Donnerstag, 20. Januar 2022

Klare Fundamente des Buddhismus, von Zen-Meister Nishijima

Wörtliche Übersetzung des Textes von Meister Nishijima

Das große Werk von Meister Dōgen, Shōbōgenzō, „Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges“, habe ich über sechzig Jahre lang eingehend studiert. Ich bin der festen Überzeugung, dass die von mir bearbeiteten Quellentexte auch für den Westen von unschätzbarem Wert sind. Ich unterstütze die deutschen Fassungen ausdrücklich, weil damit das Verständnis der sicher nicht einfachen Inhalte des Shōbōgenzō im deutschsprachigen Raum für viele Leser wesentlich verbessert werden kann.

Manche meinen, der Buddhismus eigne sich als Religion nur für jene Menschen, die sich aus dem beruflichen Alltag und gesellschaftlichen Leben in die Nische eines Klosters zurückgezogen haben. Sie versuchen wahrscheinlich, dort auf einer „Insel der Seligen“ ohne die Ungerechtigkeiten des normalen Alltags zu leben. Manche glauben auch, dass der Buddhismus ausgesprochen lebensfeindlich oder gar nihilistisch sei. Vor allem der Zen-Buddhismus sei, so eine verbreitete Ansicht, von lebensfeindlicher Askese und dem schmerzhaften Ringen um die große Erleuchtung (Satori, Kensho) geprägt, diese sei aber für einen „normalen“ Menschen ohnehin nicht erreichbar. Eine solche Sichtweise kann ich jedoch aus meiner praktischen Erfahrung und der in langem Studium gewachsenen Kenntnis heraus als völlig falsch bezeichnen – das Gegenteil ist richtig.

Wer sich aus der Wirklichkeit verabschiedet hat, gerät unweigerlich in einen meist ausweglosen Kreislauf von Illusionen, Leiden, Trugbildern, Ängsten und subjektiven Welten. Er kann aus diesem Leiden nur dann erlöst werden, wenn er zur Wirklichkeit und damit zur Wahrheit zurückfindet. Gautama Buddha hat dies erfahren und erkannt. Er hat uns die großartige Lehre des Buddha-Dharma geschenkt, die uns nicht zuletzt von Meister Dōgen authentisch übermittelt wurde.

Der Buddhismus lehrt nicht, dass das ganze Leben aus Leiden besteht, wie manchmal behauptet wird, sondern im Gegenteil: Er will uns praktisch gangbare Wege aufzeigen, wie wir das vorhandene oder zukünftige Leiden überwinden können. Dann können wir eindimensionale Weltanschauungen über Bord werfen, Ideologien und Verführungen schnell durchschauen und zu Gleichgewicht und Harmonie zurückfinden. Dies ist der mittlere Weg und der natürliche Zustand des Menschen, der alle Formen von Extremen vermeidet. Mit Meister Dōgen bin ich der festen Überzeugung, dass die Praxis der Meditation des Zazen in Verbindung mit der authentischen buddhistischen Lehre genau der richtige Weg ist, den wir beschreiten sollten.

Meine eigene Lehre stützt sich neben Gautama Buddha selbst auf die genialen Meister Nagārjuna, Bodhidharma und vor allem auf Meister Dōgen. Ich habe bei meinen zahlreichen Vorträgen und Gesprächen in Asien, Europa und Amerika festgestellt, dass sich die Kernpunkte der Theorie und Praxis des wahren Buddhismus in der heutigen Zeit immer klarer herauskristallisieren und besser verstanden werden. Dies betrachte ich als große Hoffnung. Es wäre von großem Wert für die gesamte Menschheit, wenn der Buddhismus im Westen neue Kraft und Klarheit erlangen könnte, und ich würde mich sehr freuen, wenn mein Schüler, der Zenmeister Prof. Dr. Yudo J. Seggelke, und ich dazu einen substanziellen Beitrag leisten könnten.

Welches sind nun die maßgeblichen Kernbereiche des Buddha-Dharma?

