Link: Praktische Weisheiten des Buddhismus
In diesem Kapitel, das Dôgen im Jahr 1243 verfasst hat, beschreibt er sehr kompakt die genaue Form und Durchführung der Zazen-Praxis[i] – im Japanischen steht dafür das Wort gi – und ergänzt damit die Darstellung in seiner Schrift Fukan zazengi, die im ersten Teil des vorliegenden Buches behandelt wurde. Erneut wird deutlich, wie wichtig ihm die korrekte Sitzhaltung beim Zazen war; vermutlich hat er als Meister in Japan immer wieder entsprechende Fehler bei seinen Schülern beobachten können. Ein isoliertes, rein geistig-spirituelles Zen ohne Beteiligung des Körpers ist aus Dôgens eigener tiefgründiger Erfahrung völlig unwirksam und überflüssig.
An anderen Stellen im Shôbôgenzô wählt er oft die poetische Form des Lehrgedichts, um
Zazen zu beschreiben, weil er fest davon überzeugt war, dass das Wesentliche
des Zazen unsagbar ist und die Möglichkeiten der Sprache überschreitet. Poesie
ist aus seiner Sicht besonders geeignet, um Wirklichkeiten anzusprechen und zu
übermitteln, die mit philosophischer Logik nicht erfasst werden können. Dennoch
lehnt er die Vernunft und die begriffliche Darstellung keineswegs ab und
schildert in diesem Kapitel detailliert und konkret die körperlichen Aspekte
der Praxis. Er beginnt mit folgender Aussage:
„Zen wirklich zu praktizieren bedeutet, in Zazen zu
sitzen.“
Dafür empfiehlt er einen ruhigen, sauberen Ort, der
nicht zu dunkel sein sollte, damit man nicht wegdöst, einschläft oder in
Traumwelten und Tagträume abdriftet. Bei der Praxis im Freien, die Dôgen
allerdings für weniger ratsam hält, sollten wir uns vor Wind und Regen
schützen. Er berichtet von Gautama Buddha, der unter dem Bodhi-Baum
praktizierte und dort das große Erwachen erlebte, und von Meister Sekito Kisen, der sich eine Hütte auf
einem flachen Felsen gebaut hatte und dort ausdauernd praktizierte. Beide
benutzten nach der Überlieferung weiches, dickes Gras als Unterlage für den
Zazen-Sitz.
Ich empfehle jedem Praktizierenden, sich zu Hause
eine Zazen-Ecke einzurichten, die in einem ruhigen Teil der Wohnung liegt,
sodass man ungestört ist und auch die anderen Bewohner nicht stört.
Dôgen spricht davon, dass es am Übungsort „im Winter
warm und im Sommer kühl“ sein soll. Damit lehnt er extreme, asketische
Temperaturverhältnisse bei der Praxis eindeutig ab.
In manchen Zen-Zentren hält man heute den Zazen-Raum
zum Beispiel im Winter ausgesprochen kalt, indem die Heizung heruntergedreht
wird. Dies ist also nicht im Sinne Dôgens. Und im Sommer
ist bei großer Hitze eine gewisse Kühlung durchaus angemessen, indem man
beispielsweise einen Ventilator aufstellt. Viele Klöster aus Dôgens Zeit haben
eine natürliche Durchlüftung und sind an einem Ort gebaut, der keinen Hitzestau
beim Zazen entstehen lässt. Das ist auch der Fall bei dem japanischen
Kloster Tokei-in, das von der
Dôgen-Sangha in Japan für Sesshins benutzt wird. Es liegt in der Nähe der Stadt
Shizuoka, zwischen Tokyo und Kyoto, an einem etwas abgelegenen Ort, der viel
Atmosphäre und Ruhe ausstrahlt.
Dôgen rät uns, während der Zazen-Praxis alle Gedanken
und Bindungen an Schwierigkeiten, Hoffnungen, Ziele und Ängste des Alltags zu
verlassen. Wir sollen vor allem nichts mit Willenskraft anstreben:
„Versuche nicht, ein Buddha zu werden.“
Diese Aussage verblüfft, denn bei den meisten
Buddhisten besteht das explizite Ziel, Erleuchtung zu erlangen, also wie Buddha
zum Erwachen „durchzustoßen“. Auf diesen Punkt soll hier jedoch nicht näher
eingegangen werden, weil er bereits im Kapitel Zazenshin[ii]
ausführlich behandelt wurde.
