Auch im Buddhismus gibt es fantastische Geschichten von übernatürlichen Kräften; das sich zum Beispiel Heilige in die Lüfte erheben oder von einem Ort zum anderen fliegen. Sie machen sich plötzlich unsichtbar oder besiegen scheinbar übermächtige Feinde durch magische Kräfte. In diesem Sinne wird das japanische Wort Jin des Titels häufig mit „übernatürlich“ übersetzt. Man meint damit, dass die Gesetze der Natur außer Kraft sind. Dass diese übernatürlich Kräfte Täuschungen und Fake-News sind, kann auch von falschen Heiligen verursacht werden. Das kann sicher nicht verwundern. Häufig werden derartige suggestive Kräfte eingesetzt, um eine bestimmte Gruppe in ihren Bann schlagen und Vorteile daraus zu erwirtschaften. In neuer Zeit grassieren derartige Fake-News und Schein-Realitäten immer häufiger im Internet und erzeugen bei den Abhängigen gefährliche Realitätsverluste.
Was
sagt Meister Dōgen in seiner Zeit dazu? Er erklärt in diesem Kapitel, dass die Natur,
Wirklichkeit und Wahrheit des Lebens und der Welt eigentlich selbst das
Wunderbarste ist. Dies sei durch die buddhistische Lehre und Übungspraxis
richtig und besonders klar erkannt, erfahren und erlebt worden. Die
Wirklichkeit und Wahrheit des Lebens und der Welt sind in der Tat mystisch und
nicht mit dem intellektuellen Verstand erfassbar. Da das japanische Wort zu im Titel die „Kraft“ oder „Fähigkeit“
bedeutet, möchten wir die folgende Übersetzung wählen: „Die mystische Kraft in
dieser Welt“ – denkbar wäre auch, „die wunderbare Kraft der Buddhas“ –, um den
Inhalt und die Bedeutung dieses Kapitels in der Überschrift wiederzugeben. Es
handelt sich nach Dōgen gerade nicht um „übernatürliche“ Wunder sondern um die
„natürliche mystische Kraft“.
Er
zitiert einen alten buddhistischen Meister, der auf die Frage, was die mystische Kraft der Buddhas seien, wie
folgt antwortet: „Wasser holen und Brennholz tragen.“
Dies
ist eine verblüffende Antwort, da beide Tätigkeiten nach dem gesunden
Menschenverstand eher einfach, um nicht zu sagen, banal sind. Sie mögen den
meisten Menschen sogar lästig und unangenehm sein. Dies Tätigkeiten verbinden
wir im normalen Sprachgebrauch sicher nicht mit mystischen Kräften. Im
Zen-Buddhismus werden aber die Wirklichkeit und Wahrheit des Handelns besonderes
bei scheinbar einfachen Tätigkeiten außerordentlich hoch geschätzt. Sie sind
Teil eines erleuchteten Lebens, oder eben auch nicht. Beim wahren Handeln im
Alltag offenbaren sich wahre buddhistische Kräfte und authentischer
buddhistischer Geist. Es kommt also nicht so sehr darauf an, was man tut, sondern wie man es tut. Das Handeln ist die
zentrale Grundlage der Wirklichkeit und nicht ein angestrebtes oder erwünschtes
Ergebnis und auch nicht die große Erleuchtung!
Was
ist alles mit der Tätigkeit des Wasserschöpfens verbunden? Dabei wird uns
wirklich klar, wie wunderbar das Wasser selbst ist, welche Freude damit
verbunden ist, es aus einem klaren Bergbach zu schöpfen und mit klarem
Bergwasser den Durst zu löschen. Ist das nicht mystisch? Und ohne Wasser können
wir nicht mehr als drei Tage überleben. Ich selbst bin als junger Mensch einige
Wochen in der Sahara gewesen. Seit dem habe ich eine ganz neue Wertschätzung
des Wassers. Es muss nicht immer Wein oder Bier sein.
Die
von Dôgen zitierte Wirklichkeit und Mystik des Brennholzes eröffnet zudem bei
genauer Überlegung neue tiefgründige Bereiche. Die buddhistischen Klöster im
alten China lagen meist hoch in den Bergen, und dort herrschte im Winter
bittere Kälte. Wer einmal richtig gefroren hat, weiß die wohlige Wärme des
Feuers und damit den Wert des Brennholzes an kalten, frostigen Wintertagen im
Gebirge umso mehr zu schätzen.
