Montag, 21. Dezember 2020

Meister Dogen: Das verwirklichte Leben und Universum

 


 Die wörtliche Übersetzung der japanischen Bezeichnung Genjō-kōan bedeutet das „verwirklichtes Gesetz der Welt oder des Universums“, also die Buddha-Lehre oder der Dharma. Durch die Verwirklichung kommt es zu einer kraftvollen Wechselwirkung zwischen diesem wahren Gesetz und dem wahren Leben in dieser Welt. Dann kann sich die ganze umfassende Wirklichkeit voll und lebendig entwickeln. Dann ereignen sich das Erwachen und die Erleuchtung, manchmal jäh und nicht erwartet. Denn Erwachen und Erleuchtung sind keine leeren Begriffe sondern die Fülle des Lebens, nicht zuletzt wenn wir uns von unheilsamen Ideologien, Vorurteilen, Fanatismus und Rassismus befreit und entleert haben. Denn die wahre Wirklichkeit ist leer von Dogmen und den daraus entstehenden dramatischen Verirrungen der Unmenschlichkeit und ideologisch total überzogenen Extremen. Diese sind bekanntlich typisch für die NS-Ideologie und die ins Extrem getrieben Religionen. Dieses Kapitel gehört zweifellos zu den wichtigsten des Shōbōgenzō von Meister Dōgen. Es stand daher in einer kürzeren Fassung von fünfundsiebzig Kapiteln ganz am Anfang.

Dôgen sagt unmissverständlich, dass es auf dem Buddha-Weg wichtig ist, uns sowohl der Vielfalt der Welt als auch der Lehre des Dharma anzuvertrauen. Es ist sinnlos durch bertriebsamen Aktionismus zu versuchen, die egoistische Erleuchtung und Verwirklichung mit Gewalt und zum eigenen Vorteil zu erreichen. Aber ohne jede Anstrengung geht es natürlich nicht. Die Täuschungen, die im ersten Satz des folgenden Zitates aus dem Shōbōgenzō angesprochen werden, sollten wir nach Dōgen so klar wie möglich erkennen und sie nicht innerhalb der Täuschungen selbst weiter zu verstärken und fortzusetzen. Dadurch würden wir uns immer weiter vom Dharma, also von dem wahren Gesetz der Welt, entfernen und isolieren. Dann würde sich die wunderbare Blume des Dharma ohne uns drehen und wir schließen uns dadurch selbst aus, wie Meister Dakain Eno (Hui Neng) sagt.

Selbst mit äußerst geschärften Sinnen, also dem ganzen Können von Körper und Geist, sei es unmöglich, die Wirklichkeit und Wahrheit dieser Welt vollständig bis ins Letzte zu erkennen. Eine darauf gestützte Erfahrung würde immer nur eine begrenzte Sicht offenbaren und wäre blind für andere Seiten der Welt und des Menschen. Denn unser Geist kann nicht vollständig erfasst werde und ist überhaupt nicht zum Erwachen nötig. Allerdings glauben manche Intellektuelle so etwas tatsächlich.

Ich möchte jetzt den ersten zentralen Absatz dieses Kapitels genauer untersuchen. Ich stütze mich dabei auf die von Nishijima Roshi entwickelte Interpretation, denn sonst läuft man Gefahr, sich in Widersprüche zu verstricken. Widersprüchlichkeit und Paradoxien lehnt Dōgen selbst entschieden ab, denn man leiden im Vulgär-Zen manchmal findet. Er sagt nämlich, dass die Lehre des Buddhismus gerade im Zen niemals unlogisch, vordergründig, paradox und gegen die Vernunft sei. Wer das behaupten würde, habe den Zen-Buddhismus überhaupt nicht verstanden.

Der erste Absatz dieses Kapitels lautet wie folgt:

(1) „Wenn alle Dharmas (Dinge und Phänomene) als Buddha-Dharma (Theorie) verstanden werden, dann gibt es Täuschung und Verwirklichung, gibt es Praxis, gibt es Leben und Tod und gibt es (Theorie-)Buddhas und gewöhnliche Wesen.

(2) Wenn die unzähligen Dharmas nicht vom Selbst (ohne Geist. also materiell) sind, gibt es keine Täuschung und keine Verwirklichung, keine Buddhas und keine (gewöhnlichen) Wesen und kein Leben und keinen Tod.