Dôgen betont noch einmal, dass das Wesentliche die
ganzheitliche Zazen-Praxis selbst ist und sich das Erwachen dabei natürlich und
wie von selbst einstellt. Das bedeutet allerdings nicht, dass man in seinen
Anstrengungen nachlassen kann und die Zazen-Praxis vernachlässigen dürfte. Aber
das Bemühen sollte auf die richtige Praxis und das richtige Sitzen bezogen
sein, wie es in diesem Kapitel beschrieben wird.
Wir sollen während der Zazen-Zeit mäßig essen und
trinken, das heißt, weder hungern noch üppige Mahlzeiten zu uns nehmen. Zazen
hat viel mit dem Körper zu tun, und wir sollten es ihm angenehm machen. Der
Entzug von Essen und Trinken ist dagegen der Askese zuzuordnen, die schon
Gautama Buddha als unwirksam oder sogar schädlich für den Weg der Befreiung
erfahren und erkannt hatte.
„Seid ganz sorgsam mit der Zeit.“
Damit meint Dôgen, dass wir regelmäßig im Zazen
sitzen und unsere Zeit für diese Praxis nutzen sollten, aber auch, dass wir die
Sitzperioden in eine natürliche Ordnung des Tagesablaufs einfügen. Bei Sesshins
in buddhistischen Klöstern wird der tägliche Zeitplan mit den Zazen-Perioden
ganz genau eingehalten. Das betrifft sowohl den Beginn, die Dauer als auch das
Ende der Sitzperioden. Dadurch wird jede Beliebigkeit ausgeschlossen und ein
fester zeitlicher Rahmen vorgegeben. So kann man sich dem festgelegten Ablauf
einfach anvertrauen. Darüber hinaus beinhaltet Dôgens Aussage, dass wir unsere
kostbare Zeit generell sorgfältig nutzen und sie nicht für sinnlose
Tätigkeiten, die uns nur ablenken, verschwenden sollten.
„Liebt es, im Zazen zu sitzen (so aufmerksam), als ob
ihr ein Feuer auf eurem Kopf auslöscht.“
Diese typische Zen-Formulierung hebt die Bedeutung
der Zazen-Praxis als aufmerksames Tun hervor, denn wer ein Feuer auf seinem
Kopf auslöschen muss, geht mit großer Aufmerksamkeit und Schnelligkeit zu
Werke. Es gilt, keine einzige Sekunde zu verlieren, und genau dies sei der
Zustand des Geistes beim Zazen-Sitzen. Im ersten Teil des Satzes verwendet
Dôgen den Ausdruck „liebt es“, der in einem gewissen Gegensatz zu der
gefährlichen Situation steht. Auf diese Weise möchte er wohl die positive
Haltung zum Zazen bekräftigen; wir sollen gerne Zazen sitzen und uns auf diese
Übungspraxis freuen, aber auf keinen Fall nachlässig sein. Er fordert uns damit
auf, die Zazen-Praxis so zu gestalten, dass wir sie täglich gerne auch allein
durchführen und nicht nur in der Gruppe und mit Unterstützung des Lehrers.
Wie im Kapitel über das Kesa[iii]
sagt Dôgen auch hier, dass wir dieses
buddhistische Gewand bei der Zazen-Praxis anlegen sollten. Nishijima Roshi
empfiehlt ebenfalls, dieses traditionelle Kleidungsstück auch in der heutigen Zeit
während der Übungspraxis zu tragen. Selbstverständlich kann man dazu das Rakusu
verwenden, das man bei der Gelöbniszeremonie erhält.
Als geeignete Unterlage für den Zazen-Sitz nennt
Dôgen ein rundes Sitzkissen, das Zafu, das mit Kapok gefüllt sein sollte. Die
im Westen heute häufig verwendete Füllung mit Getreidespelzen ist aus meiner
eigenen Erfahrung weniger zu empfehlen, da solche Kissen sehr hart werden und
drücken, wenn man längere Zeit praktiziert. Vor allem für eine Sesshin von
mehreren Tagen mit vielen Sitzperioden eignen sie sich daher weniger.
Wir sollen in der Mitte des runden Sitzkissens Platz
nehmen, also weder am vorderen, noch am hinteren Rand. Dadurch entsteht eine
genügend große Auflagefläche für das Gesäß, sodass unnötiger Druck auf die Haut
vermieden wird. Zudem bietet der hintere Teil des Kissens, der sich beim Sitzen
ein wenig hochwölbt, auf diese Weise eine gewisse Stütze für den Rücken. Wenn
man zu weit hinten sitzt, ist die Auflagefläche für die Oberschenkel zu groß,
weshalb man leicht nach hinten kippt.