Diese
scheinbar einfachen und alltäglichen Handlungen, also Wasser schöpfen und
Brennholz holen, gewinnen aus buddhistischer Sicht eine ganz neue Tiefe
undpraktische Bedeutung. Sie eröffnen neue, lebendige Verbindungen zu vielen
anderen wichtigen Lebensbereichen. Sie stehen für zwischenmenschliche
Wechselwirkungen, gemeinsames Handeln und gemeinsame Gefühle. Sie überschreiten
damit den banalen Materialismus, der sich auf das eindimensionale Verständnis
der Welt und des Lebens verengt hat. Sie übersteigen auch intellektuelle
Überhöhungen und überflüssige Komplexitäten. Wenn man diese Bereiche tiefer
erforscht und erfährt, erkennt man nach Dōgen die wirklichen mystischen Kräfte.
Sie zeigen und entfalten sich in aller Klarheit durch die buddhistische Lehre
und Praxis im. Solche geschulten Kräfte können unser Leben in ungeahnter Weise,
fast wie von selbst, und auf ganz natürliche Weise umgestalten und bereichern.
Die
buddhistischen Kräfte sind zwar mystisch, aber nicht übernatürlich, denn die
Natur und unser Leben entsprechen ja dem natürlichen Gesetz des Universums, also
des Dharma. Durch die buddhistische Praxis und Lehre werden diese natürlichen
mystische Kräfte umfassend wirksam und bestimmen unser Leben. Sie werden dann
nicht durch die drei Gifte Gier, Hass und dogmatisch Verblendung unwirksam.
Dōgen
sagt an anderer Stelle einen geheimnisvolle Satz:
„Wenn der Geist in Täuschung ist, dreht sich die Blume des
Dharma (allein für sich).
Wenn der Geist in der Verwirklichung ist, drehen wir selbst
die Blume des Dharma.“
Was
will Dogen damit sagen? Er meint sagtz damit, dass wir die Schönheit und
wunderbare Kraft dieser Welt und der Natur vielleicht gar nicht bewussdt
wahrnehmen und erleben, sodass sich
die Dharma-Blume unabhängig von uns für sich selbst bewegt und dreht. Dann gibt
sie uns keine Kraft, weil sie von uns getrennt ist. Oder mit Buddhas Worten zu
sagen: Es gibt keine gemeinsames Entstehen in Wechselwirkung. Und diese
Wechselwirkung ist mit dem eindimensionalen Intellekt nicht vollständig zu
begreifen. Denn die Wechselwirkung kann man nicht in eine einfache
mathematische Formeln stecken. Es handelt sich um höherwertige natürliche
Prozesse, die man bestenfalls in aussagekräftigen Simulations-Modellen abbilden
kann, indem man eine stark vereinfachte Wirklichkeit technisch erzeugt. Wir
benötigen aber eine umfassender intuitive Intelligenz, um das Wunder der
wechselwirkenden Natur zu erfassen und an ihr teilzunehmen
Wenn
wir also umgekehrt durch die Lehre und Übungspraxis Buddhas auf dem Weg der
Wirklichkeit die wunderbaren natürlichen Kräfte in uns entwickeln und befreien,
sind wir selbst in der Lage, die Blume des Dharmas zu bewegen und zu drehen.
Wir bilden dann eine wechselwirkende Einheit mit den hoch komplexen Gesetzen
und dem Universum. Dazu bedarf es einer menschlichen Bescheidenheit gegenüber
den Wundern der Natur. Mit Arroganz und Überheblichkeit bleiben wir draußen und
veröden entsprechend. Wer den Ich-Stolz nicht überwunden hat, führt ein
armseliges Leben und verblödet zudem in seinem neuronalen Netz, also dem
Gehirn. Ich-Stolz macht also dumm und ist wirklich kein Heldentum.
Gemäß
der üblichen buddhistischen Vorstellung gibt es sechs mystische Kräfte, die
auch als „übernatürlich“ bezeichnet werden. Ich möchte jedoch den Ausdruck der
Übernatürlichkeit vermeiden, da er zu dem Fehlschluss verführen kann, dass die
Gesetze des Universums außer Kraft gesetzt würden. Ein solcher Wunderglaube ist
zwar manchmal im Buddhismus durchaus anzutreffen, Dōgen schätzt dies aber
wenig. Die sechs mystischen, wunderbaren Kräfte sind gemäß der Überlieferung
die folgenden:
(1) Mystische Verwandlung;
(2) Den Geist anderer kennen;
(3) Übernatürliches Visionen;
(4) Übernatürliches Hören;
(5) Erinnerung an frühere Leben und
(6) Die Kraft, Übertreibungen wie die eigenen Gier und eigenen Befleckungen
zu beseitigen.
