Im Buddhismus sind Berge und Wasser die großartige Buddha-Welt, und in dieser Natur hat sich Buddha selbst verwirklicht. Berge und Wasser sind Teil der sogenannten unbelebten Natur und des Universums. Aber sie sind in Wechselwirkung mit uns und den Tieren. Es sind lebendige wirkliche Erscheinungen, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. Nach dem Buddha-Dharma gehen sie über die vordergründige Wahrnehmung und äußere Form hinaus und vermitteln die Reinheit, Kraft und Schönheit der Buddha-Welt. Heute wie damals suchen die Menschen die wunderbaren Augenblicke der Naturerlebnisse in den Bergen und auf den Gewässern.
Dōgen
warnt aber davor, die wirklichen Berge und das wirkliche Wasser mit den
Begriffen und Vorstellungen zu verwechseln, die wir Menschen uns fast
automatisch von ihnen machen, die aber das wirkliche Erleben meistens
verdecken, verzerren und verändern. Wenn wir dies nicht beachten, erfahren wir
die Berge und das Wasser nicht mehr als Wirklichkeit, so wie sie ist, sondern
wir erfahren uns mehr oder minder getrennt von ihnen, leben in der Welt unserer
eigenen Ideen und Vorstellungen und nicht zuletzt in der Welt der Bewertungen
und Vorurteile. Dadurch verblasst das eigentliche Naturerlebnis. Dōgen zitiert
hierzu einen ewigen Buddha:
„Berge sind Berge, Wasser ist Wasser.’ Diese Worte bedeuten
nicht, dass Berge (gedachte) Berge sind, sondern dass Berge (wirkliche) Berge
sind. deshalb sollten wir die (wirklichen) Berge in der Praxis meistern. Wenn
wir die Berge in der Praxis meistern, ist das die Anstrengung in den
(wirklichen) Bergen. Solche Berge und solches Wasser bringen auf natürliche Art
die Weisen und Heiligen hervor.“
Dōgen
beginnt dieses Kapitel mit kraftvollen Sätzen, in denen er die Tugend der Berge
beschreibt. Wie er sagt, sind sie die wahre Freiheit. Und Ethik und Moral
werden durch die Berge verwirklicht. Er stellt dazu fest:
„Da (die Berge und Wasser) schon vor dem Zeitalter der Leere
existieren, sind sie kraftvolles Handeln in der Gegenwart.“
Nishijima
Roshi erklärt diesen Satz so, dass die Berge und Wasser sich genau wie die
Natur seit der ewigen Vergangenheit offenbaren, aber ihr kraftvolles Handeln
genau im gegenwärtigen Augenblick des Hier und Jetzt verwirklichen. Dōgen betont also, dass es ohne die
Sein-Zeit im Augenblick keine kraftvolle Wirklichkeit geben kann. Er zitiert
dann im Folgenden die zunächst eigenartig anmutende Aussage eines alten
Meisters:
„Die blauen Berge wandern ständig, die Steinfrau gebiert in
der Nacht ihre Kinder.“
Dies
ist in der Tat ein Kōan-Satz, der sich zunächst dem logischen Verstand zu
widersetzen scheint. Nishijima Roshi interpretiert ihn so, dass die alten
Meister ein intuitives Verständnis von den Bewegungen und Veränderungen in der
Natur hatten, ohne dass ihnen unsere modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse
zur Verfügung standen. In der Tat wissen wir heute, dass sich die scheinbar
unveränderlichen Berge über längere Zeiträume laufend verändern und „wandern“.
Zum Beispiel werden die großen Kontinentalschollen ständig auf dem teigigen
Untergrund der Erde bewegt und lassen neue Auffaltungen der Gebirge entstehen.
Wir wissen auch, dass Felsen zu Sand zerfallen oder in der Nacht beim Wechsel
der Temperaturen bersten und sich damit teilen können.
Wenn
wir unser starres vorgeformtes Wissen und Denken ausschalten und die
Wirklichkeit ganz genau beobachten, sind die Berge also keineswegs statisch,
absolut dauerhaft und fest, sondern sie wandern unaufhörlich und verändern sich
fortwährend. Bei sehr genauer Beobachtung ergeben sich daraus unerwartete und
verblüffende Einzelheiten und Zusammenhänge.