(3) Die Wahrheit des Buddhas übersteigt ursprünglich (geglaubten) Überfluss und Knappheit, und daher gibt es (wirklich) Leben und Tod, gibt es Täuschung und Verwirklichung und gibt es gewöhnliche Wesen und Buddhas.

(4) Und obgleich dies so ist, fallen die romantisierten Blüten nur, wenn sie übertrieben geliebt werden, und gedeiht das abgelehnte Unkraut nur, wenn es übertrieben gehasst ist.“

Was will uns Meister Dōgen mit diesen überaus wichtigen, aber nicht gerade einfach zu verstehenden Sätzen sagen? Zweifellos gehören sie zum Kern der zen-buddhistischen Lehre überhaupt. Aber in der Literatur werden sie manchmal missverstanden oder als unverständlich und paradox beiseite geschoben.

Beim genauen Lesen der drei ersten Sätze können wir erkennen, dass in diesem Abschnitt drei verschiedene Sichtweisen oder besser gesagt Lebensphilosophien beschrieben werden. Im ersten Satz wird gesagt, dass zwischen Täuschung und Verwirklichung, zwischen Praxis und Handeln, zwischen Leben und Tod und zwischen Buddhas und gewöhnlichen Menschen theoretische unterschieden wird. Das gilt, wenn die Welt und das Leben auf der Grundlage einer idealistischen Methode des Denkens verstanden werden. Zu diesem Denken und diesen Ideen gehören auch die Theorie und Lehre des Buddha-Dharma. Dem liegt meistens die Vorstellung eines getrennten, denkenden isolierten Ich zugrunde. Meister Vasubandhu nennt das Fabrikation.

Im zweiten Satz wird dagegen eine andere Grundlage und Methode des Denkens gewählt. Es handelt sich hier um den materialistischen Standpunkt ohne den menschlichen Geist. Er wird durch die äußeren Dinge und Phänomene determiniert, die als naive Wirklichkeit verstanden werden, also unreflektiert und zu simpel. Die Weltanschauung ist durch die Formulierung gekennzeichnet, „wenn die unzähligen Dharmas alle nicht vom Selbst (des Geistes) sind“, also kein subjektives Denken besteht und scheinbar die objektive Welt erkannt wird. Vasubandhu spricht von der Determination durch das Fremde. Dann gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen Täuschung und Verwirklichung, Buddhas und gewöhnlichen Menschen oder Leben und Tod. Der Geist des Menschen hat dann keine Wechselwirkung. Mit anderen Worten: Die Bedeutungen dieser Begriffe und Gedanken können gar nicht erkannt und verstanden werden. Denn aus materialistischer Sicht kann man zum Beispiel nicht von Täuschung oder Verwirklichung, von Buddhas und gewöhnlichen Menschen usw. sprechen. Die materielle Sicht erkennt nur das angeblich wahrgenommene Äußere an und kennt keine spirituelle oder geistige Tiefe. Dies entspricht weitgehend dem Verständnis des westlichen Materialismus und zum Teil der Naturwissenschaft und Technik.

Allerdings ist bekannt, dass Albert Einstein, der wohl größte Physiker des vergangenen Jahrhunderts, ein religiöser Mensch war und die Grenzen eines materiellen Verständnisses der Welt klar erkannt und formuliert hat. Für die ebenfalls überragenden Physiker, Max Planck und Werner Heisenberg, gilt Ähnliches. Wir können daher feststellen, dass ein nur materialistisches Weltbild auch in der modernen Naturwissenschaft seit mehr als einem Jahrhundert überholt ist. Der Sozialwissenschaftler Niklas Luhmann erklärt zu Recht, dass die Welt von unendlicher Komplexität sei und mahnt uns damit zur intellektuellen Bescheidenheit. Dôgen sagt dazu: Der Geist kann nicht vollständig erfasst werden. Ein nur materielles Weltbild muss daher in der Tat als naiv und oberflächlich bezeichnet werden.

Der erste und zweite Satz im obigen Zitat geben demnach nach Nishijima Roshi die Weltanschauungen und Sichtweisen des Idealismus und Materialismus wieder. Beide fallen in die Gruppe intellektueller Philosophien und sind phänomenologisch weitgehend leer. Diese intellektuellen Weltanschauungen und Philosophien sind etwas grundsätzlich anderes als die praktischen und wahren Dimensionen der Wirklichkeit des dritten Satzes.

