Die wörtliche Übersetzung des japanischen Titels Genjō-kōan lautet „das verwirklichte Gesetz der Welt oder des Universums“,
was Buddha-Lehre oder Buddha-Dharma bedeutet. Durch die Verwirklichung kommt es
zu einer Ganzheit von diesem Gesetz und dem wahren Leben in dieser Welt, sodass
sich die ganze Wirklichkeit voll entfaltet.
Was sagt uns Dōgen, im Einklang mit Buddha in der vollen Tiefe der Bedeutung von Genjō-kōan? Antwort: Dies ist das wahre Gesetz des Menschen, des Lebens und der Natur! Und wie lautet dieses Gesetz? Die Natur und unser Leben werden geprägt durch das gemeinsame Entstehen in Wechselwirkung, pratitya samutpada, ohne Extreme! Wo wurde dieses Lebens-Gesetz von uns in neuer Zeit nachhaltig verletzt? Bei den Ökosysteme unsere Erde mit der Folge der Klima-Katstrophen, der Ausbeutung der Natur und der Isolation des Menschen. Wodurch kam das? Durch das aus dem Ruder geratene Ego, durch Machtgier, Geldgier, Ruhmgier, Hass und den völlig übertriebenen Individualismus! Das musste in die soziale Isolation für viele Menschen führen. Wir hätten rechtzeitig auf Buddha hören sollen!
Wie funktionieren Geist und Gehirn wirklich? Mit Modularität und Plastizität, also veränderlich, lernfähig und im Gleichgewicht. Wie von Buddha und Dōgen gelehrt. Das westlicher Menschenbild war zu statisch und dogmatisch, wie Buddha wusste und die Gehirnforschung heute weiß. Wir sollten umlernen und unser Leben aus einer stabilen Mitte heraus umgestalten! Dann werden wir mit mehr innerer Sicherheit, größerem Glück und mit mehr Freude leben.
Auf dem Buddha-Weg ist es wichtig, dass wir uns sowohl der Vielfalt der
Welt als auch der umfassenden Lehre des Dharma anvertrauen und nicht durch
unnötigen Aktionismus versuchen, die Erleuchtung und Verwirklichung der Wahrheit
mit Gewalt und zum eigenen egoistischen Vorteil zu erreichen. Dies geht auch
aus Buddhas Ausführungen über die Hemmnisse des Erwachens hervor. Aber ohne
stete Bemühung geht es natürlich nicht. Die Täuschungen, die im ersten Satz des
folgenden Dōgen-Zitates angesprochen werden, sollten wir so klar wie möglich
erkennen und sie nicht selbst weiter verstärken und fortsetzen. Dadurch würden
wir uns immer weiter vom Dharma, also von dem wahren Gesetz der Welt, entfernen,
denn es geht im Buddhismus um die Transformation der menschlichen
Persönlichkeit.
Auch Nāgārjunas großes Anliegen ist es, solche Täuschungen und
Ideologien auszuschalten. Selbst mit äußerst geschärften Sinnen, also dem
ganzen Sein von Körper und Geist, ist es unmöglich, die Wirklichkeit und
Wahrheit dieser Welt vollständig zu erkennen. Eine darauf sich stützende
Erfahrung offenbart immer nur eine begrenzte Sicht, ist blind für andere Seiten
und führt leider oft zu Ideologien und sogar Fanatismus.
Im Folgenden möchte ich den ersten zentralen Absatz von Dōgens Kapitel
genauer untersuchen. Dabei wende ich die von Nishijima Roshi entwickelte
Interpretation des Inhalts an, die meines Erachtens sehr stimmig ist. Denn
sonst besteht die Gefahr, sich in Widersprüche zu verstricken.
Widersprüchlichkeit lehnte Dōgen selbst entschieden ab. Er sagte, dass die
Lehre des Buddhismus gerade im Zen niemals unlogisch, paradox und gegen die
Vernunft sei – wer das behaupte, habe den Zen-Buddhismus überhaupt nicht verstanden.
„(1) Wenn alle Dharmas (also Dinge und Phänomene, nur) als
Buddha-Lehre (Idealismus) verstanden werden, dann gibt es Täuschung und
Verwirklichung, gibt es Praxis, gibt es Leben und Tod und gibt es Buddhas und
gewöhnliche Wesen.
(2) Wenn die unzähligen Dharmas nicht vom Selbst
(Materialismus, ohne denkendes Subjekt) sind, gibt es keine Täuschung und keine Verwirklichung, keine Buddhas, keine
(gewöhnlichen) Wesen und kein Leben und keinen Tod (Materie gibt es jedoch immer).