Wir
wissen, dass die Berge uns im Rahmen unserer eigenen Lebensspanne unbeweglich,
dauerhaft und stabil erscheinen. Wenn wir aber dieses erlernte Standardwissen
einmal beiseite lassen und zum Beispiel Bergspitzen und Berggipfel genau
beobachten und sie zusammen mit den über ihnen ziehenden Wolken unverstellt
betrachten, können wir eigentlich nicht sagen, ob sich die Berge bewegen, ob
sie stillstehen oder ob sich die Wolken bewegen. Wahrscheinlich sehen wir
sogar, wenn wir unser Vorwissen ausschalten und nur die Wahrnehmung gelten
lassen, dass sich sowohl die Berge als auch die Wolken bewegen. Eine ähnliche Beobachtung
kennen wir von der Sonne und dem Mond, wenn die Wolken vor ihnen vorbeiziehen
und wir bei unverstellter, genauer Betrachtung sagen müssen, dass sich der Mond
oder die Sonne gleichzeitig mit den Wolken bewegen oder dass sowohl die Gestirne
als auch die Wolken wandern.
Wenn
wir einen Fluss in den Bergen anschauen und uns nur auf das fließende Wasser
konzentrieren, vermögen wir allein aufgrund dieser Beobachtung nicht zu sagen,
ob sich das Wasser oder die Berge bewegen. Wir können die obige Aussage daher
so verstehen, dass die blauen Berge unserer Beobachtung zufolge ständig
wandern, wenn wir das erlernte Wissen beiseite lassen.
Wir
sollten uns nach Dōgen von unserem selbstverständlichen Vorwissen befreien und
genau beobachten, was vor uns ist, damit wir es wirklich sehen. Allein aus der
Beobachtung können wir also sowohl ableiten, dass die Berge in Ruhe sind, als
auch, dass sie sich bewegen. Dōgen empfiehlt uns mit anderen Worten, dass wir
die Natur wirklich ganz genau betrachten und dass wir die Bewegungen der Berge
mit unserer Sinneswahrnehmung exakt untersuchen und erfahren. Dadurch entsteht
bei uns nicht zuletzt die Erfahrung, dass auch wir selbst uns bewegen, und so
können wir uns aus der Starre vorgefassten Wissens befreien. Wir erlangen dann
die unmittelbare „Freiheit des Anfänger-Geistes“, die nicht durch Gedachtes
einzementiert ist. In einer solchen Bewegung der Natur gibt es ein wirkliches
Gleichgewicht. Die Naturwissenschaft lehrt uns, dass die Balance des Universums
allein durch die gewaltigen Bewegungen und Kräfte der Gestirne und Energien
ermöglicht wird. Ist das nicht auch ein Gleichnis für unser eigenes Leben?
Wenn
wir uns in den Bergen aufhalten, uns dort bewegen und wandern oder in einem
Kloster praktizieren, ist dies nach Dōgen, als würde sich eine Blüte öffnen, es
ist die Wirklichkeit des Buddha-Dharma. Wir müssen uns natürlich ganz für den
Augenblick in den Bergen öffnen und „klare Augen“ haben, um die Berge wirklich
zu sehen, zu erkennen, zu hören und zu erfahren. Wenn wir in den Bergen wandern
und das angelernte Wissen vergessen, dass sie unbeweglich und statisch sein
sollen, können wir wirklich beobachten, dass die Berge mit unseren eigenen
Schritten und mit unserer eigenen Bewegung wandern. Ich habe dies selbst
mehrfach ausprobiert und war überrascht, dass es stimmt. Erproben Sie es doch
einmal selbst, wenn sie sich in den Bergen aufhalten!
Die
Berge selbst sind nach Dōgen jenseits von Fühlen und Nicht-Fühlen, und wenn wir
uns ihnen anvertrauen, befreien wir uns von beengenden und beunruhigenden
Emotionen. Es gibt dauernde Bewegungen in der Welt, denn wäre sie erstarrt, so
könnte auch der Buddha-Dharma nicht an uns übermittelt werden. Dōgen spricht
sogar davon, dass die Berge fließen und dass es „fließende Berge“ sind. Wenn
man sich vom eingefahrenen Wissen und Denken löst, kann man nach Dōgen sehen,
dass die Berge über das Wasser fließen. Er kritisiert die gewöhnlichen
Menschen, die nicht in der Lage sind, wirklich genau zu beobachten, und daher
daran zweifeln, dass sich die blauen Berge bewegen. Der sogenannte gesunde
Menschenverstand weiß, dass es fließendes Wasser gibt, aber fließende Berge
erscheinen ihm wohl doch recht seltsam. Berge werden im Allgemeinen als etwas
Dauerhaftes, Festes und Statisches angesehen, und man gibt ihnen auch feste,
eindeutige Namen. Dann kann man über sie zwar gut sprechen, und alle meinen,
sie wüssten genau, was Berge sind und dass sie unabhängig vom Zeitablauf
dauerhaft und sogar ewig bestehen. Dies sind jedoch nur Worte, die nicht mit
der Wirklichkeit verwechselt werden dürfen.