Im dritten Satz wird die umfassende Buddha-Wahrheit beschrieben und die Lebenspraxis dargestellt, die über Theorie, Denken und Bewertungen hinausgeht. Sie ist die wahre Wirklichkeit und wird im Folgenden weiter ausgeführt.

Im vierten Satz sagt uns Dōgen, dass wir nicht in einer idealen Welt wie in einem Paradies leben, sondern dass wir es mit fallenden Blüten und wucherndem Unkraut zu tun haben. Aber wir sollen uns davon nicht entmutigen lassen sollen, da wir die Buddha-Wahrheit und der Übungspraxis verwirklichen können. Aber alle Extreme sind schädlich, vor allen übertriebene Gefühle. Aber die Befreiung gibt es wirklich, selbst wenn Pessimisten und Nihilisten das ideologisch bestreiten, auch um sich eventuell als klug und reflektiert darzustellen.

Mit diesen Formulierungen werden nicht starre Einheiten oder isolierte Entitäten sondern Abläufe, Prozesse und Vorgänge beschrieben, so wie sie in der Wirklichkeit geschehen. Nagarjuna legt dabei besonderen Wert auf die Interaktionen und Vernetzungen, die wir heute von den Ökosystemen und dem Gehirn genauer kennen. Dōgen betont an anderer Stelle, dass besonders unsere Vorstellungen und vor allem unsere Bewertungen oft zu statisch und dauerhaft sind und dass wir diese häufig mit der Wirklichkeit verwechseln. Wenn wir das erkennen und verwirklichen, erwachen wir im Sinne von Gautama Buddha. Denn Veränderungen sind für die Überwindung des Leidens und das Erwachen aus unbewusster Dumpfheit unbedingt nötig.

Dann geht Dōgen auf das für ihn so wichtige Handeln des Menschen ein. Er sagt, dass wir bei Zielen, die dem egoistischen Eigennutz dienen, uns selbst in Täuschungen und Illusionen verfangen. Wenn dagegen die zehntausend Dharmas dieser Welt uns aktiv zum Tun und Handeln bringen, wir also ohne eigene Gier nach Ruhm oder Profit so handeln, wie es die Situation erfordert, ist dies Erwachen. Dies ist also eine Beschreibung des Bodhisattva-Handelns in Wechselwirkung und ohne Ich-Dominanz. Dies sind auch Kernaussagen zur richtigen Zazen-Praxis, die nicht mit der Gier nach Erleuchtung belastet und verzerrt werden darf.

Anschließend wird der Dharma-Weg klar, direkt und für mich überzeugend erläutert. Dies ist ein berühmtes Zitat:

„Buddhas Wahrheit zu erlernen ist, uns selbst zu erlernen. Uns selbst zu erlernen ist, uns zu vergessen. Uns zu vergessen ist, von den vielen, vielen Dharmas erfahren zu werden. Von den vielen, vielen Dharmas erfahren zu werden ist, unseren eigenen Körper und (abgehobenen) Geist und den Körper und Geist der äußeren Welt fallen zu lassen.“

Wir müssen uns also auf dem Buddha-Weg von vorgefassten, eingefahrenen und verhärtenden Gedanken, Vorstellungen und Gefühlen befreien, um offen für die neue Entwicklung und Wahrheit Buddhas zu sein. Dabei ist es notwendig, sich für die Vielfalt der Welt zu öffnen und sie zu erfahren, also die fatale Trennung von Subjekt und Objekt wegzulassen: Es ist notwendig, sich von der Fixierung auf den subjektiven Körper und denkenden abgehobenen Geist, also dem kleinen Ich, zu befreien. Dōgen sagt, „Körper und Geist fallen lassen“. Wir können uns also nur selbst wirklich erkennen, wenn wir unser altes kleines und oft dogmatisiertes Ich vergessen: „Zen-Geist ist Anfänger-Geist“, nannte das Meister Shunryu Suzuki.

Wir müssen auch die sogenannte objektive Welt des Äußeren und des Körpers sowie den eigenen ruhelosen Geist „fallen lassen“. Im Sinne von Nishijima Roshi bedeutet dies nichts anderes, als sich von den Lebensphilosophien des verengten Idealismus oder Materialismus zu trennen. Damit befreien wir uns von fixierten Vorstellungen und Gedankenkonstrukten. Wir sollten uns nicht in der einseitigen Welt der simplen Wahrnehmungen und in deren vordergründigen Genüssen verlieren.