(3) Die Wahrheit des Buddhas übersteigt aber ursprünglich
Überfluss und Knappheit (Bewertungen), und daher gibt es (wirklich) Leben und
Tod, gibt es Täuschung und Verwirklichung, und daher gibt es (gewöhnliche)
Wesen und Buddhas.
(4) Und obgleich dies so ist, fallen nur die Blüten, während sie geliebt werden, und gedeiht das Unkraut, während es ungeliebt ist (und bekämpft wird).“
Aber der Erwachte lebt sein Leben im Gleichgewicht hier und jetzt, er hat das Leiden überwunden und erfährt tiefes Glück.
Zweifellos gehören diese Sätze zum Kern der zenbuddhistischen Lehre, werden aber nicht selten missverstanden oder als unverständlich beiseitegeschoben. Beim genauen Lesen können wir erkennen, dass in diesem Abschnitt verschiedene Sichtweisen oder besser gesagt Lebensphilosophien dargestellt werden.
Im ersten Satz wird ausgedrückt, dass zwischen Täuschung und
Verwirklichung, zwischen Praxis und Handeln, zwischen Leben und Tod und
zwischen Buddhas und gewöhnlichen Menschen unterschieden wird, wenn die Welt
und das Leben auf der Grundlage einer vorgestellten
idealistischen Methode des Denkens verstanden werden. Zu diesem Denken und
diesen Ideen gehören auch die Theorie und Lehre des Buddha-Dharma. Dem liegt
meistens die Vorstellung eines isolierten, denkenden Ich zugrunde. Ich möchte
hier an den ersten und dritten Vers des MMK erinnern, in denen ein isoliertes
unveränderliches Ich klar falsifiziert wird.
Im zweiten Satz wird dagegen eine ganz andere Grundlage und Methode des
Denkens gewählt. Es handelt sich hier um den materialistischen Standpunkt, der
durch die Formulierung „wenn die unzähligen Dharmas alle nicht vom Selbst sind“ gekennzeichnet ist. Das heißt, dass kein
subjektives Denken besteht und scheinbar die objektive Welt erkannt wird. Dann
gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen Täuschung und Verwirklichung,
Buddhas und gewöhnlichen Menschen oder Leben und Tod. Mit anderen Worten: Die
Bedeutungen dieser Begriffe und Gedanken können dann gar nicht erkannt und
verstanden werden, denn aus materialistischer Sicht kann man zum Beispiel nicht
von Täuschung oder Verwirklichung und von Buddhas oder gewöhnlichen Menschen
sprechen. Die materielle Sicht erkennt nur das wahrgenommene Äußere an und
kennt keine spirituellen oder geistigen Inhalte.
Die materielle Sichtweise entspricht weitgehend dem Verständnis der
westlichen Naturwissenschaft und Technik. Allerdings ist bekannt, dass Albert
Einstein, der wohl größte Physiker des vergangenen Jahrhunderts, ein religiöser
Mensch war und die Grenzen eines materiellen Verständnisses der Welt klar
erkannt, formuliert und überwunden hat. Für die ebenfalls überragenden Physiker,
Max Planck und Werner Heisenberg, gilt Ähnliches. Wir können daher feststellen,
dass ein rein materialistisches Weltbild auch in der modernen Naturwissenschaft
seit mehr als einem Jahrhundert überholt ist. Naturwissenschaft kann immer nur
eine Teilwirklichkeit erforschen. Auch der Sozialwissenschaftler Niklas Luhmann
erklärte, dass die Welt von unendlicher Komplexität sei und mahnt uns damit zur
geistigen Bescheidenheit. Ein rein materielles Weltbild muss daher in der Tat
als naiv und oberflächlich bezeichnet werden. Ein glückliches Leben ist im
Materialismus nicht zu erreichen.
Der erste und zweite Satz im obigen Zitat geben demnach die
Weltanschauungen und Sichtweisen des subjektbezogenen
Idealismus und des objektbezogenen Materialismus wieder. Beide fallen in die Gruppe intellektueller,
verstandesmäßiger Philosophien der Teilwahrheiten und werden auch von Nāgārjuna
eindeutig abgelehnt. Sie sind etwas grundsätzlich anderes als die praktischen,
unmittelbaren und daher wahren Dimensionen der Wirklichkeit, die Gegenstand des
dritten und vierten Satzes sind.
