Meister
Dôgen erklärt in diesem Kapitel, dass
das ganze Universum klar und leuchtend ist und dass wir durch die Buddha-Lehre
und die Übungspraxis daran lebendiger Teil der Welt werden. Durch das reine
Handeln und des Gleichgewichts im Hier und Jetzt öffnen wir uns für die
leuchtende Klarheit und werden Teil von ihr. Der große Meister Nagarjuna sagt
im berühmten Gesang des Mittleren Weges, dass die große Wahrheit des Lebens
"das gemeinsame Entstehen in Wechselwirkung" ist (pratitya samutpada).
Das ist der Türöffner zur Befreiung und Erleuchtung. Das ist das Prinzip der Zusammenarbeit im Buddhismus, nicht zuletzt bei der gemeinsamen Arbeit an den authentische Texten.
Unser
Körper, Geist und unsere Gefühle erfahren dadurch nach Dôgen eine unerwartete Stärkung durch heilsame Energien, die wir
vorher nicht einmal denken konnten und die sich jäh ereignen. Er zitiert einen alten
Meister:
„Das ganze Universum der zehn
Richtungen ist die leuchtende Klarheit des Selbst.
In der leuchtenden Klarheit dieses
Selbst existiert das ganze Universum der zehn Richtungen.
Im ganzen Universum der zehn Richtungen
gibt es keinen einzigen Menschen, der nicht dieses Selbst ist.“
Was
will der alte Meister damit sagen? Ist das nicht viel zu optimistisch bei all
den Kriegen, Unterdrückungen und Ausbeutungen, die wir erleben müssen? Vom Zen
heißt es doch, dass er klar und nüchtern sei und sich nicht in spirituellen
Märchen und Fantasien verliert. Mich überzeugt Dôgens Text zur leuchtenden Klarheit im Hier
und jetzt, beim Meditieren und Handeln. Wie wird er die Wahrheiten des
Leuchtens herausarbeiten?
Nach
der indischen Lehre haben das Universum und die Welt zehn konkrete
Himmelsrichtungen. Diese werden hier mit dem Selbst in strahlender Klarheit
gleichgesetzt, also ein leuchtendes Selbst in allen Himmelsrichtungen. Das
Selbst ist nicht das abgegrenzte Ich des Egoismus, sondern hat die Trennung von
Subjekt und Objekt überwunden und sich zum ganzen Universum hin geöffnet und
verbunden. Das ist die große heilende Wechselwirkung! Es bildet eine großartige
lebende Einheit. Bei dieser Öffnung entsteht nach dem obigen Zitat die
leuchtende Klarheit, bei Abtrennung und Isolation entsteht sie überhaupt nicht.
Dieses so erlebbares Selbst ist in allen Menschen ausnahmslos vorhanden und
möglich. Aber ganz von allein, ereignet sich natürlich nichts oder nicht viel. Es ist
sinnvoll und wirksam, diese Buddha-Wahrheit in der Praxis und mit Ausdauer zu
erlernen. Man muss dran bleiben, ohne Übertreibungen und kleinkariertem Jammer-Pessimismus.