Wie
interpretiert nun Dôgen diese mystischen Kräfte im Gegensatz zum
wundergläubigen Volksbuddhismus? Antwort: Er bezeichnet Teetrinken und Essen im
Haus der Buddhas als mystische wunderbare Kräfte. Sie sind bei gründlicher
Analyse mystisch und können mit unserem Geist nicht erfasst werden. Aber man
kann sie deshalb nicht als „übernatürlich“ bezeichnen. Es handelt sich nach
heutiger Wissenschaft um vernetzte interaktive Wirkungen, die nach der Mystik
der Natur hoch vernetzt ablaufen. Sie sind sie mit dem analysierenden,
unterscheidenden Verstand nicht näherungsweise erfassbar. Das gilt besonders,
wenn sie durch die Gifte Gier, Hass und Verblendung verdeckt und verzerrt sind.
Dann wird die Wirklichkeit geradezu pervertiert. Ob die Tragik dem Handelnden
bewusst ist oder nicht, spielt keine große Rolle. Die wunderbaren Kräfte, die
durch die buddhistische Praxis und Lehre beim Menschen freigelegt und
entwickelt werden, wie sie sind. Sie sind die Natur des Universums selbst, aber
sie müssen befreit und entwickelt werden, damit sie sich entfalten und
kräftigen können.
Dōgen
zitiert Buddha: „Die mystischen Kräfte
der Buddhas kann man nicht erfassen.“ Er beschreibt damit die alltäglichen
Handlungen und die Praxis des Zazen.
Dōgen
gibt im Folgenden die Geschichte eines alten Meisters wieder, der schlief, als
einer seiner Schüler eintrat. Der Meister erzählte dem Schüler dann einen
Traum, den er gerade geträumt hatte. Er bat diesen zu deuten, was der Schüler
auch tat. Anschließend ging der Schüler wortlos aus dem Raum und holte eine
Schüssel mit Wasser sowie ein Handtuch, damit sich der Meister das Gesicht
waschen konnte. Dann kam ein zweiter Schüler in den Raum des Meisters, der
später selbst ein bekannter Meister wurde.
Sein
damaliger Meister sagte zu ihm:„ Der
Schüler und Ich haben gerade eine mystische Kraft praktiziert, die noch eine
Stufe über (den Kräften der frühen Überlieferung) steht.“
Dieser
zweite Schüler fügte hinzu, dass er von nebenan alles mit angehört und
verstanden habe. Er ging ebenfalls aus dem Raum, um für den Meister eine Schale
Tee zu bereiten und sie ihm anzubieten. Dieser freute sich sehr über das harmonische
und richtige Handeln seiner Schüler. Diese handelten nämlich selbständig und
ohne dass er sie explizit darum gebeten hatte. Sie taten das Richtige, weil sie
in der gegebenen lebendigen Situation intuitiv erfassten, was für den Meister
gut und was zu tun war. Der Meister lobte dies:
„Die mystischen Kräfte und die Weisheit von euch, meine
beiden Schüler, sind viel höher als die der großen (damaligen) Schüler von
Gautama Buddha.“
Es
ist bezeichnend, dass der Inhalt des Traumes in der obigen Geschichte überhaupt
keine Bedeutung hat . Vielmehr äußert sich der Meister über die mystische Kraft
des tiefen Verständnisses und der wechselwirkenden Handlungen der Menschen,
hier also zwischen Meister und Schüler. Diese bewirken, dass die übliche Trennung
zwischen ihnen aufgehoben wurde. Sie handeln und verstehen intuitiv, was für
den anderen richtig und heilsam ist. Denn eigentlich sind es wirklich sehr
einfache Handlungen.
Wir
sollten die Geschichte also nicht als simpel und banal abtun, sondern im
Gegenteil nach Dôgen die dort wirksamen Kräfte, erfassen und verinnerlichen. Sie
können mit dem einfachen dualistisch unterscheidenden Verstand nicht erklärt
werden. Das Handeln aus einem gemeinsamen
wechselwirkenden Geist ist die mystische Kraft, um die es Dôgen hier geht. Dazu
bedarf es in diesem Fall keiner Worte.