Dem
setzt Dōgen seine Aussage entgegen, dass die „Bergfrau ihre Berg-Kinder
gebiert“. Er sagt damit letztlich, dass die Berge leben, sich verändern, sich
bewegen, sich teilen und daher auch „Kinder“ bekommen. Offensichtlich will er
uns klarmachen, dass die Berge nichts Statisches und Totes sind.
Auf
der anderen Seite haben wir vielleicht wunderbare Ideen und stellen uns vor,
dass die Buddhas in den Bergen die Wahrheit praktizieren. Dabei können wir
sicherlich auch romantische Gefühle entwickeln. Dōgen rät uns, dass wir uns
nicht in solchen Träumereien verlieren, denn die Erhabenheit und Bewegung der
Berge geht über alle romantischen Emotionen und subjektiven Befindlichkeiten hinaus.
Es ist in der Tat oft wenig hilfreich, wenn man die Schönheit der Berge nur mit
Worten, und seien sie noch so poetisch, subjektiv beschreiben will, denn eben
dadurch kann man sich von der Wirklichkeit abschneiden und in Worten und Sätzen
verfangen. Man klebt an ihnen, ohne sich dessen immer bewusst zu sein. Nur wenn
man die Begrenztheit der Sprache erkennt, kann man daher zur Wirklichkeit und
Wahrheit selbst gelangen. Dōgen sagt:
„Die blauen Berge wandern ständig“, und „der Ost-Berg bewegt
sich auf dem Wasser.“
Dies
sollen wir in allen Einzelheiten und in sehr genauer Beobachtung betrachten und
vertiefen. Wenn die Berge vorwärts und rückwärts wandern, kann diese
gegensätzliche Bewegung niemals im selben Augenblick vor sich gehen. So findet
dieses Tun jeweils unabhängig in einem Augenblick statt und damit
„widersetzt sich das Vorwärtsgehen niemals dem
Rückwärtsgehen und umgekehrt. Wir nennen dies die Tugend, dass die Berge
fließen, und wir nennen sie die fließenden Berge.“
Im
Folgenden kritisiert Dōgen in ungewöhnlicher Schärfe diejenigen, die die Lehre
des Zen-Buddhismus nicht als logisch und vernünftig ansehen. Er berichtet aus
dem China der Song-Zeit, es gebe dort viele Gruppen und Lehrer, die
insbesondere die Aussage des „Ost-Berges, der über das Wasser geht“ als Beweis
dafür anführen, dass der Zen-Buddhismus unlogisch sei, und behaupten, es sei daher
überhaupt nicht sinnvoll, die überlieferten Aussagen der alten Meister mit der
Vernunft zu studieren und sich zu erarbeiten. Sie seine jenseits des rationalen
Verstehens. Dōgen sagt:
„Diejenigen, die so reden, sind noch niemals einem wahren Lehrer
begegnet. Sie haben nicht die Augen in der Praxis zu lernen, sie sind nur
kleine Hunde, die es nicht verdient habe, über sie zu diskutieren.“
Es
ist sehr bedeutungsvoll, dass Dōgen gegen diejenigen zu Felde zieht, die den
Zen-Buddhismus und nicht zuletzt die Kōan-Geschichten als irrational ansehen
und meinen, sie seien jenseits des rationalen Denkens. In der Tat ist auch
heute häufig die Meinung anzutreffen, dass insbesondere die Schriften von
Meister Dōgen selbst unlogisch, widersprüchlich und mystisch seien. Dagegen
verwahrt sich Dōgen mit Nachdruck.
Auch
bei uns im Westen gibt es selbst ernannte Meister, die ihre angebliche
Überlegenheit im Buddha-Dharma durch die scheinbaren Paradoxien der
Kōan-Geschichten abstützen und uns weismachen wollen, dass sie selbst diese Paradoxien
„verstünden“, aber die Schüler nicht.
Es
ist sehr wichtig, dass wir die Gleichnisse und Texte der alten Meister und
Zen-Buddhisten wirklich genau studieren und einen Schlüssel finden, um uns
deren Aussagen und Wahrheiten zu erschließen. Nach meiner Erfahrung ist die
Lehre von Nishijima Roshi von den vier Sichtweisen oder Lebensphilosophien im
Buddhismus genau dieser Schlüssel zur „Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“.
