefunden. Theoretisch kann diese Frage nicht beantwortet werden. Erst durch seinen chinesischen Meister fand er Verwirklichung im Streben nach der Wahrheit und der Klarheit über die Buddha-Natur. Dieser stellte die Zazen-Praxis und das verantwortungsvolle und moralische Handeln im Alltag in den Mittelpunkt des Buddha-Dharma. Es ist dabei wichtig zu erwähnen, dass Dôgen keineswegs die Theorie, das Denken und die Vernunft grundsätzlich ablehnte oder herabsetzte, wie dies leider manchmal behauptet wird. Wie wäre es sonst zu erklären, dass er selbst derartig umfangreiche und tiefgründige schriftliche Werke wie „Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“ (Shôbôgenzô) verfasst und an die Nachwelt und uns übermittelt hat. Darin versucht er in genialer Weise die buddhistische Philosophie mit seinem eigenen Erleben der tiefen klaren Erleuchtung zu verbinden. Soweit dies überhaupt möglich ist.

Die Buddha-Natur ist nach Nishijima Roshi die wahre Wirklichkeit des Universums und des Lebens selbst, und umfasst damit die vier nicht dualen Lebensphilosophien der Ideen, des Materiellen, des Handelns je im Augenblick und des höchsten Zustandes im Gleichgewicht, also des Erwachens. Diese Lebensphilosophien sind mit der Wirklichkeit der Buddha-Natur in Wechselwirkung. Dies Wirklichkeit ist nach Nagarjuna leer von der Ideologie der Pseudo-Substanz und des Dualismus. Davon kann die Wirklichkeit von Ursache und Wirkung und die Moral des rechten Handelns nicht getrennt werden. Das ist auch die zentrale Praxis und Philosophie Buddhas: des "gemeinsamen Entstehens in Wechselwirkung".