Die
Frage nach exotischen Wundern und übernatürliche Kräfte sind für ihn und auch
für Nishijima Roshi von untergeordneter Bedeutung. Wir sollten sie eventuell
nur als Gleichnisse verstehen. Ob man sich unsichtbar machen oder durch den Himmel
zu fliegen vermag, ob man durch Magie die Gedanken anderer lesen oder sogar
steuern kann usw., wird im Zen-Buddhismus wenig geschätzt. Die wirklichen
Wunder ereignen sich im täglichen Leben, im Zusammenleben und gemeinsamen
Handeln der Menschen, aus einem Geist und einem Sinn heraus. Dies ist in der
Tat mystisch. Dass die Natur in Wechselwirkung mit Geist begabten Menschen
funktioniert, wie sie funktioniert ist ein reales Wunder.
Blutleere
Theoretiker und die Lehrer und Kommentatoren der Sūtras vertrauen nach Dōgen
solchen mystischen Kräften nicht. Denn sie sind mit Worten, Konzepten,
Interpretationen und dualistischen Unterscheidungen sehr beschäftigt. Sie
kennen nur die kleinen Kräfte der in den Schriften wiedergegebenen Magien, aber
nicht die wirklich wunderbaren mystischen Kräfte des Universums und des wirklichen
Lebens. Bei solchen Theoretikern un Wort-Künstlern besteht zudem die große
Gefahr, dass die Worte sich verselbständigen. Meister Nagarjuna kritisiert
diese magisch überhöhten Begriffe und Dogmen also Pseudo-Substanze, die sogar
überflüssig sind. Dōgen führt hier Kräfte auf, die zum Beispiel in der Lage
seien, dass ein Haar den weiten Ozean verschlingt, oder das ein Sesamkorn den
Weltenberg Sumeru in sich enthält. Dagegen grassieren fantastische übernatürliche
Geschichte, dass etwa Wasser aus dem Oberkörper eines Menschen heraus strömt
oder dass Feuer aus seinem Unterleib heraus lodert.. Ich halte das nur für
magische psychische Energien, die künstliche Schein-Welten erzeugen. Nach
Vasubandhu sind das Fabrikationen des Geistes, die aus dem Nichts entstehen und
sich genau so schnell wieder verflüchtigen. Es handelt sich bei solchen
Akteuren um Magier und nicht um erleuchtete Meister.
Die
wirklichen mystischen Kräfte der lebenden wirken vernetzt und interaktiv je im
Augenblick. Man kann sie nicht dem „Ich“ eines Menschen oder einem getrennt
gedachten anderen zuordnen. Sie offenbaren sich weder im Materiellen noch im
Immateriellen allein und sind besonders durch Informationen geprägt. Durch
diese Kräfte werden die Praxis, die Erfahrung und die Lehre aller Buddhas
verwirklicht. Dies gilt vor allem im täglichen Leben, also bei sogenannten
einfachen Tätigkeiten wie Wasser schöpfen, Brennholz holen und Tee bereiten.
Ohne diese rein intellektuell nicht fassbaren mystischen Kräfte des
Buddha-Dharma gäbe es nach Dôgen kein Erwachen. Das heißt keine erste und keine
große Erleuchtung, keine Schulung, keine Wahrheit und kein Nirvana. Durch diese
Kräfte erscheint es uns, als ob ein Haar den weiten Ozean verschlingen kann. Es
geht vor Allem darum, ihn vor zu bewahren und zu beschützen, denn der Ozean ist
die „grenzenlose Schatzkammer“ des Dharma und damit der Wirklichkeit. Das ist
heute natürlich für de Schutz der Ökologie von zentraler Bedeutung.
