Den physikalischen Prozess des Brennens und der
Freisetzung von Hitze kann man wie folgt erklären: Die materielle Bindungsenergie
des Brennstoffes oder Feuerholzes wird nach dem Anzünden in Wärme umgewandelt
und zum Beispiel in die Luft abgegeben. Das heißt, durch die Trennung der in
der Materie gebundenen Elemente wird deren Bindungsenergie freigesetzt. Die
Masse bleibt beim Verbrennungsvorgang erhalten, und der Brennstoff wandelt sich
in Asche und Gase um, die in die Luft entweichen. Hauptsächlich wird dabei
Kohlenstoffdioxid frei.
Beim Brennen handelt es sich also um einen
wechselwirkenden Prozess zwischen Brennstoff und umgebender Luft. Das Feuer
brennt so lange, wie frischer Brennstoff vorhanden ist. Nur ein systemhafter
Ansatz kann diese materielle Wirklichkeit einigermaßen zufriedenstellend
beschreiben. Während die Lichtenergie, die beim Brennen abgegeben wird, direkt wahrgenommen
werden kann, sind die entstehenden Gase für unsere Augen unsichtbar. Wenn
fester Kohlenstoff als Verbrennungsrückstand in Form von Rauch abgegeben wird,
ist er wiederum sichtbar. Ohne dieses heutige physikalische Verständnis, das
den Indern noch nicht zur Verfügung stand, ist der Prozess des Verbrennens
naturwissenschaftlich nicht zu verstehen, wenngleich er durchaus plausibel
beschrieben werden kann.
Aus den obigen rein materiellen Überlegungen wird
bereits deutlich, dass die naiven Aussagen, der Brennstoff sei total identisch mit dem Feuer oder total verschieden vom Feuer, ein unzureichendes und zu stark vereinfachtes Modell des
Gesamtsystems sind. Das Modell von Feuer und Brennstoff war einer der zentralen
Beweise der Substantialisten für die absolute Trennung und Differenz von Dingen
und Phänomenen, den Dharmas.[i]
Hier setzt Nāgārjuna seine De-Konstruktion mit seiner typischen philosophischen
Präzision an. Er untersucht in diesem Kapitel die beiden extremen damaligen
Doktrinen der absoluten Differenz und der absoluten Identität, die Folgendes
postulierten:
– Brennstoff und Feuer sind total identisch, und daher muss das Feuer im Brennstoff bereits
vollständig enthalten sein, oder
– Brennstoff und Feuer sind total verschieden, getrennt und voneinander unabhängig.[ii]
Nāgārjuna erklärt hierzu:
Vers 10.3
Wenn das Feuer und der Brennstoff voneinander
getrennt sind, gäbe es zum Entzünden und Brennen keine Verbindung, keine
Kausalität und keinen veranlassenden Impuls zum Brennen.
Es wäre daher sinnlos, das Feuer wieder neu zu
entzünden, da es ein ewig flammendes Feuer wäre.
Er fasst hier die Voraussetzung des Brennens
zusammen. Er hatte nachgewiesen, dass Feuer und Brennstoff nicht voneinander
getrennt werden können, sie also nicht wie Entitäten voneinander total
unabhängig sind und eventuell später zusammenkommen. Wenn man ein dauerhaft
brennendes Feuer voraussetzt, dem Feuer also dinghafte dauerhafte Entität
zuschreibt, kann es natürlich nicht neu aufflammen, weil es ja schon dauernd
brennt. Die materielle beobachtbare Wirklichkeit des Feuers steht dieser
Vorstellung jedoch entgegen. Feuer hat immer einen Beginn, ein Andauern und ein
Ende.
In diesem
Kapitel wird auch die allgemeine Symbolik des Feuers angesprochen. Wenn man ein
Leben nach dem Tod und Wiedergeburten annimmt, könnte man diese mit dem
erneuten Aufflammen des Feuers vergleichen. Der Brennstoff wird wie bereits
erwähnt oft als das Karma im letzten Leben verstanden. Nāgārjuna bleibt
demgegenüber recht nüchtern und pragmatisch und nimmt keine idealistische
Überhöhung vor. Außerdem erteilt er damit dem dauerhaften, ewigen Ātman-Selbst
der vorbuddhistischen Zeit eine Absage. Nishijima Roshi fügt hinzu, dass
eine Idee des ewigen Lichts wie im
vorbuddhistischen Indien nicht nur überflüssig wäre, sondern sogar eine große
Gefahr für unser konkretes Leben im Hier und Jetzt darstellt, denn sie führt
weg von der Wirklichkeit.