Gemäß
dieser Lehre werden die großen buddhistischen Themen in den einzelnen Kapiteln
des Shōbōgenzō aus folgenden vier
Blickwinkeln beleuchtet: erstens vom Bereich der Ideen und des Denkens her,
zweitens vom Bereich der Wahrnehmung, also der Formen und Farben, her, drittens
mit der Lebensphilosophie des Handelns im gegenwärtigen Augenblick. Schließlich
gibt es viertens die umfassende Lebensphilosophie und Lebenspraxis des wahren
Buddha-Dharma, die auch Erwachen oder Erleuchtung genannt wird. Diese bezieht
die drei vorherigen Sichtweisen mit ein, ordnet diesen aber nur einen
bestimmten begrenzten Stellenwert im Ganzen zu
Wenn
der Buddhismus unvernünftig wäre, so wären auch die Argumente jener Buddhisten
unvernünftig, die behaupten der Buddhismus sei irrational. Sie dürften demnach
also gar nicht behaupten, dass ihre eigenen Aussagen richtig und vernünftig
seien, wenn sie genau diesen Grundsatz der Vernunft generell für die
Buddha-Lehre ablehnen. Im Übrigen ist dies derselbe unvermeidbare Widerspruch
wie bei den Nihilisten, die behaupten, alles und jedes in der Welt sei unwahr,
aber unbedingt darauf bestehen, dass ihre eigenen Aussagen richtig seien.
Dōgen
sagt uns, dass sich alle Wasser am Fuß von Bergen verwirklichen, dass sich die
Berge hoch zu den Wolken erheben und dass sie bei genauer Beobachtung in den
Himmel wandern:
„Die Berge sind die Häupter aller Wasser, die sich auf dem
Wasser hin und her bewegen; weil die Füße der Berge über viele Arten des
Wassers fließen können und die Wasser tanzen lassen, bewegen sie sich frei im
Universum.“
Wenn
wir dem Wasser bestimmte Eigenschaften zuordnen, zum Beispiel wie stark oder
schwach, wie nass oder trocken, wie kalt oder warm es ist, oder auch sagen, das
Wasser sei existent oder nicht existent, so sind dies wertende Beschreibungen
oder Abstraktionen von uns als Menschen. Wir dürfen unsere Bewertungen aber
nicht mit dem Wasser selbst verwechseln. Allerdings gibt es nach Dōgen einfache
Tatsachen, zum Beispiel, dass das Wasser dampfförmig, flüssig oder fest wie Eis
ist. Dies sind also wirkliche Gegebenheiten des Wassers und nicht menschliche
Bewertungen. Durch unser scheinbares Vorwissen und unsere Bewertungen wird
demnach die Wirklichkeit der Berge und Wasser oft verdeckt. Um das
auszudrücken, benutzt Dōgen Aussagen wie:
„Das Wasser sieht das Wasser, das Wasser begegnet dem Wasser,
das Wasser ist sich selbst genug und begrenzt sich auf sich selbst, das Wasser
folgt dem Wasser usw.“
Er
will damit die Gedanken und Vorstellungen, die wir vom Wasser haben, von dessen
Wirklichkeit abgrenzen. Wir sollten also unsere subjektive Sicht des Wassers
nicht als allein richtig annehmen, sondern uns bemühen, auch die Sicht und Erfahrungswelt
anderer Lebewesen in Bezug auf das Wasser nachzuvollziehen. Diese mögen das
Wasser als etwas ganz anderes sehen und erleben als wir Menschen. Dōgen zufolge
sollten wir auch versuchen zu erfahren, wie die Buddhas und Vorfahren im Dharma
das Wasser sehen und benutzen. Er sagt wörtlich:
„Ferner sollten wir in der Praxis erlernen, ob es Wasser in
den Häusern der Buddhas und Vorfahren im Dharma gibt oder nicht.“
Im
Folgenden untersucht er vertieft die Berge und deren Bedeutung im
Buddha-Dharma. Die Heiligen und großen Meister sind meistens in die Berge
gegangen und haben dort Zazen praktiziert. So lagen die Klöster im alten China
überwiegend auf Bergen oder in Hochtälern, und auch Gautama Buddha selbst
wanderte zu den Hängen des Himalaja im heutigen Nepal, nachdem er sein
wohlhabendes und bequemes Zuhause verlassen hatte.
Die
Klarheit und Unmittelbarkeit der Natur in den Bergen entfaltet immer eine
besondere Kraft für die Menschen, die auf der Suche nach der Wahrheit sind und
ein Gespür für die wunderbare, großartige Schönheit der Bergwelt haben. Die
Berge haben nach Dōgen also wesentlichen Anteil daran, dass heilige und große
Meister dort zur Wirklichkeit und Wahrheit erwacht sind.