Wenn man so ausdauernd handelt, entfernt man sich nicht mehr von dieser
Wahrheit. Dôgen sagt hierzu sogar:
„Es gab nur wenige alte Meister, die
die leuchtende Klarheit auf der Grundlage solcher Anstrengungen studiert und
verwirklicht haben.“
Der
Buddhismus wurde früh im ersten und zweiten Jahrhundert nach China gebracht,
allerdings ohne die Praxis des Zazen und des Handelns im Alltag. Dort kam es zu
einigem tief greifenden Wechselwirkungen mit dem bis dahin vorherrschenden
Daoismus. Als Meister Bodhidharma dann Anfang des sechsten Jahrhunderts als
authentischer Dharma-Nachfolger in der direkten Linie von Gautama Buddha nach China kam und den Dharma an seinen eigenen
Schüler Taiso Eka weitergab, war dies
laut Dôgen ein
„historisches Ereignis der leuchtenden
Klarheit der Buddhas und Vorfahren im Dharma. Vorher hatten die Menschen (in China) die
Klarheit der Buddhas und Vorfahren im Dharma weder gesehen noch gehört. Wie
hätten sie ihre eigene leuchtende Klarheit erkennen können?“
Mit
Bodhidharma kam die buddhistische Praxis
nach China, wo bis dahin theoretische und recht abstrakte Lehren vorgeherrscht
hatten, denen nach Dôgen die lebendige
Einheit von Theorie und Praxis fehlte. Die leuchtende Klarheit des Buddhismus
ist genau diese Verschmelzung von theoretischer Lehre und der Praxis des Zazen
sowie des Handelns im Alltag. Die leuchtende Klarheit ist also keine
romantische Vorstellung, kein Wunschdenken und keine Flucht aus der
Wirklichkeit. Dôgen erklärt, dass man
sie sich nicht konkretistisch nur als rotes, weißes, blaues oder vergoldetes Licht
vorstellen solle. Bilder von romantischen oder heroischen Feuern sind genausoÜbertreibungen, die bald verblassen genau so wie Idealisierungen des Wassers.
Selbst der Glanz einer Perle und das Glitzern eines Diamanten bleiben häufig
auf der Ebene der äußeren materiellen Wahrnehmung hängen. Sie können dann nicht
die umfassende leuchtende Klarheit des Buddha-Dharma als Wirklichkeit entstehen
lassen. Dôgen schildert, dass die Buddhas und großen Meister diese Klarheit
praktizieren und erfahren und genau dabei „werden
sie Buddha, sitzen als Buddha und erfahren Buddha.“ Es wird klar, dass Dôgen hier die Einheit der leuchtenden Klarheit, der buddhistischen Praxis und des Handelns in den Mittelpunkt stellt.
Das heißt schlicht und einfach, dass man ohne ein solches Handeln die
leuchtende Klarheit nicht erfahren kann.
Er geht dann auf das Lotos-Sûtra ein, in dem es heißt, dass die vielen Buddha-Länder des
Ostens von der leuchtenden Klarheit erhellt werden. Diese solle man sich aber
nicht nur quantitativ vorstellen. Den Osten, wo die Sonne und das Licht am
Morgen aufgehen, darf man sich nicht nur materiell denken und nicht auf die
äußere Wahrnehmung der Sinne beschränken. Denn der hier gemeinte Osten ist
überall, wo die Buddha-Lehre aufgeht und lebendig ist. Sie existiert vor allem
in uns selbst oder, wie Dôgen es
ausdrückt, „im Inneren des Auges“.
Erinnerst du jetzt an die leuchtenden Augen eines deiner lieben Menschen? Davon
bin ich überzeugt. Vielleicht meint Dôgen genau diese leuchtenden Augen,
vielleicht leuchtete dabei die Buddha-Natur genau in diesem Augenblick auf. Was sagst du?