Als Sitzposition sollte man den ganzen
oder halben Lotossitz wählen. Den sogenannten burmesischen Lotossitz bezeichnet
Nishijima Roshi ebenfalls als halben Lotossitz. Beim ganzen Lotossitz werden die Unterschenkel gewissermaßen ineinander
„verknotet“, sodass der rechte Fuß auf dem linken Oberschenkel liegt und
symmetrisch dazu der linke Fuß auf dem rechten Oberschenkel. Die Zehen sollten
dabei auch symmetrisch und in einer Linie mit den Oberschenkeln verlaufen und
so bequem wie möglich auf diesen aufliegen. Für Menschen aus dem Westen ist es
zweifellos nicht einfach, den vollen Lotossitz zu erlernen und zu benutzen,
ohne dass erhebliche Schmerzen auftreten. Jüngeren und gelenkigen
Praktizierenden mag es gelingen, längere Zeit im vollen Lotossitz zu verweilen.
Wer erst in mittleren Jahren mit Zazen beginnt, dürfte dabei einige
Schwierigkeiten haben. Mit zunehmendem Alter und bei eventuellen Knieproblemen
eignet sich daher der halbe Lotossitz, bei dem ein Fuß auf dem Oberschenkel
oder Unterschenkel des anderen Beines liegt, besser. Diese Sitzhaltung ist zum
Beispiel derjenigen vorzuziehen, bei der die Unterschenkel rechts und links
neben dem Sitzkissen liegen und die Füße nach hinten zeigen – das hat auch
Nishijima Roshi mir gegenüber bekräftigt.
Besonders wichtig ist in jedem Fall ein völlig
gestreckter, gerader Rücken, der weder nach links noch nach rechts geneigt ist,
so als ob man einen „Spazierstock verschluckt“ hätte. Was selbstverständlich
nicht heißen soll, dass man stocksteif und in unnatürlicher Haltung auf dem
Meditationskissen sitzt. Ganz im Gegenteil: Der Kopf und vor allem der Hals
werden nach oben gestreckt, gleichzeitig werden die Schultern abgesenkt und
entspannt. Dadurch ergibt sich bei gestreckter Wirbelsäule eine Lockerung des
gesamten Bereiches von Kopf, Hals, Rücken und Schultern.
Diese Körperhaltung wird heute übrigens auch von
Physiotherapeuten empfohlen und sollte beim normalen Gehen und Sitzen ebenfalls
eingenommen werden. Sie beugt zum Beispiel Verspannungen des Rückens und der
Schultern vor, die nicht zuletzt durch Fehlhaltungen bei der Arbeit am Computer
und psychischen Stress hervorgerufen werden. Interessanterweise wird eine
solche aufrechte Körperhaltung außerdem beim Bogenschießen gelehrt, und zwar
nicht nur bei der Kunst des Zen-Bogenschießens (Kyduo), sondern auch beim
Sportbogenschießen. Offensichtlich besaßen Gautama Buddha, Daikan Enô und Dôgen
eine intuitive Klarheit über den menschlichen Körper in Einheit mit der
psychisch-spirituellen Gesamtsituation. Letztlich handelt es sich also bei der
korrekten Zazen-Haltung um eine sehr natürliche und entspannende Körperhaltung,
die besonders in der modernen Zeit von großem
Wert ist.
Manchmal ist es allerdings nicht einfach, selbst
einzuschätzen, ob man tatsächlich aufrecht oder eher etwas geneigt sitzt. Dann
sollte man einen Anwesenden fragen und von ihm eventuell eine Korrektur
erbitten. Die richtige Zazen-Praxis ist immer eine Einheit von Körper und
Geist. Wer körperlich schief sitzt, läuft daher Gefahr, auch geistig-spirituell
„schief“ zu sein.
Wenn man nach einer gewissen anfänglichen Übungsphase
die optimale Sitzhaltung für sich selbst gefunden hat, ist es möglich, längere
Zeit Zazen ohne Ermüdung und ohne übermäßige Anstrengung zu praktizieren. Das
Rückgrat steht senkrecht und ist im Gleichgewicht. Das Becken sitzt auf dem
weichen Kissen, und die beiden „Sitzhöcker“ tragen auf natürliche Weise das
gesamte Körpergewicht.
