Mittwoch, 13. April 2022

Genaue Anleitung zur Zazen-Praxis (Zazengi)

 


Link: Praktische Weisheiten des Buddhismus

In diesem Kapitel, das Dôgen im Jahr 1243 verfasst hat, beschreibt er sehr kompakt die genaue Form und Durchführung der Zazen-Praxis[i] – im Japanischen steht dafür das Wort gi – und ergänzt damit die Darstellung in seiner Schrift Fukan zazengi, die im ersten Teil des vorliegenden Buches behandelt wurde. Erneut wird deutlich, wie wichtig ihm die korrekte Sitzhaltung beim Zazen war; vermutlich hat er als Meister in Japan immer wieder entsprechende Fehler bei seinen Schülern beobachten können. Ein isoliertes, rein geistig-spirituelles Zen ohne Beteiligung des Körpers ist aus Dôgens eigener tiefgründiger Erfahrung völlig unwirksam und überflüssig.

An anderen Stellen im Shôbôgenzô wählt er oft die poetische Form des Lehrgedichts, um Zazen zu beschreiben, weil er fest davon überzeugt war, dass das Wesentliche des Zazen unsagbar ist und die Möglichkeiten der Sprache überschreitet. Poesie ist aus seiner Sicht besonders geeignet, um Wirklichkeiten anzusprechen und zu übermitteln, die mit philosophischer Logik nicht erfasst werden können. Dennoch lehnt er die Vernunft und die begriffliche Darstellung keineswegs ab und schildert in diesem Kapitel detailliert und konkret die körperlichen Aspekte der Praxis. Er beginnt mit folgender Aussage:

„Zen wirklich zu praktizieren bedeutet, in Zazen zu sitzen.“

Dafür empfiehlt er einen ruhigen, sauberen Ort, der nicht zu dunkel sein sollte, damit man nicht wegdöst, einschläft oder in Traumwelten und Tagträume abdriftet. Bei der Praxis im Freien, die Dôgen allerdings für weniger ratsam hält, sollten wir uns vor Wind und Regen schützen. Er berichtet von Gautama Buddha, der unter dem Bodhi-Baum praktizierte und dort das große Erwachen erlebte, und von Meister Sekito Kisen, der sich eine Hütte auf einem flachen Felsen gebaut hatte und dort ausdauernd praktizierte. Beide benutzten nach der Überlieferung weiches, dickes Gras als Unterlage für den Zazen-Sitz.

Ich empfehle jedem Praktizierenden, sich zu Hause eine Zazen-Ecke einzurichten, die in einem ruhigen Teil der Wohnung liegt, sodass man ungestört ist und auch die anderen Bewohner nicht stört.

Dôgen spricht davon, dass es am Übungsort „im Winter warm und im Sommer kühl“ sein soll. Damit lehnt er extreme, asketische Temperaturverhältnisse bei der Praxis eindeutig ab.

In manchen Zen-Zentren hält man heute den Zazen-Raum zum Beispiel im Winter ausgesprochen kalt, indem die Heizung heruntergedreht wird. Dies ist also nicht im Sinne Dôgens. Und im Sommer ist bei großer Hitze eine gewisse Kühlung durchaus angemessen, indem man beispielsweise einen Ventilator aufstellt. Viele Klöster aus Dôgens Zeit haben eine natürliche Durchlüftung und sind an einem Ort gebaut, der keinen Hitzestau beim Zazen entstehen lässt. Das ist auch der Fall bei dem japanischen Kloster Tokei-in, das von der Dôgen-Sangha in Japan für Sesshins benutzt wird. Es liegt in der Nähe der Stadt Shizuoka, zwischen Tokyo und Kyoto, an einem etwas abgelegenen Ort, der viel Atmosphäre und Ruhe ausstrahlt.

Dôgen rät uns, während der Zazen-Praxis alle Gedanken und Bindungen an Schwierigkeiten, Hoffnungen, Ziele und Ängste des Alltags zu verlassen. Wir sollen vor allem nichts mit Willenskraft anstreben:

„Versuche nicht, ein Buddha zu werden.“

Diese Aussage verblüfft, denn bei den meisten Buddhisten besteht das explizite Ziel, Erleuchtung zu erlangen, also wie Buddha zum Erwachen „durchzustoßen“. Auf diesen Punkt soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden, weil er bereits im Kapitel Zazenshin[ii] ausführlich behandelt wurde.

Dôgen betont noch einmal, dass das Wesentliche die ganzheitliche Zazen-Praxis selbst ist und sich das Erwachen dabei natürlich und wie von selbst einstellt. Das bedeutet allerdings nicht, dass man in seinen Anstrengungen nachlassen kann und die Zazen-Praxis vernachlässigen dürfte. Aber das Bemühen sollte auf die richtige Praxis und das richtige Sitzen bezogen sein, wie es in diesem Kapitel beschrieben wird.