Lassen Sie mich dabei zunächst kurz auf das Leben und die Erfahrungen von Meister Dōgen eingehen. Er wurde 1200 n. Chr. geboren und erlebte schon in früher Jugend schwere Schicksalsschläge, weil sein Vater und seine Mutter früh starben. Er musste auf diese Weise bitter erfahren, dass unser Leben endlich ist. Dies ist sicher der Grund dafür, dass er schon in jungen Jahren nach dem Sinn und der Wahrheit des Lebens und überhaupt der menschlichen Existenz suchte. Er trat mit zwölf Jahren in ein buddhistisches Kloster ein und hatte sich auch wegen seiner überragenden Intelligenz und Beharrlichkeit schon bald die verschiedenen buddhistischen Lehren im damaligen Japan erarbeitet und sie tief durchdrungen.

Der junge Dōgen war nicht nur außergewöhnlich begabt, sondern auch überaus ehrlich sich selbst gegenüber. Der damals in Japan gelehrte sehr theoretische Buddhismus konnte ihn trotz besten Willens und großer Anstrengung nicht überzeugen. Er entschied sich daher, nach China in das Ursprungsland des Zen-Buddhismus zu gehen. Auch dort erlebte er zunächst Enttäuschungen, bis er schließlich und fast am Ende der Reise seinem Meister Tendō Nyojō begegnete. er stellte neben der fundierten Lehre des Buddhismus vor allem die Praxis des Zazen und das Handeln im Alltag in den Mittelpunkt des buddhistischen Lebens. Er hatte selbst viele Jahre lang einen wahren Meister gesucht, aber nicht gefunden. Solche großen Meister gab es zu jener Zeit kaum noch in China.

Zazen ist keine geistige Meditation, bei der die ganze Konzentration auf ein Meditationsobjekt, zum Beispiel auf ein Thema oder ein Bild, auf den Atem oder auch auf die paradoxe Frage eines Kōans gerichtet ist. Zazen ist genau das Gegenteil, nämlich praktisches Handeln ohne diskursives Denken in Form des Sitzens in der richtigen Zazen-Haltung. Dabei stellt sich beim Menschen ein bestimmtes Gleichgewicht ein, und alle Gedanken, Gefühle und die normale Wahrnehmung verschwinden: Sie kommen zur Ruhe! Dadurch befreit sich unser Geist. Nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen handelt es sich dabei vor allem um das Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems, wenn die Aktivität und Spannung des einen Teilsystems – Sympathikus – und die Passivität und Wahrnehmung des anderen – Parasympathikus – im Gleichgewicht sind.

Das japanische Wort „Shōbōgenzō“ bedeutet: der wesentliche Kern oder die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges, also des Buddhismus. Dieser kostbare Schatz der Lehre ist aus der Sicht von Meister Dōgen zusammen mit der Praxis des Zazen die umfassende Lehre des Gautama Buddha. Er beschreibt sie in seinen Lehrreden (Sūtras), zum Beispiel den Grundlagen der Achtsamkeit, sehr genau und hat sie an seine Schüler und an uns weitergegeben, wie wir wissen und selbst erfahren.

Was sind nun die Kennzeichen der Zazen-Praxis, die Meister Dōgen sehr umfassend lehrt?

Er führt folgende vier fundamentale Bereiche auf:

(1) Das Überschreiten des üblichen unterscheidenden Denkens des Verstandes durch die besondere Art des „Nicht-Denkens“;

(2) Das regelmäßige Sitzen im Zazen in der richtigen Körperhaltung, die von Dōgen exakt beschrieben wird. Dieses Sitzen ist praktisches Tun, umfasst damit den ganzen Menschen und beschreibt wie im Yoga die körperliche Dimension als Grundlage des Handelns und des Geistes.

(3) Dōgen beschreibt das wirkliche Handeln und Erleben bei der Zazen-Praxis mit den Worten „das Fallenlassen von Körper und (intellektuell denkendem) Geist“. Er meint damit, dass wir uns von den einengenden Fesseln des Körpers und des gewöhnlichen Verstandes befreien, die uns in unserem täglichen Leben so häufig einengen und quälen. Ich interpretiere diese von Dōgen formulierte Tatsache als das Gleichgewicht des vegetativen Nervensystems, das durch die Zazen-Praxis erreicht wird.