Zweifellos handelt es sich beim Feuer und Brennen um
komplexe und stark vernetzte Vorgänge, die Ähnlichkeiten mit lebenden Systemen
haben. Trotzdem halte ich solche Analogien für grundsätzlich problematisch,
wenngleich sie gerade im Volksbuddhismus immer wieder anzutreffen sind. Oft
sind sie wenig geeignet oder sogar irreführend, um psychische, soziale,
biologische und vor allem spirituelle Wechselwirkungen zu beschreiben.
Nāgārjuna baut seine Destruktion der falschen Lehre
von Brennstoff und Feuer darauf auf, dass er sie zunächst aus der Perspektive
der Substantialisten als konstante, unveränderliche und isolierte Entitäten und
Bausteine (bhāva) beschreibt. Die
Substantialisten behaupteten, es gebe keine Übergänge zwischen den Entitäten:
So schlage zum Beispiel Helligkeit unvermittelt und abrupt in Dunkelheit um.
Das wäre die totale Trennung. Nāgārjuna argumentiert mit dem Begriff der Leerheit und verneint eine
substantialistische konstante und inhärente
Entität, also eine unveränderliche
Existenz im Feuer und Brennstoff. Zudem schlägt er die Brücke zum gemeinsamen Entstehen in Wechselwirkung (pratitya samutpada), das in der
Präambel des MMK als richtiger und authentischer Buddha-Dharma bezeichnet wird
und zu einer klaren Sicht der Wirklichkeit des Lebens und damit zu erfülltem
und freudigem Leben führt.
Vers 10.6
Feuer ist eben etwas anderes als Brennstoff. Falls
das Feuer aber den Brennstoff erreichen würde, wäre das so, als ob eine Frau
einen Mann erreicht und ein Mann eine Frau erreicht.
Nāgārjuna
beschreibt hier eine Situation, in der keine absolute oder totale Tennung von
Brennstoff und Feuer besteht. Kalupahana spricht in seinem Kommentar zum MMK
davon, dass beide „different, aber komplementär“ sind und widerspricht damit
Meister Chandrakirti, dessen Kommentar bis in die heutige Zeit wichtig für die
Interpretation des MMK ist.[iii]
Diese Situation komme zwischen Mann und Frau sowie zwischen Frau und Mann vor,
denn beide können sich zum Beispiel in Liebe erreichen und verbinden, aber sie
sind nicht identisch. Damit wird die Untersuchung von Verbindungen im
materiellen Bereich auf das wirkliche Leben erweitert.
Nachdem Nāgārjuna die totale Trennung von Feuer und
Brennstoff destruiert hat, analysiert er also am Beispiel von Mann und Frau
eine Verbindung, die als komplementär oder besser wechselwirkend bezeichnet
werden kann. Weder der Mann noch die Frau sind allein lebensfähig, sondern
können nur zusammen in der Gesellschaft überleben, Kinder zeugen und sie lehren
und damit lebensfähig machen. Es ist spannend, dass Nāgārjuna hier von Dingen
und Gegenständen zu lebenden Menschen übergeht. Auf der anderen Seite ist der
Vergleich von Mann und Frau mit Brennstoff und Feuer nicht wirklich
überzeugend, weil er eine Vereinfachung dessen darstellt, was wir wirklich
erleben und reflektieren.
Nishijima Roshi erläutert, dass ein abstraktes
und dualistisches Denken der materiellen Ebene von Feuer und Brennstoff nicht
sehr aussagekräftig ist, und fügt hinzu:
„Das heißt, dass die nur materielle
Dimension der Dinge und Phänomene dieser Welt ohne deren Sinn und die Idee
unser Leben verarmen und austrocknen. Diese Aussage Nāgārjunas ist in der
Gegenwart des Materialismus und der jetzigen spirituellen Verarmung besonders
wichtig.“ In diesem Sinne würde Nāgārjuna das Gegenbeispiel von Mann und Frau
verwenden.