Dôgen
erzählt die Geschichte eines chinesischen Kaisers der Tang-Dynastie, dem
Reliquien von Gautama Buddha in
seinen Palast gebracht wurden. Diese leuchteten in der Dunkelheit der Nacht und
strahlten deutlich mit ihrem Licht. Das veranlasste viele Untergebene, Höflinge und
Karrieristen bei Hofe zu übertriebenen Lobeshymnen und Gedichten auf den Kaiser. Sie
sagten, dass diese strahlende Klarheit des Gautama
die grenzenlose Tugend des Kaisers bedeuten würde. Es gab jedoch einen klar
denkenden, nicht unterwürfigen Dichter und Zen-Meister, der sich solchen
Schmeicheleien und Wunderglauben nicht anschließen wollte. Er verstand
das große Leuchten tiefer und hatte vermutlich eigene Licht-Erfahrungen, weil
er mit großer Gründlichkeit die Buddha-Lehre studiert und regelmäßig
praktiziert hatte. Er wurde dann zum Kaiser zitiert, der sehr irritiert war, dass er
die leuchtende Klarheit der Reliquien nicht in detr großartigen
Dichter-Sprache besingen würde. Diese Wunder werde doch im ganzen Land gerühmt und
besungen. Der Dichter antwortete ihm:
„Buddhas leuchtende Klarheit ist nicht einfach
eine Farbe wie blau, gelb, rot oder weiß. Dieses hier ist nicht Buddhas
leuchtende Klarheit sondern nur das Licht, das irgendein Drachengott hütet.“
Der
Kaiser war über diese Aussage wenig erfreut und fragte bohrend und sogar
drohend: „Was ist Buddhas Klarheit?“ Der
Schriftsteller erkannte sofort, dass der Kaiser unfähig war, selbst zu
erfahren, was diese große Klarheit Buddhas bedeutet. Er entschied sich trotz
der Gefahren für sich und sein Leben und nicht zu antwortete. Konnte er vielleicht dem mächtige Kaiser daraus für dessen Leben einen neuen Impuls geben? Leider nicht.
Dieses "Schweigen voller Leuchten" wurde ihm als Aufsässigkeit und
Unverschämtheit ausgelegt, sodass er vom Hofe verbannt wurde und seine Karriere
dort beendet war.
Dôgen lobt die Standhaftigkeit und Aufrichtigkeit dieses Menschen, weil er die Unzulänglichkeit von Worten für die wirklich umformenden Kräfte erkannt hatte. Eine positive Wechselwirkung kann nur bei Resonanz und Willen zur gemeinsamen Weiterentwicklung gelingen, auch wenn es die mächtige Sprache eines Dichters ist. Der Zen-Meister konnte die leuchtende Klarheit nicht einem Menschen erklären, der an seichte Wundergeschichten glaubte, die dem Mächtigen von Abhängigen und Untergebenen wohlfeil verabreicht wird.
Nishijima Roshi erklärt diese Leuchten übrigens der Reliquien einfach mit dem Vorgang der Phosphoreszenz. So kann das
beschriebene Phänomen heute physikalisch einfach und natürlich erklärt werden.
Die Helligkeit der Knochen durch die Phosphor-Strahlung kann man keineswegs mit
der leuchtenden Klarheit gleichsetzen. Diese könne man nur erfahren und
durchdringen, wenn man keine Ängste, Vorurteile und keine Eigeninteressen haben. Solche materiellen und politischen Tatsachen bleiben so dürr wie sie sind,
selbst wenn man wunderbar reden kann und die Sûtras des Buddhismus beflissen
und beredt auslegt, als wenn
„Blumen
vom Himmel regnen“. Dôgen sagt weiter:
„Die wirkliche leuchtende Klarheit ist dasselbe wie das Wahre (dieser Welt), also die Wurzeln, Stämme, Zweige, Blätter, Blumen, Früchte und deren Licht und deren Farbe.“ Aber nur wer selbst die leuchtenden Augen hat, kann das sehen und erkennen. Wer Schweine-Augen hat, sieht überall nur Schweine.