Wir sollen während der Zazen-Zeit mäßig essen und trinken, das heißt, weder hungern noch üppige Mahlzeiten zu uns nehmen. Zazen hat viel mit dem Körper zu tun, und wir sollten es ihm angenehm machen. Der Entzug von Essen und Trinken ist dagegen der Askese zuzuordnen, die schon Gautama Buddha als unwirksam oder sogar schädlich für den Weg der Befreiung erfahren und erkannt hatte.

„Seid ganz sorgsam mit der Zeit.“

Damit meint Dôgen, dass wir regelmäßig im Zazen sitzen und unsere Zeit für diese Praxis nutzen sollten, aber auch, dass wir die Sitzperioden in eine natürliche Ordnung des Tagesablaufs einfügen. Bei Sesshins in buddhistischen Klöstern wird der tägliche Zeitplan mit den Zazen-Perioden ganz genau eingehalten. Das betrifft sowohl den Beginn, die Dauer als auch das Ende der Sitzperioden. Dadurch wird jede Beliebigkeit ausgeschlossen und ein fester zeitlicher Rahmen vorgegeben. So kann man sich dem festgelegten Ablauf einfach anvertrauen. Darüber hinaus beinhaltet Dôgens Aussage, dass wir unsere kostbare Zeit generell sorgfältig nutzen und sie nicht für sinnlose Tätigkeiten, die uns nur ablenken, verschwenden sollten.

„Liebt es, im Zazen zu sitzen (so aufmerksam), als ob ihr ein Feuer auf eurem Kopf auslöscht.“

Diese typische Zen-Formulierung hebt die Bedeutung der Zazen-Praxis als aufmerksames Tun hervor, denn wer ein Feuer auf seinem Kopf auslöschen muss, geht mit großer Aufmerksamkeit und Schnelligkeit zu Werke. Es gilt, keine einzige Sekunde zu verlieren, und genau dies sei der Zustand des Geistes beim Zazen-Sitzen. Im ersten Teil des Satzes verwendet Dôgen den Ausdruck „liebt es“, der in einem gewissen Gegensatz zu der gefährlichen Situation steht. Auf diese Weise möchte er wohl die positive Haltung zum Zazen bekräftigen; wir sollen gerne Zazen sitzen und uns auf diese Übungspraxis freuen, aber auf keinen Fall nachlässig sein. Er fordert uns damit auf, die Zazen-Praxis so zu gestalten, dass wir sie täglich gerne auch allein durchführen und nicht nur in der Gruppe und mit Unterstützung des Lehrers.

Wie im Kapitel über das Kesa[iii] sagt Dôgen auch hier, dass wir dieses buddhistische Gewand bei der Zazen-Praxis anlegen sollten. Nishijima Roshi empfiehlt ebenfalls, dieses traditionelle Kleidungsstück auch in der heutigen Zeit während der Übungspraxis zu tragen. Selbstverständlich kann man dazu das Rakusu verwenden, das man bei der Gelöbniszeremonie erhält.

Als geeignete Unterlage für den Zazen-Sitz nennt Dôgen ein rundes Sitzkissen, das Zafu, das mit Kapok gefüllt sein sollte. Die im Westen heute häufig verwendete Füllung mit Getreidespelzen ist aus meiner eigenen Erfahrung weniger zu empfehlen, da solche Kissen sehr hart werden und drücken, wenn man längere Zeit praktiziert. Vor allem für eine Sesshin von mehreren Tagen mit vielen Sitzperioden eignen sie sich daher weniger.

Wir sollen in der Mitte des runden Sitzkissens Platz nehmen, also weder am vorderen, noch am hinteren Rand. Dadurch entsteht eine genügend große Auflagefläche für das Gesäß, sodass unnötiger Druck auf die Haut vermieden wird. Zudem bietet der hintere Teil des Kissens, der sich beim Sitzen ein wenig hochwölbt, auf diese Weise eine gewisse Stütze für den Rücken. Wenn man zu weit hinten sitzt, ist die Auflagefläche für die Oberschenkel zu groß, weshalb man leicht nach hinten kippt.