Im dritten Satz wird die umfassende Buddha-Wahrheit beschrieben und die
Lebenspraxis dargestellt, die über Theorie, intellektuelles Denken und
Bewertungen hinausgeht. Sie ist die wahre Wirklichkeit, die uns Befreiung geben
kann.
Im vierten Satz sagt Dōgen, dass wir nicht in einer idealen Welt wie in
einem Paradies oder im Nirvāna leben, sondern dass wir es mit fallenden Blüten
und wucherndem Unkraut zu tun haben, aber dass wir uns davon nicht entmutigen
lassen sollen, da wir im Besitz der Buddha-Wahrheit und der Übungspraxis sind.
An den Blüten können wir uns erfreuen, solange sie blühen: im Hier und Jetzt.
Und Unkraut müssen wir bekämpfen, um nicht Hunger zu leiden.
Mit diesen Formulierungen werden keine starren Ding-Einheiten oder
Entitäten, sondern Abläufe, Vorgänge und Prozesse beschrieben, so wie sie in der
Wirklichkeit geschehen. Dōgen betont an anderer Stelle, dass insbesondere
unsere Vorstellungen und vor allem unsere Bewertungen oft statisch und dauerhaft sind und dass wir diese häufig mit der
Wirklichkeit verwechseln. Wenn wir das erkennen und im Leben verwirklichen,
erwachen wir im Sinne von Gautama Buddha.
Dann geht Dōgen auf das für ihn so wichtige Handeln des Menschen ein und erklärt, dass wir uns bei Zielen, die
dem Eigennutz dienen, selbst in Täuschungen und Illusionen verfangen. Wenn
dagegen die zehntausend Dharmas dieser Welt uns aktiv und in Wechselwirkung zum
Tun und Handeln bringen, wir also ohne Gier nach Ruhm oder Profit und ohne Neid
so handeln, wie es die Situation erfordert, ist dies Erwachen. Dies sind auch
Kernaussagen zur richtigen Zazen-Praxis, die nicht mit der Gier nach
Erleuchtung, also fragwürdigen Konzepten und Ideologien, belastet und verzerrt
werden darf. Anschließend erläutert Dōgen den Weg der Wahrheit wie folgt:
„Buddhas Wahrheit zu erlernen bedeutet, uns selbst zu
erlernen. Uns selbst zu erlernen bedeutet, uns zu vergessen. Uns zu vergessen bedeutet,
von den vielen, vielen Dharmas der Wahrheit erfahren zu werden. Von den vielen,
vielen Dharmas erfahren zu werden bedeutet, unseren eigenen Körper und
(denkenden) Geist und den Körper und Geist der äußeren Welt fallen zu lassen.“
Wir müssen uns also auf dem Buddha-Weg von vorgefassten, eingefahrenen
und erstarrten Gedanken, Vorstellungen und Gefühlen befreien, um offen für eine
neue Entwicklung und Wahrheit zu
sein. Dabei ist es notwendig, sich für die Vielfalt der Welt zu öffnen und sie
zu erfahren. Weiterhin ist es wesentlich, sich von der Fixierung auf den subjektiven
Körper und den subjektiv denkenden Geist, also dem vorgestellten Ich, zu
befreien und, wie Dōgen sagt, „Körper und (denkenden) Geist fallen zu lassen“.
Wir können uns also nur dann wirklich selbst erkennen, wenn wir unser altes Ich
vergessen: „Zen-Geist ist Anfänger-Geist“, nannte das Meister Shunryu Suzuki.
Wir müssen auch die sogenannte objektive Welt des Äußeren und des Körpers
sowie den eigenen ruhelosen Geist „fallen lassen“. Im Sinne von Nishijima Roshi
bedeutet dies nichts anderes, als sich von den Lebensphilosophien und
Lebensdimensionen des einseitigen Idealismus oder Materialismus zu trennen und
sich von den damit verbundenen beengten Vorstellungen und erstarrten
Gedankenkonstrukten zu befreien. Solche Erstarrungen der buddhistischen Lehre
möchte auch Nāgārjuna im MMK identifizieren und falsifizieren.
Die meisten Menschen haben eine mehr oder minder feste Vorstellung von
einem unveränderlichen eigenen Ich
oder Selbst, das sich zwar im Lauf des Lebens in gewissem Umfang äußerlich
verändert und vielleicht auch weiterentwickelt, das aber doch einen konstanten Ich-Kern besitzt. Gautama
Buddha hat in aller Klarheit darauf hingewiesen, dass dies ein Irrtum und eine
uns vielleicht lieb gewordene Illusion ist und unsere Weiterentwicklung und
Befreiung verhindert.