(4) Die Praxis des Zazen wird durch das japanische Wort Shikantaza beschrieben, das übersetzt etwa heißt „nichts anderes tun als sitzen“. Damit will Dōgen vor allem klar machen, dass wir uns bei der Zazen-Praxis nicht auf ein vorgestelltes Objekt, also ein Thema, Ziel oder Kōan, konzentrieren sollen, sondern dass das richtige Sitzen selbst die wesentliche Übungspraxis ist. Durch das Sitzen werden Gleichgewicht und Harmonie ermöglicht, von denen wir heute wissen, dass sie die Balance des vegetativen Nervensystems ausmachen. Dieses Zazen bezeichne ich als die erste Erleuchtung. Sie kann aber nicht auftreten, wenn sich intellektuelle oder störende Gedanken im Geist festsetzen und ihn hemmen, wenn verwirrende Gefühle vorherrschen, wenn die platte Wahrnehmung dominiert oder man gierig nach irgendetwas verlangt. Das gilt auch für die Gier nach der großen eigenen Erleuchtung. Besonders schädlich ist die diese Gier nach Ruhm, Ansehen, eigener Wichtigkeit, Macht oder Profit und der damit verbundene Stolz: also kurz das aufgeblasene Ego. Daher ist es so wesentlich, durch Shikantaza nicht irgendein „großartiges“ Ergebnis wie die Erleuchtung erlangen zu wollen und sich nicht auf irgendetwas zu Spezielles zu konzentrieren. Vielmehr kommt es darauf an, die richtige körperliche Haltung einzunehmen und das Sitzen als Handeln zu verwirklichen. Nur dann kann sich die erste Erleuchtung bei der Zazen-Praxis wie von selbst ereignen.

Gautama Buddha hatte in Indien zunächst versucht, durch die damaligen bekannten Formen der Meditation und geistigen Konzentration sowie durch extreme Übungen der Askese die Befreiung und das Erwachen zu erlangen und war dabei gescheitert. Die damals in Indien gelehrte Philosophie des Idealismus, bei dem Gedanken, Ideen, Vorstellungen und Ideale vorherrschend waren, hatte nicht zum angestrebten Erwachen geführt. Aber auch die materielle Philosophie, die behauptet, allein das Materielle und dessen Wahrnehmung, Beobachtung und der sinnliche Genuss seien wirklich, hatte sich für ihn als Sackgasse erwiesen. Dasselbe gab er die harten Übungen der Askese als wertlos auf. Auch Skeptizismus und Nihilismus, die es schon damals als philosophisches Denken gab, führten nicht zum Erwachen.

Schließlich erkannte Gautama Buddha beim Zazen und dem Aufleuchten des Morgensterns, wie Meister Dōgen es ausdrückt: „Die ganze Erde und alle Lebewesen verwirklichen zusammen die Wahrheit.“ Ihm wurde plötzlich klar, dass er über das gewöhnliche unterscheidende Denken und die übliche Wahrnehmung hinausgehen musste, um die Wahrheit und Wirklichkeit der Welt direkt zu erfahren und zu erleben und nicht in der Metaphysik hängen zu bleiben. Dazu benutzte er die Praxis des Zazen in der seit langem bekannten Yogahaltung des halben oder ganzen Lotossitzes.

Durch den einfachen Akt des Sitzens im Augenblick und im Hier und Jetzt verlassen wir das oft quälende dualistische Bewusstsein von Körper und Geist. Wir erfahren dann unser Leben im Einklang und in der Harmonie mit dem Universum ganzheitlich und unmittelbar intuitiv. In der wirklichen Erfahrung des Zazen können wir den Buddha-Dharma vollkommen verwirklichen, wenn wir zweimal täglich diese Übung praktizieren, wie ich immer wieder betone.

Um das Shōbōgenzō von Meister Dōgen wirklich zu „verstehen“ und sich nicht an scheinbaren Widersprüchen und Paradoxien aufzureiben, gibt es einen Schlüssel, der den großen Wert dieses Werkes besser erschließt. Ich habe ihn im Laufe meines langen Lebens entwickelt und immer mehr verfeinert. Es handelt sich dabei um die, wie ich glaube, umfassende Lehre der sogenannten vier Sichtweisen oder Lebensphilosophien, die Meister Dōgen in dem Kapitel „Das verwirklichte Leben und Universum“ (Genjō-kōan) beschreibt.