Als Sitzposition sollte man den ganzen oder halben Lotossitz wählen. Den sogenannten burmesischen Lotossitz bezeichnet Nishijima Roshi ebenfalls als halben Lotossitz. Beim ganzen Lotossitz werden die Unterschenkel gewissermaßen ineinander „verknotet“, sodass der rechte Fuß auf dem linken Oberschenkel liegt und symmetrisch dazu der linke Fuß auf dem rechten Oberschenkel. Die Zehen sollten dabei auch symmetrisch und in einer Linie mit den Oberschenkeln verlaufen und so bequem wie möglich auf diesen aufliegen. Für Menschen aus dem Westen ist es zweifellos nicht einfach, den vollen Lotossitz zu erlernen und zu benutzen, ohne dass erhebliche Schmerzen auftreten. Jüngeren und gelenkigen Praktizierenden mag es gelingen, längere Zeit im vollen Lotossitz zu verweilen. Wer erst in mittleren Jahren mit Zazen beginnt, dürfte dabei einige Schwierigkeiten haben. Mit zunehmendem Alter und bei eventuellen Knieproblemen eignet sich daher der halbe Lotossitz, bei dem ein Fuß auf dem Oberschenkel oder Unterschenkel des anderen Beines liegt, besser. Diese Sitzhaltung ist zum Beispiel derjenigen vorzuziehen, bei der die Unterschenkel rechts und links neben dem Sitzkissen liegen und die Füße nach hinten zeigen – das hat auch Nishijima Roshi mir gegenüber bekräftigt.

Besonders wichtig ist in jedem Fall ein völlig gestreckter, gerader Rücken, der weder nach links noch nach rechts geneigt ist, so als ob man einen „Spazierstock verschluckt“ hätte. Was selbstverständlich nicht heißen soll, dass man stocksteif und in unnatürlicher Haltung auf dem Meditationskissen sitzt. Ganz im Gegenteil: Der Kopf und vor allem der Hals werden nach oben gestreckt, gleichzeitig werden die Schultern abgesenkt und entspannt. Dadurch ergibt sich bei gestreckter Wirbelsäule eine Lockerung des gesamten Bereiches von Kopf, Hals, Rücken und Schultern.

Diese Körperhaltung wird heute übrigens auch von Physiotherapeuten empfohlen und sollte beim normalen Gehen und Sitzen ebenfalls eingenommen werden. Sie beugt zum Beispiel Verspannungen des Rückens und der Schultern vor, die nicht zuletzt durch Fehlhaltungen bei der Arbeit am Computer und psychischen Stress hervorgerufen werden. Interessanterweise wird eine solche aufrechte Körperhaltung außerdem beim Bogenschießen gelehrt, und zwar nicht nur bei der Kunst des Zen-Bogenschießens (Kyduo), sondern auch beim Sportbogenschießen. Offensichtlich besaßen Gautama Buddha, Daikan Enô und Dôgen eine intuitive Klarheit über den menschlichen Körper in Einheit mit der psychisch-spirituellen Gesamtsituation. Letztlich handelt es sich also bei der korrekten Zazen-Haltung um eine sehr natürliche und entspannende Körperhaltung, die besonders in der modernen Zeit von großem Wert ist.

Manchmal ist es allerdings nicht einfach, selbst einzuschätzen, ob man tatsächlich aufrecht oder eher etwas geneigt sitzt. Dann sollte man einen Anwesenden fragen und von ihm eventuell eine Korrektur erbitten. Die richtige Zazen-Praxis ist immer eine Einheit von Körper und Geist. Wer körperlich schief sitzt, läuft daher Gefahr, auch geistig-spirituell „schief“ zu sein.

Wenn man nach einer gewissen anfänglichen Übungsphase die optimale Sitzhaltung für sich selbst gefunden hat, ist es möglich, längere Zeit Zazen ohne Ermüdung und ohne übermäßige Anstrengung zu praktizieren. Das Rückgrat steht senkrecht und ist im Gleichgewicht. Das Becken sitzt auf dem weichen Kissen, und die beiden „Sitzhöcker“ tragen auf natürliche Weise das gesamte Körpergewicht.

Manche Zazen-Praktizierende sitzen allerdings mit einem krummen Rücken oder verwenden den Schneidersitz, wobei häufig die Knie nicht auf dem Boden liegen, sondern schräg nach oben in die Luft stehen. Solche Sitzhaltungen eignen sich laut Dôgen für die Zazen-Praxis überhaupt nicht und sollten unbedingt vermieden werden. Die positive Wirkung für Körper-und-Geist stellt sich dabei nämlich nicht ein. Jedoch sind nicht alle Fehlhaltungen beim Zazen-Sitz ohne Weiteres zu erkennen – das ist mir bereits bei mehreren Sesshins aufgefallen. Der Hauptfehler liegt dabei in einer zu starren, geradezu verkrampften Sitzhaltung, die zum Beispiel dadurch noch verstärkt wird, dass man die Hände zu hoch hält, anstatt sie natürlich in den Schoß zu legen. Die richtige Haltung zeigen die Fotos von Meister Kodo Sawaki beim Zazen.