Dōgen erläutert diesen Zusammenhang durch ein Gleichnis: Wenn man in
einem Boot sitzt, auf dem Meer fährt und dabei nur das ferne Ufer und Land
beobachtet, denkt man, dass man selbst unverändert an einer Stelle auf dem Meer
sitzt und sich das Land, also die Außenwelt,
bewegt. In diesem Sinne glauben wir an ein feststehendes und dauerhaftes Ich.
Wenn wir im Boot jedoch nach unten schauen, also die Bootskante und direkt das
durchfahrene Wasser ansehen, stellen
wir fest, dass wir uns selbst bewegen
und das Land und die Küste ruhig daliegen. In ähnlicher Weise ist es Meister
Dōgen zufolge ein grundsätzliches Missverständnis, dass der Körper und denkende
Geist, also das Ich, dauerhaft und unvergänglich sind und sich nur die Umgebung
verändert oder – zum Beispiel aus ideologischer Perspektive – verändern muss.
Wenn wir dagegen die Illusion eines statischen und „dinghaften“ Ich aufgeben
und das Handeln im Augenblick in den Mittelpunkt unseres Lebens stellen, können
wir unmittelbar in der Wirklichkeit und Wahrheit leben. Darin sind sich Buddha,
Nāgārjuna und Dōgen einig.
In einem weiteren Gleichnis bittet uns Dōgen, unter Berücksichtigung der
Wechselwirkung die verschiedenen Dinge, Phänomene und Zustände in dieser Welt
ganz genau und im Detail zu beobachten: Wenn das Feuerholz zu Asche verbrannt ist,
sind Feuerholz und Asche zwei verschiedene Zustände, die im Hier und Jetzt
jeweils unabhängig voneinander da sind, obgleich wir sie durch unser
Denkvermögen meistens unbemerkt und automatisch verbinden. Diese Verbindung
darf unseren Geist aber nicht blind für die Gegenwart machen, denn sie ist in
der jetzigen Wirklichkeit nicht zu beobachten, sondern nur in der Vorstellung
vorhanden. Dies ergibt wiederum die Anfälligkeit für Ideologien und
Scheinursachen. In der Wirklichkeit kann sich die Asche niemals wieder zurück
in das Feuerholz verwandeln. Das Feuerholz und die Asche haben damit je ihren
eigenen Platz in der Welt und im Dharma. Sie sind nicht total gleich und nicht
total verschieden.
Ähnlich ist es beim Menschen: Das Leben und der Tod sind jeweils eigenständig,
und nach dem Tod kann sich das Leben nicht wieder in sich zurückverwandeln. In
der wahren Sichtweise des kurzen Augenblicks bei Prozessen der Gegenwart gibt
es damit eigentlich kein Entstehen und Vergehen, aber es gibt den so wichtigen
Impuls zu Veränderungen, zur Suche nach der Wahrheit und zur Freiheit. Die
Umstände existieren je für sich und offenbaren dann den wahren Dharma und die
Wahrheit. Für einen solchen Zustand der Wahrheit oder Erleuchtung verwendet
Dōgen das im Buddhismus häufige Bild des Mondes:
„Ein Mensch, der Verwirklichung erlangt, ist wie der Mond,
der sich im Wasser spiegelt und verweilt: Der Mond wird nicht nass, und das
Wasser wird nicht zerteilt. Obgleich das Licht (des Mondes) weit und groß ist,
verweilt es in einer (kleinen) Fläche von einem Fuß oder einigen Zentimetern
(der Breite und Länge). Der ganze Mond und der ganze Himmel verweilen sich in
einem Tautropfen auf einem Grashalm und in einem einzigen Wassertropfen.“
Dieses poetische Bild des sich spiegelnden und verweilenden Mondes macht
deutlich, dass es in der Wirklichkeit keine gegenseitigen Behinderungen,
Einengungen oder Verkrampfungen gibt, sondern wahre Wechselwirkungen.
Am Beispiel der Fische im Wasser und der Vögel in der Luft erläutert
Dōgen dann, dass jedes Lebewesen seinen eigenen Platz, seinen Lebensraum, sein Handeln, seine Verwirklichung und seine Wahrheit in der Welt hat. Wenn ein Fisch
das Wasser verlässt, also falsch handelt, muss er sterben, und wenn ein Vogel
vom Himmel auf die Erde herunterfällt, stirbt er ebenfalls. Wenn der Fisch und
der Vogel in ihrem angestammten Element leben und handeln, haben sie ihren
richtigen Platz in der Welt und im Dharma.