Die meisten Menschen haben sicher eine ziemlich feste Vorstellung von einem unveränderlichen eigenen Ich, das sich zwar im Laufe des Lebens in gewissem Umfang verändert und vielleicht auch weiterentwickelt, das aber doch einen konstanten Ich-Kern besitzt. Nach dem Motto:" So bin ich nun mal". Gautama Buddha hat in aller Klarheit darauf hingewiesen, dass dies ein Irrtum und eine uns vielleicht vertraute Illusion ist. Aber meistens schadet uns gerade eine solche Fixierung.

Dōgen erläutert diesen Zusammenhang durch ein Gleichnis des Segelns: Wenn man in einem Boot sitzt, auf dem Meer fährt und dabei nur das ferne Ufer und Land beobachtet, denkt man, dass man selbst still steht und sich das Land bewegt, also die Außenwelt. In diesem Sinne glauben wir an ein feststehendes und dauerhaftes Ich. Wenn wir im Boot jedoch nach unten schauen, also die Bootskante und direkt das durchfahrene Wasser ansehen, stellen wir eideutig fest, dass wir uns selbst bewegen und das Land und die Küste ruhig und unbeweglich daliegen. In ähnlicher Weise ist es Meister Dōgen zufolge ein grundsätzliches Missverständnis, dass der Körper und denkende Geist dauerhaft und unvergänglich sind und sich nur die Umgebung verändert oder verändern muss. Wenn wir dagegen die Illusion eines statischen und „dinghaften“ Ichs aufgeben und das Handeln im Augenblick in den Mittelpunkt stellen, können wir unmittelbar in der Wirklichkeit und Wahrheit leben. Diese buddhistische Lehre und Erfahrung ist vielleicht verblüffend kann aber im praktischen Leben eine große Kraft entfalten. Und wir gewinnen dabei Zutrauen zu uns selbst.

In einem weiteren Gleichnis erläutert Dōgen die momenthafte große Bedeutung der verschiedenen Dinge, Phänomene und Zustände in dieser Welt: Wenn das Feuerholz zu Asche verbrannt ist, sind Feuerholz und Asche zwei verschiedene Realitäten, die im Hier und Jetzt jeweils da sind. Allerdings werden sie durch unser Denkvermögen meistens unbemerkt und automatisch verbunden. Diese Verbindung ist aber in der Wirklichkeit auf diese Weise gar nicht vorhanden. In der Wirklichkeit kann sich die Asche niemals wieder zurück in das Feuerholz verwandeln. Das Feuerholz und die Asche haben damit je ihren eigenen Platz in der Welt und im Dharma. Sie sind jeweilige Wirklichkeiten in der Zeit.

Ähnlich ist es beim Menschen: Das Leben und der Tod sind jeweilige Wirklichkeiten, und nach dem Tod kann sich das Leben nicht wieder zurückverwandeln. In der wahren Sichtweise des kurzen Augenblicks gibt es die Zustände je für sich und sie offenbaren dann den Dharma und die Wahrheit. Und wir erleben und erfahren genau die großartige Wirklichkeit dieser Welt.

Für einen solchen Zustand der Wahrheit oder Erleuchtung verwendet Dōgen das im Buddhismus häufige Bild des Mondes:

„Ein Mensch, der Verwirklichung erlangt, ist wie Mond, der sich im Wasser spiegelt und so verweilt: Der Mond wird nicht nass, und das Wasser wird nicht zerteilt. Obgleich das Licht (des Mondes) weit und groß ist, verweilt es in einer (kleinen) Fläche von einem Fuß oder einigen Zentimetern. Der ganze Mond und der ganze Himmel verweilen in einem Tautropfen auf einem Grashalm und in einem einzigen Wassertropfen.“

Dieses poetische Bild des sich spiegelnden und verweilenden Mondes macht deutlich, dass es in der Wirklichkeit keine gegenseitigen Fixierungen, Einengungen oder Verkrampfungen gibt. Solche Verengungen entstehen vor allem durch Ideologien und Vorurteile. Dabei sollten wir nach Dōgen vom jetzigen Augenblick ausgehen und gleichzeitig darüber nachsinnen, wie lang oder wie kurz ein Augenblick wohl ist. Weiterhin können wir fragen, wie eng oder wie breit wohl der Himmel und der Mond sind.