Manche Zazen-Praktizierende sitzen allerdings mit
einem krummen Rücken oder verwenden den Schneidersitz, wobei häufig die Knie
nicht auf dem Boden liegen, sondern schräg nach oben in die Luft stehen. Solche
Sitzhaltungen eignen sich laut Dôgen für die Zazen-Praxis überhaupt nicht und
sollten unbedingt vermieden werden. Die positive Wirkung für Körper-und-Geist
stellt sich dabei nämlich nicht ein. Jedoch sind nicht alle Fehlhaltungen beim
Zazen-Sitz ohne Weiteres zu erkennen – das ist mir bereits bei mehreren
Sesshins aufgefallen. Der Hauptfehler liegt dabei in einer zu starren, geradezu
verkrampften Sitzhaltung, die zum Beispiel dadurch noch verstärkt wird, dass
man die Hände zu hoch hält, anstatt sie natürlich in den Schoß zu legen. Die
richtige Haltung zeigen die Fotos von Meister Kodo
Sawaki beim Zazen.
Eine zu steife, übertrieben gestreckte Sitzhaltung
kann dadurch zustande kommen, dass der Praktizierende stolz auf seine
Sitzhaltung ist und infolgedessen seine Natürlichkeit verliert – und damit
seine spirituelle Offenheit für die Wirklichkeit. Der Ich-Stolz beim Zazen
wirkt sich auch negativ auf die Gruppe aus. Wenn man im Sesshin neben einem
solchen Praktizierenden sitzt, ist es nach meiner Erfahrung notwendig, sich selbst von dessen inneren Haltung
abzugrenzen.
Dôgen
empfiehlt, die ineinandergelegten Hände weder zu hoch noch zu tief zu halten,
sondern locker in den Schoß zu legen. Die Daumen, die sich leicht berühren,
sollten sich auf der Höhe des Bauchnabels befinden.
Die Ohren sind in einer Linie mit den Schultern, und
die Nase hält man auf einer Linie mit dem Bauchnabel, dies ist laut Dôgen sehr
wichtig. Wir atmen natürlich durch die Nase.
Die Zunge wird an den oberen Gaumen gelegt. Die Augen
sollten leicht geöffnet sein. Sie zu schließen ist deshalb nicht ratsam, weil
man bei geschlossenen Augen leicht in Träumereien und andere Gedanken
abgleitet, die bei der Zazen-Praxis gerade vermieden werden sollen. Wie im Fukan zazengi legt Dôgen auch in diesem
Kapitel Wert auf das sogenannte Nicht-Denken:
„Im Gleichgewicht (und) im Berg-stillen Zustand
sitzend denkt (bitte) den konkreten Zustand des Nicht-Denkens. Wie kann der
Zustand des Nicht-Denkens gedacht werden? Er ist Nicht-Denken. Dies ist das
wirkliche Geheimnis des Zazen.“
Er meint damit, dass wir unseren Geist von
unterscheidenden und bewertenden Gedanken und grundsätzlich von Denkobjekten
befreien und entlasten sollen, was ganz wesentlich für die positive Wirkung
dieser Übungspraxis ist. Das bedeutet, dass wir nicht in unklare oder emotional
aufgeladene Gedankengänge abgleiten und uns nicht auf Bewertungen fixieren, wie
zum Beispiel über Recht und Unrecht, denn diese würden geistige und spirituelle
Verspannungen hervorrufen. Wenn wir uns beim Zazen dessen bewusst werden,
sollten wir uns möglichst bald, aber ohne Gewalt, davon lösen und zu einem
ruhigen und ausgeglichenen Geist zurückkehren, der ohne Gedanken, Bewertungen
und Gefühle ist. In solchen Fällen ist es hilfreich, die Sitzhaltung zu
überprüfen und auf eine gestreckte Wirbelsäule zu achten.
Am Schluss fasst Dôgen zusammen:
„Im Zazen zu sitzen, bedeutet nicht, Zen-Meditation
(der Konzentration) zu erlernen. Es ist das große Dharma-Tor des Friedens und
der Freude. Es ist die unbeschmutzte Praxis-und-Erfahrung.“
[i] Shobogenzo, deutsche Fassung, Bd. 3, S.
212, englische Fassung, Bd. 3, S. 167 ff.
[ii] Kap. 27, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 240
ff.: „Die heilende Bambusnadel der Zazen-Praxis (Zazenshin)“ und in diesem Buch Kap. 2/Teil II
[iii] Kap. 12, ZEN Schatzkammer, Bd. 1, S. 120
ff.: „Das Verdienst des buddhistischen Kesa-Gewandes (Kesa kudoku)“