Diese wunderbare Wirklichkeit wird von einem Laienschüler,
der im sozialen Leben einen normalen Beruf und eine Familie hatte, wie folgt
ausgedrückt:
„Die mystische Kraft und das wunderbares Wirken,
Wasser tragen und Brennholz schleppen“
Wenn
wir uns noch einmal vergegenwärtigen, was es bedeutet, im alten China und Japan
Wasser zu holen. Man ging zum Brunnen oder zum Fluss, um dort das Wasser zu
schöpfen und kam dann mit dem Eimer zurück zu den anderen, um zum Beispiel in
der Küche das Essen zu bereiten oder Tee aufzugießen. Dies können wir überhaupt
nicht nur als selbstverständlich beschreiben sondern sollten es als mystische
Realität erleben. Dies gilt besonders für wasserarme Gegenden, in den das
Wasser knapp und sehr kostbar ist. Oft bedarf es großer Anstrengungen,
überhaupt sauberes Wasser zu beschaffen. Diese Tatsachen sind mir persönlich
sehr bewusst geworden, als ich mit meinem Freund Dieter die Sahara durchquerte
habe.
Bei
solcher Erkenntnis und Erfahrung können nach Dôgen in der Tat der Himmel und
das Universum aufgehen und sich wunderbar verwirklichen. Ob man all dies mit
dem dualen unterscheidenden Verstand überhaupt erkennt, begreift und
einschätzt, ist dabei nicht so wichtig.
„Wer diese mystische Kraft und das wunderbare Wirken, der
Buddha Tathâgatas sieht und hört, wird zweifellos die Wahrheit erlangen.“
Dōgen
zitiert eine weitere buddhistische Geschichte, in der ein Meister seinen
Schüler fragte:
„Was ist die mystische Kraft und das wunderbare Wirken von
dir, dem Schüler?“
Dieser
konnte oder wollte auch nach Wiederholung der Frage nicht antworten, weil seine
Worte der Frage des Meisters nicht gerecht werden konnten. Stattdessen
verneigte er sich ehrerbietig und ging seinen Aufgaben und Pflichten nach. Dies
ist nämlich die eigentliche Bedeutung der mystischen Kraft.
Es
gibt Dōgen zufolge Eremiten mit vermeintlich oder tatsächlich übernatürlichen
Kräften, die den mystischen Kräften des Buddha scheinbar gleichkommen. Aber auch
Dämonen und Götter haben übernatürliche Kräfte, wie es in den buddhistischen
Geschichten erzählt wird. Sie sind aber keine Buddhas mit Buddha-Kräften. Daher
kann es nicht ausschlaggebend sein, ob man solche übernatürlichen Kräfte besitzt
oder nicht. Gerade Eremiten haben häufig keine sozialen intuitiven Fähigkeiten,
da sie zu sehr auf sich selbst konzentriert sind. Sie handeln ganz anders als
Buddhas, weil sie die reale Wirklichkeit meist nur in der Unterscheidung von
Subjekt und Objekt erkennen, also aus dem Dualismus und aus dem Glauben von
Pseudo-Substanzen nicht heraus gekommen sind. Das Wort „übernatürliche Kraft“,
das auch die Kraft eines Eremiten kennzeichnet, bedeutet also keinesfalls
dasselbe wie die mystische Kraft eines Buddha.
Die
sechs mystischen Kräfte der Buddhas können nach Dōgen weder von Göttern noch
Dämonen wirklich erkannt und sch gar nicht kopiert werden. Diese besonderen Kräfte
werden im Buddhismus unmittelbar, authentisch vom Lehrer auf den Schüler
übertragen und lassen sich daher auch nicht aus den geschriebenen Sūtras vollständig
erlernen.
Ein
großer Zen-Meister sagte:
„Wenn der genaue Zustand in der Gegenwart von existierenden
oder nicht existierenden Dharmas (Dinge und Phänomene) überhaupt nicht behindert
wird, sollte dies die mystische Kraft genannt werden. Sie ist jenseits des
Misstrauens von (dualem) Wissen und Verstehen“
Diese
mystische Kraft bewirkt, dass unsere sechs Sinne klar werden und keine
negativen Spuren durch falsches Handeln bei uns selbst oder anderen
hinterlassen. Dies bedeutet, dass die Augen, die Ohren, die Nase und die Zunge
nicht von Gier und Haben-Wollen, von Ablehnung, Hass und Ruhmsucht gesteuert
werden, sondern rein sind. Dann sind die drei Gifte Gier, Hass, und Verblendung
überwunden. Das ist die lebendige ungehinderte Natur in Wechselwirkung. Und dies
ist der ausgeglichene Körper und Geist der Buddha-Realität, von dem (der große
Meister Tôzan) sagte:
„Ich bin immer aufrichtig genau hier und jetzt.“
Die mystische Kraft ist also unauflösbar mit der Wahrheit des Buddha verbunden und kann sich auf diese Weise entfalten.