Kurz gesagt destruiert Nāgārjuna anhand des
Gleichnisses von Feuer und Brennstoff die Doktrin der konstanten
unveränderlichen und jeweils vollständig getrennten Entitäten. Mit diesem
Kapitel erarbeitet er eine wichtige Grundlage für die folgenden Analysen und
Richtigstellungen. Brennstoff und Feuer sind vernünftigerweise nur als
verbundener Prozess zu verstehen. Gerade für das Feuer und den
Verbrennungsprozess sind sowohl phänomenologische Klarheit als auch die
mögliche symbolische Bedeutung im Buddhismus von großer Wichtigkeit: Das Feuer
verbraucht den Brennstoff, nachdem es einmal entzündet wurde, und zwar so
lange, bis der Brennstoff aufgebraucht ist. Dieser Prozess legt zwar eine
gewisse Analogie zum Leben nahe, die aber nicht überdehnt werden darf. Menschen
leben nicht isoliert, sondern sind in ständiger Wechselwirkung mit anderen, mit
der Umwelt sowie mit schriftlichen und mündlichen Informationen. Sie verändern
sich dauernd, wie die aktuelle Gehirnforschung einwandfrei nachgewiesen hat.
Das wechselwirkende gemeinsame Entstehen bezeichnen Buddha und Nāgārjuna als
bestmögliche Beschreibung und bestmögliches Verständnis der Wirklichkeit. Dem
folge ich.
Nāgārjuna analysiert auch, welche Verbindungen und Trennungen zwischen
verschiedenen Dingen und Phänomenen (Dharmas) vorkommen, und welcher Ansatz
dabei unsinnig und welcher wirklichkeitsnah ist. Auf dieser Grundlage gilt es
zu untersuchen, was Buddhas Ablehnung der Aussagen „etwas existiert“ oder „etwas existiert nicht“ bedeutet. Diese
beiden Extreme werden als realitätsfremd charakterisiert. „Etwas existiert“
würde bedeuten, dass es als Entität aus
sich selbst entstanden, unverändert,
unabhängig von allem anderen existiert und sich nicht in Wechselwirkung mit
irgendetwas anderem befinden würde. Diese Doktrin der Sarvastivadins lehnte Nāgārjuna
ab.
„Etwas existiert nicht“ bedeutet, dass ein Ding oder Phänomen, das
wirklich beobachtet werden kann, aus dem Nichts oder etwas ganz anderem
entstanden sein müsste und wieder total und abrupt im Nichts verschwinden
würde. Diese Doktrin der Sautrantikas behauptete total abgegrenzte zeitlich
aufeinander folgende Zeit-Bausteine (Momentanismus), um damit Veränderungen und
Prozesse im Zeitverlauf zu beschreiben. Das Problem dabei war, die Verbindung zwischen diesen getrennten
Zeit-Bausteinen phänomenologisch zu begründen. Die Sautrantikas postulierten
deshalb irgendeine Essenz der Verbindung,
die nicht sichtbar, aber doch wirksam sei. Diese Doktrin darf nicht mit der
Lehre des Augenblicks im Zen-Buddhismus verwechselt werden.
Nāgārjuna baut auf vorherigen Kapiteln auf, wobei im Kapitel 10 des MMK
die Verbindung von Dharmas,
Bausteinen oder Objekten im Mittelpunkt steht. Neben der Verbrennung führt er
das Sehen als System auf, das er bereits untersucht hat. Es besteht aus dem Objekt, dem Sehvorgang als solchem und
dem Seher, also dem Menschen, der
sieht. Wenn diese Bereiche als getrennte Entitäten aus sich selbst entstanden,
unabhängig und unveränderlich wären, würde es zwischen ihnen keine Verbindung
geben. Man könnte dann nicht von einem wechselwirkenden System reden.
Diese Dreiheit von Subjekt, Objekt und Prozess zeigt Nāgārjuna
exemplarisch auch für andere Bereiche auf. Dabei betont er, dass etwas nur
verbunden werden kann, was nicht total
identisch ist. Es könne aber auch keine totale Verschiedenheit oder
Differenz zwischen Subjekt und Objekt und Phänomenen geben. Er analysiert
hier das Grundproblem der Philosophie von Identität
und Differenz und macht deutlich, dass das Prinzip der Wechselwirkung in
der Lage ist, dieses angebliche philosophische Paradox der Wirklichkeit
aufzulösen.