Die volle Wirklichkeit des Lebens und der Welt sind danach weder durch den Verstand noch durch die Wahrnehmung ganz zu erfassen, sondern beide ermöglichen immer nur Teilsichten und Teilwahrheiten. Sie sind durch ihre Einseitigkeit als umfassende Philosophien für das praktische Leben ungeeignet und müssen daher zwangsläufig zu verschiedenen Formen des Leidens führen.

Die beiden ersten Lebensphilosophien sind die im Westen vorherrschenden Lehren des Idealismus und Materialismus. Gautama Buddha und Meister Dōgen zufolge muss als dritter Bereich das Handeln und Erfahren im gegenwärtigen Augenblick hinzukommen, also im Hier und Jetzt,. Dann können wir die zu enge Perspektive des Subjekts überschreiten und uns dadurch wesentlich befreien. Bei der Zazen-Praxis und im Alltag eröffnet sich durch das direkte Handeln im Hier und Jetzt eine neue Wahrheit, die zum Kern der buddhistischen Lehre gehört.

Die vierte umfassende Lebensphilosophie des Buddhismus ist das Erwachen oder die Erleuchtung, also die Befreiung. Sie enthält integrierend auch die drei ersten genannten Teilbereiche. Das Erwachen geht aber über diese Bereiche hinaus und bildet den „Schlussstein“ des buddhistischen Lehrgebäudes und der Praxis. Wenn die umfassende buddhistische Lehre im Einklang mit der Zazen-Praxis und dem täglichen Handeln steht, nenne ich das die zweite Erleuchtung.

Meister Dōgen drückt dies im Kapitel Genjō-kōan wie folgt aus: „Selbst wenn dies alles so ist, fallen die Blüten, während sie geliebt werden, und wuchert das Unkraut, während es ungeliebt ist.“

Damit will er sagen, dass wir über unsere kleinen Wünsche, Hoffnungen, Ängste und Erwartungen hinausgehen müssen, an die wir uns klammern. Wir müssen sie als solche erkennen und ihnen die einengende Kraft nehmen, um zur Wahrheit des Buddha-Dharma und des Lebens zu gelangen. Denn diese wirkliche Welt ist so, wie sie ist: rein, ohne Bedauern, kraftvoll und voller Dynamik. Warum sollten wir ihr entfliehen? Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit den vier Lebensphilosophien den Schlüssel für die Lehren des Gautama Buddha und Meister Dōgens in der Hand halten und das großartige Werk Shōbōgenzō damit erschließen können.

Das Gesetz von Ursache und Wirkung hat im Buddhismus einen zentralen Stellenwert, und auch Meister Dōgen bekennt sich zu dieser Wahrheit. In dem Shōbōgenzō-Kapitel: „Tiefes Vertrauen in das Gesetz von Ursache und Wirkung“ kommt dies in aller Klarheit zum Ausdruck. Es betrifft zunächst die Lebensphilosophie des Materiellen und der Naturwissenschaft, die im Buddha-Dharma als Teilwirklichkeit anerkannt wird. Auch Meister Dōgen beschreibt in verschiedenen Kapiteln die physische Welt und, wie wir heute sagen würden, die Gesetze der Naturwissenschaft. Der große Wissenszuwachs der modernen Zeit ist ja nicht zuletzt in diesem Bereich entstanden und steht nicht im Gegensatz zur buddhistischen Lehre. Besonders deutlich wird dies in den Kapiteln des Shōbōgenzō „Das verwirklichte Leben und Universum“, „Das ganze Universum ist eine leuchtende Perle“ und „Die Stimmen des Tales und die Form der Berge“.

Das Gesetz von Ursache und Wirkung gilt im Buddha-Dharma jedoch auch und nicht zuletzt für die Ethik und Moral des menschlichen Lebens. Es besagt, dass moralisch schlechte Taten unweigerlich auf den Urheber zurückschlagen, und zwar nach unserer festen Überzeugung noch in diesem Leben. Umgekehrt gilt dies auch für moralisch gutes Handeln, denn uns selbst kommt der „Nutzen“ daraus zugute, und wir entkommen dem Leiden: "Geben ist besser als nehmen".