Er
fordert uns auf, die Aussagen der großen Meister in allen Einzelheiten zu
untersuchen, zu erfahren und in der Wirklichkeit zu praktizieren. Nur dann verwirklichen
wir die leuchtende Klarheit, diese leuchtende Selbst, das über das Gewöhnliche
und sogar das Heilige hinausgeht. Wenn man die Übungspraxis aber nur als
anstrengendes Hilfsmittel ansieht, um die ersehnte Erleuchtung zu erlangen, trübt
man genau diese leuchtende Klarheit. Dôgen
behandelt diesen fatalen Fehler eingehend mit seiner profunden Erfahrung in den
Kapiteln über die Zazen-Praxis. Diese hatte für ihn persönlich eine ganz große
Bedeutung: Das wahre Selbst ist eins mit dem ganzen Universum. Man kann nicht
zu irgendeinem anderen Ort fliehen, an dem es nach dem eigenen Wunschdenken
viel schöner, paradiesischer und ohne Hemmnisse sei als hier. Warum auch? Die eigenen Probleme
würden mit uns fliehen. Dôgen zitiert
dann Meister Unmon, den Nachfolger
von Meister Seppô, der die Mönche
fragte
„Jeder Mensch existiert vollständig mit
der leuchtenden Klarheit. Wenn er sie gierig sucht, ist sie unsichtbar in der tiefsten
Dunkelheit. Was ist diese leuchtenden Klarheit, die in allen Menschen lebt?“
Da
die vor ihm versammelten Mönche nichts antworteten und wohl auch nicht
antworten konnten, sagte er selbst: „Die
Mönchshalle, die Buddha-Halle, die Küche und die drei Tore." Dôgen schätzt
diese Aussage des alten Meisters sehr, denn sie sei die wahre Buddha-Lehre. Sie
ist keine Spekulation, sondern die Wirklichkeit selbst.
Dann
beschreibt er die obigen Passagen aus der Sicht und Erfahrung der vierten
erwachten Lebensphilosophie der Erleuchtung, die heute von Nishijima
Roshi gelehrt wird. Dôgen stellt mehrere Fragen, die nicht einfach mit linearem Geist zu beantworten sind. Dabei verwendet er zwar auch die Dimension der Vorstellung und des
Denkens, die als Idealismus bezeichnet werden, ohne darin hängen zu bleiben. Auch die Dimension der Formen und materiellen Wahrnehmung, die wir Materialismus nennen, sei viel zu eng. Wichtig sind darüber hinaus das
Handeln sowie die Aufhebung der Trennung von Subjekt und Objekt, also die
Ausschaltung des Dualismus. Diese stellt Meister Vasubanhu in den Mittelpunkt seine
präzisen Analysen das wahren Geistes. Im obigen Beispiel bedeutet dies,
dass der Meister eine lebendige Wechselwirkung des Kloster-Lebens mit seinen Mönchen Wirklichkeit
werden lässt.
Schließlich zitiert Dôgen Meister Seppô, der zu seinen versammelten Mönchen sagte: „Vor der Mönchshalle bin ich euch begegnet.“
Hierzu muss man wissen, dass die Zazen-Halle der damaligen chinesischen Klöster
vor der sogenannten Mönchshalle lag, in der die buddhistischen Texte gelehrt
wurden, also die Theorie und Philosophie Buddhas und der großen Meister. Seppô drückte damit aus, dass er bei der
Zazen-Praxis allen Mönchen begegnet. Dies ist keine allgemeine abstrakte
Aussage, sondern die Wirklichkeit des Augenblicks, genau an dem gemeinsamen Ort.
Sie ist jedoch nicht nur auf das Klostergebäude beschränkt, sondern umfasst
auch die weitere Umgebung, deren Schönheit im ganzen Land gerühmt wurde. Dazu
gehört die Begegnung im schönen Busho-Pavillon und auf dem sanft
geschwungenen Useki-Berg. Dôgen ist der Ansicht, dass es wenig
Sinn macht, mit vielen Worten zu spekulieren, was denn das Schönste sei.
Es ist das Wichtigste, dass alle zusammen und jeweils mit Meister Seppô ihre jeweiligen Aufgaben handelend fortführen. Theorie macht nur mit der Praxis und Erfahrung wirklich Sinn. Dies verwirklicht sich auch in der Zazen-Halle, um dort zu praktizieren. Nach Dôgen verwirklicht sich so die leuchtende Klarheit in diesem Buddha-Land. Wenn Du dann dem anderen begegnest, leuchten seine Augen.