Am Beispiel der Fische im Wasser und der Vögel in der Luft erläutert Dōgen, dass jedes Lebewesen seinen eigenen Platz, seinen Lebensraum, sein Handeln, seine Verwirklichung und seine Wahrheit in der Welt hat. Wenn ein Fisch das Wasser verlässt, muss er sterben, und wenn ein Vogel vom Himmel auf die Erde herunterfällt, stirbt er ebenfalls. Wenn der Fisch und der Vogel in ihrem angestammten Element bleiben, haben sie ihren richtigen Platz in der Welt und im Dharma.

Schon Gautama Buddha wies darauf hin, wie vielfältig die jeweiligen Sichtweisen und Verständnismöglichkeiten der Welt sind: Der Ozean ist für die Fische ein Palast, für die Götter eine Perlenkette und für Dämonen Eiter. Der Buddha-Weg bedeutet, dass wir aus dem Staub und Dunst des sogenannten normalen Lebens hinaustreten, so dass die üblichen fixierten räumlichen oder psychischen Grenzen und Hindernisse nicht mehr bestehen. Dōgen sagt weiter:

„So können wir das Wasser als Leben und den Himmel als Leben verstehen. Vögel sind Leben, und Fische sind Leben. Es mag wohl so sein, dass Vögel und Fische Leben sind. Und jenseits dessen mag es immer noch eine Weiterentwicklung geben. Genau so ist es mit unserer Praxis-und-Erfahrung, mit (unserer) Lebenszeit und unserem Leben.“

Wenn wir so unseren Platz im Leben finden, ist dieses Handeln ohne jeden Zweifel die Welt und das Universum selbst.

Weiter heißt es bei Dôgen:

„Wenn ein Mensch in diesem Zustand Buddhas Wahrheit praktiziert und erfährt, erlangt er einen Dharma und durchdringt einen Dharma und er begegnet dem Handeln und vollzieht das Handeln. In diesem Zustand existiert der Ort und wird der Weg gemeistert, und doch ist der zu erkennende Bereich nicht (unbedingt) offensichtlich.“

Zur Abrundung dieses wichtigen Kapitels gibt Dōgen eine verblüffende Kōan-Geschichte wieder: Ein Meister fächelt sich zur Kühlung Luft zu, weil es heiß ist. Dann kommt  ein Mönch vorbei und will offensichtlich eine intelligente Bemerkung anbringen: Er sagt, die Luft habe allgemein die unveränderliche Eigenschaft, dass sie überall anwesend sei. Dem Meister ist sofort klar, dass der Mönch in abstrakten allgemeinen Gedankengängen verhaftet und nicht offen für das praktische und konkrete Hier und Jetzt. Er kommt also mit abstrakten unveränderlichen Schein-Wahrheiten daher. Sicher ist er tief von seiner eigenen großartigen Intelligenz und seinem absoluten Wissen der Buddha-Lehre überzeugt. Auf die folgende Frage dieses Mönchs, warum sich der Meister denn die Luft zufächle, antwortet dieser daher einfach, es gebe in der Tat keinen Ort in der Welt, an dem keine Luft vorhanden sei. Inhaltlich ist das also genau dieselbe Aussage, die der Mönch vorher verkündet hatte. Und der Meister fächelt sich weiter die Luft zu, weil es heiß ist. In der Kōan-Geschichte wird dem Mönch durch diese eigentlich logisch überflüssige Wiederholung jedoch schlagartig klar, dass allgemeine theoretische Kenntnisse und absolute sogenannte Weisheiten etwas ganz anderes sind als die Wirklichkeit selbst sind, die man unmittelbar erlebt und erfährt. Wenn uns zu heiß ist, sollten wir uns durch den Fächer direkt Kühlung verschaffen. Dann erleben wir unmittelbar die angenehme Kühlung der Luft! Und das genau ist die Wirklichkeit.

Daher setzt der Meister die Unterhaltung mit dem Mönch nicht fort, sondern fächelt sich einfach weiter die kühlende Luft zu. Durch diese unmittelbare Erfahrung des Handelns gelangt der Mönch von abgehobenen abstrakten Ideen und seinem dogmatisierten angeblichen Wissen unmittelbar zur Wirklichkeit des Hier und Jetzt. So fiel es dem Mönch durch das Handeln des Meisters wie Schuppen von den Augen und sein Körper und Geist erfuhren sicher eine ganz neue frische Kraft. Dies ist das verwirklichte Leben und Universum. So ist die Wahrheit des Lebens.