Das Gesetz von Ursache und Wirkung erklärt die Zusammenhänge im Zeitablauf oder, wie wir sagen, mit dem Verständnis der linearen Zeit. Dies wird auch von Meister Dōgen im Shōbōgenzō beschrieben. Aus dem Gesetz von Ursache und Wirkung gibt es kein Entrinnen. Es ermöglicht aber, den wahren Dingen von Leiden und Freuden auf den Grund zu kommen.

Wesentliche Erfahrungen und das wahre Erleben im Hier und Jetzt finden im gegenwärtigen Augenblick statt. Dieses hat im Buddha-Dharma eine sehr große Bedeutung, weil wir im gegenwärtigen Augenblick die Wirklichkeit, das wahre Leben erfahren und die Wahrheit selbst erleben. Das Handeln findet im gegenwärtigen Augenblick statt, so dass die Augenblicklichkeit des Lebens und des Universums in der Lehre und in der Praxis des Buddhismus im Mittelpunkt stehen. Bei der Zazen-Praxis bildet das Handeln im Augenblick mit der ersten Erleuchtung eine Einheit und bedeutet, dass wir den Bodhi-Geist erwecken. Dōgen sagt hierzu: „Wer auf des Tathagatas Schatzkammer des wahren Dharma-Auges und den wunderbaren Geist des Nirwana vertraut, vertraut auch dem Grundsatz der Augenblicklichkeit des Erscheinens und Vergehens aller Dinge.“

Eine solche intuitive Weisheit und Klarsicht übersteigt bei weitem das übliche verstandesmäßige Denken und intellektuelle Ideen, seien sie auch noch so anspruchsvoll, komplex und scharfsinnig. Diese intuitive Weisheit und die volle Gegenwart und Freiheit des Handelns werden im Buddhismus gelehrt und praktiziert. Dann können wir sagen, dass es uns wie „Schuppen von den Augen fällt“ und wir im Einklang mit der Welt und dem Universum handeln und leben. Wir können uns dann selbst klaren und direkter erkennen, wie wir wirklich sind und handeln. Dann handeln wir ohne Zögern und Hemmnisse unmittelbar, moralisch richtig und entschieden, so wie es die Situation gerade erfordert.

Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, hat die westliche europäische Philosophie den Endpunkt der alten Kontroverse von Idealismus und Materialismus erreicht und sucht nach neuen Wegen. Diese sind nach meinem Verständnis von den großen Meistern des Buddhismus bereits gegangen worden. Beispielhaft möchte hier das Werk des deutschen Philosophen Martin Heideggers: „Sein und Zeit“ nennen. Das Handeln im gegenwärtigen Augenblick ist Wahrheit und Wirklichkeit zugleich, es vollzieht sich hier und jetzt. Es ereignet sich in der Einheit von Subjekt und Objekt sowie von Körper und Geist. Dadurch werden wir frei und haben ein erfülltes und freudiges Leben. Dies ist die Überwindung des Leidens.

Es ist sicher unbestritten, dass Ethik und Moral im Buddhismus von fundamentaler Bedeutung sind und dass vor allem die Übereinstimmung von Reden, Denken und Handeln gelehrt und erlernt wird. Hierbei ist die Praxis des Zazen genauso wichtig wie das alltägliche Handeln auf dem Buddha-Weg. Aber auch die buddhistische Lehre ist unverzichtbar, die z. B. im Shôbôgenzô von Meister Dôgen ist formuliert wurde. Zazen ist die reinste Form des Handelns. Indem wir physisch im halben oder ganzen Lotossitz mit aufrechter Wirbelsäule sitzen, kommt das vegetative Nervensystem automatisch ins Gleichgewicht und zur Ruhe. Dieses geistige und körperliche Gleichgewicht gibt uns Kraft und Gelassenheit, es macht uns handlungsfähig und gesund. Es übersteigt das verstandesmäßige Denken oder die irritierenden Gefühle sowie die Genusssucht. Dieses Gleichgewicht ermöglicht intuitive Klarheit, Weisheit und Entscheidungskraft. Der Buddhismus ist die Verbindung von Lehre und Praxis, und er umfasst das ganze menschliche Leben und Universum.

Siehe auch: Dogen, Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges, 4 Bände, Übersetzung R. G. Linnebach,  G. W. Nishijima