Nishijima Roshi bemerkt zu diesem Kapitel: „Das Feuer hat für das praktische Leben der Menschen
seit seiner Kultivierung eine sehr große Bedeutung, zum Beispiel für die
Zubereitung des Essens, beim Kochen und Braten. Dadurch konnte die Ernährung
der Menschen schon in archaischen Zeiten wesentlich verbessert werden. In
kalten Regionen wurde das Feuer darüber hinaus zum Heizen verwendet. In der
frühindischen Religion spielt der Feuergott
eine große Rolle, und die Feuerzeremonien,
die von den Brahmanen ausgeführt wurden, hatten zentrale Bedeutung für das
religiöse Leben und den Glauben.“ Nach Nishijima sind damit drei fundamentale
Bedeutungsfelder des Feuers angesprochen: erstens das Feuer als konkretes
materielles Element, zweitens seine Funktion für den Menschen und drittens,
nicht minder wichtig, die Abstraktion und Vorstellung sowie der Glaube und die Doktrin, was etwa bei den
Feuerzeremonien deutlich wird. Nāgārjuna sagt ohne Umschweife:
Vers 10.16
Und jene sind des Buddhismus nicht kundig, die ein
unveränderliches Selbst oder substantiales Seiendes (nach der Doktrin des
Substantialismus) behaupten. Nicht-Kundige behaupten auch total getrennte diskrete Existenzen. Ich halte
sie nicht für Kundige des Ziels und Zwecks der buddhistischen Lehre.
Hier lehnt er explizit noch einmal das Ātman-Selbst
der Upanishaden und das unveränderliche Substanz-Selbst für den Buddhismus ab.
Bei Gautama Buddha stehen die Erleuchtung und das Zur-Ruhe-Kommen von Schmerz
und Leiden im Vordergrund. Dies bekräftigt auch Nāgārjuna, der Ideologien und
Doktrinen ablehnt, die mit der authentischen Lehre Buddhas nicht
übereinstimmen.
Sowohl Buddha als auch Nāgārjuna beziehen sich
vornehmlich auf dieses konkrete Leben und gehen relativ wenig auf die Frage
nach früheren oder kommenden Leben ein. Beide warnen sogar davor, dass wir uns
damit zu viel beschäftigen und unseren Geist durch Spekulationen, Hoffnungen
oder Ängste verwirren und so uns selbst schaden. Nāgārjuna betont im MMK, dass
wir uns von den lebenden Prozessen, Erfahrungen und dem Erleben nicht abwenden
sollen, damit wir uns nicht in erstarrten Doktrinen von Entitäten verfangen.
Nishijima Roshi sagt mit seinen Worten: „Häufig kümmern wir uns nicht um die wahre Natur
dieser Dinge und Phänomene. Dadurch geraten wir in Schwierigkeiten und haben
trotz erheblicher Anstrengungen bestimmte verengte und verzerrte
Weltanschauungen. Wir treffen daher unrichtige Entscheidungen und bringen unser
eigenes Leben in große Gefahr. Es ist sogar möglich, dass wir die wahre
Bedeutung unseres Lebens zerstören.“
Mit diesem Kapitel schließt Nāgārjuna seine Untersuchungen zur absoluten Identität und absoluten Differenz ab, wobei er das falsch benutzte Gleichnis von Feuer und Brennstoff destruiert. Die Extreme der Identität oder Differenz sind zur Beschreibung und Erklärung der konkreten Wirklichkeit nicht geeignet, und sie führen zu unbrauchbaren Konzepten, Ideologien und zu Fundamentalismus. Durch religiöse Absicherung können daraus unethische Privilegien der Macht- und Religionseliten zementiert werden. Dies galt zum Beispiel für die „heilige“ Sanktionierung des Kastensystems und die Privilegien der Brahmanen im vorbuddhistischen Ariertum der Inder. Aber auch heute sind die Extreme von dogmatischer Identität und Differenz weit verbreitet. Sie verhindern genaue reale Untersuchungen und Erkenntnisse, die für ein gelungenes Leben nützlich, wenn nicht erforderlich sind. Dafür benötigen wir das Verständnis des gemeinsamen Entstehens in Wechselwirkung (pratitya samutpada).
[i] Nāgārjuna: The Philosophy of
the Middle Way (Übersetzer: David J. Kalupahana), S. 44
[ii] Nāgārjuna: The Philosophy of the Middle Way
(Übersetzer: David J. Kalupahana), S. 195ff.
Nagarjuna: Fundamental Wisdom of the Middle Way. Nagarjuna’s
Mulamadhyamakakarika (Translation: Gudo Wafu Nishijima), S. 103ff.
[iii] Nāgārjuna: The Philosophy of
the Middle Way (Übersetzer: David J. Kalupahana), S. 199