Eine zu steife, übertrieben gestreckte Sitzhaltung kann dadurch zustande kommen, dass der Praktizierende stolz auf seine Sitzhaltung ist und infolgedessen seine Natürlichkeit verliert – und damit seine spirituelle Offenheit für die Wirklichkeit. Der Ich-Stolz beim Zazen wirkt sich auch negativ auf die Gruppe aus. Wenn man im Sesshin neben einem solchen Praktizierenden sitzt, ist es nach meiner Erfahrung notwendig, sich selbst von dessen inneren Haltung abzugrenzen.

Dôgen empfiehlt, die ineinandergelegten Hände weder zu hoch noch zu tief zu halten, sondern locker in den Schoß zu legen. Die Daumen, die sich leicht berühren, sollten sich auf der Höhe des Bauchnabels befinden.

Die Ohren sind in einer Linie mit den Schultern, und die Nase hält man auf einer Linie mit dem Bauchnabel, dies ist laut Dôgen sehr wichtig. Wir atmen natürlich durch die Nase.

Die Zunge wird an den oberen Gaumen gelegt. Die Augen sollten leicht geöffnet sein. Sie zu schließen ist deshalb nicht ratsam, weil man bei geschlossenen Augen leicht in Träumereien und andere Gedanken abgleitet, die bei der Zazen-Praxis gerade vermieden werden sollen. Wie im Fukan zazengi legt Dôgen auch in diesem Kapitel Wert auf das sogenannte Nicht-Denken:

„Im Gleichgewicht (und) im Berg-stillen Zustand sitzend denkt (bitte) den konkreten Zustand des Nicht-Denkens. Wie kann der Zustand des Nicht-Denkens gedacht werden? Er ist Nicht-Denken. Dies ist das wirkliche Geheimnis des Zazen.“

Er meint damit, dass wir unseren Geist von unterscheidenden und bewertenden Gedanken und grundsätzlich von Denkobjekten befreien und entlasten sollen, was ganz wesentlich für die positive Wirkung dieser Übungspraxis ist. Das bedeutet, dass wir nicht in unklare oder emotional aufgeladene Gedankengänge abgleiten und uns nicht auf Bewertungen fixieren, wie zum Beispiel über Recht und Unrecht, denn diese würden geistige und spirituelle Verspannungen hervorrufen. Wenn wir uns beim Zazen dessen bewusst werden, sollten wir uns möglichst bald, aber ohne Gewalt, davon lösen und zu einem ruhigen und ausgeglichenen Geist zurückkehren, der ohne Gedanken, Bewertungen und Gefühle ist. In solchen Fällen ist es hilfreich, die Sitzhaltung zu überprüfen und auf eine gestreckte Wirbelsäule zu achten.

Am Schluss fasst Dôgen zusammen:

„Im Zazen zu sitzen, bedeutet nicht, Zen-Meditation (der Konzentration) zu erlernen. Es ist das große Dharma-Tor des Friedens und der Freude. Es ist die unbeschmutzte Praxis-und-Erfahrung.“

Das heißt, dass eine Konzentration auf das Zählen oder auf den Atem für Dôgen nicht die von ihm gelehrte Zazen-Praxis des Shikantaza ist und dass auch die intensive Beschäftigung mit einem Kôan, eine Visualisierung oder die Konzentration auf einen spirituellen Inhalt nicht der von ihm beschriebenen Zazen-Praxis angehören. Diese Formen der Meditation mögen eine gewisse gute Wirkung haben, aber sie sind nach Dôgens Überzeugung nicht so wirkungsvoll wie Shikantaza, das kurz gefasst die Befreiung des Körper-Geistes von Denk- und Emotionsobjekten ist. Beim richtig ausgeführten Zazen erleben wir eine gedankliche und emotionale Entspannung, die uns geistig und körperlich erfrischt und positive Lebensfreude erzeugt. Die Wirkung der Zazen-Praxis stellt sich direkt im Augenblick dieses realen Handelns von selbst ein und dauert noch einige Stunden an.


[i] Shobogenzo, deutsche Fassung, Bd. 3, S. 212, englische Fassung, Bd. 3, S. 167 ff.

[ii] Kap. 27, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 240 ff.: „Die heilende Bambusnadel der Zazen-Praxis (Zazenshin)“ und in diesem Buch Kap. 2/Teil II

[iii] Kap. 12, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 120 ff.: „Das Verdienst des buddhistischen Kesa-Gewandes (Kesa kudoku)