Das
unmittelbare Erleben in den Bergen selbst unterscheidet sich vollständig von
der Vorstellung und den Bildern, die wir von den Bergen haben, wenn wir in
Städten und Dörfern auf dem flachen Land wohnen. Von dort aus können wir auch
nicht direkt beobachten, dass „die Berge fließen“, weil wir sie in ihrer
Ursprünglichkeit nicht sehen. Und dann denken wir, die Berge seien statisch und
fest stehend, so wie sie in unserer Erinnerung und Vorstellung „abgespeichert“
sind. In den Bergen selbst handeln wir im gegenwärtigen Augenblick mit
besonderer Klarheit und beobachten die wunderbare Natur unmittelbar und ohne
Denkschleier. Wir können dort lernen, uns von festgefahrenen Vorstellungen zu
befreien und unmittelbar in der Wirklichkeit des Hier und Jetzt zu sein. Dies
kann man nicht von außerhalb tun, sondern nur in den Bergen selbst praktisch
erfahren und erforschen.
Wenn
wir sagen, dass die Berge zu einen bestimmten Land gehören, zum Beispiel der
Fujiyama zu Japan oder der Mont Blanc zu Frankreich, so ist dies nach Dōgen
eine vordergründige und oberflächliche Sicht. Denn die Berge gehören zu den Menschen
und Tieren, die sie lieben und mit denen sie eng verbunden sind. So kann man
wirklich davon als einer Tatsache sprechen, dass auch die Berge die heiligen,
ehrlichen und moralisch reinen Menschen lieben und eins mit ihnen sind.
In
China gibt es viele Beispiele, dass Kaiser und Könige zu den heiligen und
großen Meistern in die Berge gingen, um dort Rat zu holen und Klarheit zu
erlangen. Dort konnten sie die weltlichen, oft erstarrten Umgangsformen und
Konventionen beiseite lassen und als einfache Menschen handeln. So ist die
wunderbare Ganzheit der Berge weder mit dem unterscheidenden und fixierenden
Verstand noch mit der ungenauen und oberflächlichen Wahrnehmung des Menschen zu
erfassen. Dōgen sagt hierzu:
„Wer könnte jemals das Fließen und das Nicht-Fließen der Berge
und ihr übriges Handeln bezweifeln, auch wenn dies nicht mit dem Fließen in der
Welt der Menschen vergleichbar ist?“
Auch
am Wasser lebten Weise und Heilige, und sie „fischten“ dort die Wahrheit, sie
fischten dort Menschen, die ihre Schüler wurden und die Zufriedenheit und die
Freude des Erwachens erfuhren. Sie lebten an Seen, Flüssen und am Meer, und das
Kommen und Gehen der Jahreszeiten, das Hoch- und Niedrigwasser oder Ebbe und
Flut waren Teil von ihnen und unauflösbar mit ihnen verbunden. Sie fischten
nicht nach Fischen, sondern in Wirklichkeit nach sich selbst, und fanden ihre
Klarheit, Einfachheit und Bescheidenheit, wo vorher Ich-Bezug, Eitelkeit und
die falsche Gier nach Ruhm und Profit gewesen waren.
Im
Buddhismus gibt es die Welt der nicht empfindenden Wesen und der materiellen
Elemente, wie Wasser, Wind, Feuer und Erde. Diese sind gleichzeitig die Welten
der Buddhas, der großen Meister und der Vorfahren im Dharma. In diesem Zusammenhang
geht es beim Wasser nicht mehr um die Begriffe und Vorstellungen des Fließens
oder Nicht-Fließens, nicht um das Herunterfallen als Regen oder das Aufsteigen
in die Wolken, denn diese Vorstellungen und Worte sind zu begrenzt und können
letztlich weder dem Wasser noch den Bergen gerecht werden. Im Buddha-Dharma ist
das Wasser genau die Wahrheit und Wirklichkeit des Wassers selbst, nicht mehr
und nicht weniger, und dies gilt auch für die Berge. Das Wasser ist nicht nur
in den Flüssen, Seen und Meeren, sondern auch in einem einzigen Wassertropfen
oder in einem Tautropfen.
Genauso
wie das Wasser können wir die Wahrheit, Reinheit und Tugend der Berge erfahren
und erforschen. Der in ihnen verborgene Schatz öffnet sich für uns unvermutet
je im Augenblick. Daher sagt ein alter Buddha:
„Berge sind Berge, Wasser ist Wasser.“
Dies
heißt nichts anderes, als dass Berge nicht gedachte oder gesagte Berge sind,
sondern die Berge selbst, und das Gleiche gilt für das Wasser. Denn
„solche Berge und Wasser bringen auf natürliche Art die Weisen und Heiligen hervor“.