Schon Gautama Buddha wies darauf hin, wie vielfältig die jeweiligen
Sichtweisen in der Welt sind: Der Ozean ist für die Fische ein Palast, für die
Götter eine Perlenkette. Der Buddha-Weg bedeutet, dass wir aus dem Staub und
Dunst des sogenannten normalen Lebens hinaustreten, sodass die üblichen
räumlichen oder psychischen Grenzen und Hindernisse nicht mehr bestehen. Dōgen
sagt weiter:
„So können wir das Wasser als Leben verstehen und den Himmel
als Leben verstehen. Vögel sind Leben, und Fische sind Leben. Es mag wohl sein,
dass Vögel und Fische Leben sind. Und jenseits dessen mag es immer noch eine
Weiterentwicklung geben. Genau so ist es mit unserer Praxis-und-Erfahrung, mit
(unserer) Lebenszeit und unserem Leben.“
Wenn wir so unseren Platz finden,
ist dieses Handeln ohne jeden Zweifel die Welt und das Universum selbst. Weiter
heißt es:
„Wenn ein Mensch in diesem Zustand Buddhas Wahrheit praktiziert
und erfährt, erlangt er einen Dharma und durchdringt einen Dharma, und er
begegnet dem Handeln und vollzieht das Handeln. In diesem Zustand existiert der
Ort und wird der Weg gemeistert, und daher ist der zu erkennende Bereich nicht
(unbedingt für den verengten Verstand) offensichtlich.“
Am Ende dieses wichtigen
Kapitels gibt Dōgen eine Kōan-Geschichte wieder: Ein Meister fächelt sich zur
Kühlung Luft zu, weil es heiß ist, als ein Mönch vorbeikommt und offensichtlich
eine intelligente Bemerkung anbringen will: Er sagt, die Luft habe die allgemeine Eigenschaft, überall anwesend
zu sein. Das ist philosophisch betrachtet eine ontologische Aussage. Aber
welche Relevanz hat sie in dieser konkreten Situation? Dem Meister ist sofort
klar, dass der Mönch abstrakten allgemeinen Gedankengängen verhaftet und nicht
offen für das praktische und konkrete Hier und Jetzt ist. Er ist sicher tief
von seiner eigenen großartigen Intelligenz und seinem Wissen über die
Buddha-Lehre überzeugt und glaubt, dass sein Denken und Reden ihn schon nahe an
die wunderbaren Früchte der Erleuchtung herangeführt hätten, die Früchte, die
er schon fast greifen könnte. Dazu sucht er die Bestätigung durch den Meister.
Aber er unterliegt einem großen Irrtum. Auf die folgende Frage dieses Mönchs,
warum sich der Meister denn die Luft zufächle, antwortet dieser daher einfach,
es gebe in der Tat keinen Ort in der Welt, an dem keine Luft vorhanden sei –
inhaltlich also genau die gleiche ontologische Aussage, die der Mönch vorher verkündet
hatte. Durch diese eigentlich logisch überflüssige Wiederholung wird dem Mönch
jedoch schlagartig klar, dass allgemeine theoretische Kenntnisse auch der
Buddha-Lehre und angelernte sogenannte Weisheiten etwas ganz anderes als die
Wirklichkeit selbst sind, die man unmittelbar erlebt und erfährt. Wenn einem zu
heiß ist, kann man sich durch den Fächer direkt Kühlung verschaffen und erfährt
direkt die kühlende Luft, und das genau ist die Wirklichkeit. Daher setzt der
Meister die Unterhaltung mit dem Mönch nicht fort, sondern fächelt sich einfach
weiter die kühlende Luft zu. Durch dieses Handeln
des Meisters gelangt der Mönch von allgemeinen und abstrakten Ideen und
seinem angelernten Wissen unmittelbar zur Wirklichkeit des Hier und Jetzt, es
fällt ihm wie Schuppen von den Augen und vom Geist: Sein Körper-und-Geist erfahren
eine ganz neue, frische Kraft. Dies ist das verwirklichte Leben und Universum –
über Ideen, Ideologien und materielle Dinge hinaus.
[i] Dōgen: Shōbōgenzō. Die Schatzkammer des wahren
Dharma-Auges (deutsche Übersetzung), Bd. 1, S. 57ff.